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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Raimund und Nestroy

Aber er konnte doch nicht aus seinen Kreisen heraus, weder aus dem volks¬
tümlichen seiner Technik, noch aus dem ebenso volkstümlichen seiner Begabung,
und also wurde die "Unheilbringende Krone" nichts als eine unbehilfliche Auf¬
häufung magischer und allegorischer Vorgänge, denen an diesem ungeeigneten
Platz die sonstige Lebenskraft fehlte, und die sich gegenseitig in ihren Wirkungen
hemmten. Er ahnte wohl selber noch vor dem entscheidenden Mißerfolge auf
der Bühne, daß er fehlgegriffen habe, und wie eine Konfession klingen die Worte
des Dichters Ewald, der ja auch den Stab über die "arme Wirklichkeit" bricht:
"Mein Geist ist klein, mein Wirken nur ein ungeweihter Traum. Drum wird
die Krone, die ich heut wage zu begehren, in Nichts zerfließen wie der Woge
flucht'ger Schaum. . . Um aber doch irgendwie im Rahmen des Volksstückes
dem Höheren gerecht zu werden, bediente sich Raimund einer Sprache, die er
für edel hielt, und die doch nur gezwungen war. Seine "edlen" Verse klingen
steif, und seine edle Prosa, die aus verkappten Alexandrinern, Jamben. Trochäen
in Rhythmenlostgkeit herüberstolpert und von unnatürlichen Satzverrenkungen
wimmelt, ist ein so peinliches Gefüge, daß sie kaum aus derselben Feder zu
stammen scheint, der im Dialekt und im Ton des Volksliedes und Couplets so
viel Anmut und Melodik eigen ist. Man staunt, wenn man den Dichter des
"Brüderlein fein" und des Hobelliedes auf den ärgsten Schwülstigkeiten betrifft,
und man betrifft ihn darauf nicht nur in den zu hoch greifenden Stücken.
Denn wie er es hier niemals unterließ, einige schlichtere Volksszenen ein¬
zuschieben -- das Publikum zwang ihn dazu, und solchen? Zwang verdankt
man das einzig Wertvolle an den genannten Werken --, so konnte er es auch
nicht lassen, seinen schlichterer Stücken allerlei vermeintlich "Edles" beizugeben.

Daß diese trotzdem und trotz ihres bunten Geistertreibens noch immer auch
auf den unnaiven Leser als ergreifende Dichtungen wirken, ist vielleicht der
stärkste Beweis für Raimunds großes Genie. Gerade das gegenwärtige Wien
hat Dichter, die durch die Pracht ihrer Form und ihres Sprachkleides entzücken,
und sieht man von Form und Hülle ab, so erstaunt man über die Gering¬
fügigkeit des vorhandenen Seelischen. Der altwiener Volksdichter gleicht in der
Form seiner Dichtungen oft einem Krüppel und im Sprachkletd -- nicht einem
Bettler, was nur Mitleid erwecken würde, sondern einem Bauern, der sich einmal
städtisch kleiden wollte und in seiner Einzwängung und Entstellung peinlichstes
Unbehagen erregt; und dennoch überwältigt immer wieder das rein Seelische
in Raimund.

Eine merkwürdige Zahlensymmetrie waltet in seinem Schaffen; den drei
ungenießbar edlen Stücken stehen drei schlichte und im Kern gelungene gegenüber,
und dem einen ganz unselbständigen Erstling entspricht ein Gipfelwerk, in dem
Raimund doch einmal über die eigene Grenze hinauskam, freilich in anderer
Richtung als der seiner ins erhaben Philosophische drängenden Sehnsucht. Im
"Diamant des Geisterkönigs", der gleich nach dem "Barometermachn" entstand,
nimmt noch das bunte Geistertreiben einen breiten Raum ein, ist aber hier voll


Raimund und Nestroy

Aber er konnte doch nicht aus seinen Kreisen heraus, weder aus dem volks¬
tümlichen seiner Technik, noch aus dem ebenso volkstümlichen seiner Begabung,
und also wurde die „Unheilbringende Krone" nichts als eine unbehilfliche Auf¬
häufung magischer und allegorischer Vorgänge, denen an diesem ungeeigneten
Platz die sonstige Lebenskraft fehlte, und die sich gegenseitig in ihren Wirkungen
hemmten. Er ahnte wohl selber noch vor dem entscheidenden Mißerfolge auf
der Bühne, daß er fehlgegriffen habe, und wie eine Konfession klingen die Worte
des Dichters Ewald, der ja auch den Stab über die „arme Wirklichkeit" bricht:
„Mein Geist ist klein, mein Wirken nur ein ungeweihter Traum. Drum wird
die Krone, die ich heut wage zu begehren, in Nichts zerfließen wie der Woge
flucht'ger Schaum. . . Um aber doch irgendwie im Rahmen des Volksstückes
dem Höheren gerecht zu werden, bediente sich Raimund einer Sprache, die er
für edel hielt, und die doch nur gezwungen war. Seine „edlen" Verse klingen
steif, und seine edle Prosa, die aus verkappten Alexandrinern, Jamben. Trochäen
in Rhythmenlostgkeit herüberstolpert und von unnatürlichen Satzverrenkungen
wimmelt, ist ein so peinliches Gefüge, daß sie kaum aus derselben Feder zu
stammen scheint, der im Dialekt und im Ton des Volksliedes und Couplets so
viel Anmut und Melodik eigen ist. Man staunt, wenn man den Dichter des
„Brüderlein fein" und des Hobelliedes auf den ärgsten Schwülstigkeiten betrifft,
und man betrifft ihn darauf nicht nur in den zu hoch greifenden Stücken.
Denn wie er es hier niemals unterließ, einige schlichtere Volksszenen ein¬
zuschieben — das Publikum zwang ihn dazu, und solchen? Zwang verdankt
man das einzig Wertvolle an den genannten Werken —, so konnte er es auch
nicht lassen, seinen schlichterer Stücken allerlei vermeintlich „Edles" beizugeben.

Daß diese trotzdem und trotz ihres bunten Geistertreibens noch immer auch
auf den unnaiven Leser als ergreifende Dichtungen wirken, ist vielleicht der
stärkste Beweis für Raimunds großes Genie. Gerade das gegenwärtige Wien
hat Dichter, die durch die Pracht ihrer Form und ihres Sprachkleides entzücken,
und sieht man von Form und Hülle ab, so erstaunt man über die Gering¬
fügigkeit des vorhandenen Seelischen. Der altwiener Volksdichter gleicht in der
Form seiner Dichtungen oft einem Krüppel und im Sprachkletd — nicht einem
Bettler, was nur Mitleid erwecken würde, sondern einem Bauern, der sich einmal
städtisch kleiden wollte und in seiner Einzwängung und Entstellung peinlichstes
Unbehagen erregt; und dennoch überwältigt immer wieder das rein Seelische
in Raimund.

Eine merkwürdige Zahlensymmetrie waltet in seinem Schaffen; den drei
ungenießbar edlen Stücken stehen drei schlichte und im Kern gelungene gegenüber,
und dem einen ganz unselbständigen Erstling entspricht ein Gipfelwerk, in dem
Raimund doch einmal über die eigene Grenze hinauskam, freilich in anderer
Richtung als der seiner ins erhaben Philosophische drängenden Sehnsucht. Im
»Diamant des Geisterkönigs", der gleich nach dem „Barometermachn" entstand,
nimmt noch das bunte Geistertreiben einen breiten Raum ein, ist aber hier voll


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[0441] Raimund und Nestroy Aber er konnte doch nicht aus seinen Kreisen heraus, weder aus dem volks¬ tümlichen seiner Technik, noch aus dem ebenso volkstümlichen seiner Begabung, und also wurde die „Unheilbringende Krone" nichts als eine unbehilfliche Auf¬ häufung magischer und allegorischer Vorgänge, denen an diesem ungeeigneten Platz die sonstige Lebenskraft fehlte, und die sich gegenseitig in ihren Wirkungen hemmten. Er ahnte wohl selber noch vor dem entscheidenden Mißerfolge auf der Bühne, daß er fehlgegriffen habe, und wie eine Konfession klingen die Worte des Dichters Ewald, der ja auch den Stab über die „arme Wirklichkeit" bricht: „Mein Geist ist klein, mein Wirken nur ein ungeweihter Traum. Drum wird die Krone, die ich heut wage zu begehren, in Nichts zerfließen wie der Woge flucht'ger Schaum. . . Um aber doch irgendwie im Rahmen des Volksstückes dem Höheren gerecht zu werden, bediente sich Raimund einer Sprache, die er für edel hielt, und die doch nur gezwungen war. Seine „edlen" Verse klingen steif, und seine edle Prosa, die aus verkappten Alexandrinern, Jamben. Trochäen in Rhythmenlostgkeit herüberstolpert und von unnatürlichen Satzverrenkungen wimmelt, ist ein so peinliches Gefüge, daß sie kaum aus derselben Feder zu stammen scheint, der im Dialekt und im Ton des Volksliedes und Couplets so viel Anmut und Melodik eigen ist. Man staunt, wenn man den Dichter des „Brüderlein fein" und des Hobelliedes auf den ärgsten Schwülstigkeiten betrifft, und man betrifft ihn darauf nicht nur in den zu hoch greifenden Stücken. Denn wie er es hier niemals unterließ, einige schlichtere Volksszenen ein¬ zuschieben — das Publikum zwang ihn dazu, und solchen? Zwang verdankt man das einzig Wertvolle an den genannten Werken —, so konnte er es auch nicht lassen, seinen schlichterer Stücken allerlei vermeintlich „Edles" beizugeben. Daß diese trotzdem und trotz ihres bunten Geistertreibens noch immer auch auf den unnaiven Leser als ergreifende Dichtungen wirken, ist vielleicht der stärkste Beweis für Raimunds großes Genie. Gerade das gegenwärtige Wien hat Dichter, die durch die Pracht ihrer Form und ihres Sprachkleides entzücken, und sieht man von Form und Hülle ab, so erstaunt man über die Gering¬ fügigkeit des vorhandenen Seelischen. Der altwiener Volksdichter gleicht in der Form seiner Dichtungen oft einem Krüppel und im Sprachkletd — nicht einem Bettler, was nur Mitleid erwecken würde, sondern einem Bauern, der sich einmal städtisch kleiden wollte und in seiner Einzwängung und Entstellung peinlichstes Unbehagen erregt; und dennoch überwältigt immer wieder das rein Seelische in Raimund. Eine merkwürdige Zahlensymmetrie waltet in seinem Schaffen; den drei ungenießbar edlen Stücken stehen drei schlichte und im Kern gelungene gegenüber, und dem einen ganz unselbständigen Erstling entspricht ein Gipfelwerk, in dem Raimund doch einmal über die eigene Grenze hinauskam, freilich in anderer Richtung als der seiner ins erhaben Philosophische drängenden Sehnsucht. Im »Diamant des Geisterkönigs", der gleich nach dem „Barometermachn" entstand, nimmt noch das bunte Geistertreiben einen breiten Raum ein, ist aber hier voll

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/441>, abgerufen am 27.09.2024.