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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Raimund und Nestroy

das Vorrecht des Dumm- und Derbseins, der alte Hanswurst durfte ihnen
immer über die Schulter sehen. An Florians aufrichtiger Liebe zur Köchin
Mariandel zweifelte man nicht, wenn er auch bei einem rührenden Abschied
mehr an ihr Reisegeschenk, den "Gugelhupf", dachte, als an die Geliebte selber
und auf ihr "Könntest du in mein Herz sehen I" mit der Frage erwiderte:
"Sein Weinbeer'l drin?" Auch mit den Geistern, die die Üppigkeit der Ver¬
wandlungskünste ins Spiel brachten, fand sich Raimund sehr gut ab. Zwar
daß er sie vermenschlicht (genauer: verwienert) habe, möchte ich ihm nicht so
sehr nachrühmen, wie viele tun, denn selten weiß er für das Heer seiner Magier,
Geisterkönige, Feen und Furien wirklichen Anteil zu erwecken; doch er ließ sie
eben auch nur für ein naives Publikum tatsächlich dasein, stellte sie im übrigen
als mannigfach personifiziertes Schicksal der Menschen hin. auf die er das eigent¬
liche Interesse des Ernsteren konzentrierte.

Aber wie war es denn nun noch möglich, in diesem steten Gewirr tollster
Verzauberungen, in dieser ständigen Berührung mit den grotesken Hemmungen,
Hilfen, Aufgaben der Zauberwelt wirkliche Menschen sich menschlich bewegen zu
lassen? Hier setzt Raimunds große Kunst ein. Er gab in allem Grotesken,
was seine Menschen tun und leiden mußten, "nur Steigerungen einfacher
psychologischer Wahrheiten", und auch an die Geistersphäre heran vermochte er
Interesse zu tragen, zwar wie gesagt nicht zu den freierfundenen magischen
Herren und Damen selber, aber doch zu manchen Allegorien, die "mit unver¬
gleichlicher Lebenskraft einfache Anschauungen verkörpern". Doch man beachte
in diesen der Naimundbegeisterung Richard M. Meyers entnommenen Formeln
das doppelte "einfach", so hat man Raimunds Grenze. Den treuen Diener
wirkliche Schmerzen empfinden zu lassen, wenn dem Herrn eine Lüge widerfährt,
den treuen Diener in der Verzauberung als Pudel darzustellen, der Hoffnung
und Zufriedenheit, der Jugend und dem Alter, die im Auftrage der Schicksals¬
geister handeln, paßliche Worte zu geben, so kindliches Verfahren schickt sich für
kindliche Verhältnisse, verschiebt sich aber um so entschiedener vom Kindlichen
ins Kindische, je mehr es auf minder Volkstümliches Anwendung findet.

Und nun war es Raimunds unselige Sucht, über den Kreis des eigentlich
Volkstümlichen hinauszustreben. Es genügte ihm nicht, die Bravheit eines ein¬
fachen Mädchens zu zeigen, er mußte in "Moisasurs Zauberfluch" die Königin
darstellen, die ihr Land der Tugend an sich weiht und deshalb Verfolgungen
der Hölle erleidet. Er fühlte sich gedemütigt durch das beschränkte Lob, "nur" ein
Volksdichter zu sein, und suchte (nach seinen eigenen Worten) in der "Gefesselten
Phantasie" zu beweisen, "daß man auch, ohne ein Gelehrter zu sein, ein un¬
schuldiges Gedicht ersinnen könne". Und seine Anschauungen von der Kunst des
Dichters und dem Unwert der Wirklichkeit und der Verderblichkeit des un¬
bescheidener Glückes durften nicht nur zerstreut in simplen Zauberspielen stehen,
sondern mußten auch einmal zusammengefaßt und in erhöhtem Stil zum Ausdruck
kommen, und so entstand sein ernsthaftestes Werk, "Die unheilbringende Krone".


Raimund und Nestroy

das Vorrecht des Dumm- und Derbseins, der alte Hanswurst durfte ihnen
immer über die Schulter sehen. An Florians aufrichtiger Liebe zur Köchin
Mariandel zweifelte man nicht, wenn er auch bei einem rührenden Abschied
mehr an ihr Reisegeschenk, den „Gugelhupf", dachte, als an die Geliebte selber
und auf ihr „Könntest du in mein Herz sehen I" mit der Frage erwiderte:
„Sein Weinbeer'l drin?" Auch mit den Geistern, die die Üppigkeit der Ver¬
wandlungskünste ins Spiel brachten, fand sich Raimund sehr gut ab. Zwar
daß er sie vermenschlicht (genauer: verwienert) habe, möchte ich ihm nicht so
sehr nachrühmen, wie viele tun, denn selten weiß er für das Heer seiner Magier,
Geisterkönige, Feen und Furien wirklichen Anteil zu erwecken; doch er ließ sie
eben auch nur für ein naives Publikum tatsächlich dasein, stellte sie im übrigen
als mannigfach personifiziertes Schicksal der Menschen hin. auf die er das eigent¬
liche Interesse des Ernsteren konzentrierte.

Aber wie war es denn nun noch möglich, in diesem steten Gewirr tollster
Verzauberungen, in dieser ständigen Berührung mit den grotesken Hemmungen,
Hilfen, Aufgaben der Zauberwelt wirkliche Menschen sich menschlich bewegen zu
lassen? Hier setzt Raimunds große Kunst ein. Er gab in allem Grotesken,
was seine Menschen tun und leiden mußten, „nur Steigerungen einfacher
psychologischer Wahrheiten", und auch an die Geistersphäre heran vermochte er
Interesse zu tragen, zwar wie gesagt nicht zu den freierfundenen magischen
Herren und Damen selber, aber doch zu manchen Allegorien, die „mit unver¬
gleichlicher Lebenskraft einfache Anschauungen verkörpern". Doch man beachte
in diesen der Naimundbegeisterung Richard M. Meyers entnommenen Formeln
das doppelte „einfach", so hat man Raimunds Grenze. Den treuen Diener
wirkliche Schmerzen empfinden zu lassen, wenn dem Herrn eine Lüge widerfährt,
den treuen Diener in der Verzauberung als Pudel darzustellen, der Hoffnung
und Zufriedenheit, der Jugend und dem Alter, die im Auftrage der Schicksals¬
geister handeln, paßliche Worte zu geben, so kindliches Verfahren schickt sich für
kindliche Verhältnisse, verschiebt sich aber um so entschiedener vom Kindlichen
ins Kindische, je mehr es auf minder Volkstümliches Anwendung findet.

Und nun war es Raimunds unselige Sucht, über den Kreis des eigentlich
Volkstümlichen hinauszustreben. Es genügte ihm nicht, die Bravheit eines ein¬
fachen Mädchens zu zeigen, er mußte in „Moisasurs Zauberfluch" die Königin
darstellen, die ihr Land der Tugend an sich weiht und deshalb Verfolgungen
der Hölle erleidet. Er fühlte sich gedemütigt durch das beschränkte Lob, „nur" ein
Volksdichter zu sein, und suchte (nach seinen eigenen Worten) in der „Gefesselten
Phantasie" zu beweisen, „daß man auch, ohne ein Gelehrter zu sein, ein un¬
schuldiges Gedicht ersinnen könne". Und seine Anschauungen von der Kunst des
Dichters und dem Unwert der Wirklichkeit und der Verderblichkeit des un¬
bescheidener Glückes durften nicht nur zerstreut in simplen Zauberspielen stehen,
sondern mußten auch einmal zusammengefaßt und in erhöhtem Stil zum Ausdruck
kommen, und so entstand sein ernsthaftestes Werk, „Die unheilbringende Krone".


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/440>, abgerufen am 27.09.2024.