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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Soziale Aufgabe" der privaten Lebensversicherung

Personenkreise hinausgeht. Im übrigen aber: sind erst geeignete Einrichtungen
vorhanden für eine erleichterte, d. h. nach Möglichkeit billige Kapitalversicherung,
so wird es ein Leichtes sein, sie auch für geeignete Rentenversicherungen zu
entwickeln.

Naturgemäß handelt es sich hier nur um die Versicherung kleiner Summen
von mehreren hundert oder höchstens einigen wenigen tausend Mark, also um
die kleine Lebensversicherung, insbesondere um die sogenannte Volksversicherung
ohne ärztliche Untersuchung mit Prämien für kurze Zeitabschnitte, meist Wochen¬
prämien, und vorzugsweise mit Abholung der Prämien beim Versicherten.
Diese Volksversicherung reicht heute bis zur Höchstsumme von 2000 Mark, könnte
aber, wenn sich ein praktisches Bedürfnis hierzu ergeben sollte, leicht darüber
hinaus ausgedehnt werden.

Bekannt ist, welche außerordentlich großen Erfolge einige deutsche Ver¬
sicherungsgesellschaften mit der Volksversicherung in den letzten zwanzig Jahren
erzielt haben, ebenso bekannt aber auch die starke Gegnerschaft, die ihnen
erstanden ist, weil angeblich die Prämien zu hoch und der Verlust der Ver¬
sicherten durch häufigen Verfall der Versicherungen zu groß seien. Mögen nun
auch die gegen die deutsche Volksversicherung erhobenen Vorwürfe vielfach auf
Unkenntnis und Übertreibungen beruhen, so wird doch schwerlich auf ein Zu¬
sammenwirken der öffentlichen Arbeiterverstcherung mit den einzelnen heute
bestehenden privaten Volksversicherungsunternehmungen gehofft werden können.
Soll ein solches Zusammenwirken angebahnt und damit ein wesentlicher Fort¬
schritt im Sinne der möglichsten Vervollkommnung und Ausbreitung der frei¬
willigen Volksversicherung gemacht werden, so müßten die beteiligten Privat¬
unternehmungen in einer mächtigen, einheitlichen Organisation auftreten, welche
nicht nur den dauernden Bestand und die denkbar größte finanzielle Sicherheit
gewährleistet, sondern auch dafür Bürgschaften bietet, daß der Betrieb nach
großen sozialen Gesichtspunkten im Dienst echter Volkswohlfahrt geführt wird.
Einer solchen gemeinnützigen Wirksamkeit brauchte der Umstand keineswegs ent¬
gegenzustehen, daß die einzelnen an der Gesamtorganisation beteiligten Privat¬
unternehmungen auf Gewinn abzielen.

Mit einer solchen Zusammenfassung einer Mehrheit privater Versicherungs¬
unternehmungen zu einem gemeinschaftlichen Großbetrieb der Volksversicherung
gelangt man zu einem Plane, wie er bereits im Jahre 1906 durch eine
anonyme, damals wenig beachtete Broschüre "Vorschläge zur Reform der Volks¬
versicherung in Deutschland" (Berlin, I. Guttentag) befürwortet worden ist.
Nachdem dort die Mängel der bestehenden Volksversicherung und die zu ihrer
Beseitigung aufgetauchten wesentlichsten Verbesserungsvorschläge kritisch gewürdigt
worden sind, empfiehlt der Verfasser den Zusammenschluß einer Mehrheit der
bestehenden privaten Lebensverstcherungsgesellschaften (Aktiengesellschaften wie
Gegenseitigkeitsvereine) zu einer großzügigen Volksversicherungsgemeinschaft derart,
daß die mehreren Privatunternehmungen mit eigener Kapitalbeteiligung eine


Soziale Aufgabe» der privaten Lebensversicherung

Personenkreise hinausgeht. Im übrigen aber: sind erst geeignete Einrichtungen
vorhanden für eine erleichterte, d. h. nach Möglichkeit billige Kapitalversicherung,
so wird es ein Leichtes sein, sie auch für geeignete Rentenversicherungen zu
entwickeln.

Naturgemäß handelt es sich hier nur um die Versicherung kleiner Summen
von mehreren hundert oder höchstens einigen wenigen tausend Mark, also um
die kleine Lebensversicherung, insbesondere um die sogenannte Volksversicherung
ohne ärztliche Untersuchung mit Prämien für kurze Zeitabschnitte, meist Wochen¬
prämien, und vorzugsweise mit Abholung der Prämien beim Versicherten.
Diese Volksversicherung reicht heute bis zur Höchstsumme von 2000 Mark, könnte
aber, wenn sich ein praktisches Bedürfnis hierzu ergeben sollte, leicht darüber
hinaus ausgedehnt werden.

Bekannt ist, welche außerordentlich großen Erfolge einige deutsche Ver¬
sicherungsgesellschaften mit der Volksversicherung in den letzten zwanzig Jahren
erzielt haben, ebenso bekannt aber auch die starke Gegnerschaft, die ihnen
erstanden ist, weil angeblich die Prämien zu hoch und der Verlust der Ver¬
sicherten durch häufigen Verfall der Versicherungen zu groß seien. Mögen nun
auch die gegen die deutsche Volksversicherung erhobenen Vorwürfe vielfach auf
Unkenntnis und Übertreibungen beruhen, so wird doch schwerlich auf ein Zu¬
sammenwirken der öffentlichen Arbeiterverstcherung mit den einzelnen heute
bestehenden privaten Volksversicherungsunternehmungen gehofft werden können.
Soll ein solches Zusammenwirken angebahnt und damit ein wesentlicher Fort¬
schritt im Sinne der möglichsten Vervollkommnung und Ausbreitung der frei¬
willigen Volksversicherung gemacht werden, so müßten die beteiligten Privat¬
unternehmungen in einer mächtigen, einheitlichen Organisation auftreten, welche
nicht nur den dauernden Bestand und die denkbar größte finanzielle Sicherheit
gewährleistet, sondern auch dafür Bürgschaften bietet, daß der Betrieb nach
großen sozialen Gesichtspunkten im Dienst echter Volkswohlfahrt geführt wird.
Einer solchen gemeinnützigen Wirksamkeit brauchte der Umstand keineswegs ent¬
gegenzustehen, daß die einzelnen an der Gesamtorganisation beteiligten Privat¬
unternehmungen auf Gewinn abzielen.

Mit einer solchen Zusammenfassung einer Mehrheit privater Versicherungs¬
unternehmungen zu einem gemeinschaftlichen Großbetrieb der Volksversicherung
gelangt man zu einem Plane, wie er bereits im Jahre 1906 durch eine
anonyme, damals wenig beachtete Broschüre „Vorschläge zur Reform der Volks¬
versicherung in Deutschland" (Berlin, I. Guttentag) befürwortet worden ist.
Nachdem dort die Mängel der bestehenden Volksversicherung und die zu ihrer
Beseitigung aufgetauchten wesentlichsten Verbesserungsvorschläge kritisch gewürdigt
worden sind, empfiehlt der Verfasser den Zusammenschluß einer Mehrheit der
bestehenden privaten Lebensverstcherungsgesellschaften (Aktiengesellschaften wie
Gegenseitigkeitsvereine) zu einer großzügigen Volksversicherungsgemeinschaft derart,
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[0430] Soziale Aufgabe» der privaten Lebensversicherung Personenkreise hinausgeht. Im übrigen aber: sind erst geeignete Einrichtungen vorhanden für eine erleichterte, d. h. nach Möglichkeit billige Kapitalversicherung, so wird es ein Leichtes sein, sie auch für geeignete Rentenversicherungen zu entwickeln. Naturgemäß handelt es sich hier nur um die Versicherung kleiner Summen von mehreren hundert oder höchstens einigen wenigen tausend Mark, also um die kleine Lebensversicherung, insbesondere um die sogenannte Volksversicherung ohne ärztliche Untersuchung mit Prämien für kurze Zeitabschnitte, meist Wochen¬ prämien, und vorzugsweise mit Abholung der Prämien beim Versicherten. Diese Volksversicherung reicht heute bis zur Höchstsumme von 2000 Mark, könnte aber, wenn sich ein praktisches Bedürfnis hierzu ergeben sollte, leicht darüber hinaus ausgedehnt werden. Bekannt ist, welche außerordentlich großen Erfolge einige deutsche Ver¬ sicherungsgesellschaften mit der Volksversicherung in den letzten zwanzig Jahren erzielt haben, ebenso bekannt aber auch die starke Gegnerschaft, die ihnen erstanden ist, weil angeblich die Prämien zu hoch und der Verlust der Ver¬ sicherten durch häufigen Verfall der Versicherungen zu groß seien. Mögen nun auch die gegen die deutsche Volksversicherung erhobenen Vorwürfe vielfach auf Unkenntnis und Übertreibungen beruhen, so wird doch schwerlich auf ein Zu¬ sammenwirken der öffentlichen Arbeiterverstcherung mit den einzelnen heute bestehenden privaten Volksversicherungsunternehmungen gehofft werden können. Soll ein solches Zusammenwirken angebahnt und damit ein wesentlicher Fort¬ schritt im Sinne der möglichsten Vervollkommnung und Ausbreitung der frei¬ willigen Volksversicherung gemacht werden, so müßten die beteiligten Privat¬ unternehmungen in einer mächtigen, einheitlichen Organisation auftreten, welche nicht nur den dauernden Bestand und die denkbar größte finanzielle Sicherheit gewährleistet, sondern auch dafür Bürgschaften bietet, daß der Betrieb nach großen sozialen Gesichtspunkten im Dienst echter Volkswohlfahrt geführt wird. Einer solchen gemeinnützigen Wirksamkeit brauchte der Umstand keineswegs ent¬ gegenzustehen, daß die einzelnen an der Gesamtorganisation beteiligten Privat¬ unternehmungen auf Gewinn abzielen. Mit einer solchen Zusammenfassung einer Mehrheit privater Versicherungs¬ unternehmungen zu einem gemeinschaftlichen Großbetrieb der Volksversicherung gelangt man zu einem Plane, wie er bereits im Jahre 1906 durch eine anonyme, damals wenig beachtete Broschüre „Vorschläge zur Reform der Volks¬ versicherung in Deutschland" (Berlin, I. Guttentag) befürwortet worden ist. Nachdem dort die Mängel der bestehenden Volksversicherung und die zu ihrer Beseitigung aufgetauchten wesentlichsten Verbesserungsvorschläge kritisch gewürdigt worden sind, empfiehlt der Verfasser den Zusammenschluß einer Mehrheit der bestehenden privaten Lebensverstcherungsgesellschaften (Aktiengesellschaften wie Gegenseitigkeitsvereine) zu einer großzügigen Volksversicherungsgemeinschaft derart, daß die mehreren Privatunternehmungen mit eigener Kapitalbeteiligung eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/430>, abgerufen am 20.10.2024.