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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

sich geradezu die Menge der jungen Männer,
die fähig und geneigt sind als Führer in die
Arbeit der Jugendpflege einzutreten, in den
kleinen dagegen ist ein großer Mangel daran.
Die Lehrer allein können es nicht schaffen,
selbst wenn sie alle tüchtig und willig zu
diesem Werke wären. Es ist auch nicht ein¬
mal wünschenswert, daß es in erster Linie
immer wieder die Lehrer seien, mit denen die
Jugend ja schon in den Fortbildungsschulen
zu tun hat. Die Gründe (z, B. Neigung zu
doktrinärer Art) brauchen hier nicht erst er¬
örtert zu werden. Am besten ist es sicherlich,
wenn Führer und Helfer überhaupt in keinem
Amt stehen, mit dem irgendwie die Vor¬
stellung von zwangsweiser Achtung sich ver¬
bindet; junge Leute zwischen zwanzig und
dreißig, die entweder kein Amt bekleiden
Werden oder wenigstens erst in der Vor¬
bereitung auf ein solches stehen, das sind die
geeignetsten. Aber auch wenn die Turm- und
Sportvereine sich selbstlos, d. h. ohne dabei
auf Mitgliedererwerbung auszugehen, der
Sache annehmen werden, so wird auch das
noch nicht genügen, das Bedürfnis ist zu
groß -- und die Vermittlung von Idealismus
und Begeisterungsfähigkeit, die Erziehung zu
männlich-ritterlicher Moral ist eben nicht
jedermanns Sache, zu dieser Erziehungs¬
tätigkeit gehören Persönlichkeiten von einer
gewissen sittlichen Fundamentierung. Woher
aber sollen diese in der wünschenswerten Zahl
kommen?

Unwillkürlich richtet sich der suchende Blick
auf die Kirche und ihre großartigen Organi¬
sationen; die Gesellen- und Jünglingsvereine
sind über das ganze Land verbreitet und in
jedem dieser Vereine ist etwa ein Drittel im
geeigneten Alter, darunter nicht wenige ge¬
diente Leute. Vielleicht darf man erwarten,
daß die katholischen Vereine sich diese Ge¬
legenheit nicht werden entgehen lassen, den
Beweis zu erbringen, daß ihre Organisation
fähig und gewillt ist, politische, staatsbürger¬
liche Arbeit zu leisten. Um so mehr schmerzt
es zu hören, daß von evangelischer Seite
bereits mehrfach runde Absagen gegeben sind,
wenn man die Jünglingsvereine aufforderte,
an diesem nationalen Werke mitzuarbeiten.
Ca äußerlicher Grund nur wäre doch der,
daß die Versammlungszetten in die Übungs¬

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zeiten hineinfallen (z. B. Sonntag Nachmittag
4V-, oder 6 Uhr). So lange es in erster
Linie gelten mußte, die jungen Leute vom
Wirtshaus und Tanzboden fernzuhalten, war
freilich die Wahl solcher Versammlungsstunden
zu verstehen. Jetzt, wo in den? Jugendwerke
ein Besseres geboten wird, dürften die Jüng-
ltngsvereine ihren Mitgliedern nicht nur keine
Schwierigkeiten bereiten, sondern sie hätten
die Pflicht, als erste in die neue Front ein¬
zurücken. Der Ertüchtigung und Erfrischung
so mancher unter den ihrigen würde das
gewiß nur zugute kommen, und der dunkeln
Abende bleiben so noch genug im Jahre für
die Stubenversammlungen. Warum geschieht
nun nichts der Art? Es muß offenbar ein
innerer Grund vorliegen dafür, daß die kirch¬
lichen Jugendorganisationen von der natio¬
nalen Jugendbewegung sich abschließen. Und
das kann nur der sein, daß sie das kirchliche
Prinzip immer noch als das absolut Primäre
betrachten, so kommen sie dann zu einem
Gegensatz gegen das nationale, das ihnen
immer noch ein rein weltliches zu sein scheint.

Ist dies Verhalten berechtigt? Ich fürchte,
wenn es weiter verbliebe, so würde die Kirche
selbst zu allen übrigen auch noch diesen Vor¬
wurf tragen müssen, daß sie nicht national
sei, geradeso wie man sie von gewisser Seite
angeklagt hat, sie sei unsozial. Die alte Kirche
allerdings war universalistisch und inter¬
national, aber eine Kirche, die Willens ist, daS
Evangeliuni heule noch zu verkündigen und
zu bewahren, geht die Frage der nationalen
Erziehung unserer Jugend sehr viel an. Was
Jesus darüber gedacht hat, darf man natürlich
nicht fragen, denn Jesus war der Sohn eines
zertretenen und erschöpften Volkes und lebte
und webte mit vielen seiner Zeitgenossen in
der Stimmung, daß die Tage dieses Welt¬
laufs gezählt seien und alles Wesen der Welt
der baldigen Vernichtung entgegenreife. Was
hat Jesus gedacht? -- Das ist eine Frage
des Historikers, die Frage dagegen, die er
uns in die Seele gebrannt hat, lautet: Was
ist das Richtige? Was ist Gottes Wille?
Unser sittliches Urteil aber steht unter dem
Einfluß der unleugbaren Tatsache, daß es
Gott nicht gefallen hat. das Ziel der Geschichte
durch plötzlichen Abbruch und Neuschöpfung
herzustellen; wir ahnen, daß der Weg, den

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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sich geradezu die Menge der jungen Männer,
die fähig und geneigt sind als Führer in die
Arbeit der Jugendpflege einzutreten, in den
kleinen dagegen ist ein großer Mangel daran.
Die Lehrer allein können es nicht schaffen,
selbst wenn sie alle tüchtig und willig zu
diesem Werke wären. Es ist auch nicht ein¬
mal wünschenswert, daß es in erster Linie
immer wieder die Lehrer seien, mit denen die
Jugend ja schon in den Fortbildungsschulen
zu tun hat. Die Gründe (z, B. Neigung zu
doktrinärer Art) brauchen hier nicht erst er¬
örtert zu werden. Am besten ist es sicherlich,
wenn Führer und Helfer überhaupt in keinem
Amt stehen, mit dem irgendwie die Vor¬
stellung von zwangsweiser Achtung sich ver¬
bindet; junge Leute zwischen zwanzig und
dreißig, die entweder kein Amt bekleiden
Werden oder wenigstens erst in der Vor¬
bereitung auf ein solches stehen, das sind die
geeignetsten. Aber auch wenn die Turm- und
Sportvereine sich selbstlos, d. h. ohne dabei
auf Mitgliedererwerbung auszugehen, der
Sache annehmen werden, so wird auch das
noch nicht genügen, das Bedürfnis ist zu
groß — und die Vermittlung von Idealismus
und Begeisterungsfähigkeit, die Erziehung zu
männlich-ritterlicher Moral ist eben nicht
jedermanns Sache, zu dieser Erziehungs¬
tätigkeit gehören Persönlichkeiten von einer
gewissen sittlichen Fundamentierung. Woher
aber sollen diese in der wünschenswerten Zahl
kommen?

Unwillkürlich richtet sich der suchende Blick
auf die Kirche und ihre großartigen Organi¬
sationen; die Gesellen- und Jünglingsvereine
sind über das ganze Land verbreitet und in
jedem dieser Vereine ist etwa ein Drittel im
geeigneten Alter, darunter nicht wenige ge¬
diente Leute. Vielleicht darf man erwarten,
daß die katholischen Vereine sich diese Ge¬
legenheit nicht werden entgehen lassen, den
Beweis zu erbringen, daß ihre Organisation
fähig und gewillt ist, politische, staatsbürger¬
liche Arbeit zu leisten. Um so mehr schmerzt
es zu hören, daß von evangelischer Seite
bereits mehrfach runde Absagen gegeben sind,
wenn man die Jünglingsvereine aufforderte,
an diesem nationalen Werke mitzuarbeiten.
Ca äußerlicher Grund nur wäre doch der,
daß die Versammlungszetten in die Übungs¬

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zeiten hineinfallen (z. B. Sonntag Nachmittag
4V-, oder 6 Uhr). So lange es in erster
Linie gelten mußte, die jungen Leute vom
Wirtshaus und Tanzboden fernzuhalten, war
freilich die Wahl solcher Versammlungsstunden
zu verstehen. Jetzt, wo in den? Jugendwerke
ein Besseres geboten wird, dürften die Jüng-
ltngsvereine ihren Mitgliedern nicht nur keine
Schwierigkeiten bereiten, sondern sie hätten
die Pflicht, als erste in die neue Front ein¬
zurücken. Der Ertüchtigung und Erfrischung
so mancher unter den ihrigen würde das
gewiß nur zugute kommen, und der dunkeln
Abende bleiben so noch genug im Jahre für
die Stubenversammlungen. Warum geschieht
nun nichts der Art? Es muß offenbar ein
innerer Grund vorliegen dafür, daß die kirch¬
lichen Jugendorganisationen von der natio¬
nalen Jugendbewegung sich abschließen. Und
das kann nur der sein, daß sie das kirchliche
Prinzip immer noch als das absolut Primäre
betrachten, so kommen sie dann zu einem
Gegensatz gegen das nationale, das ihnen
immer noch ein rein weltliches zu sein scheint.

Ist dies Verhalten berechtigt? Ich fürchte,
wenn es weiter verbliebe, so würde die Kirche
selbst zu allen übrigen auch noch diesen Vor¬
wurf tragen müssen, daß sie nicht national
sei, geradeso wie man sie von gewisser Seite
angeklagt hat, sie sei unsozial. Die alte Kirche
allerdings war universalistisch und inter¬
national, aber eine Kirche, die Willens ist, daS
Evangeliuni heule noch zu verkündigen und
zu bewahren, geht die Frage der nationalen
Erziehung unserer Jugend sehr viel an. Was
Jesus darüber gedacht hat, darf man natürlich
nicht fragen, denn Jesus war der Sohn eines
zertretenen und erschöpften Volkes und lebte
und webte mit vielen seiner Zeitgenossen in
der Stimmung, daß die Tage dieses Welt¬
laufs gezählt seien und alles Wesen der Welt
der baldigen Vernichtung entgegenreife. Was
hat Jesus gedacht? — Das ist eine Frage
des Historikers, die Frage dagegen, die er
uns in die Seele gebrannt hat, lautet: Was
ist das Richtige? Was ist Gottes Wille?
Unser sittliches Urteil aber steht unter dem
Einfluß der unleugbaren Tatsache, daß es
Gott nicht gefallen hat. das Ziel der Geschichte
durch plötzlichen Abbruch und Neuschöpfung
herzustellen; wir ahnen, daß der Weg, den

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[0356] Maßgebliches und Unmaßgebliches sich geradezu die Menge der jungen Männer, die fähig und geneigt sind als Führer in die Arbeit der Jugendpflege einzutreten, in den kleinen dagegen ist ein großer Mangel daran. Die Lehrer allein können es nicht schaffen, selbst wenn sie alle tüchtig und willig zu diesem Werke wären. Es ist auch nicht ein¬ mal wünschenswert, daß es in erster Linie immer wieder die Lehrer seien, mit denen die Jugend ja schon in den Fortbildungsschulen zu tun hat. Die Gründe (z, B. Neigung zu doktrinärer Art) brauchen hier nicht erst er¬ örtert zu werden. Am besten ist es sicherlich, wenn Führer und Helfer überhaupt in keinem Amt stehen, mit dem irgendwie die Vor¬ stellung von zwangsweiser Achtung sich ver¬ bindet; junge Leute zwischen zwanzig und dreißig, die entweder kein Amt bekleiden Werden oder wenigstens erst in der Vor¬ bereitung auf ein solches stehen, das sind die geeignetsten. Aber auch wenn die Turm- und Sportvereine sich selbstlos, d. h. ohne dabei auf Mitgliedererwerbung auszugehen, der Sache annehmen werden, so wird auch das noch nicht genügen, das Bedürfnis ist zu groß — und die Vermittlung von Idealismus und Begeisterungsfähigkeit, die Erziehung zu männlich-ritterlicher Moral ist eben nicht jedermanns Sache, zu dieser Erziehungs¬ tätigkeit gehören Persönlichkeiten von einer gewissen sittlichen Fundamentierung. Woher aber sollen diese in der wünschenswerten Zahl kommen? Unwillkürlich richtet sich der suchende Blick auf die Kirche und ihre großartigen Organi¬ sationen; die Gesellen- und Jünglingsvereine sind über das ganze Land verbreitet und in jedem dieser Vereine ist etwa ein Drittel im geeigneten Alter, darunter nicht wenige ge¬ diente Leute. Vielleicht darf man erwarten, daß die katholischen Vereine sich diese Ge¬ legenheit nicht werden entgehen lassen, den Beweis zu erbringen, daß ihre Organisation fähig und gewillt ist, politische, staatsbürger¬ liche Arbeit zu leisten. Um so mehr schmerzt es zu hören, daß von evangelischer Seite bereits mehrfach runde Absagen gegeben sind, wenn man die Jünglingsvereine aufforderte, an diesem nationalen Werke mitzuarbeiten. Ca äußerlicher Grund nur wäre doch der, daß die Versammlungszetten in die Übungs¬ zeiten hineinfallen (z. B. Sonntag Nachmittag 4V-, oder 6 Uhr). So lange es in erster Linie gelten mußte, die jungen Leute vom Wirtshaus und Tanzboden fernzuhalten, war freilich die Wahl solcher Versammlungsstunden zu verstehen. Jetzt, wo in den? Jugendwerke ein Besseres geboten wird, dürften die Jüng- ltngsvereine ihren Mitgliedern nicht nur keine Schwierigkeiten bereiten, sondern sie hätten die Pflicht, als erste in die neue Front ein¬ zurücken. Der Ertüchtigung und Erfrischung so mancher unter den ihrigen würde das gewiß nur zugute kommen, und der dunkeln Abende bleiben so noch genug im Jahre für die Stubenversammlungen. Warum geschieht nun nichts der Art? Es muß offenbar ein innerer Grund vorliegen dafür, daß die kirch¬ lichen Jugendorganisationen von der natio¬ nalen Jugendbewegung sich abschließen. Und das kann nur der sein, daß sie das kirchliche Prinzip immer noch als das absolut Primäre betrachten, so kommen sie dann zu einem Gegensatz gegen das nationale, das ihnen immer noch ein rein weltliches zu sein scheint. Ist dies Verhalten berechtigt? Ich fürchte, wenn es weiter verbliebe, so würde die Kirche selbst zu allen übrigen auch noch diesen Vor¬ wurf tragen müssen, daß sie nicht national sei, geradeso wie man sie von gewisser Seite angeklagt hat, sie sei unsozial. Die alte Kirche allerdings war universalistisch und inter¬ national, aber eine Kirche, die Willens ist, daS Evangeliuni heule noch zu verkündigen und zu bewahren, geht die Frage der nationalen Erziehung unserer Jugend sehr viel an. Was Jesus darüber gedacht hat, darf man natürlich nicht fragen, denn Jesus war der Sohn eines zertretenen und erschöpften Volkes und lebte und webte mit vielen seiner Zeitgenossen in der Stimmung, daß die Tage dieses Welt¬ laufs gezählt seien und alles Wesen der Welt der baldigen Vernichtung entgegenreife. Was hat Jesus gedacht? — Das ist eine Frage des Historikers, die Frage dagegen, die er uns in die Seele gebrannt hat, lautet: Was ist das Richtige? Was ist Gottes Wille? Unser sittliches Urteil aber steht unter dem Einfluß der unleugbaren Tatsache, daß es Gott nicht gefallen hat. das Ziel der Geschichte durch plötzlichen Abbruch und Neuschöpfung herzustellen; wir ahnen, daß der Weg, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/356>, abgerufen am 27.09.2024.