Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Auf Lonrad Ferdinand Meyers Spuren

mit wogendem Schilf überwuchert und mit einem Steindamm abgesperrt, der
der Schiffahrt nur einen schmalen überbrückten Durchlaß gewährt. Und dem
Städtchen gegenüber am anderen Ufer des Sees erheben sich düstere Berge,
unter ihnen der "Hohe Etzel", an dessen Fuß sich der Keine Ort Pfäffikon
schmiegt.

Schon vom Schiffe aus hatten wir die Ufenau und ihre kleinere Schwester,
die Lützelau, erblickt, selbstverständlich aber wollten wir das durch den Sang
von Huttens Leiden und Sterben geweihte Eiland mit eigenen Füßen betreten.
Im kleinen Hafen von Rapperswil fanden wir einen zwölfjährigen Knaben
bereit, als "Ferge" unsere eigene Ruderkraft zu unterstützen. Die Sonne neigte
sich zum Sinken, als wir über den stillen See dahinglitten, träumerisch wogte
das Schilf, und ergriffen von dem schwermütigen Zauber der Abendstunde
hätten wir mit Hütten dem kleinen Fergen zurufen mögen:

Die Insel trägt außer einem alten ländlichen Wirtshause mit "schwarz-
schattenden Kastanien" auf ihren baumumsäumten Matten nur das Kirchlein
des heiligen Adalbert und eine Kapelle, die, beide im Jahre 114l geweiht,
schon Hütten altehrwürdig erscheinen mußten. Leise umschritten wir das alters¬
graue Gemäuer und den von niedrigem Steingehege umzogenen Friedhof, auf
dein einst auch Huttens sterbliche Reste bestattet wurden. -- Möchten sie nicht
von unfrommer Hand vermengt worden sein mit dem Haufen morscher Toten¬
gebeine, den wir im düsteren Gewölbe des Kirchturms durch ein Gitterfenster
schaudernd wahrnahmen! --- Immer stiller und feierlicher wurde es um uns,
in unserer Nähe spielten arglos wilde Kaninchen, ein Murmeltier huschte durch
das hohe Gras und in der Ferne schimmerte durch die Bäume mattglänzend
der See. Die Erinnerung an das einsame Ende des edlen Streiters, an das
schmerzvolle und doch steghafte Erlöschen seines freien Geistes, für alle Zeiten
verklärt dnrch des Dichters markiges Lied, umschwebt uns, und als wir bei
einbrechender Dämmerung schieden, klang es in unserer Seele wieder:


Auf Lonrad Ferdinand Meyers Spuren

mit wogendem Schilf überwuchert und mit einem Steindamm abgesperrt, der
der Schiffahrt nur einen schmalen überbrückten Durchlaß gewährt. Und dem
Städtchen gegenüber am anderen Ufer des Sees erheben sich düstere Berge,
unter ihnen der „Hohe Etzel", an dessen Fuß sich der Keine Ort Pfäffikon
schmiegt.

Schon vom Schiffe aus hatten wir die Ufenau und ihre kleinere Schwester,
die Lützelau, erblickt, selbstverständlich aber wollten wir das durch den Sang
von Huttens Leiden und Sterben geweihte Eiland mit eigenen Füßen betreten.
Im kleinen Hafen von Rapperswil fanden wir einen zwölfjährigen Knaben
bereit, als „Ferge" unsere eigene Ruderkraft zu unterstützen. Die Sonne neigte
sich zum Sinken, als wir über den stillen See dahinglitten, träumerisch wogte
das Schilf, und ergriffen von dem schwermütigen Zauber der Abendstunde
hätten wir mit Hütten dem kleinen Fergen zurufen mögen:

Die Insel trägt außer einem alten ländlichen Wirtshause mit „schwarz-
schattenden Kastanien" auf ihren baumumsäumten Matten nur das Kirchlein
des heiligen Adalbert und eine Kapelle, die, beide im Jahre 114l geweiht,
schon Hütten altehrwürdig erscheinen mußten. Leise umschritten wir das alters¬
graue Gemäuer und den von niedrigem Steingehege umzogenen Friedhof, auf
dein einst auch Huttens sterbliche Reste bestattet wurden. — Möchten sie nicht
von unfrommer Hand vermengt worden sein mit dem Haufen morscher Toten¬
gebeine, den wir im düsteren Gewölbe des Kirchturms durch ein Gitterfenster
schaudernd wahrnahmen! -— Immer stiller und feierlicher wurde es um uns,
in unserer Nähe spielten arglos wilde Kaninchen, ein Murmeltier huschte durch
das hohe Gras und in der Ferne schimmerte durch die Bäume mattglänzend
der See. Die Erinnerung an das einsame Ende des edlen Streiters, an das
schmerzvolle und doch steghafte Erlöschen seines freien Geistes, für alle Zeiten
verklärt dnrch des Dichters markiges Lied, umschwebt uns, und als wir bei
einbrechender Dämmerung schieden, klang es in unserer Seele wieder:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0348" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320765"/>
          <fw type="header" place="top"> Auf Lonrad Ferdinand Meyers Spuren</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1474" prev="#ID_1473"> mit wogendem Schilf überwuchert und mit einem Steindamm abgesperrt, der<lb/>
der Schiffahrt nur einen schmalen überbrückten Durchlaß gewährt. Und dem<lb/>
Städtchen gegenüber am anderen Ufer des Sees erheben sich düstere Berge,<lb/>
unter ihnen der &#x201E;Hohe Etzel", an dessen Fuß sich der Keine Ort Pfäffikon<lb/>
schmiegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1475"> Schon vom Schiffe aus hatten wir die Ufenau und ihre kleinere Schwester,<lb/>
die Lützelau, erblickt, selbstverständlich aber wollten wir das durch den Sang<lb/>
von Huttens Leiden und Sterben geweihte Eiland mit eigenen Füßen betreten.<lb/>
Im kleinen Hafen von Rapperswil fanden wir einen zwölfjährigen Knaben<lb/>
bereit, als &#x201E;Ferge" unsere eigene Ruderkraft zu unterstützen. Die Sonne neigte<lb/>
sich zum Sinken, als wir über den stillen See dahinglitten, träumerisch wogte<lb/>
das Schilf, und ergriffen von dem schwermütigen Zauber der Abendstunde<lb/>
hätten wir mit Hütten dem kleinen Fergen zurufen mögen:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_17" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1476"> Die Insel trägt außer einem alten ländlichen Wirtshause mit &#x201E;schwarz-<lb/>
schattenden Kastanien" auf ihren baumumsäumten Matten nur das Kirchlein<lb/>
des heiligen Adalbert und eine Kapelle, die, beide im Jahre 114l geweiht,<lb/>
schon Hütten altehrwürdig erscheinen mußten. Leise umschritten wir das alters¬<lb/>
graue Gemäuer und den von niedrigem Steingehege umzogenen Friedhof, auf<lb/>
dein einst auch Huttens sterbliche Reste bestattet wurden. &#x2014; Möchten sie nicht<lb/>
von unfrommer Hand vermengt worden sein mit dem Haufen morscher Toten¬<lb/>
gebeine, den wir im düsteren Gewölbe des Kirchturms durch ein Gitterfenster<lb/>
schaudernd wahrnahmen! -&#x2014; Immer stiller und feierlicher wurde es um uns,<lb/>
in unserer Nähe spielten arglos wilde Kaninchen, ein Murmeltier huschte durch<lb/>
das hohe Gras und in der Ferne schimmerte durch die Bäume mattglänzend<lb/>
der See. Die Erinnerung an das einsame Ende des edlen Streiters, an das<lb/>
schmerzvolle und doch steghafte Erlöschen seines freien Geistes, für alle Zeiten<lb/>
verklärt dnrch des Dichters markiges Lied, umschwebt uns, und als wir bei<lb/>
einbrechender Dämmerung schieden, klang es in unserer Seele wieder:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_18" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0348] Auf Lonrad Ferdinand Meyers Spuren mit wogendem Schilf überwuchert und mit einem Steindamm abgesperrt, der der Schiffahrt nur einen schmalen überbrückten Durchlaß gewährt. Und dem Städtchen gegenüber am anderen Ufer des Sees erheben sich düstere Berge, unter ihnen der „Hohe Etzel", an dessen Fuß sich der Keine Ort Pfäffikon schmiegt. Schon vom Schiffe aus hatten wir die Ufenau und ihre kleinere Schwester, die Lützelau, erblickt, selbstverständlich aber wollten wir das durch den Sang von Huttens Leiden und Sterben geweihte Eiland mit eigenen Füßen betreten. Im kleinen Hafen von Rapperswil fanden wir einen zwölfjährigen Knaben bereit, als „Ferge" unsere eigene Ruderkraft zu unterstützen. Die Sonne neigte sich zum Sinken, als wir über den stillen See dahinglitten, träumerisch wogte das Schilf, und ergriffen von dem schwermütigen Zauber der Abendstunde hätten wir mit Hütten dem kleinen Fergen zurufen mögen: Die Insel trägt außer einem alten ländlichen Wirtshause mit „schwarz- schattenden Kastanien" auf ihren baumumsäumten Matten nur das Kirchlein des heiligen Adalbert und eine Kapelle, die, beide im Jahre 114l geweiht, schon Hütten altehrwürdig erscheinen mußten. Leise umschritten wir das alters¬ graue Gemäuer und den von niedrigem Steingehege umzogenen Friedhof, auf dein einst auch Huttens sterbliche Reste bestattet wurden. — Möchten sie nicht von unfrommer Hand vermengt worden sein mit dem Haufen morscher Toten¬ gebeine, den wir im düsteren Gewölbe des Kirchturms durch ein Gitterfenster schaudernd wahrnahmen! -— Immer stiller und feierlicher wurde es um uns, in unserer Nähe spielten arglos wilde Kaninchen, ein Murmeltier huschte durch das hohe Gras und in der Ferne schimmerte durch die Bäume mattglänzend der See. Die Erinnerung an das einsame Ende des edlen Streiters, an das schmerzvolle und doch steghafte Erlöschen seines freien Geistes, für alle Zeiten verklärt dnrch des Dichters markiges Lied, umschwebt uns, und als wir bei einbrechender Dämmerung schieden, klang es in unserer Seele wieder:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/348
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/348>, abgerufen am 27.09.2024.