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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Gin Später Derer van Doorn

Hieronymus erfüllte nur der eine Gedanke, Frau Hartje Auge in Auge
wiederzusehen. Und jetzt war sie soeben wie ein lichtes Bild der Einbildungs¬
kraft hoheitsvoll und fern über den Köpfen und dem Staube der Menge schwebend
vorübergezogen.

Hieronymus war in menschenfremde Ratlosigkeit ganz eingesponnen durch
Straßen und Menschengewühl gehaftet und derart jetzt ins Hotel zurück¬
gekehrt. Da hörte er, daß der Diener von Frau Kroeu den Versuch gemacht
hatte, ihn persönlich zu sprechen. Der gemächliche Portier legte ihm einen
feinen, köstlichen Brief, den Frau Hartje selber adressiert hatte, ehrerbietig in
die Hände.

Frau Hartje schrieb voll Huld: "Nein . . . Ehrwürden . , . daß Sie wirklich
in der Hauptstadt find! Sie werden hier nicht die Stille der Dünenhügel und
die eintönige Gewalt der blauen Meerwogen finden. Nur ein zerfahrenes,
menschliches Durcheinander. Und wenig Besinnung. Und noch weniger Halt.
Der innere Mensch hat hier keine Rechte. Man lebt mit Augen und Sinnen
draußen. Eine richtige Jagd nach Vergnügung. Wer im Strome steht, muß
vorwärts. Kommen Sie trotzdem. Sie, der Sie nach dem Höchsten in Ihrer
Einsamkeit die Flügel rühren. . , usw."

Hieronymus las den Brief viele Male. Er dachte an Frau Hartje. Ein
zehrendes Verlangen nach ihrer leibhaftigen, sonnigen Erscheinung quoll auf in
ihm. Er las den Brief wieder. Er sog den reichen Dust, der von dem
Papiere ausging. Er schmeckte fast die Lieblichkeit ihres huldreichen Grußes.
Und wähnte, daß auch sie sich heimlich nach ihm sehne. Und war erfüllt, als
wenn er nicht bei sich wäre, all die Stunden, ehe er vor Frau Hartjes helle,
blaue, schwermütige Augen wirklich hintreten konnte.

Aber wie Hieronymus van Doorn am Abend durch das weit aufgetane,
hellerleuchtete Tor einschritt, entlud Equipage um Equipage Herren und Damen
in prahlenden Uniformen und kostbaren Kleidern.

Scharen von üppig geschmückten Menschen liefen durch Treppenhaus und
auf den Gängen.

Hieronymus fühlte sich eine Weile auch wie gehoben. Als wenn er ein
richtiger van Doorn wäre. Aber als er wie zufällig an seinen: Priesterhabit
herabblickte, merkte er, daß er bis an den Hals schwarz zugeschnürt und ärmlich
und dürftig aussah.

Hieronymus war im Zuge der Herren langsam bis zu Herrn Kroen selber
durchgedrungen. Es hatte ein lachendes Ins-Auge-blicken und ein kräftiges
Handschütteln gegeben. Dann befand er sich schon wieder an einer anderen Stelle.

Da stand er eine Weile wie angewurzelt.

Eingeklemmte Monokels unbekannter Gesichter spiegelten auf ihn. Die
Uniformen in bunten Farben und mit goldenen Schnüren prangten und
glitzerten. Die nackten Frauenschultern in seiner Nähe, die blendend weiß


Gin Später Derer van Doorn

Hieronymus erfüllte nur der eine Gedanke, Frau Hartje Auge in Auge
wiederzusehen. Und jetzt war sie soeben wie ein lichtes Bild der Einbildungs¬
kraft hoheitsvoll und fern über den Köpfen und dem Staube der Menge schwebend
vorübergezogen.

Hieronymus war in menschenfremde Ratlosigkeit ganz eingesponnen durch
Straßen und Menschengewühl gehaftet und derart jetzt ins Hotel zurück¬
gekehrt. Da hörte er, daß der Diener von Frau Kroeu den Versuch gemacht
hatte, ihn persönlich zu sprechen. Der gemächliche Portier legte ihm einen
feinen, köstlichen Brief, den Frau Hartje selber adressiert hatte, ehrerbietig in
die Hände.

Frau Hartje schrieb voll Huld: „Nein . . . Ehrwürden . , . daß Sie wirklich
in der Hauptstadt find! Sie werden hier nicht die Stille der Dünenhügel und
die eintönige Gewalt der blauen Meerwogen finden. Nur ein zerfahrenes,
menschliches Durcheinander. Und wenig Besinnung. Und noch weniger Halt.
Der innere Mensch hat hier keine Rechte. Man lebt mit Augen und Sinnen
draußen. Eine richtige Jagd nach Vergnügung. Wer im Strome steht, muß
vorwärts. Kommen Sie trotzdem. Sie, der Sie nach dem Höchsten in Ihrer
Einsamkeit die Flügel rühren. . , usw."

Hieronymus las den Brief viele Male. Er dachte an Frau Hartje. Ein
zehrendes Verlangen nach ihrer leibhaftigen, sonnigen Erscheinung quoll auf in
ihm. Er las den Brief wieder. Er sog den reichen Dust, der von dem
Papiere ausging. Er schmeckte fast die Lieblichkeit ihres huldreichen Grußes.
Und wähnte, daß auch sie sich heimlich nach ihm sehne. Und war erfüllt, als
wenn er nicht bei sich wäre, all die Stunden, ehe er vor Frau Hartjes helle,
blaue, schwermütige Augen wirklich hintreten konnte.

Aber wie Hieronymus van Doorn am Abend durch das weit aufgetane,
hellerleuchtete Tor einschritt, entlud Equipage um Equipage Herren und Damen
in prahlenden Uniformen und kostbaren Kleidern.

Scharen von üppig geschmückten Menschen liefen durch Treppenhaus und
auf den Gängen.

Hieronymus fühlte sich eine Weile auch wie gehoben. Als wenn er ein
richtiger van Doorn wäre. Aber als er wie zufällig an seinen: Priesterhabit
herabblickte, merkte er, daß er bis an den Hals schwarz zugeschnürt und ärmlich
und dürftig aussah.

Hieronymus war im Zuge der Herren langsam bis zu Herrn Kroen selber
durchgedrungen. Es hatte ein lachendes Ins-Auge-blicken und ein kräftiges
Handschütteln gegeben. Dann befand er sich schon wieder an einer anderen Stelle.

Da stand er eine Weile wie angewurzelt.

Eingeklemmte Monokels unbekannter Gesichter spiegelten auf ihn. Die
Uniformen in bunten Farben und mit goldenen Schnüren prangten und
glitzerten. Die nackten Frauenschultern in seiner Nähe, die blendend weiß


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[0290] Gin Später Derer van Doorn Hieronymus erfüllte nur der eine Gedanke, Frau Hartje Auge in Auge wiederzusehen. Und jetzt war sie soeben wie ein lichtes Bild der Einbildungs¬ kraft hoheitsvoll und fern über den Köpfen und dem Staube der Menge schwebend vorübergezogen. Hieronymus war in menschenfremde Ratlosigkeit ganz eingesponnen durch Straßen und Menschengewühl gehaftet und derart jetzt ins Hotel zurück¬ gekehrt. Da hörte er, daß der Diener von Frau Kroeu den Versuch gemacht hatte, ihn persönlich zu sprechen. Der gemächliche Portier legte ihm einen feinen, köstlichen Brief, den Frau Hartje selber adressiert hatte, ehrerbietig in die Hände. Frau Hartje schrieb voll Huld: „Nein . . . Ehrwürden . , . daß Sie wirklich in der Hauptstadt find! Sie werden hier nicht die Stille der Dünenhügel und die eintönige Gewalt der blauen Meerwogen finden. Nur ein zerfahrenes, menschliches Durcheinander. Und wenig Besinnung. Und noch weniger Halt. Der innere Mensch hat hier keine Rechte. Man lebt mit Augen und Sinnen draußen. Eine richtige Jagd nach Vergnügung. Wer im Strome steht, muß vorwärts. Kommen Sie trotzdem. Sie, der Sie nach dem Höchsten in Ihrer Einsamkeit die Flügel rühren. . , usw." Hieronymus las den Brief viele Male. Er dachte an Frau Hartje. Ein zehrendes Verlangen nach ihrer leibhaftigen, sonnigen Erscheinung quoll auf in ihm. Er las den Brief wieder. Er sog den reichen Dust, der von dem Papiere ausging. Er schmeckte fast die Lieblichkeit ihres huldreichen Grußes. Und wähnte, daß auch sie sich heimlich nach ihm sehne. Und war erfüllt, als wenn er nicht bei sich wäre, all die Stunden, ehe er vor Frau Hartjes helle, blaue, schwermütige Augen wirklich hintreten konnte. Aber wie Hieronymus van Doorn am Abend durch das weit aufgetane, hellerleuchtete Tor einschritt, entlud Equipage um Equipage Herren und Damen in prahlenden Uniformen und kostbaren Kleidern. Scharen von üppig geschmückten Menschen liefen durch Treppenhaus und auf den Gängen. Hieronymus fühlte sich eine Weile auch wie gehoben. Als wenn er ein richtiger van Doorn wäre. Aber als er wie zufällig an seinen: Priesterhabit herabblickte, merkte er, daß er bis an den Hals schwarz zugeschnürt und ärmlich und dürftig aussah. Hieronymus war im Zuge der Herren langsam bis zu Herrn Kroen selber durchgedrungen. Es hatte ein lachendes Ins-Auge-blicken und ein kräftiges Handschütteln gegeben. Dann befand er sich schon wieder an einer anderen Stelle. Da stand er eine Weile wie angewurzelt. Eingeklemmte Monokels unbekannter Gesichter spiegelten auf ihn. Die Uniformen in bunten Farben und mit goldenen Schnüren prangten und glitzerten. Die nackten Frauenschultern in seiner Nähe, die blendend weiß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/290>, abgerufen am 27.09.2024.