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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Gin Später Verer van Doorn

als nur, daß seine Lage durchaus nicht eine van Doornsche, jedenfalls aber
eine völlig zerrüttete war.

Die großen Meerwellen kamen aus dem Grau und überstürzten sich mit
Schaumkämmen und schlugen den öden Strand. Die Sturmtrompeten aus den:
Norden bliesen eherne, johlende Laute. Die Sturmvögel schrieen in die ver¬
düsterte Meerluft. Sie strichen vom Lande her. .

Auch im Kroenschen Strandschlößchen fegte der Herbstwind durch den Garten,
trieb rote Blätter in den Wegen um und machte die anmutige, lichte Frau
Hartje im Herzen trübe.

Das waren für Hieronymus van Doorn schwere Tage.
. Kisten und Kasten standen im Hause gepackt. Die alte Gräfin mit der
jungen Komtesse waren schon vorher heimgefahren. Auch von Frau Hartje
sollte er jetzt für einen langen, einsamen Winter Abschied nehmen.

Das Blut des jungen Priesters stockte in allen Adern.

Auch Frau Kroen litt heimlich unter dem Gedanken an die Trennung.

Wie Hieronymus durch die durchpfiffenen Dünen ging, rief er ihren Namen
in die stoßende, harsche Grauluft. Und es sprang ein Entschluß auf und trat
vor seine Seele. Des Weges hatte er nicht geachtet. Er kam durchwettert vor
dem hohen Eisentore an.

Frau Kroen stand trotz des pfeifenden Sturmes im Garten. Ihr kirschrotes Tuch
um die Schultern flatterte. Sie lachte wehmütig in das Treiben der Blätter.

Herr Kroen war nicht in der Nähe.

Und Frau Hartje hatte beide feinen, schmalen Hände dem bleichen Asketen
ängstlich und scheu entgegengestreckt.

Hieronymus hatte diese beiden, süßduftenden Hände auch sogleich inbrünstig
geküßt. Und es war ihm, als wenn seine Kraft vollends zu ihren Füßen nieder
in den Erdboden versänke, als wenn er jetzt ihre junge Gestalt in seinen Armen
wirklich ausheben und forttragen müßte, als wenn es jetzt keine Macht Himmels
und der Erden mehr gäbe, die ihn abhalten könnte, das Weib Hartje an sich
zu reißen und ihres Lebens letzte, lieblichste Süße ganz auszukosten.

Es war nur ein Augenblick.

Frau Hartje hatte deutlich die Gefahr empfunden. Sie hatte eine so
flehende Geberde gemacht. Ihre blauen Augen baten so zärtlich. Ihre schönen
Hände lagen so gebenedeit abwehrend gegen ihn in der Abendluft, noch ehe er
eine kleinste Bewegung aus seiner Erstarrung und aus seinem Erstaunen getan.

Denn wie er Frau Hartjes Hände geküßt und losgelassen, hatte er die
Aufragende ins Auge gefaßt, als ob er noch nie im Leben je eine solche lichte
Herrlichkeit angesehen.

So stand Hieronymus noch erstarrt, als Herr Kroen lustig dazu trat und
den bleichen Priester mit vergnüglichen Handschlag begrüßte.

Dann saß man mit heiterer Wehmut bei Tische. Und weil die Abende
jetzt früh hereinbrachen, hatte Frau Hartje Befehl gegeben, die Kerzen am Flügel


Gin Später Verer van Doorn

als nur, daß seine Lage durchaus nicht eine van Doornsche, jedenfalls aber
eine völlig zerrüttete war.

Die großen Meerwellen kamen aus dem Grau und überstürzten sich mit
Schaumkämmen und schlugen den öden Strand. Die Sturmtrompeten aus den:
Norden bliesen eherne, johlende Laute. Die Sturmvögel schrieen in die ver¬
düsterte Meerluft. Sie strichen vom Lande her. .

Auch im Kroenschen Strandschlößchen fegte der Herbstwind durch den Garten,
trieb rote Blätter in den Wegen um und machte die anmutige, lichte Frau
Hartje im Herzen trübe.

Das waren für Hieronymus van Doorn schwere Tage.
. Kisten und Kasten standen im Hause gepackt. Die alte Gräfin mit der
jungen Komtesse waren schon vorher heimgefahren. Auch von Frau Hartje
sollte er jetzt für einen langen, einsamen Winter Abschied nehmen.

Das Blut des jungen Priesters stockte in allen Adern.

Auch Frau Kroen litt heimlich unter dem Gedanken an die Trennung.

Wie Hieronymus durch die durchpfiffenen Dünen ging, rief er ihren Namen
in die stoßende, harsche Grauluft. Und es sprang ein Entschluß auf und trat
vor seine Seele. Des Weges hatte er nicht geachtet. Er kam durchwettert vor
dem hohen Eisentore an.

Frau Kroen stand trotz des pfeifenden Sturmes im Garten. Ihr kirschrotes Tuch
um die Schultern flatterte. Sie lachte wehmütig in das Treiben der Blätter.

Herr Kroen war nicht in der Nähe.

Und Frau Hartje hatte beide feinen, schmalen Hände dem bleichen Asketen
ängstlich und scheu entgegengestreckt.

Hieronymus hatte diese beiden, süßduftenden Hände auch sogleich inbrünstig
geküßt. Und es war ihm, als wenn seine Kraft vollends zu ihren Füßen nieder
in den Erdboden versänke, als wenn er jetzt ihre junge Gestalt in seinen Armen
wirklich ausheben und forttragen müßte, als wenn es jetzt keine Macht Himmels
und der Erden mehr gäbe, die ihn abhalten könnte, das Weib Hartje an sich
zu reißen und ihres Lebens letzte, lieblichste Süße ganz auszukosten.

Es war nur ein Augenblick.

Frau Hartje hatte deutlich die Gefahr empfunden. Sie hatte eine so
flehende Geberde gemacht. Ihre blauen Augen baten so zärtlich. Ihre schönen
Hände lagen so gebenedeit abwehrend gegen ihn in der Abendluft, noch ehe er
eine kleinste Bewegung aus seiner Erstarrung und aus seinem Erstaunen getan.

Denn wie er Frau Hartjes Hände geküßt und losgelassen, hatte er die
Aufragende ins Auge gefaßt, als ob er noch nie im Leben je eine solche lichte
Herrlichkeit angesehen.

So stand Hieronymus noch erstarrt, als Herr Kroen lustig dazu trat und
den bleichen Priester mit vergnüglichen Handschlag begrüßte.

Dann saß man mit heiterer Wehmut bei Tische. Und weil die Abende
jetzt früh hereinbrachen, hatte Frau Hartje Befehl gegeben, die Kerzen am Flügel


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[0288] Gin Später Verer van Doorn als nur, daß seine Lage durchaus nicht eine van Doornsche, jedenfalls aber eine völlig zerrüttete war. Die großen Meerwellen kamen aus dem Grau und überstürzten sich mit Schaumkämmen und schlugen den öden Strand. Die Sturmtrompeten aus den: Norden bliesen eherne, johlende Laute. Die Sturmvögel schrieen in die ver¬ düsterte Meerluft. Sie strichen vom Lande her. . Auch im Kroenschen Strandschlößchen fegte der Herbstwind durch den Garten, trieb rote Blätter in den Wegen um und machte die anmutige, lichte Frau Hartje im Herzen trübe. Das waren für Hieronymus van Doorn schwere Tage. . Kisten und Kasten standen im Hause gepackt. Die alte Gräfin mit der jungen Komtesse waren schon vorher heimgefahren. Auch von Frau Hartje sollte er jetzt für einen langen, einsamen Winter Abschied nehmen. Das Blut des jungen Priesters stockte in allen Adern. Auch Frau Kroen litt heimlich unter dem Gedanken an die Trennung. Wie Hieronymus durch die durchpfiffenen Dünen ging, rief er ihren Namen in die stoßende, harsche Grauluft. Und es sprang ein Entschluß auf und trat vor seine Seele. Des Weges hatte er nicht geachtet. Er kam durchwettert vor dem hohen Eisentore an. Frau Kroen stand trotz des pfeifenden Sturmes im Garten. Ihr kirschrotes Tuch um die Schultern flatterte. Sie lachte wehmütig in das Treiben der Blätter. Herr Kroen war nicht in der Nähe. Und Frau Hartje hatte beide feinen, schmalen Hände dem bleichen Asketen ängstlich und scheu entgegengestreckt. Hieronymus hatte diese beiden, süßduftenden Hände auch sogleich inbrünstig geküßt. Und es war ihm, als wenn seine Kraft vollends zu ihren Füßen nieder in den Erdboden versänke, als wenn er jetzt ihre junge Gestalt in seinen Armen wirklich ausheben und forttragen müßte, als wenn es jetzt keine Macht Himmels und der Erden mehr gäbe, die ihn abhalten könnte, das Weib Hartje an sich zu reißen und ihres Lebens letzte, lieblichste Süße ganz auszukosten. Es war nur ein Augenblick. Frau Hartje hatte deutlich die Gefahr empfunden. Sie hatte eine so flehende Geberde gemacht. Ihre blauen Augen baten so zärtlich. Ihre schönen Hände lagen so gebenedeit abwehrend gegen ihn in der Abendluft, noch ehe er eine kleinste Bewegung aus seiner Erstarrung und aus seinem Erstaunen getan. Denn wie er Frau Hartjes Hände geküßt und losgelassen, hatte er die Aufragende ins Auge gefaßt, als ob er noch nie im Leben je eine solche lichte Herrlichkeit angesehen. So stand Hieronymus noch erstarrt, als Herr Kroen lustig dazu trat und den bleichen Priester mit vergnüglichen Handschlag begrüßte. Dann saß man mit heiterer Wehmut bei Tische. Und weil die Abende jetzt früh hereinbrachen, hatte Frau Hartje Befehl gegeben, die Kerzen am Flügel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/288>, abgerufen am 27.09.2024.