Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lin Später Verer van Doorn

Die Einfalt hatte richtig empfunden.

Hieronymus brauchte jetzt alle Inbrunst und alle Gebete, um sich gegen
sich selber aufzurichten. ,

Nicht äußerlich. Er ging noch immer hochaufgerichtet. Aufgerichteter denn
je. Herausfordernd.

"Welcher Mensch könnte mich einer Sünde zeihen?" So stand es fast
pharisäisch in seinen Blicken und Mienen geschrieben. Aber in seinem ver¬
borgenen Leben hinter den Mauern des Pfarrhauses war weder Gott, noch die
heilige Jungfrau im Raume. Hieronymus van Doorn saß dort vor sich hin¬
brütend und brachte so oft Stunden im Halbtraum zu.

Es war in der Zeit, wo Herr und Frau Kroen in ihr Palais in der
Hauptstadt zurückzukehren pflegten. In dieser Zeit war Hieronymus van Doorn
völlig zerschlagen.

Er besann sich nicht mehr groß auf andere Pflichten.

In seinen Träumen war er kein Priester mehr. Seine Träume hatten
aufgehört von Engeln mit Schalmeien und von weißen Tieren zu träumen.
Wenn es ein weißes Tier war, so konnte es nur ein weißer Zelter sein, der
eine Burgfrau als Braut in eine van Doornsche Ritterfeste hineintrug. Frau
Hartje war die Burgfrau, Hieronymus van Doorns allergeliebtestes Erdenweib,
das er selber in seinen starken Ritterarmen auf den Zelter emporgehoben.

Und er träumte dann, wie er sie mit Kostbarkeiten und Steinen und
Schätzen wie aus Tausendundeine Nacht glückstrahlend behängen. Daß ein
van Doorn Frau Hartje wie eine mythisch reiche Königin mit Glanz und
Kleinodien besät, noch ganz anders, als ein Kroen je ein junges Weib hatte
schmücken können.

Auch jetzt träumte er noch ost den Kranz blauer Blumen auf sein Haupt,
mit dem Frau Hartje ihn einmal draußen in den Dünen gekrönt hatte. Er
hatte das ärmliche Gewinde in ein weißgoldiges Brokattüchlein gehüllt und ver¬
wahrte es im Schuhe unter heiligen Dingen. Und wenn er es ansah, küßte
er es, wie er den Goldkelch Gottes leibhaftig mit den Lippen berührte.

Da stand auch wieder der junge, feuchte Mund und das frommselige Gesicht
der Frau Hartje vor ihm. Und nun wähnte er gar den Himmel aller Selig¬
keiten offen. Denn er fühlte, daß er Frau Hartjes schlanken, schmiegsamen
Leib in seinen Armen fest gebunden hielt. Und er war in Verzückung und
kam lange nicht zu sich.

Dann erwachte er doch wieder in seine Pfarrhausarmut.

Er hatte kaum mehr als Bett und Stuhl, ein paar dürftige Regale, einen
hölzernen, plumpen Tisch, den er seinen Schreibtisch nannte. Und wenn nicht
die Gottesmutter in allerlei bunten und Goldtünchen auf dem Betpult gestanden,
wären der Farben und des Glanzes wahrhaftig hier nicht viel zu greifen gewesen.

Dann lachte Hieronymus höhnisch. Dann sah er die bunten Bilder der
Götter scharf und verletzt, kalt und nüchtern ragen. Dann begriff er gar nichts,


Lin Später Verer van Doorn

Die Einfalt hatte richtig empfunden.

Hieronymus brauchte jetzt alle Inbrunst und alle Gebete, um sich gegen
sich selber aufzurichten. ,

Nicht äußerlich. Er ging noch immer hochaufgerichtet. Aufgerichteter denn
je. Herausfordernd.

„Welcher Mensch könnte mich einer Sünde zeihen?" So stand es fast
pharisäisch in seinen Blicken und Mienen geschrieben. Aber in seinem ver¬
borgenen Leben hinter den Mauern des Pfarrhauses war weder Gott, noch die
heilige Jungfrau im Raume. Hieronymus van Doorn saß dort vor sich hin¬
brütend und brachte so oft Stunden im Halbtraum zu.

Es war in der Zeit, wo Herr und Frau Kroen in ihr Palais in der
Hauptstadt zurückzukehren pflegten. In dieser Zeit war Hieronymus van Doorn
völlig zerschlagen.

Er besann sich nicht mehr groß auf andere Pflichten.

In seinen Träumen war er kein Priester mehr. Seine Träume hatten
aufgehört von Engeln mit Schalmeien und von weißen Tieren zu träumen.
Wenn es ein weißes Tier war, so konnte es nur ein weißer Zelter sein, der
eine Burgfrau als Braut in eine van Doornsche Ritterfeste hineintrug. Frau
Hartje war die Burgfrau, Hieronymus van Doorns allergeliebtestes Erdenweib,
das er selber in seinen starken Ritterarmen auf den Zelter emporgehoben.

Und er träumte dann, wie er sie mit Kostbarkeiten und Steinen und
Schätzen wie aus Tausendundeine Nacht glückstrahlend behängen. Daß ein
van Doorn Frau Hartje wie eine mythisch reiche Königin mit Glanz und
Kleinodien besät, noch ganz anders, als ein Kroen je ein junges Weib hatte
schmücken können.

Auch jetzt träumte er noch ost den Kranz blauer Blumen auf sein Haupt,
mit dem Frau Hartje ihn einmal draußen in den Dünen gekrönt hatte. Er
hatte das ärmliche Gewinde in ein weißgoldiges Brokattüchlein gehüllt und ver¬
wahrte es im Schuhe unter heiligen Dingen. Und wenn er es ansah, küßte
er es, wie er den Goldkelch Gottes leibhaftig mit den Lippen berührte.

Da stand auch wieder der junge, feuchte Mund und das frommselige Gesicht
der Frau Hartje vor ihm. Und nun wähnte er gar den Himmel aller Selig¬
keiten offen. Denn er fühlte, daß er Frau Hartjes schlanken, schmiegsamen
Leib in seinen Armen fest gebunden hielt. Und er war in Verzückung und
kam lange nicht zu sich.

Dann erwachte er doch wieder in seine Pfarrhausarmut.

Er hatte kaum mehr als Bett und Stuhl, ein paar dürftige Regale, einen
hölzernen, plumpen Tisch, den er seinen Schreibtisch nannte. Und wenn nicht
die Gottesmutter in allerlei bunten und Goldtünchen auf dem Betpult gestanden,
wären der Farben und des Glanzes wahrhaftig hier nicht viel zu greifen gewesen.

Dann lachte Hieronymus höhnisch. Dann sah er die bunten Bilder der
Götter scharf und verletzt, kalt und nüchtern ragen. Dann begriff er gar nichts,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320704"/>
            <fw type="header" place="top"> Lin Später Verer van Doorn</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1129"> Die Einfalt hatte richtig empfunden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1130"> Hieronymus brauchte jetzt alle Inbrunst und alle Gebete, um sich gegen<lb/>
sich selber aufzurichten. ,</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1131"> Nicht äußerlich. Er ging noch immer hochaufgerichtet. Aufgerichteter denn<lb/>
je. Herausfordernd.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1132"> &#x201E;Welcher Mensch könnte mich einer Sünde zeihen?" So stand es fast<lb/>
pharisäisch in seinen Blicken und Mienen geschrieben. Aber in seinem ver¬<lb/>
borgenen Leben hinter den Mauern des Pfarrhauses war weder Gott, noch die<lb/>
heilige Jungfrau im Raume. Hieronymus van Doorn saß dort vor sich hin¬<lb/>
brütend und brachte so oft Stunden im Halbtraum zu.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1133"> Es war in der Zeit, wo Herr und Frau Kroen in ihr Palais in der<lb/>
Hauptstadt zurückzukehren pflegten. In dieser Zeit war Hieronymus van Doorn<lb/>
völlig zerschlagen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1134"> Er besann sich nicht mehr groß auf andere Pflichten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1135"> In seinen Träumen war er kein Priester mehr. Seine Träume hatten<lb/>
aufgehört von Engeln mit Schalmeien und von weißen Tieren zu träumen.<lb/>
Wenn es ein weißes Tier war, so konnte es nur ein weißer Zelter sein, der<lb/>
eine Burgfrau als Braut in eine van Doornsche Ritterfeste hineintrug. Frau<lb/>
Hartje war die Burgfrau, Hieronymus van Doorns allergeliebtestes Erdenweib,<lb/>
das er selber in seinen starken Ritterarmen auf den Zelter emporgehoben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1136"> Und er träumte dann, wie er sie mit Kostbarkeiten und Steinen und<lb/>
Schätzen wie aus Tausendundeine Nacht glückstrahlend behängen. Daß ein<lb/>
van Doorn Frau Hartje wie eine mythisch reiche Königin mit Glanz und<lb/>
Kleinodien besät, noch ganz anders, als ein Kroen je ein junges Weib hatte<lb/>
schmücken können.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1137"> Auch jetzt träumte er noch ost den Kranz blauer Blumen auf sein Haupt,<lb/>
mit dem Frau Hartje ihn einmal draußen in den Dünen gekrönt hatte. Er<lb/>
hatte das ärmliche Gewinde in ein weißgoldiges Brokattüchlein gehüllt und ver¬<lb/>
wahrte es im Schuhe unter heiligen Dingen. Und wenn er es ansah, küßte<lb/>
er es, wie er den Goldkelch Gottes leibhaftig mit den Lippen berührte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1138"> Da stand auch wieder der junge, feuchte Mund und das frommselige Gesicht<lb/>
der Frau Hartje vor ihm. Und nun wähnte er gar den Himmel aller Selig¬<lb/>
keiten offen. Denn er fühlte, daß er Frau Hartjes schlanken, schmiegsamen<lb/>
Leib in seinen Armen fest gebunden hielt. Und er war in Verzückung und<lb/>
kam lange nicht zu sich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1139"> Dann erwachte er doch wieder in seine Pfarrhausarmut.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1140"> Er hatte kaum mehr als Bett und Stuhl, ein paar dürftige Regale, einen<lb/>
hölzernen, plumpen Tisch, den er seinen Schreibtisch nannte. Und wenn nicht<lb/>
die Gottesmutter in allerlei bunten und Goldtünchen auf dem Betpult gestanden,<lb/>
wären der Farben und des Glanzes wahrhaftig hier nicht viel zu greifen gewesen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1141" next="#ID_1142"> Dann lachte Hieronymus höhnisch. Dann sah er die bunten Bilder der<lb/>
Götter scharf und verletzt, kalt und nüchtern ragen. Dann begriff er gar nichts,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0287] Lin Später Verer van Doorn Die Einfalt hatte richtig empfunden. Hieronymus brauchte jetzt alle Inbrunst und alle Gebete, um sich gegen sich selber aufzurichten. , Nicht äußerlich. Er ging noch immer hochaufgerichtet. Aufgerichteter denn je. Herausfordernd. „Welcher Mensch könnte mich einer Sünde zeihen?" So stand es fast pharisäisch in seinen Blicken und Mienen geschrieben. Aber in seinem ver¬ borgenen Leben hinter den Mauern des Pfarrhauses war weder Gott, noch die heilige Jungfrau im Raume. Hieronymus van Doorn saß dort vor sich hin¬ brütend und brachte so oft Stunden im Halbtraum zu. Es war in der Zeit, wo Herr und Frau Kroen in ihr Palais in der Hauptstadt zurückzukehren pflegten. In dieser Zeit war Hieronymus van Doorn völlig zerschlagen. Er besann sich nicht mehr groß auf andere Pflichten. In seinen Träumen war er kein Priester mehr. Seine Träume hatten aufgehört von Engeln mit Schalmeien und von weißen Tieren zu träumen. Wenn es ein weißes Tier war, so konnte es nur ein weißer Zelter sein, der eine Burgfrau als Braut in eine van Doornsche Ritterfeste hineintrug. Frau Hartje war die Burgfrau, Hieronymus van Doorns allergeliebtestes Erdenweib, das er selber in seinen starken Ritterarmen auf den Zelter emporgehoben. Und er träumte dann, wie er sie mit Kostbarkeiten und Steinen und Schätzen wie aus Tausendundeine Nacht glückstrahlend behängen. Daß ein van Doorn Frau Hartje wie eine mythisch reiche Königin mit Glanz und Kleinodien besät, noch ganz anders, als ein Kroen je ein junges Weib hatte schmücken können. Auch jetzt träumte er noch ost den Kranz blauer Blumen auf sein Haupt, mit dem Frau Hartje ihn einmal draußen in den Dünen gekrönt hatte. Er hatte das ärmliche Gewinde in ein weißgoldiges Brokattüchlein gehüllt und ver¬ wahrte es im Schuhe unter heiligen Dingen. Und wenn er es ansah, küßte er es, wie er den Goldkelch Gottes leibhaftig mit den Lippen berührte. Da stand auch wieder der junge, feuchte Mund und das frommselige Gesicht der Frau Hartje vor ihm. Und nun wähnte er gar den Himmel aller Selig¬ keiten offen. Denn er fühlte, daß er Frau Hartjes schlanken, schmiegsamen Leib in seinen Armen fest gebunden hielt. Und er war in Verzückung und kam lange nicht zu sich. Dann erwachte er doch wieder in seine Pfarrhausarmut. Er hatte kaum mehr als Bett und Stuhl, ein paar dürftige Regale, einen hölzernen, plumpen Tisch, den er seinen Schreibtisch nannte. Und wenn nicht die Gottesmutter in allerlei bunten und Goldtünchen auf dem Betpult gestanden, wären der Farben und des Glanzes wahrhaftig hier nicht viel zu greifen gewesen. Dann lachte Hieronymus höhnisch. Dann sah er die bunten Bilder der Götter scharf und verletzt, kalt und nüchtern ragen. Dann begriff er gar nichts,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/287
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/287>, abgerufen am 27.09.2024.