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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Friedrich Spielhagen

dem radikalen Sozialismus und der völligen Reaktion. So waren denn die Romane
der achtziger Jahre, "Was will das werden?" und "Ein neuer Pharao", von tiefer
Hoffnungslosigkeit durchtränkt, und unter dem politisch-ethischen Pessimismus des
Schreibenden hat auch die dichterische Ausgestaltung dieser Bücher Schaden gelitten
Nur die ersten Teile von "Was will das werden?", in denen Spielhagen eine
Kindheitsgeschichte erzählt, sind seinen besten Schöpfungen ebenbürtig.

Vor dem Verdacht aber, das herannahende Greisenalter könnte seiner Gestaltungs¬
kraft Abbruch getan haben, schützten Spielhagen seine mehr novellistisch gerichteten
Arbeiten. Er hatte zeitlebens neben dem historisch gewichtigen, weit ausgreifenden
Roman die einfachere Erzählung gepflegt, die im wesentlichen nichts als Seelen¬
studie sein will; er wandte sich in den achtziger und neunziger Jahren diesem
Gebiete häufiger zu. "Quisisana", "Faustulus", "Selbstgerecht" scheinen mir
Dichtungen, denen ich an psychologischer Tiefe, an Kunst der Erzählung wenige
moderne Novellen zur Seite stellen möchte, nicht eine vorzuziehen weiß. Auf die
Grenze zwischen Roman und Novelle sind wohl das "Sonntagskind", "Opfer"
und "Freigeboren" zu stellen, in denen Spielhagen mit ergreifender Kunst
Einzelschicksale behandelte, doch nicht ohne politisches und soziales Gebiet, allgemeine
Zustände überhaupt, mehrfach mit dem viel erfassender Blick des alten erfahrenen
Mannes zu streifen. Dabei hat es fast etwas Rührendes, wie er sich (im "Opfer"
durchaus erfolgreich) bei seinen späten Werken bemüht, hinzuzulernen, was die
Jungen vor ihm voraus haben, wie er aber doch die alte Eigenart stolz zu
bewahren weis;.

In das letzte Schaffensjahrzehnt des rastlosen Mannes fällt endlich auch die
Herausgabe seiner gesammelten Verse, die kaum beachtet wurden und doch bei
ihrem reichen Inhalt ein besseres Schicksal verdient hätten, seiner gedankenschwerer
Erinnerungen unter dem Titel "Finder und Erfinder" und einer Reihe ästhetischer
Schriften. In diesen, wie in den Versen und jenen letzten Romanen war keine
Verbitterung gegen seine Veiseitedränger zu verspüren, nur immer das Bestreben,
sie zu verstehen und ihnen gerecht zu werden, manchmal auch bewundernde
Liebe. So objektiv, so weitherzig verfuhr er gegen eben die Menschen, die ihn
enger Parteilichkeit angeklagt hatten. Es war das dieselbe Gerechtigkeit, die seine
"parteiischen Tendenzromane" verschönt.

Seit 1900 schwieg Spielhagen völlig. niedergebrochen fühlte er sich damals
noch nicht; aber es machte ihn auf die Dauer allzu traurig, daß man ihn nicht
mehr hören wollte wie ehedem.




Friedrich Spielhagen

dem radikalen Sozialismus und der völligen Reaktion. So waren denn die Romane
der achtziger Jahre, „Was will das werden?" und „Ein neuer Pharao", von tiefer
Hoffnungslosigkeit durchtränkt, und unter dem politisch-ethischen Pessimismus des
Schreibenden hat auch die dichterische Ausgestaltung dieser Bücher Schaden gelitten
Nur die ersten Teile von „Was will das werden?", in denen Spielhagen eine
Kindheitsgeschichte erzählt, sind seinen besten Schöpfungen ebenbürtig.

Vor dem Verdacht aber, das herannahende Greisenalter könnte seiner Gestaltungs¬
kraft Abbruch getan haben, schützten Spielhagen seine mehr novellistisch gerichteten
Arbeiten. Er hatte zeitlebens neben dem historisch gewichtigen, weit ausgreifenden
Roman die einfachere Erzählung gepflegt, die im wesentlichen nichts als Seelen¬
studie sein will; er wandte sich in den achtziger und neunziger Jahren diesem
Gebiete häufiger zu. „Quisisana", „Faustulus", „Selbstgerecht" scheinen mir
Dichtungen, denen ich an psychologischer Tiefe, an Kunst der Erzählung wenige
moderne Novellen zur Seite stellen möchte, nicht eine vorzuziehen weiß. Auf die
Grenze zwischen Roman und Novelle sind wohl das „Sonntagskind", „Opfer"
und „Freigeboren" zu stellen, in denen Spielhagen mit ergreifender Kunst
Einzelschicksale behandelte, doch nicht ohne politisches und soziales Gebiet, allgemeine
Zustände überhaupt, mehrfach mit dem viel erfassender Blick des alten erfahrenen
Mannes zu streifen. Dabei hat es fast etwas Rührendes, wie er sich (im „Opfer"
durchaus erfolgreich) bei seinen späten Werken bemüht, hinzuzulernen, was die
Jungen vor ihm voraus haben, wie er aber doch die alte Eigenart stolz zu
bewahren weis;.

In das letzte Schaffensjahrzehnt des rastlosen Mannes fällt endlich auch die
Herausgabe seiner gesammelten Verse, die kaum beachtet wurden und doch bei
ihrem reichen Inhalt ein besseres Schicksal verdient hätten, seiner gedankenschwerer
Erinnerungen unter dem Titel „Finder und Erfinder" und einer Reihe ästhetischer
Schriften. In diesen, wie in den Versen und jenen letzten Romanen war keine
Verbitterung gegen seine Veiseitedränger zu verspüren, nur immer das Bestreben,
sie zu verstehen und ihnen gerecht zu werden, manchmal auch bewundernde
Liebe. So objektiv, so weitherzig verfuhr er gegen eben die Menschen, die ihn
enger Parteilichkeit angeklagt hatten. Es war das dieselbe Gerechtigkeit, die seine
„parteiischen Tendenzromane" verschönt.

Seit 1900 schwieg Spielhagen völlig. niedergebrochen fühlte er sich damals
noch nicht; aber es machte ihn auf die Dauer allzu traurig, daß man ihn nicht
mehr hören wollte wie ehedem.




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[0254] Friedrich Spielhagen dem radikalen Sozialismus und der völligen Reaktion. So waren denn die Romane der achtziger Jahre, „Was will das werden?" und „Ein neuer Pharao", von tiefer Hoffnungslosigkeit durchtränkt, und unter dem politisch-ethischen Pessimismus des Schreibenden hat auch die dichterische Ausgestaltung dieser Bücher Schaden gelitten Nur die ersten Teile von „Was will das werden?", in denen Spielhagen eine Kindheitsgeschichte erzählt, sind seinen besten Schöpfungen ebenbürtig. Vor dem Verdacht aber, das herannahende Greisenalter könnte seiner Gestaltungs¬ kraft Abbruch getan haben, schützten Spielhagen seine mehr novellistisch gerichteten Arbeiten. Er hatte zeitlebens neben dem historisch gewichtigen, weit ausgreifenden Roman die einfachere Erzählung gepflegt, die im wesentlichen nichts als Seelen¬ studie sein will; er wandte sich in den achtziger und neunziger Jahren diesem Gebiete häufiger zu. „Quisisana", „Faustulus", „Selbstgerecht" scheinen mir Dichtungen, denen ich an psychologischer Tiefe, an Kunst der Erzählung wenige moderne Novellen zur Seite stellen möchte, nicht eine vorzuziehen weiß. Auf die Grenze zwischen Roman und Novelle sind wohl das „Sonntagskind", „Opfer" und „Freigeboren" zu stellen, in denen Spielhagen mit ergreifender Kunst Einzelschicksale behandelte, doch nicht ohne politisches und soziales Gebiet, allgemeine Zustände überhaupt, mehrfach mit dem viel erfassender Blick des alten erfahrenen Mannes zu streifen. Dabei hat es fast etwas Rührendes, wie er sich (im „Opfer" durchaus erfolgreich) bei seinen späten Werken bemüht, hinzuzulernen, was die Jungen vor ihm voraus haben, wie er aber doch die alte Eigenart stolz zu bewahren weis;. In das letzte Schaffensjahrzehnt des rastlosen Mannes fällt endlich auch die Herausgabe seiner gesammelten Verse, die kaum beachtet wurden und doch bei ihrem reichen Inhalt ein besseres Schicksal verdient hätten, seiner gedankenschwerer Erinnerungen unter dem Titel „Finder und Erfinder" und einer Reihe ästhetischer Schriften. In diesen, wie in den Versen und jenen letzten Romanen war keine Verbitterung gegen seine Veiseitedränger zu verspüren, nur immer das Bestreben, sie zu verstehen und ihnen gerecht zu werden, manchmal auch bewundernde Liebe. So objektiv, so weitherzig verfuhr er gegen eben die Menschen, die ihn enger Parteilichkeit angeklagt hatten. Es war das dieselbe Gerechtigkeit, die seine „parteiischen Tendenzromane" verschönt. Seit 1900 schwieg Spielhagen völlig. niedergebrochen fühlte er sich damals noch nicht; aber es machte ihn auf die Dauer allzu traurig, daß man ihn nicht mehr hören wollte wie ehedem.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/254>, abgerufen am 27.09.2024.