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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Lricfe aus Person

nicht Eroberungspläne, sondern Verteidigung englischer Interessen der leitende
Gedanke ihrer Aktion war. Sollte dieses kaufmännische Interesse aber wirklich
so groß sein, daß es Maßregeln rechtfertigte, die unbedingt die Wiederaufrollung
des persischen Problems zur Folge haben mußten? Man mußte doch in London
wissen, daß die Besetzung Südpersiens durch englische Truppen entsprechende
russische Vorstöße im Norden auslösen würden. Gründe zu einer Einmischung
lassen sich immer finden, und Morgan Shuster schien es beinahe sür seine Pflicht
zu halten, den Russen das Finden solcher Gründe noch besonders zu erleichtern.
Gewiß läßt es sich keine Großmacht gefallen, daß ihre Staatsangehörigen sich
und ihre im eigenen Lande gelegenen Besitztümer unter fremden Schutz stellen").

Nachdem das aber in Persien einmal geschehen war, nachdem von allen
Besitzungen der aufständischen Verwandten des Ex-Schah die russische
Flagge wehte, wäre es weise gewesen, mit diesem Faktum zu rechnen
und den gefährlichen Zündstoff zu meiden. Rußland war es in letzter Zeit nur
um die Erhaltung und den Ausbau seiner wirtschaftlichen Stellung zu tun
gewesen, nicht aber um politische Eroberungen. Abgesehen von der Rücksicht,
die man auf England nehmen mußte, gab es zwei Gründe, die eine Annexion
Nordpersiens zurzeit unratsam erscheinen ließen: einmal die bedeutenden Kosten,
die entstehen mußten, wenn Rußland die Verwaltung des armen Landes in die
Hand nahm und in dem schwierigen, gebirgigen Terrain mit Straßen- und
Eisenbahnbauten vorging, zweitens die Besorgnis vor der Vermehrung des
ohnehin schon starken mohammedanischen Elements in Nußland und die Gefahr,
daß aus den fanatischen religiösen Zentren Persiens -- vor allem aus Mesched --
panislamitische Ideen in die religiös ziemlich ruhig denkenden russischen Mo¬
hammedaner herüberströmen könnten, sobald die bisher gegen religiöse Propaganda
sorgfältig gesperrte Grenze fällt.

Diese Bedenken mußten aber natürlich sosort hinfällig werden, sobald eine
schon gewonnene Position verloren zu gehen drohte. Eine offene Provokation,
wie sie in der Nichtanerkennung des russischen Schutzes liegt, zwang geradezu
zu einer Zurückweisung. Rußland hat in seiner zentral-asiatischen Politik bisher
mit Erfolg den Grundsatz befolgt, nie einen Schritt zu tun, der als Schwäche
oder gar als Furcht ausgelegt werden könnte, stets aber beim Gegner Furcht
zu erregen. Ob Morgan Shuster geglaubt hat, daß Nußland mit Rücksicht ans
eine eventuelle amerikanische Intervention diesen Weg verlassen würde? Wenn
ja, so hätte die verunglückte amerikanische Einmischung in die Mandschureifrage,
die nur zu einer russisch japanischen Verständigung mit der Spitze gegen Amerika
führte, ihn eines besseren belehren können. Oder rechnete er vielleicht auf eng-



*) Shuster ließ, wie mein sich Wohl noch aus den Zeitungsnachrichten entsinne, ein dem
Bruder des Ex-Schah. Schoa-e-Saltaneh, gehöriges, in Teheran gelegenes Grundstück besetzen,
obgleich es unter russischem Schutze stand. Ferner wurde durch seinen offenen Brief an die
Times, in dem er die Russen hefiig angriff und der als Flugblatt massenhaft herleite wurde,
eine große antirussische Bewegung hervorgerufen.
Lricfe aus Person

nicht Eroberungspläne, sondern Verteidigung englischer Interessen der leitende
Gedanke ihrer Aktion war. Sollte dieses kaufmännische Interesse aber wirklich
so groß sein, daß es Maßregeln rechtfertigte, die unbedingt die Wiederaufrollung
des persischen Problems zur Folge haben mußten? Man mußte doch in London
wissen, daß die Besetzung Südpersiens durch englische Truppen entsprechende
russische Vorstöße im Norden auslösen würden. Gründe zu einer Einmischung
lassen sich immer finden, und Morgan Shuster schien es beinahe sür seine Pflicht
zu halten, den Russen das Finden solcher Gründe noch besonders zu erleichtern.
Gewiß läßt es sich keine Großmacht gefallen, daß ihre Staatsangehörigen sich
und ihre im eigenen Lande gelegenen Besitztümer unter fremden Schutz stellen").

Nachdem das aber in Persien einmal geschehen war, nachdem von allen
Besitzungen der aufständischen Verwandten des Ex-Schah die russische
Flagge wehte, wäre es weise gewesen, mit diesem Faktum zu rechnen
und den gefährlichen Zündstoff zu meiden. Rußland war es in letzter Zeit nur
um die Erhaltung und den Ausbau seiner wirtschaftlichen Stellung zu tun
gewesen, nicht aber um politische Eroberungen. Abgesehen von der Rücksicht,
die man auf England nehmen mußte, gab es zwei Gründe, die eine Annexion
Nordpersiens zurzeit unratsam erscheinen ließen: einmal die bedeutenden Kosten,
die entstehen mußten, wenn Rußland die Verwaltung des armen Landes in die
Hand nahm und in dem schwierigen, gebirgigen Terrain mit Straßen- und
Eisenbahnbauten vorging, zweitens die Besorgnis vor der Vermehrung des
ohnehin schon starken mohammedanischen Elements in Nußland und die Gefahr,
daß aus den fanatischen religiösen Zentren Persiens — vor allem aus Mesched —
panislamitische Ideen in die religiös ziemlich ruhig denkenden russischen Mo¬
hammedaner herüberströmen könnten, sobald die bisher gegen religiöse Propaganda
sorgfältig gesperrte Grenze fällt.

Diese Bedenken mußten aber natürlich sosort hinfällig werden, sobald eine
schon gewonnene Position verloren zu gehen drohte. Eine offene Provokation,
wie sie in der Nichtanerkennung des russischen Schutzes liegt, zwang geradezu
zu einer Zurückweisung. Rußland hat in seiner zentral-asiatischen Politik bisher
mit Erfolg den Grundsatz befolgt, nie einen Schritt zu tun, der als Schwäche
oder gar als Furcht ausgelegt werden könnte, stets aber beim Gegner Furcht
zu erregen. Ob Morgan Shuster geglaubt hat, daß Nußland mit Rücksicht ans
eine eventuelle amerikanische Intervention diesen Weg verlassen würde? Wenn
ja, so hätte die verunglückte amerikanische Einmischung in die Mandschureifrage,
die nur zu einer russisch japanischen Verständigung mit der Spitze gegen Amerika
führte, ihn eines besseren belehren können. Oder rechnete er vielleicht auf eng-



*) Shuster ließ, wie mein sich Wohl noch aus den Zeitungsnachrichten entsinne, ein dem
Bruder des Ex-Schah. Schoa-e-Saltaneh, gehöriges, in Teheran gelegenes Grundstück besetzen,
obgleich es unter russischem Schutze stand. Ferner wurde durch seinen offenen Brief an die
Times, in dem er die Russen hefiig angriff und der als Flugblatt massenhaft herleite wurde,
eine große antirussische Bewegung hervorgerufen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/189>, abgerufen am 27.09.2024.