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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der König

aus, oder uns alle vor seinen Batterien begraben lassen. "Ist aber einer oder
der andere unter Ihnen, der sich fürchtet, alle Gefahren mit mir zu teilen, der
kann noch heute seinen Abschied erhalten, ohne von mir den geringsten Vorwurf
zu leiden." Keiner rührt sich, keiner geht. Am nächsten Tage wird das stolze
österreichische Heer binnen vier Stunden geschlagen und versprengt.

So behauptet er sich, von keinem Unglück dauernd niedergebeugt, un¬
erschütterlich zäh, so wächst er zum Abgott seiner Soldaten, zum Herold der
Nation heran. Die Feinde bewundern, die Freunde vergöttern ihn. Er behält
seinen klaren Kopf, ist unglaublich frei von Eitelkeit, durchschaut die fremden
Schwächen und nutzt sie aus. Aber er verbittert dabei. Stolz und hochgemut,
umgeben von einem Kreise kühner Führer, war er in den Krieg gezogen. Müde
und still wendet sich der Sieger von zwölf Schlachten vom Kriege ab. "Ich
armer Greis," schreibt er nach dem Frieden an d'Argens, "kehre in eine Stadt
zurück, in der ich nur die Mauern kenne, wo ich von meinen Freunden keinen
mehr antreffe, wo eine unermeßliche Arbeit meiner wartet, und wo ich binnen
kurzem die alten Knochen in einem Zufluchtsorte bergen werde, den kein Krieg,
kein Unglück und keine Bosheit der Menschen stören soll."

Solche Männer sind es, die Geschichte machen. In ihnen tut der Weltgeist
einen Schritt vorwärts, und ihr Schatten legt sich breit und majestätisch auf die
Entwicklung von Jahrhunderten. Dieser preußische König, den die Mitwelt sich
gar nicht anders als mit dem durchdringenden Adlerblick vorstellen konnte, geht
als Säknlarmensch den Deutschen und der Welt vorauf, ein Kind desselben Jahr¬
hunderts, das uns Kant und Goethe gebar. In ihm vollendet sich noch einmal,
kurz vor ihrem Absterben, die absolute Monarchie in einer klassischen, voll¬
kommen königlichen Gestalt. Sie lebt als unzerstörbarer Besitz in unserem
geschichtlichen Bewußtsein, weil sie es ist, die es gebildet und gekräftigt hat.

Es ist ganz gleich, von welcher Seite man an diese Persönlichkeit herantritt.
Sie besteht und nimmt gefangen , in jeder ihrer Lebensäußerungen. Die un¬
zähligen Kabinettsorders und Marginalverfügungen der langen Friedensjahre
atmen denselben Geist wie die Ansprachen an die Generale vor der Schlacht.
Ja, man kann sagen, daß dieser jahrzehntelange Kleinkrieg gegen Beamten¬
willkür und Schlendrian aller Art fast noch bewundernswerter ist als der auf¬
flammende Heroismus der Feldschlacht. Und man verehrt diesen unerbittlich
strengen und gerechten Geist der landesväterlichen Fürsorge auch dort, wo er
vor lauter Gerechtigkeit hart und ungerecht entscheidet, gewissenhafte Beamte, die
der königlichen Kabinettsjustiz widerstreben, auf die Festung schickt und dann,
als die bessere Erkenntnis da ist, dennoch bei der ersten Anordnung beharrt.
Gewiß nicht unbedenklich, sondern mit heftigster Selbstüberwindung, setzt der
König das Prinzip über seine eigenen Gefühle. Wohin soll es führen, wenn
ein König heute so und morgen so befiehlt! Das monarchische Prinzip, wie
er es vertritt, ist ihm heilig, obwohl er weiß und herbe verurteilt, was alles
unter diesem Deckmantel in der Welt zusammengesündigt worden ist.


Der König

aus, oder uns alle vor seinen Batterien begraben lassen. „Ist aber einer oder
der andere unter Ihnen, der sich fürchtet, alle Gefahren mit mir zu teilen, der
kann noch heute seinen Abschied erhalten, ohne von mir den geringsten Vorwurf
zu leiden." Keiner rührt sich, keiner geht. Am nächsten Tage wird das stolze
österreichische Heer binnen vier Stunden geschlagen und versprengt.

So behauptet er sich, von keinem Unglück dauernd niedergebeugt, un¬
erschütterlich zäh, so wächst er zum Abgott seiner Soldaten, zum Herold der
Nation heran. Die Feinde bewundern, die Freunde vergöttern ihn. Er behält
seinen klaren Kopf, ist unglaublich frei von Eitelkeit, durchschaut die fremden
Schwächen und nutzt sie aus. Aber er verbittert dabei. Stolz und hochgemut,
umgeben von einem Kreise kühner Führer, war er in den Krieg gezogen. Müde
und still wendet sich der Sieger von zwölf Schlachten vom Kriege ab. „Ich
armer Greis," schreibt er nach dem Frieden an d'Argens, „kehre in eine Stadt
zurück, in der ich nur die Mauern kenne, wo ich von meinen Freunden keinen
mehr antreffe, wo eine unermeßliche Arbeit meiner wartet, und wo ich binnen
kurzem die alten Knochen in einem Zufluchtsorte bergen werde, den kein Krieg,
kein Unglück und keine Bosheit der Menschen stören soll."

Solche Männer sind es, die Geschichte machen. In ihnen tut der Weltgeist
einen Schritt vorwärts, und ihr Schatten legt sich breit und majestätisch auf die
Entwicklung von Jahrhunderten. Dieser preußische König, den die Mitwelt sich
gar nicht anders als mit dem durchdringenden Adlerblick vorstellen konnte, geht
als Säknlarmensch den Deutschen und der Welt vorauf, ein Kind desselben Jahr¬
hunderts, das uns Kant und Goethe gebar. In ihm vollendet sich noch einmal,
kurz vor ihrem Absterben, die absolute Monarchie in einer klassischen, voll¬
kommen königlichen Gestalt. Sie lebt als unzerstörbarer Besitz in unserem
geschichtlichen Bewußtsein, weil sie es ist, die es gebildet und gekräftigt hat.

Es ist ganz gleich, von welcher Seite man an diese Persönlichkeit herantritt.
Sie besteht und nimmt gefangen , in jeder ihrer Lebensäußerungen. Die un¬
zähligen Kabinettsorders und Marginalverfügungen der langen Friedensjahre
atmen denselben Geist wie die Ansprachen an die Generale vor der Schlacht.
Ja, man kann sagen, daß dieser jahrzehntelange Kleinkrieg gegen Beamten¬
willkür und Schlendrian aller Art fast noch bewundernswerter ist als der auf¬
flammende Heroismus der Feldschlacht. Und man verehrt diesen unerbittlich
strengen und gerechten Geist der landesväterlichen Fürsorge auch dort, wo er
vor lauter Gerechtigkeit hart und ungerecht entscheidet, gewissenhafte Beamte, die
der königlichen Kabinettsjustiz widerstreben, auf die Festung schickt und dann,
als die bessere Erkenntnis da ist, dennoch bei der ersten Anordnung beharrt.
Gewiß nicht unbedenklich, sondern mit heftigster Selbstüberwindung, setzt der
König das Prinzip über seine eigenen Gefühle. Wohin soll es führen, wenn
ein König heute so und morgen so befiehlt! Das monarchische Prinzip, wie
er es vertritt, ist ihm heilig, obwohl er weiß und herbe verurteilt, was alles
unter diesem Deckmantel in der Welt zusammengesündigt worden ist.


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[0165] Der König aus, oder uns alle vor seinen Batterien begraben lassen. „Ist aber einer oder der andere unter Ihnen, der sich fürchtet, alle Gefahren mit mir zu teilen, der kann noch heute seinen Abschied erhalten, ohne von mir den geringsten Vorwurf zu leiden." Keiner rührt sich, keiner geht. Am nächsten Tage wird das stolze österreichische Heer binnen vier Stunden geschlagen und versprengt. So behauptet er sich, von keinem Unglück dauernd niedergebeugt, un¬ erschütterlich zäh, so wächst er zum Abgott seiner Soldaten, zum Herold der Nation heran. Die Feinde bewundern, die Freunde vergöttern ihn. Er behält seinen klaren Kopf, ist unglaublich frei von Eitelkeit, durchschaut die fremden Schwächen und nutzt sie aus. Aber er verbittert dabei. Stolz und hochgemut, umgeben von einem Kreise kühner Führer, war er in den Krieg gezogen. Müde und still wendet sich der Sieger von zwölf Schlachten vom Kriege ab. „Ich armer Greis," schreibt er nach dem Frieden an d'Argens, „kehre in eine Stadt zurück, in der ich nur die Mauern kenne, wo ich von meinen Freunden keinen mehr antreffe, wo eine unermeßliche Arbeit meiner wartet, und wo ich binnen kurzem die alten Knochen in einem Zufluchtsorte bergen werde, den kein Krieg, kein Unglück und keine Bosheit der Menschen stören soll." Solche Männer sind es, die Geschichte machen. In ihnen tut der Weltgeist einen Schritt vorwärts, und ihr Schatten legt sich breit und majestätisch auf die Entwicklung von Jahrhunderten. Dieser preußische König, den die Mitwelt sich gar nicht anders als mit dem durchdringenden Adlerblick vorstellen konnte, geht als Säknlarmensch den Deutschen und der Welt vorauf, ein Kind desselben Jahr¬ hunderts, das uns Kant und Goethe gebar. In ihm vollendet sich noch einmal, kurz vor ihrem Absterben, die absolute Monarchie in einer klassischen, voll¬ kommen königlichen Gestalt. Sie lebt als unzerstörbarer Besitz in unserem geschichtlichen Bewußtsein, weil sie es ist, die es gebildet und gekräftigt hat. Es ist ganz gleich, von welcher Seite man an diese Persönlichkeit herantritt. Sie besteht und nimmt gefangen , in jeder ihrer Lebensäußerungen. Die un¬ zähligen Kabinettsorders und Marginalverfügungen der langen Friedensjahre atmen denselben Geist wie die Ansprachen an die Generale vor der Schlacht. Ja, man kann sagen, daß dieser jahrzehntelange Kleinkrieg gegen Beamten¬ willkür und Schlendrian aller Art fast noch bewundernswerter ist als der auf¬ flammende Heroismus der Feldschlacht. Und man verehrt diesen unerbittlich strengen und gerechten Geist der landesväterlichen Fürsorge auch dort, wo er vor lauter Gerechtigkeit hart und ungerecht entscheidet, gewissenhafte Beamte, die der königlichen Kabinettsjustiz widerstreben, auf die Festung schickt und dann, als die bessere Erkenntnis da ist, dennoch bei der ersten Anordnung beharrt. Gewiß nicht unbedenklich, sondern mit heftigster Selbstüberwindung, setzt der König das Prinzip über seine eigenen Gefühle. Wohin soll es führen, wenn ein König heute so und morgen so befiehlt! Das monarchische Prinzip, wie er es vertritt, ist ihm heilig, obwohl er weiß und herbe verurteilt, was alles unter diesem Deckmantel in der Welt zusammengesündigt worden ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/165>, abgerufen am 27.09.2024.