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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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frage Triumphe! Allen aber wurde es leicht gemacht, das Gebot an¬
zunehmen durch die großen Erfolge, die Bismarck bis zum Jahre 1871 erzielt
hatte, Erfolge, deren Segen die 1890 lebende Generntion recht voll genießen
durste. Als dann gar die Arbeiterfrage zum Konflikt zwischen Kaiser Wilhelm
dem Zweiten und dem ersten Kanzler führte und Bismarck weichen mußte, da
verhärtete sich seine Auffassung zum Dogma für alle diejenigen, die da meinten,
nationale Güter gegen moderne Auffassungen oder Sentiments oder gar gegen
Mut- und Kraftlosigkeit verteidigen zu müssen. Das Verhalten der sozialdemo¬
kratischen Partei in Heeres- und Flottenfragen gab ihnen einen Schein des
Rechts, und der junge Kaiser, der schon bei den Wahlen am 20. Februar zu
ernten hoffte, was er am 4. gesät, erlebte als Regent seine erste schwere Ent¬
täuschung. Die Nation trat mit wenigen Ausnahmen auf die Seite des Alt¬
reichskanzlers und wurde darin noch bestärkt, als Fragen der Weltpolitik eine
größere Berücksichtigung der Industrie in allen Dingen des Verkehrs und des
Zollschutzes notwendig machten, was wieder zur Annäherung der Reichs¬
regierung an die Polen und Ultramontanen führte, die konservativ-agrarischen
Kreise aber abstieß.

Kaiser Wilhelm der Zweite hat in dem Dezennium von 1890 bis 1900,
in dem er die Richtung der Reichsregierung sast selbständig bestimmte, viele
neue Ideen in die Masse geworfen und besonders den Nationalisten Aufgaben
gestellt, die geeignet schienen, ihren Tatendrang zu stillen. Aber sonderbar, ihr
Vertrauen vermochte er in keinem Stadium zu gewinnen I An alle Handlungen
und Schritte legten sie den Maßstab Bismarcks, und selbst bei Dingen, die
unzweifelhaft außerhalb der Absichten des Alten lagen und ureigenster
Initiative des Kaisers entsprangen, suchten sie ein Schema zu entwerfen, das
etwa die Wege angab, die (nach ihren Auffassungen) Bismarck zur Lösung
der Einzelfrage benutzt hätte. Das gegenüber früheren Zeiten tatkräftigere Ein¬
greifen Deutschlands in die Weltpolitik und die Notwendigkeit, sich neben den
älteren Staaten im Kolonialbesitz bemerkbar zu machen, gab dazu unserer Politik
etwas Lautes, mit dessen Lärm die tatsächlich erzielten Erfolge in keinen: rechten
Verhältnis zu stehen schienen. Manche große Geste erhielt in den Augen der
Menge kaum mehr als die Bedeutung eines Theatereffekts. Auch Rückschläge
sind nicht ausgeblieben, wie sie übrigens zu gleicher Zeit keiner anderen Gro߬
macht erspart wurden. Daneben aber ward seitens der kaiserlichen Negierung
auch manches versäumt. Die öffentliche Meinung, nur halb über die Absichten
der Regierung unterrichtet, folgte dem Spiel der Phantasie einzelner, ohne daß
es für ernsthafte Politiker recht möglich war, sich so eingehend mit den schwe¬
benden Fragen der großen Politik zu beschäftigen, daß ihre ernsthafte Mit¬
wirkung erreichbar gewesen wäre. So ist es sogar dahin gekommen, daß der
Kaiser in seinem heißen Ringen mit Eduard von England nicht einmal den
Rückhalt in der öffentlichen Meinung Deutschlands fand, den er schon allein
in seiner Eigenschaft als Deutscher hätte beanspruchen dürfen.


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frage Triumphe! Allen aber wurde es leicht gemacht, das Gebot an¬
zunehmen durch die großen Erfolge, die Bismarck bis zum Jahre 1871 erzielt
hatte, Erfolge, deren Segen die 1890 lebende Generntion recht voll genießen
durste. Als dann gar die Arbeiterfrage zum Konflikt zwischen Kaiser Wilhelm
dem Zweiten und dem ersten Kanzler führte und Bismarck weichen mußte, da
verhärtete sich seine Auffassung zum Dogma für alle diejenigen, die da meinten,
nationale Güter gegen moderne Auffassungen oder Sentiments oder gar gegen
Mut- und Kraftlosigkeit verteidigen zu müssen. Das Verhalten der sozialdemo¬
kratischen Partei in Heeres- und Flottenfragen gab ihnen einen Schein des
Rechts, und der junge Kaiser, der schon bei den Wahlen am 20. Februar zu
ernten hoffte, was er am 4. gesät, erlebte als Regent seine erste schwere Ent¬
täuschung. Die Nation trat mit wenigen Ausnahmen auf die Seite des Alt¬
reichskanzlers und wurde darin noch bestärkt, als Fragen der Weltpolitik eine
größere Berücksichtigung der Industrie in allen Dingen des Verkehrs und des
Zollschutzes notwendig machten, was wieder zur Annäherung der Reichs¬
regierung an die Polen und Ultramontanen führte, die konservativ-agrarischen
Kreise aber abstieß.

Kaiser Wilhelm der Zweite hat in dem Dezennium von 1890 bis 1900,
in dem er die Richtung der Reichsregierung sast selbständig bestimmte, viele
neue Ideen in die Masse geworfen und besonders den Nationalisten Aufgaben
gestellt, die geeignet schienen, ihren Tatendrang zu stillen. Aber sonderbar, ihr
Vertrauen vermochte er in keinem Stadium zu gewinnen I An alle Handlungen
und Schritte legten sie den Maßstab Bismarcks, und selbst bei Dingen, die
unzweifelhaft außerhalb der Absichten des Alten lagen und ureigenster
Initiative des Kaisers entsprangen, suchten sie ein Schema zu entwerfen, das
etwa die Wege angab, die (nach ihren Auffassungen) Bismarck zur Lösung
der Einzelfrage benutzt hätte. Das gegenüber früheren Zeiten tatkräftigere Ein¬
greifen Deutschlands in die Weltpolitik und die Notwendigkeit, sich neben den
älteren Staaten im Kolonialbesitz bemerkbar zu machen, gab dazu unserer Politik
etwas Lautes, mit dessen Lärm die tatsächlich erzielten Erfolge in keinen: rechten
Verhältnis zu stehen schienen. Manche große Geste erhielt in den Augen der
Menge kaum mehr als die Bedeutung eines Theatereffekts. Auch Rückschläge
sind nicht ausgeblieben, wie sie übrigens zu gleicher Zeit keiner anderen Gro߬
macht erspart wurden. Daneben aber ward seitens der kaiserlichen Negierung
auch manches versäumt. Die öffentliche Meinung, nur halb über die Absichten
der Regierung unterrichtet, folgte dem Spiel der Phantasie einzelner, ohne daß
es für ernsthafte Politiker recht möglich war, sich so eingehend mit den schwe¬
benden Fragen der großen Politik zu beschäftigen, daß ihre ernsthafte Mit¬
wirkung erreichbar gewesen wäre. So ist es sogar dahin gekommen, daß der
Kaiser in seinem heißen Ringen mit Eduard von England nicht einmal den
Rückhalt in der öffentlichen Meinung Deutschlands fand, den er schon allein
in seiner Eigenschaft als Deutscher hätte beanspruchen dürfen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/15>, abgerufen am 27.09.2024.