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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Lin Später Derer vein Doorn

heute Seele an die Planken des Bootes fest anbinden, um sie zu retten. Er
kann dein Tode wehren.

Die Ministranten standen und beugten die Knabenköpfe und knixten lautlos
mit den jungen Beinen und taten feierlich ihre Hantierung. Die Nonne kniete.
Die hellen Augen des Herrn Kroen fingen an, sich wie in einem Wunder weit
aufzutun.

In dem jungen Priester war von Anfang an die Gnade lebendig. Er
hatte in den kranken, bleichen Zügen bald eine Hoffnung gelesen. Er betete
jetzt, als wenn mit seinen stummen Worten Lasten sich lösten. Als wenn er
mit seinem brünstigen Atem die kleine Lebensflamme sanft anbliese. Da wurde
das Geheimnis langsam und lautlos groß und größer, das von dem jungen
Priester ausging und rings im Raume Macht gewann.

Herr Kroen begann aufzustöhnen. Die junge Frau Kroen hatte jetzt ganz
die Augen aufgetan. Sie erkannte den Pfarrer. Ihre Augen schienen nichts
Zu ahnen, womit der Pfarrer rang und warum Herr Kroen sein Stöhnen nicht
meistern konnte. Niemand redete. Auch der Geistliche gab seinen Worten noch
immer nicht einen Flüsterlaut. Er sprach nur im Geist. Aber der Geist war
wie die Luft um ihn, daß alle ihn schmeckten. Die kleinen Kerzen der Mini¬
stranten brannten lautlos und erhellten den Dämmer der Stube. Es fiel ein
Goldschein der Sterbenden ins Gesicht. Die Lippen schienen jetzt feucht und
frisch. Das Auge war voll Glauben. Erdrückt und frei schien das Auge im
Raume zu glänzen und zu lachen. Dann lag die Hostie zwischen ihren heißen,
fiebernden Lippen. Und auch Hieronvmus van Doorn erbebte im Grunde, weil
er den Schluck Gottesblut auf der Zunge hielt und das heilige Arom einzog
und mit Gott ein Leib war. Wer ihn in diesem Augenblick ansah, wußte, daß
er die Kraft und der Glaube selber geworden, und daß er jetzt Berge aufhob.
Die hellen Augen der Sterbenden suchten seine Kraft und umklammerten ihn
und lauschten auf die gestammelten Worte, die jetzt abgerissen aus des Priesters
murmelnden Lippen hervordrangen. Die Augen der jungen Frau ruhten dann
lange in seinen dunklen Augen, und beide schienen in Gott geborgen.

Es war eine lange Zeit des Gebetes noch, ehe der Pfarrer von seinen
Knien sich aufhob und die eherne Stille endlich zerbrach.

Die Nonne konnte nicht begreifen, daß des Priesters Stimme zu Herrn
Kroen fast irdisch klang. Hieronymus van Doorn sah Herrn Kroen wieder ins
Gesicht. Als wenn er ihn prüfen wollte. Wie eine Röte schoß es ihm dabei
in die Wangen. Weil auch die Augen der jungen Frau Kroeu eben sanft
zugefallen waren, als ob ein engelhaftes Mädchengesicht mit Träumen und
Lächeln auf den Lippen in den Schlaf sinke. Hieronymus sah dann nur wieder
die Schlafende an.

"Wir wissen nichts," sagte er sanftmütig und mit einem Ausdruck tiefer,
unsäglicher Sehnsucht. "Aber wer glaubt, ruft Gott zur Hilfe hernieder." sagte
er dann, indem er die strengen, entsagungsvollen Linien der Mundwinkel und


Lin Später Derer vein Doorn

heute Seele an die Planken des Bootes fest anbinden, um sie zu retten. Er
kann dein Tode wehren.

Die Ministranten standen und beugten die Knabenköpfe und knixten lautlos
mit den jungen Beinen und taten feierlich ihre Hantierung. Die Nonne kniete.
Die hellen Augen des Herrn Kroen fingen an, sich wie in einem Wunder weit
aufzutun.

In dem jungen Priester war von Anfang an die Gnade lebendig. Er
hatte in den kranken, bleichen Zügen bald eine Hoffnung gelesen. Er betete
jetzt, als wenn mit seinen stummen Worten Lasten sich lösten. Als wenn er
mit seinem brünstigen Atem die kleine Lebensflamme sanft anbliese. Da wurde
das Geheimnis langsam und lautlos groß und größer, das von dem jungen
Priester ausging und rings im Raume Macht gewann.

Herr Kroen begann aufzustöhnen. Die junge Frau Kroen hatte jetzt ganz
die Augen aufgetan. Sie erkannte den Pfarrer. Ihre Augen schienen nichts
Zu ahnen, womit der Pfarrer rang und warum Herr Kroen sein Stöhnen nicht
meistern konnte. Niemand redete. Auch der Geistliche gab seinen Worten noch
immer nicht einen Flüsterlaut. Er sprach nur im Geist. Aber der Geist war
wie die Luft um ihn, daß alle ihn schmeckten. Die kleinen Kerzen der Mini¬
stranten brannten lautlos und erhellten den Dämmer der Stube. Es fiel ein
Goldschein der Sterbenden ins Gesicht. Die Lippen schienen jetzt feucht und
frisch. Das Auge war voll Glauben. Erdrückt und frei schien das Auge im
Raume zu glänzen und zu lachen. Dann lag die Hostie zwischen ihren heißen,
fiebernden Lippen. Und auch Hieronvmus van Doorn erbebte im Grunde, weil
er den Schluck Gottesblut auf der Zunge hielt und das heilige Arom einzog
und mit Gott ein Leib war. Wer ihn in diesem Augenblick ansah, wußte, daß
er die Kraft und der Glaube selber geworden, und daß er jetzt Berge aufhob.
Die hellen Augen der Sterbenden suchten seine Kraft und umklammerten ihn
und lauschten auf die gestammelten Worte, die jetzt abgerissen aus des Priesters
murmelnden Lippen hervordrangen. Die Augen der jungen Frau ruhten dann
lange in seinen dunklen Augen, und beide schienen in Gott geborgen.

Es war eine lange Zeit des Gebetes noch, ehe der Pfarrer von seinen
Knien sich aufhob und die eherne Stille endlich zerbrach.

Die Nonne konnte nicht begreifen, daß des Priesters Stimme zu Herrn
Kroen fast irdisch klang. Hieronymus van Doorn sah Herrn Kroen wieder ins
Gesicht. Als wenn er ihn prüfen wollte. Wie eine Röte schoß es ihm dabei
in die Wangen. Weil auch die Augen der jungen Frau Kroeu eben sanft
zugefallen waren, als ob ein engelhaftes Mädchengesicht mit Träumen und
Lächeln auf den Lippen in den Schlaf sinke. Hieronymus sah dann nur wieder
die Schlafende an.

„Wir wissen nichts," sagte er sanftmütig und mit einem Ausdruck tiefer,
unsäglicher Sehnsucht. „Aber wer glaubt, ruft Gott zur Hilfe hernieder." sagte
er dann, indem er die strengen, entsagungsvollen Linien der Mundwinkel und


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[0142] Lin Später Derer vein Doorn heute Seele an die Planken des Bootes fest anbinden, um sie zu retten. Er kann dein Tode wehren. Die Ministranten standen und beugten die Knabenköpfe und knixten lautlos mit den jungen Beinen und taten feierlich ihre Hantierung. Die Nonne kniete. Die hellen Augen des Herrn Kroen fingen an, sich wie in einem Wunder weit aufzutun. In dem jungen Priester war von Anfang an die Gnade lebendig. Er hatte in den kranken, bleichen Zügen bald eine Hoffnung gelesen. Er betete jetzt, als wenn mit seinen stummen Worten Lasten sich lösten. Als wenn er mit seinem brünstigen Atem die kleine Lebensflamme sanft anbliese. Da wurde das Geheimnis langsam und lautlos groß und größer, das von dem jungen Priester ausging und rings im Raume Macht gewann. Herr Kroen begann aufzustöhnen. Die junge Frau Kroen hatte jetzt ganz die Augen aufgetan. Sie erkannte den Pfarrer. Ihre Augen schienen nichts Zu ahnen, womit der Pfarrer rang und warum Herr Kroen sein Stöhnen nicht meistern konnte. Niemand redete. Auch der Geistliche gab seinen Worten noch immer nicht einen Flüsterlaut. Er sprach nur im Geist. Aber der Geist war wie die Luft um ihn, daß alle ihn schmeckten. Die kleinen Kerzen der Mini¬ stranten brannten lautlos und erhellten den Dämmer der Stube. Es fiel ein Goldschein der Sterbenden ins Gesicht. Die Lippen schienen jetzt feucht und frisch. Das Auge war voll Glauben. Erdrückt und frei schien das Auge im Raume zu glänzen und zu lachen. Dann lag die Hostie zwischen ihren heißen, fiebernden Lippen. Und auch Hieronvmus van Doorn erbebte im Grunde, weil er den Schluck Gottesblut auf der Zunge hielt und das heilige Arom einzog und mit Gott ein Leib war. Wer ihn in diesem Augenblick ansah, wußte, daß er die Kraft und der Glaube selber geworden, und daß er jetzt Berge aufhob. Die hellen Augen der Sterbenden suchten seine Kraft und umklammerten ihn und lauschten auf die gestammelten Worte, die jetzt abgerissen aus des Priesters murmelnden Lippen hervordrangen. Die Augen der jungen Frau ruhten dann lange in seinen dunklen Augen, und beide schienen in Gott geborgen. Es war eine lange Zeit des Gebetes noch, ehe der Pfarrer von seinen Knien sich aufhob und die eherne Stille endlich zerbrach. Die Nonne konnte nicht begreifen, daß des Priesters Stimme zu Herrn Kroen fast irdisch klang. Hieronymus van Doorn sah Herrn Kroen wieder ins Gesicht. Als wenn er ihn prüfen wollte. Wie eine Röte schoß es ihm dabei in die Wangen. Weil auch die Augen der jungen Frau Kroeu eben sanft zugefallen waren, als ob ein engelhaftes Mädchengesicht mit Träumen und Lächeln auf den Lippen in den Schlaf sinke. Hieronymus sah dann nur wieder die Schlafende an. „Wir wissen nichts," sagte er sanftmütig und mit einem Ausdruck tiefer, unsäglicher Sehnsucht. „Aber wer glaubt, ruft Gott zur Hilfe hernieder." sagte er dann, indem er die strengen, entsagungsvollen Linien der Mundwinkel und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/142>, abgerufen am 27.09.2024.