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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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zur Regel wird, dann steigert sich das Übel, je länger es dauert. Und es ist
überdies wiederum ein Symptom provisorischer Zustände auf Gebieten des
Staatslebens, die noch weit größere Bedeutung haben, als das Budget und was
damit unmittelbar zusammenhängt.

Das hat die kurze Vorsession der Delegationen so recht deutlich gezeigt;
der Minister des Äußeren, Graf Aehrenthal, und der Kriegsminister,
von Auffenberg, halten Exposes, die selbst wenn man die Verschiedenheit der
Klangfarbe, mit der ein Diplomat und ein Soldat kraft ihres Berufes sprechen,
in Rechnung zieht, doch zueinander passen, wie die Faust aufs Auge. Das
merkwürdigste dabei ist, daß Graf Aehrenthal das Expose des Kriegsministers
vorher gekannt und mindestens keine Einwendungen dagegen erhoben hat --
vermutlich in der Annahme, der Kriegsminister werde sich dadurch in seiner
Stellung mindestens nicht befestigen. Nun lasse man einmal die Ereignisse der
letzten neun Monate Revue passieren. In: vergangenen Frühjahre zogen der
Minister des Äußeren und der verflossene Kriegsminister Schönaich so ziemlich
am selben Strange; der Chef des Gerieralstabs, Conrad von Holzendorf war
der beiden Antagonist und hatte den Thronfolger zum mächtigen und manchmal
doch recht ohnmächtigen Protektor. Im Sonnner fällt Schönaich und nach
langem Schwanken wird er durch den Kandidaten des Thronfolgers und Freund
und Gesinnungsgenossen Conrads, General von Auffenberg, ersetzt. Achrenthal
hat sich für Schönaich eingesetzt, der Sturz Schönaichs bedeutet für ihn eine
Niederlage, man nimmt allgemein an, daß nun bald die Reihe an ihn kommen
werde. Aus einmal wendet sich das Blatt, und nicht Aehrenthal ist das nächste
Opfer, sondern Conrad, der doch eben erst durch den neuen Kriegsminister
Verstärkung erhalten hatte; der Zwiespalt der Richtungen bleibt aber bestehen
und wird nun, wo es wirklich nichts mehr zu verheimlichen gibt, durch die
Exposes in den Delegationen gewissermaßen protokollarisch festgelegt. Kein
Geheimnis ferner, daß während der kurzen Vorsession der Delegation einflu߬
reiche Kreise nicht erfolglos an der Arbeit waren, dem Grafen Aehrenthal
mindestens in der österreichischen Delegation eine ablehnende Aufnahme zu
bereiten, was natürlich in der ungarischen ein Grund mehr sür ein Vertrauens¬
votum war.

Nun ist es recht schwer, den Gegensatz der beiden Richtungen auf eine
kurze sachliche Formel zu bringen. Daß auch die Partei Conrad Auffen¬
berg mit ihrem hohen Protektor den Krieg mit Italien nicht will, kann
man nach der Rede des Kriegsministers, der die Schwächen der österreichischen
Armee so offen aufdeckte, doch kaum mehr bezweifeln; anderseits kann man
wiederum nicht annehmen, daß es in Österreich einen Minister des Äußeren
geben kann, der sich etwa dafür verbürgt, daß Italien unter allen Umständen
dem Dreibund treu bleiben werde und jede Bereitschaft militärischer Art dem
Bundesgenossen gegenüber Vergeudung sei. Die Gegensätze drehen sich also
mehr um die Formen und Einkleidungen und sind überdies sowohl im Ver-


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zur Regel wird, dann steigert sich das Übel, je länger es dauert. Und es ist
überdies wiederum ein Symptom provisorischer Zustände auf Gebieten des
Staatslebens, die noch weit größere Bedeutung haben, als das Budget und was
damit unmittelbar zusammenhängt.

Das hat die kurze Vorsession der Delegationen so recht deutlich gezeigt;
der Minister des Äußeren, Graf Aehrenthal, und der Kriegsminister,
von Auffenberg, halten Exposes, die selbst wenn man die Verschiedenheit der
Klangfarbe, mit der ein Diplomat und ein Soldat kraft ihres Berufes sprechen,
in Rechnung zieht, doch zueinander passen, wie die Faust aufs Auge. Das
merkwürdigste dabei ist, daß Graf Aehrenthal das Expose des Kriegsministers
vorher gekannt und mindestens keine Einwendungen dagegen erhoben hat —
vermutlich in der Annahme, der Kriegsminister werde sich dadurch in seiner
Stellung mindestens nicht befestigen. Nun lasse man einmal die Ereignisse der
letzten neun Monate Revue passieren. In: vergangenen Frühjahre zogen der
Minister des Äußeren und der verflossene Kriegsminister Schönaich so ziemlich
am selben Strange; der Chef des Gerieralstabs, Conrad von Holzendorf war
der beiden Antagonist und hatte den Thronfolger zum mächtigen und manchmal
doch recht ohnmächtigen Protektor. Im Sonnner fällt Schönaich und nach
langem Schwanken wird er durch den Kandidaten des Thronfolgers und Freund
und Gesinnungsgenossen Conrads, General von Auffenberg, ersetzt. Achrenthal
hat sich für Schönaich eingesetzt, der Sturz Schönaichs bedeutet für ihn eine
Niederlage, man nimmt allgemein an, daß nun bald die Reihe an ihn kommen
werde. Aus einmal wendet sich das Blatt, und nicht Aehrenthal ist das nächste
Opfer, sondern Conrad, der doch eben erst durch den neuen Kriegsminister
Verstärkung erhalten hatte; der Zwiespalt der Richtungen bleibt aber bestehen
und wird nun, wo es wirklich nichts mehr zu verheimlichen gibt, durch die
Exposes in den Delegationen gewissermaßen protokollarisch festgelegt. Kein
Geheimnis ferner, daß während der kurzen Vorsession der Delegation einflu߬
reiche Kreise nicht erfolglos an der Arbeit waren, dem Grafen Aehrenthal
mindestens in der österreichischen Delegation eine ablehnende Aufnahme zu
bereiten, was natürlich in der ungarischen ein Grund mehr sür ein Vertrauens¬
votum war.

Nun ist es recht schwer, den Gegensatz der beiden Richtungen auf eine
kurze sachliche Formel zu bringen. Daß auch die Partei Conrad Auffen¬
berg mit ihrem hohen Protektor den Krieg mit Italien nicht will, kann
man nach der Rede des Kriegsministers, der die Schwächen der österreichischen
Armee so offen aufdeckte, doch kaum mehr bezweifeln; anderseits kann man
wiederum nicht annehmen, daß es in Österreich einen Minister des Äußeren
geben kann, der sich etwa dafür verbürgt, daß Italien unter allen Umständen
dem Dreibund treu bleiben werde und jede Bereitschaft militärischer Art dem
Bundesgenossen gegenüber Vergeudung sei. Die Gegensätze drehen sich also
mehr um die Formen und Einkleidungen und sind überdies sowohl im Ver-


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[0106] Reichsspiegol zur Regel wird, dann steigert sich das Übel, je länger es dauert. Und es ist überdies wiederum ein Symptom provisorischer Zustände auf Gebieten des Staatslebens, die noch weit größere Bedeutung haben, als das Budget und was damit unmittelbar zusammenhängt. Das hat die kurze Vorsession der Delegationen so recht deutlich gezeigt; der Minister des Äußeren, Graf Aehrenthal, und der Kriegsminister, von Auffenberg, halten Exposes, die selbst wenn man die Verschiedenheit der Klangfarbe, mit der ein Diplomat und ein Soldat kraft ihres Berufes sprechen, in Rechnung zieht, doch zueinander passen, wie die Faust aufs Auge. Das merkwürdigste dabei ist, daß Graf Aehrenthal das Expose des Kriegsministers vorher gekannt und mindestens keine Einwendungen dagegen erhoben hat — vermutlich in der Annahme, der Kriegsminister werde sich dadurch in seiner Stellung mindestens nicht befestigen. Nun lasse man einmal die Ereignisse der letzten neun Monate Revue passieren. In: vergangenen Frühjahre zogen der Minister des Äußeren und der verflossene Kriegsminister Schönaich so ziemlich am selben Strange; der Chef des Gerieralstabs, Conrad von Holzendorf war der beiden Antagonist und hatte den Thronfolger zum mächtigen und manchmal doch recht ohnmächtigen Protektor. Im Sonnner fällt Schönaich und nach langem Schwanken wird er durch den Kandidaten des Thronfolgers und Freund und Gesinnungsgenossen Conrads, General von Auffenberg, ersetzt. Achrenthal hat sich für Schönaich eingesetzt, der Sturz Schönaichs bedeutet für ihn eine Niederlage, man nimmt allgemein an, daß nun bald die Reihe an ihn kommen werde. Aus einmal wendet sich das Blatt, und nicht Aehrenthal ist das nächste Opfer, sondern Conrad, der doch eben erst durch den neuen Kriegsminister Verstärkung erhalten hatte; der Zwiespalt der Richtungen bleibt aber bestehen und wird nun, wo es wirklich nichts mehr zu verheimlichen gibt, durch die Exposes in den Delegationen gewissermaßen protokollarisch festgelegt. Kein Geheimnis ferner, daß während der kurzen Vorsession der Delegation einflu߬ reiche Kreise nicht erfolglos an der Arbeit waren, dem Grafen Aehrenthal mindestens in der österreichischen Delegation eine ablehnende Aufnahme zu bereiten, was natürlich in der ungarischen ein Grund mehr sür ein Vertrauens¬ votum war. Nun ist es recht schwer, den Gegensatz der beiden Richtungen auf eine kurze sachliche Formel zu bringen. Daß auch die Partei Conrad Auffen¬ berg mit ihrem hohen Protektor den Krieg mit Italien nicht will, kann man nach der Rede des Kriegsministers, der die Schwächen der österreichischen Armee so offen aufdeckte, doch kaum mehr bezweifeln; anderseits kann man wiederum nicht annehmen, daß es in Österreich einen Minister des Äußeren geben kann, der sich etwa dafür verbürgt, daß Italien unter allen Umständen dem Dreibund treu bleiben werde und jede Bereitschaft militärischer Art dem Bundesgenossen gegenüber Vergeudung sei. Die Gegensätze drehen sich also mehr um die Formen und Einkleidungen und sind überdies sowohl im Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/106>, abgerufen am 27.09.2024.