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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Das Glück des Hanfes Rottland

Er sah ein, daß er doch nach Haus Rottland kommen müßte, und wenn sich
sein Schimmel auch in eine Schnecke verwandelt hätte. Und deshalb faßte er sich
ein Herz, legte die Schenkel an und trabte tapfer wie Sankt Georg, der Ritter,
da er gegen den Lindwurm ritt, in den Hof.

Gerhard, der gerade mit dem Fuchs vom Acker gekommen war. nahm seinem
Herrn den Schimmel ab und brachte beide Pferde in den Stall.

Das spanische Rohr in der Rechten, die Perücke in der Linken trat der Frei¬
herr in das Wohngemach. Die Schwestern saßen am Fenster, die Priorin in
beschaulichem Nichtstun, die Gubernatorin mit einer Filetstickerei beschäftigt. Beide
sahen den Bruder erwartungsvoll an.

"Schon wieder zurück, mon euer?" fragte Frau v. Ödinghoven, fest ent¬
schlossen, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. "Unsere imaZiimtion ver¬
mutete dich in Dreyborn."

"Was sollte ich in Dreyborn zu suchen haben, Netto.?" meinte Herr Salentin.

"Nun, wir sind doch nicht blind. Wenn du en Kahn ac paraäe wegreitest,
mußt du doch eine altare von importanLe vorhaben."

"Und da dachten wir, du würdest endlich unseren heißesten Wunsch erfüllen
und uns wieder eine belle-soeur ins Haus bringen," setzte die Priorin mit
flötender Stimme hinzu.

"So, so, das ist also wirklich euer heißester Wunsch?" fragte Herr Salentin,
indem er bald die eine, bald die andere der Schwestern prüfend ansah. "Nun ja,"
fuhr er fort, "ihr habt es mir ja deutlich genug zu verstehen gegeben, und da
habe ich denn resolviert, euch das LÄLnkiLe zu bringen." Er nahm bei diesen
Worten die Miene eines Märtyrers an.

Frau v. Ödinghoven legte ihre Stickerei aus der Hand und erhob sich.

"LKer fröre, laß dich ambrassierenl" rief sie, indem sie sich an seine Brust
warf, "cette journes est la plus fortunee 6e um vie."

Die Priorin, die sonst ein wenig bequem war, hatte sich mit Rücksicht auf
die Bedeutung des Augenblicks ebenfalls erhoben, mußte sich jedoch, da sie die
Vorderseite des Bruders schon besetzt fand, damit begnügen, sich von hinten an
seine Schultern zu hängen und ihr Glück an seinem breiten Rücken auszuweinen.

"Und wie heißt sie?" fragte die Gubernatorin endlich.

"Merge," antwortete er, ohne mit einer Wimper zu zucken.

"Merge? Nicht Jsabella?"

"Ich kenne keine Jsabella."

"l^riponl Du willst wieder deine plaissnterie mit uns treiben I Denkst du,
wir wüßten nicht, wie die v. Harff heißt?"

"Welche v. Harff?"

"Natürlich die zu Dreyborn. Oder sollte es die v. Meinertzhagen zu streut
sein? Die Irmgard?"

"Ich weiß nicht, was ihr wollt." sagte er, indem er den vergeblichen Versuch
machte, sich aus den Armen der Schwestern zu befreien. "Und damit ihr's wißt,
wen ich mir als Eheliebste nach Haus Nottland hole: es ist die Holzheimer Merge."

Es war für Herrn Salentins Gleichgewicht außerordentlich vorteilhaft, daß
ihn die beiden alten Damen genau in demselben Augenblick losließen, denn einer


Das Glück des Hanfes Rottland

Er sah ein, daß er doch nach Haus Rottland kommen müßte, und wenn sich
sein Schimmel auch in eine Schnecke verwandelt hätte. Und deshalb faßte er sich
ein Herz, legte die Schenkel an und trabte tapfer wie Sankt Georg, der Ritter,
da er gegen den Lindwurm ritt, in den Hof.

Gerhard, der gerade mit dem Fuchs vom Acker gekommen war. nahm seinem
Herrn den Schimmel ab und brachte beide Pferde in den Stall.

Das spanische Rohr in der Rechten, die Perücke in der Linken trat der Frei¬
herr in das Wohngemach. Die Schwestern saßen am Fenster, die Priorin in
beschaulichem Nichtstun, die Gubernatorin mit einer Filetstickerei beschäftigt. Beide
sahen den Bruder erwartungsvoll an.

„Schon wieder zurück, mon euer?" fragte Frau v. Ödinghoven, fest ent¬
schlossen, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. „Unsere imaZiimtion ver¬
mutete dich in Dreyborn."

„Was sollte ich in Dreyborn zu suchen haben, Netto.?" meinte Herr Salentin.

„Nun, wir sind doch nicht blind. Wenn du en Kahn ac paraäe wegreitest,
mußt du doch eine altare von importanLe vorhaben."

„Und da dachten wir, du würdest endlich unseren heißesten Wunsch erfüllen
und uns wieder eine belle-soeur ins Haus bringen," setzte die Priorin mit
flötender Stimme hinzu.

„So, so, das ist also wirklich euer heißester Wunsch?" fragte Herr Salentin,
indem er bald die eine, bald die andere der Schwestern prüfend ansah. „Nun ja,"
fuhr er fort, „ihr habt es mir ja deutlich genug zu verstehen gegeben, und da
habe ich denn resolviert, euch das LÄLnkiLe zu bringen." Er nahm bei diesen
Worten die Miene eines Märtyrers an.

Frau v. Ödinghoven legte ihre Stickerei aus der Hand und erhob sich.

„LKer fröre, laß dich ambrassierenl" rief sie, indem sie sich an seine Brust
warf, „cette journes est la plus fortunee 6e um vie."

Die Priorin, die sonst ein wenig bequem war, hatte sich mit Rücksicht auf
die Bedeutung des Augenblicks ebenfalls erhoben, mußte sich jedoch, da sie die
Vorderseite des Bruders schon besetzt fand, damit begnügen, sich von hinten an
seine Schultern zu hängen und ihr Glück an seinem breiten Rücken auszuweinen.

„Und wie heißt sie?" fragte die Gubernatorin endlich.

„Merge," antwortete er, ohne mit einer Wimper zu zucken.

„Merge? Nicht Jsabella?"

„Ich kenne keine Jsabella."

„l^riponl Du willst wieder deine plaissnterie mit uns treiben I Denkst du,
wir wüßten nicht, wie die v. Harff heißt?"

„Welche v. Harff?"

„Natürlich die zu Dreyborn. Oder sollte es die v. Meinertzhagen zu streut
sein? Die Irmgard?"

„Ich weiß nicht, was ihr wollt." sagte er, indem er den vergeblichen Versuch
machte, sich aus den Armen der Schwestern zu befreien. „Und damit ihr's wißt,
wen ich mir als Eheliebste nach Haus Nottland hole: es ist die Holzheimer Merge."

Es war für Herrn Salentins Gleichgewicht außerordentlich vorteilhaft, daß
ihn die beiden alten Damen genau in demselben Augenblick losließen, denn einer


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[0092] Das Glück des Hanfes Rottland Er sah ein, daß er doch nach Haus Rottland kommen müßte, und wenn sich sein Schimmel auch in eine Schnecke verwandelt hätte. Und deshalb faßte er sich ein Herz, legte die Schenkel an und trabte tapfer wie Sankt Georg, der Ritter, da er gegen den Lindwurm ritt, in den Hof. Gerhard, der gerade mit dem Fuchs vom Acker gekommen war. nahm seinem Herrn den Schimmel ab und brachte beide Pferde in den Stall. Das spanische Rohr in der Rechten, die Perücke in der Linken trat der Frei¬ herr in das Wohngemach. Die Schwestern saßen am Fenster, die Priorin in beschaulichem Nichtstun, die Gubernatorin mit einer Filetstickerei beschäftigt. Beide sahen den Bruder erwartungsvoll an. „Schon wieder zurück, mon euer?" fragte Frau v. Ödinghoven, fest ent¬ schlossen, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. „Unsere imaZiimtion ver¬ mutete dich in Dreyborn." „Was sollte ich in Dreyborn zu suchen haben, Netto.?" meinte Herr Salentin. „Nun, wir sind doch nicht blind. Wenn du en Kahn ac paraäe wegreitest, mußt du doch eine altare von importanLe vorhaben." „Und da dachten wir, du würdest endlich unseren heißesten Wunsch erfüllen und uns wieder eine belle-soeur ins Haus bringen," setzte die Priorin mit flötender Stimme hinzu. „So, so, das ist also wirklich euer heißester Wunsch?" fragte Herr Salentin, indem er bald die eine, bald die andere der Schwestern prüfend ansah. „Nun ja," fuhr er fort, „ihr habt es mir ja deutlich genug zu verstehen gegeben, und da habe ich denn resolviert, euch das LÄLnkiLe zu bringen." Er nahm bei diesen Worten die Miene eines Märtyrers an. Frau v. Ödinghoven legte ihre Stickerei aus der Hand und erhob sich. „LKer fröre, laß dich ambrassierenl" rief sie, indem sie sich an seine Brust warf, „cette journes est la plus fortunee 6e um vie." Die Priorin, die sonst ein wenig bequem war, hatte sich mit Rücksicht auf die Bedeutung des Augenblicks ebenfalls erhoben, mußte sich jedoch, da sie die Vorderseite des Bruders schon besetzt fand, damit begnügen, sich von hinten an seine Schultern zu hängen und ihr Glück an seinem breiten Rücken auszuweinen. „Und wie heißt sie?" fragte die Gubernatorin endlich. „Merge," antwortete er, ohne mit einer Wimper zu zucken. „Merge? Nicht Jsabella?" „Ich kenne keine Jsabella." „l^riponl Du willst wieder deine plaissnterie mit uns treiben I Denkst du, wir wüßten nicht, wie die v. Harff heißt?" „Welche v. Harff?" „Natürlich die zu Dreyborn. Oder sollte es die v. Meinertzhagen zu streut sein? Die Irmgard?" „Ich weiß nicht, was ihr wollt." sagte er, indem er den vergeblichen Versuch machte, sich aus den Armen der Schwestern zu befreien. „Und damit ihr's wißt, wen ich mir als Eheliebste nach Haus Nottland hole: es ist die Holzheimer Merge." Es war für Herrn Salentins Gleichgewicht außerordentlich vorteilhaft, daß ihn die beiden alten Damen genau in demselben Augenblick losließen, denn einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/92>, abgerufen am 23.07.2024.