Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.Das Glück des Hauses Rottland Als er wieder im Sattel saß und langsam nach Hause ritt, mutzte er an Dreißig Jahre waren seitdem vergangen. Ein ganzes MenschenalterI Und Das Lied drückte zwar nur sehr unvollkommen die Gefühle aus, die ihn in hinausschmetterte, war ihm, als würde er jedesmal um zehn Jahre jünger. Und Das Glück des Hauses Rottland Als er wieder im Sattel saß und langsam nach Hause ritt, mutzte er an Dreißig Jahre waren seitdem vergangen. Ein ganzes MenschenalterI Und Das Lied drückte zwar nur sehr unvollkommen die Gefühle aus, die ihn in hinausschmetterte, war ihm, als würde er jedesmal um zehn Jahre jünger. Und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319692"/> <fw type="header" place="top"> Das Glück des Hauses Rottland</fw><lb/> <p xml:id="ID_341"> Als er wieder im Sattel saß und langsam nach Hause ritt, mutzte er an<lb/> seine erste Brautfahrt denken. Wie anders hatte sich damals alles abgespielt I Wie<lb/> zierlich hatte er seine Worte setzen müssen, um Agnesens Eltern und dann ihr<lb/> selbst seine Werbung vorzutragen! Wie viele Bedenken waren zu zerstreuen, wie<lb/> viel wenn auch nur scheinbarer, aber von der Sitte gebotener Widerstand war zu<lb/> überwinden gewesenl</p><lb/> <p xml:id="ID_342"> Dreißig Jahre waren seitdem vergangen. Ein ganzes MenschenalterI Und<lb/> heute ritt er wieder als Bräutigam heim, nicht minder glücklich als damals, ja<lb/> vielleicht noch ein wenig stolzer, denn dem Alter erscheint die Jugend als das<lb/> kostbarste Gut, und dieses hatte er sich heute errungen. Er mußte seiner Freude<lb/> Luft machen, und deshalb stimmte er ein Lied an, das einzige, das er zu<lb/> singen wußte:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_1" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_343"> Das Lied drückte zwar nur sehr unvollkommen die Gefühle aus, die ihn in<lb/> dieser Stunde beseelten, aber es war doch besser als nichts, und er war froh, daß<lb/> sein Gedächtnis die Strophen noch hergab. Seine Stimme war nie schön gewesen<lb/> und im Laufe der Jahre noch dazu ein wenig eingerostet, aber wenn er den Kehrreim:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_2" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_344"> hinausschmetterte, war ihm, als würde er jedesmal um zehn Jahre jünger. Und<lb/> da sich der Refrain sechsmal wiederholte, wäre er aller Wahrscheinlichkeit nach als<lb/> ein zweijähriges Büblein wieder zu Hause eingetroffen, wenn er nicht noch zur<lb/> rechten Zeit an die Schwestern gedacht hätte. Aber da brach er seinen Gesang<lb/> mitten im Verse ab, ließ den Schimmel noch langsamer gehen und begann zu<lb/> überlegen, wie er den beiden Alten die Pille — denn daß seine Nachricht für sie<lb/> kein Konfekt sein würde, mußte er sich selbst sagen! — versüßen könne. Je mehr<lb/> er sich dem Gutshöfe näherte, desto bänglicher wurde ihm zumute. Nicht, daß er<lb/> sich vor den Damen gefürchtet hätte! Aber er liebte den häuslichen Frieden über<lb/> alles und haßte jede lebhafte Auseinandersetzung, auch wenn er sich in seinem<lb/> Rechte wußte. Er hätte etwas darum gegeben, wenn das Renthaus samt den<lb/> Schwestern während seiner Abwesenheit von der Erde verschlungen worden wäre,<lb/> oder wenn der Abstand zwischen dem roten Ziegeldach und ihm bei jedem Schritt,<lb/> den sein Gaul vorwärts machte, um ein paar Klafter gewachsen wäre. Doch diese<lb/> allzu kühnen Wünsche gingen nicht in Erfüllung, die Erde schien keinen Appetit<lb/> auf adlige Damen zu haben, und Zeit und Raum machten keine Miene, ihre<lb/> ewigen Gesetze seinetwegen zu suspendieren.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0091]
Das Glück des Hauses Rottland
Als er wieder im Sattel saß und langsam nach Hause ritt, mutzte er an
seine erste Brautfahrt denken. Wie anders hatte sich damals alles abgespielt I Wie
zierlich hatte er seine Worte setzen müssen, um Agnesens Eltern und dann ihr
selbst seine Werbung vorzutragen! Wie viele Bedenken waren zu zerstreuen, wie
viel wenn auch nur scheinbarer, aber von der Sitte gebotener Widerstand war zu
überwinden gewesenl
Dreißig Jahre waren seitdem vergangen. Ein ganzes MenschenalterI Und
heute ritt er wieder als Bräutigam heim, nicht minder glücklich als damals, ja
vielleicht noch ein wenig stolzer, denn dem Alter erscheint die Jugend als das
kostbarste Gut, und dieses hatte er sich heute errungen. Er mußte seiner Freude
Luft machen, und deshalb stimmte er ein Lied an, das einzige, das er zu
singen wußte:
Das Lied drückte zwar nur sehr unvollkommen die Gefühle aus, die ihn in
dieser Stunde beseelten, aber es war doch besser als nichts, und er war froh, daß
sein Gedächtnis die Strophen noch hergab. Seine Stimme war nie schön gewesen
und im Laufe der Jahre noch dazu ein wenig eingerostet, aber wenn er den Kehrreim:
hinausschmetterte, war ihm, als würde er jedesmal um zehn Jahre jünger. Und
da sich der Refrain sechsmal wiederholte, wäre er aller Wahrscheinlichkeit nach als
ein zweijähriges Büblein wieder zu Hause eingetroffen, wenn er nicht noch zur
rechten Zeit an die Schwestern gedacht hätte. Aber da brach er seinen Gesang
mitten im Verse ab, ließ den Schimmel noch langsamer gehen und begann zu
überlegen, wie er den beiden Alten die Pille — denn daß seine Nachricht für sie
kein Konfekt sein würde, mußte er sich selbst sagen! — versüßen könne. Je mehr
er sich dem Gutshöfe näherte, desto bänglicher wurde ihm zumute. Nicht, daß er
sich vor den Damen gefürchtet hätte! Aber er liebte den häuslichen Frieden über
alles und haßte jede lebhafte Auseinandersetzung, auch wenn er sich in seinem
Rechte wußte. Er hätte etwas darum gegeben, wenn das Renthaus samt den
Schwestern während seiner Abwesenheit von der Erde verschlungen worden wäre,
oder wenn der Abstand zwischen dem roten Ziegeldach und ihm bei jedem Schritt,
den sein Gaul vorwärts machte, um ein paar Klafter gewachsen wäre. Doch diese
allzu kühnen Wünsche gingen nicht in Erfüllung, die Erde schien keinen Appetit
auf adlige Damen zu haben, und Zeit und Raum machten keine Miene, ihre
ewigen Gesetze seinetwegen zu suspendieren.
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