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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Das Glück des Hauses Rottland

ausgegangene Strafe nicht gering sein und ist überdies gegenüber dem allgemeinen
Interesse von nicht zu großer Bedeutung. Die Mehrzahl der von der Ma߬
nahme betroffenen Individuen entstammt einen: Milieu, in welchem die Strafe
als solche in moralischer Beziehung nicht zu tragisch genommen wird. Man
wird sich also mit der Empörung dieser Angehörigen abfinden können. Und
gegenüber den übrigen ist zu betonen, daß die Rücksicht auf das allgemeine
Wohl allen anderen voranzugehen hat. Die Angehörigen sind übrigens kaum
geneigt, außerhalb des Gerichtssaals einen Geisteszustand als krankhaft anzuerkennen,
der zu den "Grenzfällen" gehört. Sie werden es also auch ertragen müssen,
daß dieser Zustand nicht von Strafe befreit.




Das Glück des Hauses Rottland
Roman
von Julius R. Haarhaus V.

Acht Tage hintereinander war der Freiherr v. Friemersheim schon nach Holz¬
heim hinübergewandert, und jedesmal war er, ohne einen Bescheid erhalten zu
haben, nach Hause zurückgekehrt. Er grollte infolgedessen mit der ganzen Welt:
mit seinen Schwestern, die ihm immer auf eine so seltsame Art nachschauten, mit
dem Pastor, der seinen Ärger über die Verzögerung gar nicht zu teilen schien und
auf seine Frage, ob die Merge bei ihm gewesen sei, stets nur gleichmütig den
Kopf schüttelte, mit dem Mädchen, das ihn in so niederträchtiger Weise warten
ließ, und endlich mit sich selbst, weil er sich in die Rolle des schmachtenden Lieb¬
habers versetzt sah, der einem launenhaften Weibe Appetit und Schlaf opfert. Er
hätte am liebsten auf die ganze Freierei gepfiffen und die Bauerndirne, die nach
dem ihr dargebotenen Glück nicht gleich mit beiden Händen griff, mit Verachtung
gestraft, aber dazu war er nicht mehr stark genug, denn die Spannung des Hoffens
und Harrens hatte seine Verliebtheit gewaltig gesteigert.

Er wollte und mußte endlich Gewißheit haben und wenn er auch selbst zu
Merge gehen und die Entscheidung über sein Schicksal mit eigenen Ohren aus
ihrem Munde vernehmen sollte. Vor Ungeduld elend zugrunde zu gehen -- dazu
verspürte er nicht die geringste Neigung.

Eines Vormittags bemerkte die Gubernatorin, als sie an der Schlafkammer
des Bruders vorüberkam und einen Blick durch die nur angelehnte Tür warf, wie
Herr Salentin in seinen Garderobevorräten kramte und längere Zeit gedankenvoll
vor ein paar galonnierten Röcken stand, die er über sein Bett gebreitet hatte. Sie
schlich sich weg und machte der Schwester von dem Gesehenen Mitteilung. Beide
waren davon überzeugt, daß sich ein großes Ereignis vorbereite, denn der Bruder


Das Glück des Hauses Rottland

ausgegangene Strafe nicht gering sein und ist überdies gegenüber dem allgemeinen
Interesse von nicht zu großer Bedeutung. Die Mehrzahl der von der Ma߬
nahme betroffenen Individuen entstammt einen: Milieu, in welchem die Strafe
als solche in moralischer Beziehung nicht zu tragisch genommen wird. Man
wird sich also mit der Empörung dieser Angehörigen abfinden können. Und
gegenüber den übrigen ist zu betonen, daß die Rücksicht auf das allgemeine
Wohl allen anderen voranzugehen hat. Die Angehörigen sind übrigens kaum
geneigt, außerhalb des Gerichtssaals einen Geisteszustand als krankhaft anzuerkennen,
der zu den „Grenzfällen" gehört. Sie werden es also auch ertragen müssen,
daß dieser Zustand nicht von Strafe befreit.




Das Glück des Hauses Rottland
Roman
von Julius R. Haarhaus V.

Acht Tage hintereinander war der Freiherr v. Friemersheim schon nach Holz¬
heim hinübergewandert, und jedesmal war er, ohne einen Bescheid erhalten zu
haben, nach Hause zurückgekehrt. Er grollte infolgedessen mit der ganzen Welt:
mit seinen Schwestern, die ihm immer auf eine so seltsame Art nachschauten, mit
dem Pastor, der seinen Ärger über die Verzögerung gar nicht zu teilen schien und
auf seine Frage, ob die Merge bei ihm gewesen sei, stets nur gleichmütig den
Kopf schüttelte, mit dem Mädchen, das ihn in so niederträchtiger Weise warten
ließ, und endlich mit sich selbst, weil er sich in die Rolle des schmachtenden Lieb¬
habers versetzt sah, der einem launenhaften Weibe Appetit und Schlaf opfert. Er
hätte am liebsten auf die ganze Freierei gepfiffen und die Bauerndirne, die nach
dem ihr dargebotenen Glück nicht gleich mit beiden Händen griff, mit Verachtung
gestraft, aber dazu war er nicht mehr stark genug, denn die Spannung des Hoffens
und Harrens hatte seine Verliebtheit gewaltig gesteigert.

Er wollte und mußte endlich Gewißheit haben und wenn er auch selbst zu
Merge gehen und die Entscheidung über sein Schicksal mit eigenen Ohren aus
ihrem Munde vernehmen sollte. Vor Ungeduld elend zugrunde zu gehen — dazu
verspürte er nicht die geringste Neigung.

Eines Vormittags bemerkte die Gubernatorin, als sie an der Schlafkammer
des Bruders vorüberkam und einen Blick durch die nur angelehnte Tür warf, wie
Herr Salentin in seinen Garderobevorräten kramte und längere Zeit gedankenvoll
vor ein paar galonnierten Röcken stand, die er über sein Bett gebreitet hatte. Sie
schlich sich weg und machte der Schwester von dem Gesehenen Mitteilung. Beide
waren davon überzeugt, daß sich ein großes Ereignis vorbereite, denn der Bruder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/87>, abgerufen am 03.07.2024.