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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Ivilhelm v, Humboldt

gab sich der Hoffnung hin, es werde ein Zeitpunkt kommen, wo die Sektion
für das Unterrichtswesen ihren Zweck erreicht hätte, wo sie ihr Geschäft gänzlich
in die Hände der Nation zurücklegen könnte. Freilich war es im Anfang seiner
kurzen Amtszeit, daß er, in einem Bericht an den Minister (Mai 1809), dies
aussprach. Ist er nachher zu der Erkenntnis gekommen, daß eine so schöne
Hoffnung unerfüllbar sei? War dies vielleicht der Grund sür seinen frühen
Rücktritt?

Daß es so gewesen sei, säbelnd vorJahren vermutet; aber das seitdem erschlossene
urkundliche Material spricht dagegen. Vor allem die Briefe an seine Frau
geben über Humboldts wirkliche Motive vollständige Auskunft. Er empfand es
bitter, daß er als Chef zweier wichtiger Verwaltungszweige nicht auch die formelle
Selbständigkeit eines Ministers hatte. Wenigstens hatte man ihm Aussicht gemacht,
daß in dem zu gründenden Staatsrate die Vorsteher der Sektionen nicht nur
beratende, sondern gleich den Ministern beschließende Stimme haben sollten.
Als der Entwurf der Organisation Humboldt bekannt wurde, sah er, daß die
Erwartung sich nicht erfüllte; und sofort bat er um feine Entlassung, Ende
April 1810. "Ich hätte gegen alle Gefühle der Ehre gehandelt", so schrieb
er an seine Frau, "wenn ich mich diesen Ministern hätte auf diese Weise unter¬
ordnen wollen. Ich kann jedem von ihnen dreist ins Gesicht sagen, daß es
keinem von ihnen nur einfallen wird, eine innere Geistes- oder Charakter-
superiorität über mich zu behaupten, und wollte es einer, möchte er schwerlich
viele Stimmen für sich haben." -- Der König beantwortete das Abschieds¬
gesuch zunächst gar nicht, behielt sich auch, als es Ende Mai erneuert wurde,
den Entschluß noch vor. Da inzwischen eine allgemeine Ministerkrists eintrat,
so war es nahe daran, daß Humboldt seine Forderung doch noch durchgesetzt
hätte und daß schon damals, was dann erst 1817 geschah, ein besonderes
Ministerium sür Kultus und Unterricht, und zwar unter seiner Leitung, gegründet
worden wäre. Aber der neue Premierminister, Hardenberg, wünschte Humboldt
wieder im auswärtigen Dienste zu verwenden; so erhielt er unterm 14. Juni
seine Ernennung zum Gesandten in Wien.--

In einer Zeit von knapp sechzehn Monaten war eine Fülle schöpferischer
Arbeit geleistet, wovon hier nur die Hauptpunkte hervorgehoben werden konnten.
Und überall haben die von Humboldt gegebenen Direktiven Generationen hin¬
durch fortgewirkt. Dafür war es von größter Bedeutung, daß Johannes Schulze,
der nachher als vortragender Rat Süverns Erbschaft übernahm, aus voller
Überzeugung und mit natürlicher Geistesverwandtschaft das Begonnene weiter
bildete. Aber ist das nun alles zum Segen gediehen? Die Gründung der
Universität, die verständnisvoll freie Gestaltung ihres Verhältnisses zur Akademie,
gewiß. Die Trennung jedoch zwischen Universität und Schule, die dazu dienen
sollte einen geordneten Lehrgang zu sichern, hat tiefer gegriffen, als die Absicht
gewesen sein kann, indem sie zwischen dem letzten Jahre des Primaners und
dem ersten des Studenten eine unnatürliche Kluft befestigte. Allmählich ist das


Ivilhelm v, Humboldt

gab sich der Hoffnung hin, es werde ein Zeitpunkt kommen, wo die Sektion
für das Unterrichtswesen ihren Zweck erreicht hätte, wo sie ihr Geschäft gänzlich
in die Hände der Nation zurücklegen könnte. Freilich war es im Anfang seiner
kurzen Amtszeit, daß er, in einem Bericht an den Minister (Mai 1809), dies
aussprach. Ist er nachher zu der Erkenntnis gekommen, daß eine so schöne
Hoffnung unerfüllbar sei? War dies vielleicht der Grund sür seinen frühen
Rücktritt?

Daß es so gewesen sei, säbelnd vorJahren vermutet; aber das seitdem erschlossene
urkundliche Material spricht dagegen. Vor allem die Briefe an seine Frau
geben über Humboldts wirkliche Motive vollständige Auskunft. Er empfand es
bitter, daß er als Chef zweier wichtiger Verwaltungszweige nicht auch die formelle
Selbständigkeit eines Ministers hatte. Wenigstens hatte man ihm Aussicht gemacht,
daß in dem zu gründenden Staatsrate die Vorsteher der Sektionen nicht nur
beratende, sondern gleich den Ministern beschließende Stimme haben sollten.
Als der Entwurf der Organisation Humboldt bekannt wurde, sah er, daß die
Erwartung sich nicht erfüllte; und sofort bat er um feine Entlassung, Ende
April 1810. „Ich hätte gegen alle Gefühle der Ehre gehandelt", so schrieb
er an seine Frau, „wenn ich mich diesen Ministern hätte auf diese Weise unter¬
ordnen wollen. Ich kann jedem von ihnen dreist ins Gesicht sagen, daß es
keinem von ihnen nur einfallen wird, eine innere Geistes- oder Charakter-
superiorität über mich zu behaupten, und wollte es einer, möchte er schwerlich
viele Stimmen für sich haben." — Der König beantwortete das Abschieds¬
gesuch zunächst gar nicht, behielt sich auch, als es Ende Mai erneuert wurde,
den Entschluß noch vor. Da inzwischen eine allgemeine Ministerkrists eintrat,
so war es nahe daran, daß Humboldt seine Forderung doch noch durchgesetzt
hätte und daß schon damals, was dann erst 1817 geschah, ein besonderes
Ministerium sür Kultus und Unterricht, und zwar unter seiner Leitung, gegründet
worden wäre. Aber der neue Premierminister, Hardenberg, wünschte Humboldt
wieder im auswärtigen Dienste zu verwenden; so erhielt er unterm 14. Juni
seine Ernennung zum Gesandten in Wien.—

In einer Zeit von knapp sechzehn Monaten war eine Fülle schöpferischer
Arbeit geleistet, wovon hier nur die Hauptpunkte hervorgehoben werden konnten.
Und überall haben die von Humboldt gegebenen Direktiven Generationen hin¬
durch fortgewirkt. Dafür war es von größter Bedeutung, daß Johannes Schulze,
der nachher als vortragender Rat Süverns Erbschaft übernahm, aus voller
Überzeugung und mit natürlicher Geistesverwandtschaft das Begonnene weiter
bildete. Aber ist das nun alles zum Segen gediehen? Die Gründung der
Universität, die verständnisvoll freie Gestaltung ihres Verhältnisses zur Akademie,
gewiß. Die Trennung jedoch zwischen Universität und Schule, die dazu dienen
sollte einen geordneten Lehrgang zu sichern, hat tiefer gegriffen, als die Absicht
gewesen sein kann, indem sie zwischen dem letzten Jahre des Primaners und
dem ersten des Studenten eine unnatürliche Kluft befestigte. Allmählich ist das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/74>, abgerufen am 23.07.2024.