Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wilhelm v, Humboldt

nur vorbereitender Arbeit zu entlasten, dem anderen die Möglichkeit des Über¬
greifens in ein höheres Bereich abzuschneiden. Mit Entschiedenheit ist
Humboldt in dieser Richtung weitergegangen. "Eins der größten Gebrechen
unseres Schulwesens ist die Nachlässigkeit bei den Prüfungen der zur Universität
abgehenden jungen Leute," so schrieb er im August 1809 in einem amtlichen
Bericht. Mit Benutzung der Vorarbeiten, die dem Eifer des Ministers v. Massow
verdankt wurden, ging man daran, ein genaueres Reglement für die Prüfung
herzustellen, das dann zwei Jahre nach Humboldts Rücktritt wirklich erlassen
worden ist. Sollte es aber gelingen, im Examen gleichmäßige Forderungen
durchzuführen, so mußte an allen Schulen nach demselben Lehrplan gearbeitet
werden, woran es noch durchaus fehlte. Humboldt ließ auch hierzu die Vor¬
arbeiten machen; auch diese gelangten erst nach seiner Zeit zum Abschluß. Im
Jahre 1816 wurde eine "Anweisung über die Errichtung der öffentlichen all¬
gemeinen Schulen" von feiten des Ministeriums den Provinzialbehörden mit¬
geteilt, nicht als bindende Vorschrift, doch als eine "Richtschnur", der sie so viel
als möglich Geltung verschaffen sollten. Die formelle Redaktion hatte Sttvern
obgelegen, der als vortragender Rat noch lange im Ministerium verblieb;
sachlich darf der allgemeine Lehrplan den Denkmälern der Humboldtschen Amts¬
führung zugerechnet werden.

Die dritte große organisatorische Maßregel hat er noch selbst hinausgehen
lassen, das "Edikt wegen Prüfung der Kandidaten des höheren Schulamtes",
1810. Dadurch ist Humboldt der Schöpfer des höheren Lehrerstandes geworden,
und mit vollem Bewußtsein. Denn als das Bedenken erhoben worden war,
daß die staatliche Aufsicht über die Besetzung der Lehrerstellen, wozu ja das
Examen pro facultate cZoeenäi die Handhabe bieten sollte, zu einem "Zunft¬
zwange" führen würde, knüpfte Humboldt eben hieran sein eigenes Votum: Es
wird vielmehr ein Geist entstehen, "der, ohne Zunftgeist zu sein, eine feste und
sicher zum gemeinschaftlichen Ziele hinstrebende Richtung hat. Es entsteht eine
pädagogische Schule und eine pädagogische Genossenschaft, und wenn es wichtig
ist, durch Zwang bewirkte Einheit der Ansicht zu verhüten, so ist es ebenso
wichtig, durch eine gewisse Gemeinschaft (die nie ohne eine Absonderung des
nicht zu ihr Gehörenden denkbar ist) eine Kraft und einen Enthusiasmus hervor¬
zubringen, welche dem einzelnen und zerstreuten Wirken immer fehlen."

Auch hier erkennen wir den eindringenden Blick für das Wesentliche und
Lebendige, ja etwas wie einen prophetischen Blick, der das Ziel einer eingeleiteten
Entwicklung im voraus schaut. Und dabei bewegte sich Humboldt hier auf
einem Gebiete, das ihm ursprünglich vollkommen fremd war. Als er die Ver¬
waltung des preußischen Unterrichtswesens übernahm, hatte er noch nie eine
Schule gesehen, nicht nur als Lehrer oder als Aufsichtsbeamter, sondern auch
nicht als Schüler. Daß ihm damit etwas mangelte, wußte er nun doch und
war bemüht, sich von Zuständen und Vorgängen eine Anschauung noch zu ver¬
schaffen. In Königsberg, wo während der ersten, größeren Hälfte seiner


Wilhelm v, Humboldt

nur vorbereitender Arbeit zu entlasten, dem anderen die Möglichkeit des Über¬
greifens in ein höheres Bereich abzuschneiden. Mit Entschiedenheit ist
Humboldt in dieser Richtung weitergegangen. „Eins der größten Gebrechen
unseres Schulwesens ist die Nachlässigkeit bei den Prüfungen der zur Universität
abgehenden jungen Leute," so schrieb er im August 1809 in einem amtlichen
Bericht. Mit Benutzung der Vorarbeiten, die dem Eifer des Ministers v. Massow
verdankt wurden, ging man daran, ein genaueres Reglement für die Prüfung
herzustellen, das dann zwei Jahre nach Humboldts Rücktritt wirklich erlassen
worden ist. Sollte es aber gelingen, im Examen gleichmäßige Forderungen
durchzuführen, so mußte an allen Schulen nach demselben Lehrplan gearbeitet
werden, woran es noch durchaus fehlte. Humboldt ließ auch hierzu die Vor¬
arbeiten machen; auch diese gelangten erst nach seiner Zeit zum Abschluß. Im
Jahre 1816 wurde eine „Anweisung über die Errichtung der öffentlichen all¬
gemeinen Schulen" von feiten des Ministeriums den Provinzialbehörden mit¬
geteilt, nicht als bindende Vorschrift, doch als eine „Richtschnur", der sie so viel
als möglich Geltung verschaffen sollten. Die formelle Redaktion hatte Sttvern
obgelegen, der als vortragender Rat noch lange im Ministerium verblieb;
sachlich darf der allgemeine Lehrplan den Denkmälern der Humboldtschen Amts¬
führung zugerechnet werden.

Die dritte große organisatorische Maßregel hat er noch selbst hinausgehen
lassen, das „Edikt wegen Prüfung der Kandidaten des höheren Schulamtes",
1810. Dadurch ist Humboldt der Schöpfer des höheren Lehrerstandes geworden,
und mit vollem Bewußtsein. Denn als das Bedenken erhoben worden war,
daß die staatliche Aufsicht über die Besetzung der Lehrerstellen, wozu ja das
Examen pro facultate cZoeenäi die Handhabe bieten sollte, zu einem „Zunft¬
zwange" führen würde, knüpfte Humboldt eben hieran sein eigenes Votum: Es
wird vielmehr ein Geist entstehen, „der, ohne Zunftgeist zu sein, eine feste und
sicher zum gemeinschaftlichen Ziele hinstrebende Richtung hat. Es entsteht eine
pädagogische Schule und eine pädagogische Genossenschaft, und wenn es wichtig
ist, durch Zwang bewirkte Einheit der Ansicht zu verhüten, so ist es ebenso
wichtig, durch eine gewisse Gemeinschaft (die nie ohne eine Absonderung des
nicht zu ihr Gehörenden denkbar ist) eine Kraft und einen Enthusiasmus hervor¬
zubringen, welche dem einzelnen und zerstreuten Wirken immer fehlen."

Auch hier erkennen wir den eindringenden Blick für das Wesentliche und
Lebendige, ja etwas wie einen prophetischen Blick, der das Ziel einer eingeleiteten
Entwicklung im voraus schaut. Und dabei bewegte sich Humboldt hier auf
einem Gebiete, das ihm ursprünglich vollkommen fremd war. Als er die Ver¬
waltung des preußischen Unterrichtswesens übernahm, hatte er noch nie eine
Schule gesehen, nicht nur als Lehrer oder als Aufsichtsbeamter, sondern auch
nicht als Schüler. Daß ihm damit etwas mangelte, wußte er nun doch und
war bemüht, sich von Zuständen und Vorgängen eine Anschauung noch zu ver¬
schaffen. In Königsberg, wo während der ersten, größeren Hälfte seiner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319673"/>
            <fw type="header" place="top"> Wilhelm v, Humboldt</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_244" prev="#ID_243"> nur vorbereitender Arbeit zu entlasten, dem anderen die Möglichkeit des Über¬<lb/>
greifens in ein höheres Bereich abzuschneiden. Mit Entschiedenheit ist<lb/>
Humboldt in dieser Richtung weitergegangen. &#x201E;Eins der größten Gebrechen<lb/>
unseres Schulwesens ist die Nachlässigkeit bei den Prüfungen der zur Universität<lb/>
abgehenden jungen Leute," so schrieb er im August 1809 in einem amtlichen<lb/>
Bericht. Mit Benutzung der Vorarbeiten, die dem Eifer des Ministers v. Massow<lb/>
verdankt wurden, ging man daran, ein genaueres Reglement für die Prüfung<lb/>
herzustellen, das dann zwei Jahre nach Humboldts Rücktritt wirklich erlassen<lb/>
worden ist. Sollte es aber gelingen, im Examen gleichmäßige Forderungen<lb/>
durchzuführen, so mußte an allen Schulen nach demselben Lehrplan gearbeitet<lb/>
werden, woran es noch durchaus fehlte. Humboldt ließ auch hierzu die Vor¬<lb/>
arbeiten machen; auch diese gelangten erst nach seiner Zeit zum Abschluß. Im<lb/>
Jahre 1816 wurde eine &#x201E;Anweisung über die Errichtung der öffentlichen all¬<lb/>
gemeinen Schulen" von feiten des Ministeriums den Provinzialbehörden mit¬<lb/>
geteilt, nicht als bindende Vorschrift, doch als eine &#x201E;Richtschnur", der sie so viel<lb/>
als möglich Geltung verschaffen sollten. Die formelle Redaktion hatte Sttvern<lb/>
obgelegen, der als vortragender Rat noch lange im Ministerium verblieb;<lb/>
sachlich darf der allgemeine Lehrplan den Denkmälern der Humboldtschen Amts¬<lb/>
führung zugerechnet werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_245"> Die dritte große organisatorische Maßregel hat er noch selbst hinausgehen<lb/>
lassen, das &#x201E;Edikt wegen Prüfung der Kandidaten des höheren Schulamtes",<lb/>
1810. Dadurch ist Humboldt der Schöpfer des höheren Lehrerstandes geworden,<lb/>
und mit vollem Bewußtsein. Denn als das Bedenken erhoben worden war,<lb/>
daß die staatliche Aufsicht über die Besetzung der Lehrerstellen, wozu ja das<lb/>
Examen pro facultate cZoeenäi die Handhabe bieten sollte, zu einem &#x201E;Zunft¬<lb/>
zwange" führen würde, knüpfte Humboldt eben hieran sein eigenes Votum: Es<lb/>
wird vielmehr ein Geist entstehen, &#x201E;der, ohne Zunftgeist zu sein, eine feste und<lb/>
sicher zum gemeinschaftlichen Ziele hinstrebende Richtung hat. Es entsteht eine<lb/>
pädagogische Schule und eine pädagogische Genossenschaft, und wenn es wichtig<lb/>
ist, durch Zwang bewirkte Einheit der Ansicht zu verhüten, so ist es ebenso<lb/>
wichtig, durch eine gewisse Gemeinschaft (die nie ohne eine Absonderung des<lb/>
nicht zu ihr Gehörenden denkbar ist) eine Kraft und einen Enthusiasmus hervor¬<lb/>
zubringen, welche dem einzelnen und zerstreuten Wirken immer fehlen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_246" next="#ID_247"> Auch hier erkennen wir den eindringenden Blick für das Wesentliche und<lb/>
Lebendige, ja etwas wie einen prophetischen Blick, der das Ziel einer eingeleiteten<lb/>
Entwicklung im voraus schaut. Und dabei bewegte sich Humboldt hier auf<lb/>
einem Gebiete, das ihm ursprünglich vollkommen fremd war. Als er die Ver¬<lb/>
waltung des preußischen Unterrichtswesens übernahm, hatte er noch nie eine<lb/>
Schule gesehen, nicht nur als Lehrer oder als Aufsichtsbeamter, sondern auch<lb/>
nicht als Schüler. Daß ihm damit etwas mangelte, wußte er nun doch und<lb/>
war bemüht, sich von Zuständen und Vorgängen eine Anschauung noch zu ver¬<lb/>
schaffen. In Königsberg, wo während der ersten, größeren Hälfte seiner</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0072] Wilhelm v, Humboldt nur vorbereitender Arbeit zu entlasten, dem anderen die Möglichkeit des Über¬ greifens in ein höheres Bereich abzuschneiden. Mit Entschiedenheit ist Humboldt in dieser Richtung weitergegangen. „Eins der größten Gebrechen unseres Schulwesens ist die Nachlässigkeit bei den Prüfungen der zur Universität abgehenden jungen Leute," so schrieb er im August 1809 in einem amtlichen Bericht. Mit Benutzung der Vorarbeiten, die dem Eifer des Ministers v. Massow verdankt wurden, ging man daran, ein genaueres Reglement für die Prüfung herzustellen, das dann zwei Jahre nach Humboldts Rücktritt wirklich erlassen worden ist. Sollte es aber gelingen, im Examen gleichmäßige Forderungen durchzuführen, so mußte an allen Schulen nach demselben Lehrplan gearbeitet werden, woran es noch durchaus fehlte. Humboldt ließ auch hierzu die Vor¬ arbeiten machen; auch diese gelangten erst nach seiner Zeit zum Abschluß. Im Jahre 1816 wurde eine „Anweisung über die Errichtung der öffentlichen all¬ gemeinen Schulen" von feiten des Ministeriums den Provinzialbehörden mit¬ geteilt, nicht als bindende Vorschrift, doch als eine „Richtschnur", der sie so viel als möglich Geltung verschaffen sollten. Die formelle Redaktion hatte Sttvern obgelegen, der als vortragender Rat noch lange im Ministerium verblieb; sachlich darf der allgemeine Lehrplan den Denkmälern der Humboldtschen Amts¬ führung zugerechnet werden. Die dritte große organisatorische Maßregel hat er noch selbst hinausgehen lassen, das „Edikt wegen Prüfung der Kandidaten des höheren Schulamtes", 1810. Dadurch ist Humboldt der Schöpfer des höheren Lehrerstandes geworden, und mit vollem Bewußtsein. Denn als das Bedenken erhoben worden war, daß die staatliche Aufsicht über die Besetzung der Lehrerstellen, wozu ja das Examen pro facultate cZoeenäi die Handhabe bieten sollte, zu einem „Zunft¬ zwange" führen würde, knüpfte Humboldt eben hieran sein eigenes Votum: Es wird vielmehr ein Geist entstehen, „der, ohne Zunftgeist zu sein, eine feste und sicher zum gemeinschaftlichen Ziele hinstrebende Richtung hat. Es entsteht eine pädagogische Schule und eine pädagogische Genossenschaft, und wenn es wichtig ist, durch Zwang bewirkte Einheit der Ansicht zu verhüten, so ist es ebenso wichtig, durch eine gewisse Gemeinschaft (die nie ohne eine Absonderung des nicht zu ihr Gehörenden denkbar ist) eine Kraft und einen Enthusiasmus hervor¬ zubringen, welche dem einzelnen und zerstreuten Wirken immer fehlen." Auch hier erkennen wir den eindringenden Blick für das Wesentliche und Lebendige, ja etwas wie einen prophetischen Blick, der das Ziel einer eingeleiteten Entwicklung im voraus schaut. Und dabei bewegte sich Humboldt hier auf einem Gebiete, das ihm ursprünglich vollkommen fremd war. Als er die Ver¬ waltung des preußischen Unterrichtswesens übernahm, hatte er noch nie eine Schule gesehen, nicht nur als Lehrer oder als Aufsichtsbeamter, sondern auch nicht als Schüler. Daß ihm damit etwas mangelte, wußte er nun doch und war bemüht, sich von Zuständen und Vorgängen eine Anschauung noch zu ver¬ schaffen. In Königsberg, wo während der ersten, größeren Hälfte seiner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/72
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/72>, abgerufen am 23.07.2024.