Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wilhelm v. Humboldt

schaffen wußte, wie er im einzelnen die Berufungsverhandlungen führte. Vor
allem aber: wäre Humboldt, der Staatsmann, nicht zugleich ein Mann der
Wissenschaft gewesen, so wäre es ihm nicht gelungen, Hausbackenheit auf der
einen Seite, Verstiegenheit auf der anderen von gewaltsamer Neugründung
zurückzuhalten. Denn die Universitäten des achtzehnten Jahrhunderts schienen
sich wirklich überlebt zu haben; ihr Verfahren, Lehrbücher zu erklären und Hefte
zu diktieren, forderte den Spott heraus. Was uns heute als selbstverständlich
und als der eigentliche Charakter der Universitäten erscheint, die Verbindung
von Unterricht und Forschung, ist damals geschaffen worden. Nachträglich ist
es ja leicht, zu sagen: es kam darauf an, überlieferte Formen zu bewahren
und mit neuem, lebendigem Inhalte zu füllen. Daß dies an der frisch erstehen¬
den Hochschule in der preußischen Hauptstadt wirklich geschah, war doch eine
gewaltige Leistung.

Auch Humboldt hatte nicht auf den ersten Blick die Richtung gefunden,
die er einschlagen wollte; in den Denkschriften der Jahre 1809 und 1810 läßt
sich eine Entwicklung seiner Ansichten erkennen. Anfangs war er geneigt, die
Aufgaben der Universität von denen der Akademie scharf zu scheiden, so daß
die eine zur Erweiterung, die andere zur Verbreitung der Wissenschaften bestimmt
wäre. Je tiefer er nachdachte, desto mehr erkannte er, daß hier eine Grenze
zu ziehen unnatürlich sein würde, daß es zum Wesen aller wissenschaftlichen
Anstalten gehöre, "die Wissenschaft als etwas noch nicht ganz Gefundenes und
nie ganz Aufzufindendes zu betrachten und unablässig sie als solche zu suchen" --
auch an den Universitäten, ja hier unter besonders günstigen Umständen. "Denn
der freie mündliche Vortrag vor Zuhörern, unter denen doch immer eine
bedeutende Zahl selbst-mitdenkender Köpfe ist, feuert denjenigen, der einmal
an diese Art des Studiums gewöhnt ist, sicherlich ebenso sehr an, als die ein¬
same Muße des Schriftstellerlebens oder die lose Verbindung einer akademischen
Genossenschaft. Die Wissenschaft läßt sich als Wissenschaft nicht wahrhaft vor¬
tragen, ohne sie jedesmal wieder selbsttätig aufzufassen, und es wäre unbegreiflich,
wenn man nicht hier, sogar oft, auf Entdeckungen stoßen sollte". -- Es war
doch wohl kein ganz unpraktischer Mann, der vor hundert Jahren so schreiben
konnte. Damit waren, aus Anlaß der Neuschöpfung in Berlin, die grund¬
legenden Kräfte bezeichnet; aus ihnen ist der Segen erwachsen, den seitdem die
deutschen Universitäten dem Geistesleben der Nation gebracht haben. Es will
mir scheinen, als sei der Dank hierfür in der Jubelfeier des vorigen Jahres
doch nicht fo klar zum Ausdrucke gekommen, wie er verdient war.

Während Humboldt hier die Verwandtschaft und die inneren Beziehungen
äußerlich getrennter Institute zu würdigen wußte und zu schützen vermocht hat,
ist er an einer anderen Stelle bestrebt gewesen, die vor kurzem errichtete Schranke
stärker zu befestigen. Das im Jahre 1789 zuerst eingeführte Abiturientenexamen
hatte den ausgesprochenen Zweck, zwischen Universität und Gymnasium die bis
dahin vielfach gemeinsamen Aufgaben klar zu verteilen, die eine von elementarer,


Wilhelm v. Humboldt

schaffen wußte, wie er im einzelnen die Berufungsverhandlungen führte. Vor
allem aber: wäre Humboldt, der Staatsmann, nicht zugleich ein Mann der
Wissenschaft gewesen, so wäre es ihm nicht gelungen, Hausbackenheit auf der
einen Seite, Verstiegenheit auf der anderen von gewaltsamer Neugründung
zurückzuhalten. Denn die Universitäten des achtzehnten Jahrhunderts schienen
sich wirklich überlebt zu haben; ihr Verfahren, Lehrbücher zu erklären und Hefte
zu diktieren, forderte den Spott heraus. Was uns heute als selbstverständlich
und als der eigentliche Charakter der Universitäten erscheint, die Verbindung
von Unterricht und Forschung, ist damals geschaffen worden. Nachträglich ist
es ja leicht, zu sagen: es kam darauf an, überlieferte Formen zu bewahren
und mit neuem, lebendigem Inhalte zu füllen. Daß dies an der frisch erstehen¬
den Hochschule in der preußischen Hauptstadt wirklich geschah, war doch eine
gewaltige Leistung.

Auch Humboldt hatte nicht auf den ersten Blick die Richtung gefunden,
die er einschlagen wollte; in den Denkschriften der Jahre 1809 und 1810 läßt
sich eine Entwicklung seiner Ansichten erkennen. Anfangs war er geneigt, die
Aufgaben der Universität von denen der Akademie scharf zu scheiden, so daß
die eine zur Erweiterung, die andere zur Verbreitung der Wissenschaften bestimmt
wäre. Je tiefer er nachdachte, desto mehr erkannte er, daß hier eine Grenze
zu ziehen unnatürlich sein würde, daß es zum Wesen aller wissenschaftlichen
Anstalten gehöre, „die Wissenschaft als etwas noch nicht ganz Gefundenes und
nie ganz Aufzufindendes zu betrachten und unablässig sie als solche zu suchen" —
auch an den Universitäten, ja hier unter besonders günstigen Umständen. „Denn
der freie mündliche Vortrag vor Zuhörern, unter denen doch immer eine
bedeutende Zahl selbst-mitdenkender Köpfe ist, feuert denjenigen, der einmal
an diese Art des Studiums gewöhnt ist, sicherlich ebenso sehr an, als die ein¬
same Muße des Schriftstellerlebens oder die lose Verbindung einer akademischen
Genossenschaft. Die Wissenschaft läßt sich als Wissenschaft nicht wahrhaft vor¬
tragen, ohne sie jedesmal wieder selbsttätig aufzufassen, und es wäre unbegreiflich,
wenn man nicht hier, sogar oft, auf Entdeckungen stoßen sollte". — Es war
doch wohl kein ganz unpraktischer Mann, der vor hundert Jahren so schreiben
konnte. Damit waren, aus Anlaß der Neuschöpfung in Berlin, die grund¬
legenden Kräfte bezeichnet; aus ihnen ist der Segen erwachsen, den seitdem die
deutschen Universitäten dem Geistesleben der Nation gebracht haben. Es will
mir scheinen, als sei der Dank hierfür in der Jubelfeier des vorigen Jahres
doch nicht fo klar zum Ausdrucke gekommen, wie er verdient war.

Während Humboldt hier die Verwandtschaft und die inneren Beziehungen
äußerlich getrennter Institute zu würdigen wußte und zu schützen vermocht hat,
ist er an einer anderen Stelle bestrebt gewesen, die vor kurzem errichtete Schranke
stärker zu befestigen. Das im Jahre 1789 zuerst eingeführte Abiturientenexamen
hatte den ausgesprochenen Zweck, zwischen Universität und Gymnasium die bis
dahin vielfach gemeinsamen Aufgaben klar zu verteilen, die eine von elementarer,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0071" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319672"/>
            <fw type="header" place="top"> Wilhelm v. Humboldt</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_241" prev="#ID_240"> schaffen wußte, wie er im einzelnen die Berufungsverhandlungen führte. Vor<lb/>
allem aber: wäre Humboldt, der Staatsmann, nicht zugleich ein Mann der<lb/>
Wissenschaft gewesen, so wäre es ihm nicht gelungen, Hausbackenheit auf der<lb/>
einen Seite, Verstiegenheit auf der anderen von gewaltsamer Neugründung<lb/>
zurückzuhalten. Denn die Universitäten des achtzehnten Jahrhunderts schienen<lb/>
sich wirklich überlebt zu haben; ihr Verfahren, Lehrbücher zu erklären und Hefte<lb/>
zu diktieren, forderte den Spott heraus. Was uns heute als selbstverständlich<lb/>
und als der eigentliche Charakter der Universitäten erscheint, die Verbindung<lb/>
von Unterricht und Forschung, ist damals geschaffen worden. Nachträglich ist<lb/>
es ja leicht, zu sagen: es kam darauf an, überlieferte Formen zu bewahren<lb/>
und mit neuem, lebendigem Inhalte zu füllen. Daß dies an der frisch erstehen¬<lb/>
den Hochschule in der preußischen Hauptstadt wirklich geschah, war doch eine<lb/>
gewaltige Leistung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_242"> Auch Humboldt hatte nicht auf den ersten Blick die Richtung gefunden,<lb/>
die er einschlagen wollte; in den Denkschriften der Jahre 1809 und 1810 läßt<lb/>
sich eine Entwicklung seiner Ansichten erkennen. Anfangs war er geneigt, die<lb/>
Aufgaben der Universität von denen der Akademie scharf zu scheiden, so daß<lb/>
die eine zur Erweiterung, die andere zur Verbreitung der Wissenschaften bestimmt<lb/>
wäre. Je tiefer er nachdachte, desto mehr erkannte er, daß hier eine Grenze<lb/>
zu ziehen unnatürlich sein würde, daß es zum Wesen aller wissenschaftlichen<lb/>
Anstalten gehöre, &#x201E;die Wissenschaft als etwas noch nicht ganz Gefundenes und<lb/>
nie ganz Aufzufindendes zu betrachten und unablässig sie als solche zu suchen" &#x2014;<lb/>
auch an den Universitäten, ja hier unter besonders günstigen Umständen. &#x201E;Denn<lb/>
der freie mündliche Vortrag vor Zuhörern, unter denen doch immer eine<lb/>
bedeutende Zahl selbst-mitdenkender Köpfe ist, feuert denjenigen, der einmal<lb/>
an diese Art des Studiums gewöhnt ist, sicherlich ebenso sehr an, als die ein¬<lb/>
same Muße des Schriftstellerlebens oder die lose Verbindung einer akademischen<lb/>
Genossenschaft. Die Wissenschaft läßt sich als Wissenschaft nicht wahrhaft vor¬<lb/>
tragen, ohne sie jedesmal wieder selbsttätig aufzufassen, und es wäre unbegreiflich,<lb/>
wenn man nicht hier, sogar oft, auf Entdeckungen stoßen sollte". &#x2014; Es war<lb/>
doch wohl kein ganz unpraktischer Mann, der vor hundert Jahren so schreiben<lb/>
konnte. Damit waren, aus Anlaß der Neuschöpfung in Berlin, die grund¬<lb/>
legenden Kräfte bezeichnet; aus ihnen ist der Segen erwachsen, den seitdem die<lb/>
deutschen Universitäten dem Geistesleben der Nation gebracht haben. Es will<lb/>
mir scheinen, als sei der Dank hierfür in der Jubelfeier des vorigen Jahres<lb/>
doch nicht fo klar zum Ausdrucke gekommen, wie er verdient war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_243" next="#ID_244"> Während Humboldt hier die Verwandtschaft und die inneren Beziehungen<lb/>
äußerlich getrennter Institute zu würdigen wußte und zu schützen vermocht hat,<lb/>
ist er an einer anderen Stelle bestrebt gewesen, die vor kurzem errichtete Schranke<lb/>
stärker zu befestigen. Das im Jahre 1789 zuerst eingeführte Abiturientenexamen<lb/>
hatte den ausgesprochenen Zweck, zwischen Universität und Gymnasium die bis<lb/>
dahin vielfach gemeinsamen Aufgaben klar zu verteilen, die eine von elementarer,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0071] Wilhelm v. Humboldt schaffen wußte, wie er im einzelnen die Berufungsverhandlungen führte. Vor allem aber: wäre Humboldt, der Staatsmann, nicht zugleich ein Mann der Wissenschaft gewesen, so wäre es ihm nicht gelungen, Hausbackenheit auf der einen Seite, Verstiegenheit auf der anderen von gewaltsamer Neugründung zurückzuhalten. Denn die Universitäten des achtzehnten Jahrhunderts schienen sich wirklich überlebt zu haben; ihr Verfahren, Lehrbücher zu erklären und Hefte zu diktieren, forderte den Spott heraus. Was uns heute als selbstverständlich und als der eigentliche Charakter der Universitäten erscheint, die Verbindung von Unterricht und Forschung, ist damals geschaffen worden. Nachträglich ist es ja leicht, zu sagen: es kam darauf an, überlieferte Formen zu bewahren und mit neuem, lebendigem Inhalte zu füllen. Daß dies an der frisch erstehen¬ den Hochschule in der preußischen Hauptstadt wirklich geschah, war doch eine gewaltige Leistung. Auch Humboldt hatte nicht auf den ersten Blick die Richtung gefunden, die er einschlagen wollte; in den Denkschriften der Jahre 1809 und 1810 läßt sich eine Entwicklung seiner Ansichten erkennen. Anfangs war er geneigt, die Aufgaben der Universität von denen der Akademie scharf zu scheiden, so daß die eine zur Erweiterung, die andere zur Verbreitung der Wissenschaften bestimmt wäre. Je tiefer er nachdachte, desto mehr erkannte er, daß hier eine Grenze zu ziehen unnatürlich sein würde, daß es zum Wesen aller wissenschaftlichen Anstalten gehöre, „die Wissenschaft als etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes zu betrachten und unablässig sie als solche zu suchen" — auch an den Universitäten, ja hier unter besonders günstigen Umständen. „Denn der freie mündliche Vortrag vor Zuhörern, unter denen doch immer eine bedeutende Zahl selbst-mitdenkender Köpfe ist, feuert denjenigen, der einmal an diese Art des Studiums gewöhnt ist, sicherlich ebenso sehr an, als die ein¬ same Muße des Schriftstellerlebens oder die lose Verbindung einer akademischen Genossenschaft. Die Wissenschaft läßt sich als Wissenschaft nicht wahrhaft vor¬ tragen, ohne sie jedesmal wieder selbsttätig aufzufassen, und es wäre unbegreiflich, wenn man nicht hier, sogar oft, auf Entdeckungen stoßen sollte". — Es war doch wohl kein ganz unpraktischer Mann, der vor hundert Jahren so schreiben konnte. Damit waren, aus Anlaß der Neuschöpfung in Berlin, die grund¬ legenden Kräfte bezeichnet; aus ihnen ist der Segen erwachsen, den seitdem die deutschen Universitäten dem Geistesleben der Nation gebracht haben. Es will mir scheinen, als sei der Dank hierfür in der Jubelfeier des vorigen Jahres doch nicht fo klar zum Ausdrucke gekommen, wie er verdient war. Während Humboldt hier die Verwandtschaft und die inneren Beziehungen äußerlich getrennter Institute zu würdigen wußte und zu schützen vermocht hat, ist er an einer anderen Stelle bestrebt gewesen, die vor kurzem errichtete Schranke stärker zu befestigen. Das im Jahre 1789 zuerst eingeführte Abiturientenexamen hatte den ausgesprochenen Zweck, zwischen Universität und Gymnasium die bis dahin vielfach gemeinsamen Aufgaben klar zu verteilen, die eine von elementarer,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/71
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/71>, abgerufen am 23.07.2024.