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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Wilhelm v, Humboldt

Vorschlag, der einen starken Zug zum Handwerksmäßigen hatte, beruhte auf
einer geringen Meinung von dem, was die Universitäten wirklich leisteten,
und die ungünstige Meinung war wohl nicht ganz unbegründet. Jedenfalls
wurde sie von einem Manne geteilt, der das Gegenteil eines Banausen
war: Fichte. Das Geschäft der Universitäten, so führte er im Jahre 1807 in
einer Denkschrift aus, sei seit Erfindung des Buchdruckes nur dieses: "das
gesamte Buchwesen noch einmal zu setzen und ebendasselbe, was schon gedruckt
vor jedermanns Augen liegt, auch noch durch Professoren rezitieren zu lassen."
Deshalb verlangte er eine ganz neue Veranstaltung zu gemeinsamer Arbeit
von Lehrern und Lernenden, eine "Kunstschule des wissenschaftlichen Verstandes¬
gebrauches", mit eigens dazu erfundenen Formen und Abstufungen. Gegen
diese künstliche Konstruktion wandte sich, schriftlich wie in mündlicher Beratung,
Schleiermacher; und für dessen Ansicht entschied Humboldt. "Man beruft
eben tüchtige Männer und läßt das Ganze allmählich sich ankandieren", so
lautete sein Beschluß. Humboldt war selbst ein Denker und Forscher und brachte
wie etwas Selbstverständliches die Einsicht mit, daß die ihrer Natur nach freieste
geistige Tätigkeit in der Einengung durch festumschriebene Aufgaben und Befug¬
nisse nicht gedeihen kann. Dabei war er fern von bequemem Gehenlassen. Je
mehr Vertrauen dem einmal Berufenen gewährt werden sollte, um so strengere
Vorsicht schien ihm bei der Auswahl geboten. Er erklärte geradezu: die Er¬
nennung der Universitätslehrer müsse dem Staat ausschließlich vorbehalten bleiben;
denn Antagonismus und Reibung zwischen den Professoren, an sich heilsam und
notwendig, würden in dieser Beziehung nur störend wirken und unwillkürlich
den Gesichtspunkt verrücken.

Das schrieb derselbe Mann, der achtzehn Jahre vorher so zuversichtlich
den: Staate jede positive Einwirkung auf das Bildungswesen abgesprochen hatte!
Doch die alte Überzeugung war in ihm noch nicht erstorben. In eben der
Denkschrift (von 1810), der die angeführte Forderung entnommen ist, schärft
er dem Staate die Pflicht ein, sich stets bewußt zu bleiben, daß er auf dem
Gebiete des höheren Bildungswesens eigentlich "immer hinderlich sei, sobald er
sich hineinmische, daß es an sich ohne ihn unendlich besser gehen würde". Seine
Mitwirkung sei nur ein notwendiges Übel. "Nicht etwa bloß die Art, wie er
die äußeren Formen und Mittel beschafft, kann dem Wesen der Sache schädlich
werden, sondern der Umstand selbst, daß es überhaupt solche äußeren Formen
für etwas ganz Fremdes gibt, wirkt immer notwendig nachteilig ein und zieht
das Geistige und Hohe in die materielle und niedrige Wirklichkeit herab. Daher
muß der Staat nur darum vorzüglich wieder das innere Wesen vor Augen
haben, um gut zu machen, was er selbst, wenngleich ohne seine Schuld, ver¬
dirbt oder gehindert hat".

Sonderbarer Schwärmer! mag man sagen; der Erfolg hat ihn doch gerecht¬
fertigt. Mit seiner vornehmen Gesinnung verband sich praktischer Sinn; das
bewährte sich in der Art, wie er die Geldmittel für das große Werk zu be-


Wilhelm v, Humboldt

Vorschlag, der einen starken Zug zum Handwerksmäßigen hatte, beruhte auf
einer geringen Meinung von dem, was die Universitäten wirklich leisteten,
und die ungünstige Meinung war wohl nicht ganz unbegründet. Jedenfalls
wurde sie von einem Manne geteilt, der das Gegenteil eines Banausen
war: Fichte. Das Geschäft der Universitäten, so führte er im Jahre 1807 in
einer Denkschrift aus, sei seit Erfindung des Buchdruckes nur dieses: „das
gesamte Buchwesen noch einmal zu setzen und ebendasselbe, was schon gedruckt
vor jedermanns Augen liegt, auch noch durch Professoren rezitieren zu lassen."
Deshalb verlangte er eine ganz neue Veranstaltung zu gemeinsamer Arbeit
von Lehrern und Lernenden, eine „Kunstschule des wissenschaftlichen Verstandes¬
gebrauches", mit eigens dazu erfundenen Formen und Abstufungen. Gegen
diese künstliche Konstruktion wandte sich, schriftlich wie in mündlicher Beratung,
Schleiermacher; und für dessen Ansicht entschied Humboldt. „Man beruft
eben tüchtige Männer und läßt das Ganze allmählich sich ankandieren", so
lautete sein Beschluß. Humboldt war selbst ein Denker und Forscher und brachte
wie etwas Selbstverständliches die Einsicht mit, daß die ihrer Natur nach freieste
geistige Tätigkeit in der Einengung durch festumschriebene Aufgaben und Befug¬
nisse nicht gedeihen kann. Dabei war er fern von bequemem Gehenlassen. Je
mehr Vertrauen dem einmal Berufenen gewährt werden sollte, um so strengere
Vorsicht schien ihm bei der Auswahl geboten. Er erklärte geradezu: die Er¬
nennung der Universitätslehrer müsse dem Staat ausschließlich vorbehalten bleiben;
denn Antagonismus und Reibung zwischen den Professoren, an sich heilsam und
notwendig, würden in dieser Beziehung nur störend wirken und unwillkürlich
den Gesichtspunkt verrücken.

Das schrieb derselbe Mann, der achtzehn Jahre vorher so zuversichtlich
den: Staate jede positive Einwirkung auf das Bildungswesen abgesprochen hatte!
Doch die alte Überzeugung war in ihm noch nicht erstorben. In eben der
Denkschrift (von 1810), der die angeführte Forderung entnommen ist, schärft
er dem Staate die Pflicht ein, sich stets bewußt zu bleiben, daß er auf dem
Gebiete des höheren Bildungswesens eigentlich „immer hinderlich sei, sobald er
sich hineinmische, daß es an sich ohne ihn unendlich besser gehen würde". Seine
Mitwirkung sei nur ein notwendiges Übel. „Nicht etwa bloß die Art, wie er
die äußeren Formen und Mittel beschafft, kann dem Wesen der Sache schädlich
werden, sondern der Umstand selbst, daß es überhaupt solche äußeren Formen
für etwas ganz Fremdes gibt, wirkt immer notwendig nachteilig ein und zieht
das Geistige und Hohe in die materielle und niedrige Wirklichkeit herab. Daher
muß der Staat nur darum vorzüglich wieder das innere Wesen vor Augen
haben, um gut zu machen, was er selbst, wenngleich ohne seine Schuld, ver¬
dirbt oder gehindert hat".

Sonderbarer Schwärmer! mag man sagen; der Erfolg hat ihn doch gerecht¬
fertigt. Mit seiner vornehmen Gesinnung verband sich praktischer Sinn; das
bewährte sich in der Art, wie er die Geldmittel für das große Werk zu be-


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[0070] Wilhelm v, Humboldt Vorschlag, der einen starken Zug zum Handwerksmäßigen hatte, beruhte auf einer geringen Meinung von dem, was die Universitäten wirklich leisteten, und die ungünstige Meinung war wohl nicht ganz unbegründet. Jedenfalls wurde sie von einem Manne geteilt, der das Gegenteil eines Banausen war: Fichte. Das Geschäft der Universitäten, so führte er im Jahre 1807 in einer Denkschrift aus, sei seit Erfindung des Buchdruckes nur dieses: „das gesamte Buchwesen noch einmal zu setzen und ebendasselbe, was schon gedruckt vor jedermanns Augen liegt, auch noch durch Professoren rezitieren zu lassen." Deshalb verlangte er eine ganz neue Veranstaltung zu gemeinsamer Arbeit von Lehrern und Lernenden, eine „Kunstschule des wissenschaftlichen Verstandes¬ gebrauches", mit eigens dazu erfundenen Formen und Abstufungen. Gegen diese künstliche Konstruktion wandte sich, schriftlich wie in mündlicher Beratung, Schleiermacher; und für dessen Ansicht entschied Humboldt. „Man beruft eben tüchtige Männer und läßt das Ganze allmählich sich ankandieren", so lautete sein Beschluß. Humboldt war selbst ein Denker und Forscher und brachte wie etwas Selbstverständliches die Einsicht mit, daß die ihrer Natur nach freieste geistige Tätigkeit in der Einengung durch festumschriebene Aufgaben und Befug¬ nisse nicht gedeihen kann. Dabei war er fern von bequemem Gehenlassen. Je mehr Vertrauen dem einmal Berufenen gewährt werden sollte, um so strengere Vorsicht schien ihm bei der Auswahl geboten. Er erklärte geradezu: die Er¬ nennung der Universitätslehrer müsse dem Staat ausschließlich vorbehalten bleiben; denn Antagonismus und Reibung zwischen den Professoren, an sich heilsam und notwendig, würden in dieser Beziehung nur störend wirken und unwillkürlich den Gesichtspunkt verrücken. Das schrieb derselbe Mann, der achtzehn Jahre vorher so zuversichtlich den: Staate jede positive Einwirkung auf das Bildungswesen abgesprochen hatte! Doch die alte Überzeugung war in ihm noch nicht erstorben. In eben der Denkschrift (von 1810), der die angeführte Forderung entnommen ist, schärft er dem Staate die Pflicht ein, sich stets bewußt zu bleiben, daß er auf dem Gebiete des höheren Bildungswesens eigentlich „immer hinderlich sei, sobald er sich hineinmische, daß es an sich ohne ihn unendlich besser gehen würde". Seine Mitwirkung sei nur ein notwendiges Übel. „Nicht etwa bloß die Art, wie er die äußeren Formen und Mittel beschafft, kann dem Wesen der Sache schädlich werden, sondern der Umstand selbst, daß es überhaupt solche äußeren Formen für etwas ganz Fremdes gibt, wirkt immer notwendig nachteilig ein und zieht das Geistige und Hohe in die materielle und niedrige Wirklichkeit herab. Daher muß der Staat nur darum vorzüglich wieder das innere Wesen vor Augen haben, um gut zu machen, was er selbst, wenngleich ohne seine Schuld, ver¬ dirbt oder gehindert hat". Sonderbarer Schwärmer! mag man sagen; der Erfolg hat ihn doch gerecht¬ fertigt. Mit seiner vornehmen Gesinnung verband sich praktischer Sinn; das bewährte sich in der Art, wie er die Geldmittel für das große Werk zu be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/70>, abgerufen am 23.07.2024.