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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Aus dem Königreich Hellas

Viele Offiziere der Liga selbst wünschten ihre Auflösung. In dieser Krisis
wandte sich der radikale Flügel der Offiziersliga an Venizelos, der durch die
Entfernung des Prinzen Georg nach dem Aufstande von Therison seine gleichen
antidynastischen Gesinnungen offenbart hatte. Der nach Athen Berufene
erklärte, daß nur eine Militärdiktatur die von der Liga begonnene Militär¬
revolution hätte krönen dürfen. Um die verfahrene Sache zum guten Abschlüsse
zu bringen, sei es notwendig, die Mißstände abzuschaffen, die Veranlassung zur
Revolution gegeben hätten. Zur Durchführung dieser von einer neuen Volks¬
vertretung durchzuführenden Maßregel müsse der nötige Druck auf Thron und
Kammer ausgeübt werden. Die Liga nahm: dies Programm an und ermächtigte
Venizelos, als ihr Vertreter mit den Parteien in ihrem Namen zu verhandeln.
Den Parteileitern gab die Liga ihr Programm durch briefliche Mitteilung im
Januar 1910 kund. Unter anderem führte sie auch aus, falls der König eine
Nationalversammlung nicht einführe, müsse er abdanken.

Die damalige gefährliche Lage der Dynastie ist im Auslande wenig bekannt
geworden. Die Athenische Zeitung Skrip brachte darüber im Februar 1910
einige Einzelheiten. Sie ließ über den revolutionären Charakter des Vorgehens
der Liga keinen Zweifel. Den Revolutionären hätte nur die Ehrlichkeit gefehlt,
gleich den Diktator, in diesem Falle Venizelos, aufzustellen. Dabei war die
Forderung der Nationalversammlung eine Art Falle, in der die Dynastie ge¬
fangen war. Jedenfalls konnte sie leicht den König und den Kronprinzen
entfernen. Die dritte Generation des Herrscherhauses, der älteste Sohn des
Kronprinzen, Prinz Georg, hätte dann wohl vor die Wahl gestellt werden
können, entweder wie sein Vater und Großvater das Land zu verlassen oder
als Gefangener des Diktators in Tatoi zu bleiben. Der König konnte sich lange
nicht entschließen. Er fürchtete das Eindringen radikaler, wenn nicht revo¬
lutionärer Elemente in die Nationalversammlung. Ralli suchte ihn dadurch zu
beschwichtigen, daß er versprach, seine und Theotokis Partei würden imstande
sein, das Eindringen dieser Elemente zu verhindern. (Sie kamen später doch hinein!)
Schließlich gingen Thron und Parteien auf die Forderung der Liga ein. Die
Nationalversammlung sollte unter Übertretung der in der Verfassung vorgesehenen
Formalitäten berufen werden. Hierzu wäre nämlich das Votum von zwei ver¬
schiedenen Kammern mit der einfachen Anzahl von Abgeordneten nötig gewesen.
Den nachherigen Auseinandersetzungen über die Gesetzmäßigkeit der Auflösung
der später einberufenen revidierenden Nationalversammlung gegenüber muß also
festgestellt werden, daß bei Einleitung dieser ganzen Verfassungsaktion von vorn¬
herein der verfassungsmäßige Weg von der Liga, den Parteien und dem Könige
verlassen worden ist. Für diese Konzession des Thrones und der Partei gab
die Liga das Versprechen, sie werde sich nunmehr offiziell auflösen. ("Offiziell"
hat sie das auch getan!) Das Ministerium Mavromichali nahm, nachdem es diese
Arbeit getan hatte, seinen Abschied. Dmgumis wurde mit der Bildung eines neuen
Kabinetts beauftragt. ErwarderVorgüngerundPlatzhaltervonEleutheriosVenizelos.


Aus dem Königreich Hellas

Viele Offiziere der Liga selbst wünschten ihre Auflösung. In dieser Krisis
wandte sich der radikale Flügel der Offiziersliga an Venizelos, der durch die
Entfernung des Prinzen Georg nach dem Aufstande von Therison seine gleichen
antidynastischen Gesinnungen offenbart hatte. Der nach Athen Berufene
erklärte, daß nur eine Militärdiktatur die von der Liga begonnene Militär¬
revolution hätte krönen dürfen. Um die verfahrene Sache zum guten Abschlüsse
zu bringen, sei es notwendig, die Mißstände abzuschaffen, die Veranlassung zur
Revolution gegeben hätten. Zur Durchführung dieser von einer neuen Volks¬
vertretung durchzuführenden Maßregel müsse der nötige Druck auf Thron und
Kammer ausgeübt werden. Die Liga nahm: dies Programm an und ermächtigte
Venizelos, als ihr Vertreter mit den Parteien in ihrem Namen zu verhandeln.
Den Parteileitern gab die Liga ihr Programm durch briefliche Mitteilung im
Januar 1910 kund. Unter anderem führte sie auch aus, falls der König eine
Nationalversammlung nicht einführe, müsse er abdanken.

Die damalige gefährliche Lage der Dynastie ist im Auslande wenig bekannt
geworden. Die Athenische Zeitung Skrip brachte darüber im Februar 1910
einige Einzelheiten. Sie ließ über den revolutionären Charakter des Vorgehens
der Liga keinen Zweifel. Den Revolutionären hätte nur die Ehrlichkeit gefehlt,
gleich den Diktator, in diesem Falle Venizelos, aufzustellen. Dabei war die
Forderung der Nationalversammlung eine Art Falle, in der die Dynastie ge¬
fangen war. Jedenfalls konnte sie leicht den König und den Kronprinzen
entfernen. Die dritte Generation des Herrscherhauses, der älteste Sohn des
Kronprinzen, Prinz Georg, hätte dann wohl vor die Wahl gestellt werden
können, entweder wie sein Vater und Großvater das Land zu verlassen oder
als Gefangener des Diktators in Tatoi zu bleiben. Der König konnte sich lange
nicht entschließen. Er fürchtete das Eindringen radikaler, wenn nicht revo¬
lutionärer Elemente in die Nationalversammlung. Ralli suchte ihn dadurch zu
beschwichtigen, daß er versprach, seine und Theotokis Partei würden imstande
sein, das Eindringen dieser Elemente zu verhindern. (Sie kamen später doch hinein!)
Schließlich gingen Thron und Parteien auf die Forderung der Liga ein. Die
Nationalversammlung sollte unter Übertretung der in der Verfassung vorgesehenen
Formalitäten berufen werden. Hierzu wäre nämlich das Votum von zwei ver¬
schiedenen Kammern mit der einfachen Anzahl von Abgeordneten nötig gewesen.
Den nachherigen Auseinandersetzungen über die Gesetzmäßigkeit der Auflösung
der später einberufenen revidierenden Nationalversammlung gegenüber muß also
festgestellt werden, daß bei Einleitung dieser ganzen Verfassungsaktion von vorn¬
herein der verfassungsmäßige Weg von der Liga, den Parteien und dem Könige
verlassen worden ist. Für diese Konzession des Thrones und der Partei gab
die Liga das Versprechen, sie werde sich nunmehr offiziell auflösen. („Offiziell"
hat sie das auch getan!) Das Ministerium Mavromichali nahm, nachdem es diese
Arbeit getan hatte, seinen Abschied. Dmgumis wurde mit der Bildung eines neuen
Kabinetts beauftragt. ErwarderVorgüngerundPlatzhaltervonEleutheriosVenizelos.


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[0065] Aus dem Königreich Hellas Viele Offiziere der Liga selbst wünschten ihre Auflösung. In dieser Krisis wandte sich der radikale Flügel der Offiziersliga an Venizelos, der durch die Entfernung des Prinzen Georg nach dem Aufstande von Therison seine gleichen antidynastischen Gesinnungen offenbart hatte. Der nach Athen Berufene erklärte, daß nur eine Militärdiktatur die von der Liga begonnene Militär¬ revolution hätte krönen dürfen. Um die verfahrene Sache zum guten Abschlüsse zu bringen, sei es notwendig, die Mißstände abzuschaffen, die Veranlassung zur Revolution gegeben hätten. Zur Durchführung dieser von einer neuen Volks¬ vertretung durchzuführenden Maßregel müsse der nötige Druck auf Thron und Kammer ausgeübt werden. Die Liga nahm: dies Programm an und ermächtigte Venizelos, als ihr Vertreter mit den Parteien in ihrem Namen zu verhandeln. Den Parteileitern gab die Liga ihr Programm durch briefliche Mitteilung im Januar 1910 kund. Unter anderem führte sie auch aus, falls der König eine Nationalversammlung nicht einführe, müsse er abdanken. Die damalige gefährliche Lage der Dynastie ist im Auslande wenig bekannt geworden. Die Athenische Zeitung Skrip brachte darüber im Februar 1910 einige Einzelheiten. Sie ließ über den revolutionären Charakter des Vorgehens der Liga keinen Zweifel. Den Revolutionären hätte nur die Ehrlichkeit gefehlt, gleich den Diktator, in diesem Falle Venizelos, aufzustellen. Dabei war die Forderung der Nationalversammlung eine Art Falle, in der die Dynastie ge¬ fangen war. Jedenfalls konnte sie leicht den König und den Kronprinzen entfernen. Die dritte Generation des Herrscherhauses, der älteste Sohn des Kronprinzen, Prinz Georg, hätte dann wohl vor die Wahl gestellt werden können, entweder wie sein Vater und Großvater das Land zu verlassen oder als Gefangener des Diktators in Tatoi zu bleiben. Der König konnte sich lange nicht entschließen. Er fürchtete das Eindringen radikaler, wenn nicht revo¬ lutionärer Elemente in die Nationalversammlung. Ralli suchte ihn dadurch zu beschwichtigen, daß er versprach, seine und Theotokis Partei würden imstande sein, das Eindringen dieser Elemente zu verhindern. (Sie kamen später doch hinein!) Schließlich gingen Thron und Parteien auf die Forderung der Liga ein. Die Nationalversammlung sollte unter Übertretung der in der Verfassung vorgesehenen Formalitäten berufen werden. Hierzu wäre nämlich das Votum von zwei ver¬ schiedenen Kammern mit der einfachen Anzahl von Abgeordneten nötig gewesen. Den nachherigen Auseinandersetzungen über die Gesetzmäßigkeit der Auflösung der später einberufenen revidierenden Nationalversammlung gegenüber muß also festgestellt werden, daß bei Einleitung dieser ganzen Verfassungsaktion von vorn¬ herein der verfassungsmäßige Weg von der Liga, den Parteien und dem Könige verlassen worden ist. Für diese Konzession des Thrones und der Partei gab die Liga das Versprechen, sie werde sich nunmehr offiziell auflösen. („Offiziell" hat sie das auch getan!) Das Ministerium Mavromichali nahm, nachdem es diese Arbeit getan hatte, seinen Abschied. Dmgumis wurde mit der Bildung eines neuen Kabinetts beauftragt. ErwarderVorgüngerundPlatzhaltervonEleutheriosVenizelos.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/65>, abgerufen am 23.07.2024.