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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe aus (Lhina
weiland Professor Dr, Wilhelm Grube von

An seine Schwester.

Peking, den 22. März 1898.

. . . Über das Geburtstagsdiner bei H.s hat Dir Lilly berichtet, aber sie hat
Dir nicht erzählt, wer seine Schnauze in Baron Czikanns Glas steckte, als er
gerade an seinem Toaste maikäferte, nämlich niemand anders als das Schwein,
das Du als LOLtion cZo lait auf dem einliegenden Menu verzeichnet findest.
Es war nämlich ein komplettes Schwein, dem nicht einmal, wie vielen anderen
Schweinen und auch Menschen, der Kopf fehlte. Sein freundliches Profil nahm
sich höchst eigenartig aus, während es der Reihe nach zwischen den erlauchten
Tischgenossen hindurchguckte, als wollte es sagen: Wo die Diplomaten in meinem
Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen! Übrigens waren da
nicht nur Diplomaten, sondern auch Menschen, so z. B. der Maler, der aber
nicht Atys, sondern Obst heißt und ein netter Mann ist. Er zeigte uns nach
Tisch seine Reiseskizzen, die recht hübsch waren. Er reist mit dem Schriftsteller
Paul Lindenberg aus Berlin zusammen, der auch ganz nett ist und mich auf¬
gefordert hat, mich an den Donnerstagabenden, an denen die Mitarbeiter am
Kladderadatsch zusammenzukommen pflegen, zu beteiligen. Die beiden machen
eine Reise um die Erde und wollen von hier nach Japan und dann über
Amerika nach Deutschland zurückkehren.

Gestern besuchte ich einen steinreichen amerikanischen Globetrotter, der ganz
in unserer Nähe in einem chinesischen Hause wohnt, das er sich mit dem Aus¬
erlesensten, was chinesische Kunst und Industrie bieten, ganz entzückend ein¬
gerichtet hat. Der Mann, ein Mr. Grccham, genießt als vernünftiger Mensch seine
Millionen, die er sich als Bankier erworben hat, indem er die ganze Welt
bereist. Trotz seinem Reichtum und prosaischen Beruf ist er nichts weniger als
blasiert und interesselos, sehr belesen, zitiert seinen Pope und Chaucer aus¬
wendig, hat Sinn und Verständnis für alles. Er sagte neulich zu Lilly, er
habe bis jetzt nur drei Städte kennen gelernt, die ganz einzig in ihrer Art
und mit nichts anderem zu vergleichen seien: Moskau, Venedig und Peking.
Solchen Leuten kann mau ihren Reichtum gönnen. . . .






Briefe aus (Lhina
weiland Professor Dr, Wilhelm Grube von

An seine Schwester.

Peking, den 22. März 1898.

. . . Über das Geburtstagsdiner bei H.s hat Dir Lilly berichtet, aber sie hat
Dir nicht erzählt, wer seine Schnauze in Baron Czikanns Glas steckte, als er
gerade an seinem Toaste maikäferte, nämlich niemand anders als das Schwein,
das Du als LOLtion cZo lait auf dem einliegenden Menu verzeichnet findest.
Es war nämlich ein komplettes Schwein, dem nicht einmal, wie vielen anderen
Schweinen und auch Menschen, der Kopf fehlte. Sein freundliches Profil nahm
sich höchst eigenartig aus, während es der Reihe nach zwischen den erlauchten
Tischgenossen hindurchguckte, als wollte es sagen: Wo die Diplomaten in meinem
Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen! Übrigens waren da
nicht nur Diplomaten, sondern auch Menschen, so z. B. der Maler, der aber
nicht Atys, sondern Obst heißt und ein netter Mann ist. Er zeigte uns nach
Tisch seine Reiseskizzen, die recht hübsch waren. Er reist mit dem Schriftsteller
Paul Lindenberg aus Berlin zusammen, der auch ganz nett ist und mich auf¬
gefordert hat, mich an den Donnerstagabenden, an denen die Mitarbeiter am
Kladderadatsch zusammenzukommen pflegen, zu beteiligen. Die beiden machen
eine Reise um die Erde und wollen von hier nach Japan und dann über
Amerika nach Deutschland zurückkehren.

Gestern besuchte ich einen steinreichen amerikanischen Globetrotter, der ganz
in unserer Nähe in einem chinesischen Hause wohnt, das er sich mit dem Aus¬
erlesensten, was chinesische Kunst und Industrie bieten, ganz entzückend ein¬
gerichtet hat. Der Mann, ein Mr. Grccham, genießt als vernünftiger Mensch seine
Millionen, die er sich als Bankier erworben hat, indem er die ganze Welt
bereist. Trotz seinem Reichtum und prosaischen Beruf ist er nichts weniger als
blasiert und interesselos, sehr belesen, zitiert seinen Pope und Chaucer aus¬
wendig, hat Sinn und Verständnis für alles. Er sagte neulich zu Lilly, er
habe bis jetzt nur drei Städte kennen gelernt, die ganz einzig in ihrer Art
und mit nichts anderem zu vergleichen seien: Moskau, Venedig und Peking.
Solchen Leuten kann mau ihren Reichtum gönnen. . . .




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[0647] [Abbildung] Briefe aus (Lhina weiland Professor Dr, Wilhelm Grube von An seine Schwester. Peking, den 22. März 1898. . . . Über das Geburtstagsdiner bei H.s hat Dir Lilly berichtet, aber sie hat Dir nicht erzählt, wer seine Schnauze in Baron Czikanns Glas steckte, als er gerade an seinem Toaste maikäferte, nämlich niemand anders als das Schwein, das Du als LOLtion cZo lait auf dem einliegenden Menu verzeichnet findest. Es war nämlich ein komplettes Schwein, dem nicht einmal, wie vielen anderen Schweinen und auch Menschen, der Kopf fehlte. Sein freundliches Profil nahm sich höchst eigenartig aus, während es der Reihe nach zwischen den erlauchten Tischgenossen hindurchguckte, als wollte es sagen: Wo die Diplomaten in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen! Übrigens waren da nicht nur Diplomaten, sondern auch Menschen, so z. B. der Maler, der aber nicht Atys, sondern Obst heißt und ein netter Mann ist. Er zeigte uns nach Tisch seine Reiseskizzen, die recht hübsch waren. Er reist mit dem Schriftsteller Paul Lindenberg aus Berlin zusammen, der auch ganz nett ist und mich auf¬ gefordert hat, mich an den Donnerstagabenden, an denen die Mitarbeiter am Kladderadatsch zusammenzukommen pflegen, zu beteiligen. Die beiden machen eine Reise um die Erde und wollen von hier nach Japan und dann über Amerika nach Deutschland zurückkehren. Gestern besuchte ich einen steinreichen amerikanischen Globetrotter, der ganz in unserer Nähe in einem chinesischen Hause wohnt, das er sich mit dem Aus¬ erlesensten, was chinesische Kunst und Industrie bieten, ganz entzückend ein¬ gerichtet hat. Der Mann, ein Mr. Grccham, genießt als vernünftiger Mensch seine Millionen, die er sich als Bankier erworben hat, indem er die ganze Welt bereist. Trotz seinem Reichtum und prosaischen Beruf ist er nichts weniger als blasiert und interesselos, sehr belesen, zitiert seinen Pope und Chaucer aus¬ wendig, hat Sinn und Verständnis für alles. Er sagte neulich zu Lilly, er habe bis jetzt nur drei Städte kennen gelernt, die ganz einzig in ihrer Art und mit nichts anderem zu vergleichen seien: Moskau, Venedig und Peking. Solchen Leuten kann mau ihren Reichtum gönnen. . . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/647>, abgerufen am 23.07.2024.