Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Stanislawski und das Moskaner "Künstlerische Theater

unvergleichlich fein abgetöntes Bildnis eines rassigen Aristokraten vor, dessen
tiefes Leiden er mit meisterhaft gedämpftem Spiel uns miterleben läßt.

In fast allen Aufführungen, die hier erwähnt sind, hat sich Stanislawski
als Regisseur bewährt, der originelle Erfindungsgabe mit auserlesenen Geschmack
verbindet. Dabei hat er es verstanden, auch die richtigen Maler zur Beteiligung
an der Ausstattung heranzuziehen, und hat sich selbst ans Ausland gewandt,
wenn er sich von dort Anregung und Unterstützung versprach. So ist Gordon
Craigh mehrere Jahre für das "Künstlerische Theater" tätig gewesen. Die
künstlerische Ausstattung haben die Moskaner zu einer Vollendung gebracht, die
nicht selten das Publikum zu stürmischer Anerkennung zwingt. Da ist nicht
nur die von realistischen Stücken verlangte viel befehdete "Echtheit", da sind
nicht nur Wunder von Farbenabtönnngen und -effekten, da wird wirklich die
Stimmung geschaffen, die in den Rahmen des Stückes gehört. Aber nicht nur
den Anforderungen des realistischen Schauspiels wird das "Künstlerische Theater"
gerecht, obgleich es nicht zu leugnen ist, daß gerade in ihnen eine hohe
Vollendung erreicht ist, sondern auch für das symbolistische Drama, ja für das
Märchen haben diese feinsinnigen Künstler den Rahmen gefunden. "Der blaue
Vogel" von Maeterlinck, der seine Uraufführung bei den Moskauern erlebte,
fand eine Inszenierung, die das "leibhaftige" Märchen war.

Immer neuen Zielen zustrebend, wandten sich die Moskaner auch der
stilisierten Bühnenkunst zu. Mit einem Aufwande von 35000 Rubel gründete
Stanislawski seine "Studia" (Studio, Atelier), das "Theater der Versuche",
das den: Publikum überhaupt nicht zugänglich gemacht wurde. Die erzielten
Resultate befriedigten Stanislawski nicht, so daß er bald von weiteren Ver¬
suchen Abstand nahm. Allein ein paar von seinen Mitarbeitern wußten
Kapital aus jenen Versuchen zu schlagen und traten, wie z. B. Meyer¬
hold in Se. Petersburg, mit den aus der Studia geschöpften "eigenen Ideen"
als "Theaterreformatoren und -novatoren" nicht ohne Erfolg an die Öffentlichkeit.

Während Stanislawskis Erkrankung im vorigen Herbst wurden die am
meisten dramatisch wirkenden Szenen aus Dostojewskis "Die Brüder Karamasow"
auf der Bühne zur Darstellung gebracht, während ein Schauspieler bei herab¬
gelassenen Vorhang die Stellen des Romans vorlas, die den Zusanmienhang
zwischen den dramatisierten bildeten. Die ganze Aufführung nahm zwei Abende
in Anspruch und hatte auch einen gewissen Erfolg. Als gelungen ist dieser
interessante Versuch nicht zu bezeichnen; immerhin hat er aber die Möglichkeit
solcher Aufführungen gezeigt, die vielleicht auf das altchinesische Theater zurück¬
greifen müßten.

Einen großen Teil seiner Arbeitskraft verwendet Stanislawski auf die
Schule des "Künstlerischen Theaters", die seinem Herzen ganz besonders nahe
steht, und die er ans eine künstlerische Höhe gebracht hat, die kaum eine Lehr¬
anstalt in Rußland erreicht. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß der körper¬
lichen Ausbildung der Theaterschüler, die Tanz- und Reitstunden erhalten,


Stanislawski und das Moskaner „Künstlerische Theater

unvergleichlich fein abgetöntes Bildnis eines rassigen Aristokraten vor, dessen
tiefes Leiden er mit meisterhaft gedämpftem Spiel uns miterleben läßt.

In fast allen Aufführungen, die hier erwähnt sind, hat sich Stanislawski
als Regisseur bewährt, der originelle Erfindungsgabe mit auserlesenen Geschmack
verbindet. Dabei hat er es verstanden, auch die richtigen Maler zur Beteiligung
an der Ausstattung heranzuziehen, und hat sich selbst ans Ausland gewandt,
wenn er sich von dort Anregung und Unterstützung versprach. So ist Gordon
Craigh mehrere Jahre für das „Künstlerische Theater" tätig gewesen. Die
künstlerische Ausstattung haben die Moskaner zu einer Vollendung gebracht, die
nicht selten das Publikum zu stürmischer Anerkennung zwingt. Da ist nicht
nur die von realistischen Stücken verlangte viel befehdete „Echtheit", da sind
nicht nur Wunder von Farbenabtönnngen und -effekten, da wird wirklich die
Stimmung geschaffen, die in den Rahmen des Stückes gehört. Aber nicht nur
den Anforderungen des realistischen Schauspiels wird das „Künstlerische Theater"
gerecht, obgleich es nicht zu leugnen ist, daß gerade in ihnen eine hohe
Vollendung erreicht ist, sondern auch für das symbolistische Drama, ja für das
Märchen haben diese feinsinnigen Künstler den Rahmen gefunden. „Der blaue
Vogel" von Maeterlinck, der seine Uraufführung bei den Moskauern erlebte,
fand eine Inszenierung, die das „leibhaftige" Märchen war.

Immer neuen Zielen zustrebend, wandten sich die Moskaner auch der
stilisierten Bühnenkunst zu. Mit einem Aufwande von 35000 Rubel gründete
Stanislawski seine „Studia" (Studio, Atelier), das „Theater der Versuche",
das den: Publikum überhaupt nicht zugänglich gemacht wurde. Die erzielten
Resultate befriedigten Stanislawski nicht, so daß er bald von weiteren Ver¬
suchen Abstand nahm. Allein ein paar von seinen Mitarbeitern wußten
Kapital aus jenen Versuchen zu schlagen und traten, wie z. B. Meyer¬
hold in Se. Petersburg, mit den aus der Studia geschöpften „eigenen Ideen"
als „Theaterreformatoren und -novatoren" nicht ohne Erfolg an die Öffentlichkeit.

Während Stanislawskis Erkrankung im vorigen Herbst wurden die am
meisten dramatisch wirkenden Szenen aus Dostojewskis „Die Brüder Karamasow"
auf der Bühne zur Darstellung gebracht, während ein Schauspieler bei herab¬
gelassenen Vorhang die Stellen des Romans vorlas, die den Zusanmienhang
zwischen den dramatisierten bildeten. Die ganze Aufführung nahm zwei Abende
in Anspruch und hatte auch einen gewissen Erfolg. Als gelungen ist dieser
interessante Versuch nicht zu bezeichnen; immerhin hat er aber die Möglichkeit
solcher Aufführungen gezeigt, die vielleicht auf das altchinesische Theater zurück¬
greifen müßten.

Einen großen Teil seiner Arbeitskraft verwendet Stanislawski auf die
Schule des „Künstlerischen Theaters", die seinem Herzen ganz besonders nahe
steht, und die er ans eine künstlerische Höhe gebracht hat, die kaum eine Lehr¬
anstalt in Rußland erreicht. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß der körper¬
lichen Ausbildung der Theaterschüler, die Tanz- und Reitstunden erhalten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0640" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320241"/>
          <fw type="header" place="top"> Stanislawski und das Moskaner &#x201E;Künstlerische Theater</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2735" prev="#ID_2734"> unvergleichlich fein abgetöntes Bildnis eines rassigen Aristokraten vor, dessen<lb/>
tiefes Leiden er mit meisterhaft gedämpftem Spiel uns miterleben läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2736"> In fast allen Aufführungen, die hier erwähnt sind, hat sich Stanislawski<lb/>
als Regisseur bewährt, der originelle Erfindungsgabe mit auserlesenen Geschmack<lb/>
verbindet. Dabei hat er es verstanden, auch die richtigen Maler zur Beteiligung<lb/>
an der Ausstattung heranzuziehen, und hat sich selbst ans Ausland gewandt,<lb/>
wenn er sich von dort Anregung und Unterstützung versprach. So ist Gordon<lb/>
Craigh mehrere Jahre für das &#x201E;Künstlerische Theater" tätig gewesen. Die<lb/>
künstlerische Ausstattung haben die Moskaner zu einer Vollendung gebracht, die<lb/>
nicht selten das Publikum zu stürmischer Anerkennung zwingt. Da ist nicht<lb/>
nur die von realistischen Stücken verlangte viel befehdete &#x201E;Echtheit", da sind<lb/>
nicht nur Wunder von Farbenabtönnngen und -effekten, da wird wirklich die<lb/>
Stimmung geschaffen, die in den Rahmen des Stückes gehört. Aber nicht nur<lb/>
den Anforderungen des realistischen Schauspiels wird das &#x201E;Künstlerische Theater"<lb/>
gerecht, obgleich es nicht zu leugnen ist, daß gerade in ihnen eine hohe<lb/>
Vollendung erreicht ist, sondern auch für das symbolistische Drama, ja für das<lb/>
Märchen haben diese feinsinnigen Künstler den Rahmen gefunden. &#x201E;Der blaue<lb/>
Vogel" von Maeterlinck, der seine Uraufführung bei den Moskauern erlebte,<lb/>
fand eine Inszenierung, die das &#x201E;leibhaftige" Märchen war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2737"> Immer neuen Zielen zustrebend, wandten sich die Moskaner auch der<lb/>
stilisierten Bühnenkunst zu. Mit einem Aufwande von 35000 Rubel gründete<lb/>
Stanislawski seine &#x201E;Studia" (Studio, Atelier), das &#x201E;Theater der Versuche",<lb/>
das den: Publikum überhaupt nicht zugänglich gemacht wurde. Die erzielten<lb/>
Resultate befriedigten Stanislawski nicht, so daß er bald von weiteren Ver¬<lb/>
suchen Abstand nahm. Allein ein paar von seinen Mitarbeitern wußten<lb/>
Kapital aus jenen Versuchen zu schlagen und traten, wie z. B. Meyer¬<lb/>
hold in Se. Petersburg, mit den aus der Studia geschöpften &#x201E;eigenen Ideen"<lb/>
als &#x201E;Theaterreformatoren und -novatoren" nicht ohne Erfolg an die Öffentlichkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2738"> Während Stanislawskis Erkrankung im vorigen Herbst wurden die am<lb/>
meisten dramatisch wirkenden Szenen aus Dostojewskis &#x201E;Die Brüder Karamasow"<lb/>
auf der Bühne zur Darstellung gebracht, während ein Schauspieler bei herab¬<lb/>
gelassenen Vorhang die Stellen des Romans vorlas, die den Zusanmienhang<lb/>
zwischen den dramatisierten bildeten. Die ganze Aufführung nahm zwei Abende<lb/>
in Anspruch und hatte auch einen gewissen Erfolg. Als gelungen ist dieser<lb/>
interessante Versuch nicht zu bezeichnen; immerhin hat er aber die Möglichkeit<lb/>
solcher Aufführungen gezeigt, die vielleicht auf das altchinesische Theater zurück¬<lb/>
greifen müßten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2739" next="#ID_2740"> Einen großen Teil seiner Arbeitskraft verwendet Stanislawski auf die<lb/>
Schule des &#x201E;Künstlerischen Theaters", die seinem Herzen ganz besonders nahe<lb/>
steht, und die er ans eine künstlerische Höhe gebracht hat, die kaum eine Lehr¬<lb/>
anstalt in Rußland erreicht. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß der körper¬<lb/>
lichen Ausbildung der Theaterschüler, die Tanz- und Reitstunden erhalten,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0640] Stanislawski und das Moskaner „Künstlerische Theater unvergleichlich fein abgetöntes Bildnis eines rassigen Aristokraten vor, dessen tiefes Leiden er mit meisterhaft gedämpftem Spiel uns miterleben läßt. In fast allen Aufführungen, die hier erwähnt sind, hat sich Stanislawski als Regisseur bewährt, der originelle Erfindungsgabe mit auserlesenen Geschmack verbindet. Dabei hat er es verstanden, auch die richtigen Maler zur Beteiligung an der Ausstattung heranzuziehen, und hat sich selbst ans Ausland gewandt, wenn er sich von dort Anregung und Unterstützung versprach. So ist Gordon Craigh mehrere Jahre für das „Künstlerische Theater" tätig gewesen. Die künstlerische Ausstattung haben die Moskaner zu einer Vollendung gebracht, die nicht selten das Publikum zu stürmischer Anerkennung zwingt. Da ist nicht nur die von realistischen Stücken verlangte viel befehdete „Echtheit", da sind nicht nur Wunder von Farbenabtönnngen und -effekten, da wird wirklich die Stimmung geschaffen, die in den Rahmen des Stückes gehört. Aber nicht nur den Anforderungen des realistischen Schauspiels wird das „Künstlerische Theater" gerecht, obgleich es nicht zu leugnen ist, daß gerade in ihnen eine hohe Vollendung erreicht ist, sondern auch für das symbolistische Drama, ja für das Märchen haben diese feinsinnigen Künstler den Rahmen gefunden. „Der blaue Vogel" von Maeterlinck, der seine Uraufführung bei den Moskauern erlebte, fand eine Inszenierung, die das „leibhaftige" Märchen war. Immer neuen Zielen zustrebend, wandten sich die Moskaner auch der stilisierten Bühnenkunst zu. Mit einem Aufwande von 35000 Rubel gründete Stanislawski seine „Studia" (Studio, Atelier), das „Theater der Versuche", das den: Publikum überhaupt nicht zugänglich gemacht wurde. Die erzielten Resultate befriedigten Stanislawski nicht, so daß er bald von weiteren Ver¬ suchen Abstand nahm. Allein ein paar von seinen Mitarbeitern wußten Kapital aus jenen Versuchen zu schlagen und traten, wie z. B. Meyer¬ hold in Se. Petersburg, mit den aus der Studia geschöpften „eigenen Ideen" als „Theaterreformatoren und -novatoren" nicht ohne Erfolg an die Öffentlichkeit. Während Stanislawskis Erkrankung im vorigen Herbst wurden die am meisten dramatisch wirkenden Szenen aus Dostojewskis „Die Brüder Karamasow" auf der Bühne zur Darstellung gebracht, während ein Schauspieler bei herab¬ gelassenen Vorhang die Stellen des Romans vorlas, die den Zusanmienhang zwischen den dramatisierten bildeten. Die ganze Aufführung nahm zwei Abende in Anspruch und hatte auch einen gewissen Erfolg. Als gelungen ist dieser interessante Versuch nicht zu bezeichnen; immerhin hat er aber die Möglichkeit solcher Aufführungen gezeigt, die vielleicht auf das altchinesische Theater zurück¬ greifen müßten. Einen großen Teil seiner Arbeitskraft verwendet Stanislawski auf die Schule des „Künstlerischen Theaters", die seinem Herzen ganz besonders nahe steht, und die er ans eine künstlerische Höhe gebracht hat, die kaum eine Lehr¬ anstalt in Rußland erreicht. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß der körper¬ lichen Ausbildung der Theaterschüler, die Tanz- und Reitstunden erhalten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/640
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/640>, abgerufen am 23.07.2024.