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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

die durchaus nicht sicher stehende Heilung zu erkaufen. Und damit fallen auch
alle Erörterungen in sich zusammen, die darauf hinzielen, uns die Stärkung
der Sozialdemokratie, sei es direkt oder indirekt, schmackhaft zu machen.

Die neueste Gesetzgebuugsarbeit des Vatikans hat uns wieder vor
Augen geführt, daß es neben der Sozialdemokratie auch noch einen
andern Feind zu bekämpfen gibt, den Ultra montanismus. Die
politischen Methoden der Sozialdemokratie sind ohne Frage abstoßender
und durchaus geeignet, uns mit Ekel zu erfüllen; die Methoden der Ultra¬
montanen dagegen sind wegen ihrer Feinheit häufig gar nicht zu durchschauen
und vermögen sogar dem kühlen Beobachter einen ästhetischen Genuß zu bereiten.
Die Sozialdemokratie wühlt gegen die Monarchie und den bürgerlichen Staat
mit rohen, offenkundiger Mitteln, denen ein gesundes und politisch reifes Bürger¬
tum leicht begegnen könnte. Die Ultramontanen unterwühlen dauernd in zäher
Minierarbeit die Grundmauern des Kaiserstaates, stets maskiert durch angebliche
Pflichten der Religiosität. Ihnen beizukommen ist ein schweres, wenngleich
interessantes Studium, das uns nur dann alle die tausend Kanäle, auf
denen sie ihren Internationalismus in das Volksdenken einflößen, kennen lehrt,
wenn wir die Tätigkeit der Römlinge mit unausgesetztem Mißtrauen betrachten.
Unter der Maske einer staatserhaltenden Partei wirkt der Ultramontanismus
durch das Zentrum und die christlichen Gewerkschaften. Unter der Maske
der Wissenschaftlichkeit werden Geschichtswerke über das Werden
des deutschen Volkes verfaßt, die darauf ausgehen, die römische Kirche als den¬
jenigen Faktor der Weltgeschichte hinzustellen, dem die Deutschen allein ihre
heutige Kultur und politische Macht verdanken. Welche Gefahren damit für
das Reich und die Nation verbunden sind, soll im Laufe der nächsten Monate
an zwei Publikationen des Herderschen Verlags zu Freiburg von Fachmännern
eingehend dargetan werden. Heute sei nur hingewiesen auf das dreibändige
Werk des Jesuiten Hartmann Grisar "Luther", in den: der Reformator syste¬
matisch mit einem großen, scheinbar streng wissenschaftlichen Apparat aller der
großen Eigenschaften und Gedanken entkleidet wird, die ihn in unseren Augen
zum Helden erheben, ferner auf das gleichfalls dreibändige Werk von I)r. Johannes
B. Kißling "Geschichte des Kulturkampfes im Deutschen Reiche", in dem wir die
Hohenzollern als eine seichte Gesellschaft von Oportunisten hingestellt finden, die
ihre Politik der römischen Kurie gegenüber nicht von großen nationalstaatlichen
Gesichtspunkte" leiten ließen, sondern von kleinlichen, geschäftlichen Interessen, --
der eine aus Liebe zu seinen Soldaten, der andere um die Einnahmen der
Akzise zu vergrößern. Wenn die "ultramontane" Wissenschaft nicht ganz bestimmte
politische, dem deutschen Kaiserstaat feindliche Ziele verfolgte, brauchte weder
Grisars "Luther" noch Kißlings "Geschichte des Kulturkampfs" in dieser Zeitzu er¬
scheinen. Beide Werke sind Vorboten neuen, schweren Kampfes um die deutsche Kultur.

Die ultramontane Gefahr erscheint aber bei näherem Zusehen auch
aus anderen Gründen größer als die sozialdemokratische. Der Ultramontanis-


Reichsspiegel

die durchaus nicht sicher stehende Heilung zu erkaufen. Und damit fallen auch
alle Erörterungen in sich zusammen, die darauf hinzielen, uns die Stärkung
der Sozialdemokratie, sei es direkt oder indirekt, schmackhaft zu machen.

Die neueste Gesetzgebuugsarbeit des Vatikans hat uns wieder vor
Augen geführt, daß es neben der Sozialdemokratie auch noch einen
andern Feind zu bekämpfen gibt, den Ultra montanismus. Die
politischen Methoden der Sozialdemokratie sind ohne Frage abstoßender
und durchaus geeignet, uns mit Ekel zu erfüllen; die Methoden der Ultra¬
montanen dagegen sind wegen ihrer Feinheit häufig gar nicht zu durchschauen
und vermögen sogar dem kühlen Beobachter einen ästhetischen Genuß zu bereiten.
Die Sozialdemokratie wühlt gegen die Monarchie und den bürgerlichen Staat
mit rohen, offenkundiger Mitteln, denen ein gesundes und politisch reifes Bürger¬
tum leicht begegnen könnte. Die Ultramontanen unterwühlen dauernd in zäher
Minierarbeit die Grundmauern des Kaiserstaates, stets maskiert durch angebliche
Pflichten der Religiosität. Ihnen beizukommen ist ein schweres, wenngleich
interessantes Studium, das uns nur dann alle die tausend Kanäle, auf
denen sie ihren Internationalismus in das Volksdenken einflößen, kennen lehrt,
wenn wir die Tätigkeit der Römlinge mit unausgesetztem Mißtrauen betrachten.
Unter der Maske einer staatserhaltenden Partei wirkt der Ultramontanismus
durch das Zentrum und die christlichen Gewerkschaften. Unter der Maske
der Wissenschaftlichkeit werden Geschichtswerke über das Werden
des deutschen Volkes verfaßt, die darauf ausgehen, die römische Kirche als den¬
jenigen Faktor der Weltgeschichte hinzustellen, dem die Deutschen allein ihre
heutige Kultur und politische Macht verdanken. Welche Gefahren damit für
das Reich und die Nation verbunden sind, soll im Laufe der nächsten Monate
an zwei Publikationen des Herderschen Verlags zu Freiburg von Fachmännern
eingehend dargetan werden. Heute sei nur hingewiesen auf das dreibändige
Werk des Jesuiten Hartmann Grisar „Luther", in den: der Reformator syste¬
matisch mit einem großen, scheinbar streng wissenschaftlichen Apparat aller der
großen Eigenschaften und Gedanken entkleidet wird, die ihn in unseren Augen
zum Helden erheben, ferner auf das gleichfalls dreibändige Werk von I)r. Johannes
B. Kißling „Geschichte des Kulturkampfes im Deutschen Reiche", in dem wir die
Hohenzollern als eine seichte Gesellschaft von Oportunisten hingestellt finden, die
ihre Politik der römischen Kurie gegenüber nicht von großen nationalstaatlichen
Gesichtspunkte» leiten ließen, sondern von kleinlichen, geschäftlichen Interessen, —
der eine aus Liebe zu seinen Soldaten, der andere um die Einnahmen der
Akzise zu vergrößern. Wenn die „ultramontane" Wissenschaft nicht ganz bestimmte
politische, dem deutschen Kaiserstaat feindliche Ziele verfolgte, brauchte weder
Grisars „Luther" noch Kißlings „Geschichte des Kulturkampfs" in dieser Zeitzu er¬
scheinen. Beide Werke sind Vorboten neuen, schweren Kampfes um die deutsche Kultur.

Die ultramontane Gefahr erscheint aber bei näherem Zusehen auch
aus anderen Gründen größer als die sozialdemokratische. Der Ultramontanis-


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[0621] Reichsspiegel die durchaus nicht sicher stehende Heilung zu erkaufen. Und damit fallen auch alle Erörterungen in sich zusammen, die darauf hinzielen, uns die Stärkung der Sozialdemokratie, sei es direkt oder indirekt, schmackhaft zu machen. Die neueste Gesetzgebuugsarbeit des Vatikans hat uns wieder vor Augen geführt, daß es neben der Sozialdemokratie auch noch einen andern Feind zu bekämpfen gibt, den Ultra montanismus. Die politischen Methoden der Sozialdemokratie sind ohne Frage abstoßender und durchaus geeignet, uns mit Ekel zu erfüllen; die Methoden der Ultra¬ montanen dagegen sind wegen ihrer Feinheit häufig gar nicht zu durchschauen und vermögen sogar dem kühlen Beobachter einen ästhetischen Genuß zu bereiten. Die Sozialdemokratie wühlt gegen die Monarchie und den bürgerlichen Staat mit rohen, offenkundiger Mitteln, denen ein gesundes und politisch reifes Bürger¬ tum leicht begegnen könnte. Die Ultramontanen unterwühlen dauernd in zäher Minierarbeit die Grundmauern des Kaiserstaates, stets maskiert durch angebliche Pflichten der Religiosität. Ihnen beizukommen ist ein schweres, wenngleich interessantes Studium, das uns nur dann alle die tausend Kanäle, auf denen sie ihren Internationalismus in das Volksdenken einflößen, kennen lehrt, wenn wir die Tätigkeit der Römlinge mit unausgesetztem Mißtrauen betrachten. Unter der Maske einer staatserhaltenden Partei wirkt der Ultramontanismus durch das Zentrum und die christlichen Gewerkschaften. Unter der Maske der Wissenschaftlichkeit werden Geschichtswerke über das Werden des deutschen Volkes verfaßt, die darauf ausgehen, die römische Kirche als den¬ jenigen Faktor der Weltgeschichte hinzustellen, dem die Deutschen allein ihre heutige Kultur und politische Macht verdanken. Welche Gefahren damit für das Reich und die Nation verbunden sind, soll im Laufe der nächsten Monate an zwei Publikationen des Herderschen Verlags zu Freiburg von Fachmännern eingehend dargetan werden. Heute sei nur hingewiesen auf das dreibändige Werk des Jesuiten Hartmann Grisar „Luther", in den: der Reformator syste¬ matisch mit einem großen, scheinbar streng wissenschaftlichen Apparat aller der großen Eigenschaften und Gedanken entkleidet wird, die ihn in unseren Augen zum Helden erheben, ferner auf das gleichfalls dreibändige Werk von I)r. Johannes B. Kißling „Geschichte des Kulturkampfes im Deutschen Reiche", in dem wir die Hohenzollern als eine seichte Gesellschaft von Oportunisten hingestellt finden, die ihre Politik der römischen Kurie gegenüber nicht von großen nationalstaatlichen Gesichtspunkte» leiten ließen, sondern von kleinlichen, geschäftlichen Interessen, — der eine aus Liebe zu seinen Soldaten, der andere um die Einnahmen der Akzise zu vergrößern. Wenn die „ultramontane" Wissenschaft nicht ganz bestimmte politische, dem deutschen Kaiserstaat feindliche Ziele verfolgte, brauchte weder Grisars „Luther" noch Kißlings „Geschichte des Kulturkampfs" in dieser Zeitzu er¬ scheinen. Beide Werke sind Vorboten neuen, schweren Kampfes um die deutsche Kultur. Die ultramontane Gefahr erscheint aber bei näherem Zusehen auch aus anderen Gründen größer als die sozialdemokratische. Der Ultramontanis-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/621>, abgerufen am 23.07.2024.