Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

baß der Staat auf jeden Religionsunterricht
verzichtet, die Staatsschule auf dem Grundsatze
der Religionslosigkeit aufbaut und dafür be-
stimmte Wochenstunden frei laßt zum Unter¬
richt in der Religion durch die von den Eltern
frei zu wählenden Religionsgesellschaften.
Hiergegen spricht, daß die Staatsschule damit
auf ein eminent wichtiges Mittel der Geistes¬
und Charakterbildung verzichten würde, und
daß die Seelen der Kinder damit einem voll¬
ständig unkontrollierten Einflüsse ausgesetzt
würden. Oder man kann den bisherigen von
den Kirchen abhängigen und nach Konfessionen
gegliederten Religionsunterricht durch einen
konfessionslosen, lediglich von der Religions¬
wissenschaft bestimmten, zwangsweise,! Reli¬
gionsunterricht ersetzen. Dies ist sicherlich der
idealste Weg. Auf diese Weise könnte der
Staat die reichen Schätze für Geist, Gemüt
und Willen, die die Religionsgeschichte bietet,
für die Schule nutzbar machen, ohne in irgend¬
welche Abhängigkeit von den Kirchen zu ge¬
raten. Aber würden dadurch nicht schwere
Konflikte der Gewissensfreiheit herbeigeführt
werden? Wenn schon die Protestanten sich
bereit finden lassen sollten, einen solchen Unter¬
richt anzunehmen, der katholischen Kirche würde
damit eine Verleugnung ihrer Grundsätze zu¬
gemutet und aufgezwungen werden, die einen
erbitterten und anhaltenden Kampf wachrufen
müßte. So scheint mir doch nur der Weg
zu bleiben, baß der Staat um dem konfessionell
gegliederten Religionsunterricht festhält, ihn
aber des Zwangscharalters entkleidet und die
Leitung der RoligionSgesellschaften auf das
Maß einer fachmännischer Beratung herab-
drückt. Ich wenigstens weiß bei der Lage
unseres Volkes keinen anderen Weg, der den
Postulaten der Gewissensfreiheit entspricht.

der Protestantismus braucht Kirchen, um¬
fassende Körper voll innerlicher religiöser
Einheit. Und der Staat muß die Möglichkeit
zur Bildung von solchen Kirchen, d. h. von
Gemeindeverbänden geben, die nach der Über¬
zeugung ihrer Mitglieder, unbeengt durch
kirchenpolitische Rücksichten, sich selbst Ord¬
nungen der Lehre und des Gottesdienstes
schaffen und gemeinsame Liebes- und Missions¬
werke treiben können. Nun eben: ohne Hilfe
des Staates, durch die Kraft ihres Gemein-
geistes, durch ihre Arbeit und Leistung. Es
kann kein Zweifel sein, daß das Bedürfnis
nach geistlichem Rückhalt, die Einsicht in die
Gefahr der Isolierung, der Drang nach ge¬
meinsanier Aktion die allermeisten Gemeinden
unter Führung ihrer Geistlichen treiben wird,
sich zu größeren Verbänden zusammenzu¬
schließen, auch wenn kein Staat sie dazu
zwingt, wenn er es ihnen nur erlaubt. Und
ich Wage die Prognose, solche Kirchen werden
auch ohne Staatsgewalt bald sehr mächtig
sein. Man fürchte nicht, daß sie Stätten träger
Stagnation werden; schon allein das Interesse
an Macht und Ausdehnung wird ein wirksames
Motiv gegen Verengerung und Verhärtung
sein. Kirchen, wenn sie wirklich sind, was
der Name besagt, werden immer voller Kampf
sein, immer in Gefahr, auseinander zu
brechen; aber kirchliche Kämpfe müssen reine
Kämpfe sein und die Gefahren dazu dienen,
ihre Lebendigkeit zu wahren und zu stärken.

Bei dem Versuch, den ich der Öffentlichkeit
vorgelegt habe, handelt es sich nicht um for¬
male Freiheiten, sondern Um die Religion.
Harnack hat in den letzten Kämpfen einmal
folgendes beherzigenswertes Wort geschrieben:
"Es gibt noch etwas Wichtigeres als die
Freiheit, das ist die Wahrheit, die Eigenart
und die Kraft einer Sache. Erst kommt sie,
denn wenn sie schwindet, schwindet der Kern
und nur Hülsen und Worte bleiben übrig,
dann erst kommt die Freiheit." Aber eben
die Eigenart und die Kraft unserer Fröm¬
migkeit, oder, wie ich lieber sagen möchte, ihr
Charakter kann sich nur entfalten in Freiheit.

Endlich sind Wir voller Sorge um die
Bewahrung der Kontinuität auch in der inneren
Entwicklung der Religion. Nur freilich kann
diese nicht Sorge des Staates sein. Hierzu
sind Kirchen nötig. Für die katholische Be¬
völkerung sorgt die Hierarchie. Welchem
Organe soll diese Aufgabe zufallen innerhalb
des Protestantismus, der ein von vornherein
gegebenes Organ dazu nicht besitzt? Auch


Pfarrer und priratdozent O. Erich Förster-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

baß der Staat auf jeden Religionsunterricht
verzichtet, die Staatsschule auf dem Grundsatze
der Religionslosigkeit aufbaut und dafür be-
stimmte Wochenstunden frei laßt zum Unter¬
richt in der Religion durch die von den Eltern
frei zu wählenden Religionsgesellschaften.
Hiergegen spricht, daß die Staatsschule damit
auf ein eminent wichtiges Mittel der Geistes¬
und Charakterbildung verzichten würde, und
daß die Seelen der Kinder damit einem voll¬
ständig unkontrollierten Einflüsse ausgesetzt
würden. Oder man kann den bisherigen von
den Kirchen abhängigen und nach Konfessionen
gegliederten Religionsunterricht durch einen
konfessionslosen, lediglich von der Religions¬
wissenschaft bestimmten, zwangsweise,! Reli¬
gionsunterricht ersetzen. Dies ist sicherlich der
idealste Weg. Auf diese Weise könnte der
Staat die reichen Schätze für Geist, Gemüt
und Willen, die die Religionsgeschichte bietet,
für die Schule nutzbar machen, ohne in irgend¬
welche Abhängigkeit von den Kirchen zu ge¬
raten. Aber würden dadurch nicht schwere
Konflikte der Gewissensfreiheit herbeigeführt
werden? Wenn schon die Protestanten sich
bereit finden lassen sollten, einen solchen Unter¬
richt anzunehmen, der katholischen Kirche würde
damit eine Verleugnung ihrer Grundsätze zu¬
gemutet und aufgezwungen werden, die einen
erbitterten und anhaltenden Kampf wachrufen
müßte. So scheint mir doch nur der Weg
zu bleiben, baß der Staat um dem konfessionell
gegliederten Religionsunterricht festhält, ihn
aber des Zwangscharalters entkleidet und die
Leitung der RoligionSgesellschaften auf das
Maß einer fachmännischer Beratung herab-
drückt. Ich wenigstens weiß bei der Lage
unseres Volkes keinen anderen Weg, der den
Postulaten der Gewissensfreiheit entspricht.

der Protestantismus braucht Kirchen, um¬
fassende Körper voll innerlicher religiöser
Einheit. Und der Staat muß die Möglichkeit
zur Bildung von solchen Kirchen, d. h. von
Gemeindeverbänden geben, die nach der Über¬
zeugung ihrer Mitglieder, unbeengt durch
kirchenpolitische Rücksichten, sich selbst Ord¬
nungen der Lehre und des Gottesdienstes
schaffen und gemeinsame Liebes- und Missions¬
werke treiben können. Nun eben: ohne Hilfe
des Staates, durch die Kraft ihres Gemein-
geistes, durch ihre Arbeit und Leistung. Es
kann kein Zweifel sein, daß das Bedürfnis
nach geistlichem Rückhalt, die Einsicht in die
Gefahr der Isolierung, der Drang nach ge¬
meinsanier Aktion die allermeisten Gemeinden
unter Führung ihrer Geistlichen treiben wird,
sich zu größeren Verbänden zusammenzu¬
schließen, auch wenn kein Staat sie dazu
zwingt, wenn er es ihnen nur erlaubt. Und
ich Wage die Prognose, solche Kirchen werden
auch ohne Staatsgewalt bald sehr mächtig
sein. Man fürchte nicht, daß sie Stätten träger
Stagnation werden; schon allein das Interesse
an Macht und Ausdehnung wird ein wirksames
Motiv gegen Verengerung und Verhärtung
sein. Kirchen, wenn sie wirklich sind, was
der Name besagt, werden immer voller Kampf
sein, immer in Gefahr, auseinander zu
brechen; aber kirchliche Kämpfe müssen reine
Kämpfe sein und die Gefahren dazu dienen,
ihre Lebendigkeit zu wahren und zu stärken.

Bei dem Versuch, den ich der Öffentlichkeit
vorgelegt habe, handelt es sich nicht um for¬
male Freiheiten, sondern Um die Religion.
Harnack hat in den letzten Kämpfen einmal
folgendes beherzigenswertes Wort geschrieben:
„Es gibt noch etwas Wichtigeres als die
Freiheit, das ist die Wahrheit, die Eigenart
und die Kraft einer Sache. Erst kommt sie,
denn wenn sie schwindet, schwindet der Kern
und nur Hülsen und Worte bleiben übrig,
dann erst kommt die Freiheit." Aber eben
die Eigenart und die Kraft unserer Fröm¬
migkeit, oder, wie ich lieber sagen möchte, ihr
Charakter kann sich nur entfalten in Freiheit.

Endlich sind Wir voller Sorge um die
Bewahrung der Kontinuität auch in der inneren
Entwicklung der Religion. Nur freilich kann
diese nicht Sorge des Staates sein. Hierzu
sind Kirchen nötig. Für die katholische Be¬
völkerung sorgt die Hierarchie. Welchem
Organe soll diese Aufgabe zufallen innerhalb
des Protestantismus, der ein von vornherein
gegebenes Organ dazu nicht besitzt? Auch


Pfarrer und priratdozent O. Erich Förster-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0618" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320219"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2680" prev="#ID_2679" next="#ID_2681"> baß der Staat auf jeden Religionsunterricht<lb/>
verzichtet, die Staatsschule auf dem Grundsatze<lb/>
der Religionslosigkeit aufbaut und dafür be-<lb/>
stimmte Wochenstunden frei laßt zum Unter¬<lb/>
richt in der Religion durch die von den Eltern<lb/>
frei zu wählenden Religionsgesellschaften.<lb/>
Hiergegen spricht, daß die Staatsschule damit<lb/>
auf ein eminent wichtiges Mittel der Geistes¬<lb/>
und Charakterbildung verzichten würde, und<lb/>
daß die Seelen der Kinder damit einem voll¬<lb/>
ständig unkontrollierten Einflüsse ausgesetzt<lb/>
würden. Oder man kann den bisherigen von<lb/>
den Kirchen abhängigen und nach Konfessionen<lb/>
gegliederten Religionsunterricht durch einen<lb/>
konfessionslosen, lediglich von der Religions¬<lb/>
wissenschaft bestimmten, zwangsweise,! Reli¬<lb/>
gionsunterricht ersetzen. Dies ist sicherlich der<lb/>
idealste Weg. Auf diese Weise könnte der<lb/>
Staat die reichen Schätze für Geist, Gemüt<lb/>
und Willen, die die Religionsgeschichte bietet,<lb/>
für die Schule nutzbar machen, ohne in irgend¬<lb/>
welche Abhängigkeit von den Kirchen zu ge¬<lb/>
raten. Aber würden dadurch nicht schwere<lb/>
Konflikte der Gewissensfreiheit herbeigeführt<lb/>
werden? Wenn schon die Protestanten sich<lb/>
bereit finden lassen sollten, einen solchen Unter¬<lb/>
richt anzunehmen, der katholischen Kirche würde<lb/>
damit eine Verleugnung ihrer Grundsätze zu¬<lb/>
gemutet und aufgezwungen werden, die einen<lb/>
erbitterten und anhaltenden Kampf wachrufen<lb/>
müßte. So scheint mir doch nur der Weg<lb/>
zu bleiben, baß der Staat um dem konfessionell<lb/>
gegliederten Religionsunterricht festhält, ihn<lb/>
aber des Zwangscharalters entkleidet und die<lb/>
Leitung der RoligionSgesellschaften auf das<lb/>
Maß einer fachmännischer Beratung herab-<lb/>
drückt. Ich wenigstens weiß bei der Lage<lb/>
unseres Volkes keinen anderen Weg, der den<lb/>
Postulaten der Gewissensfreiheit entspricht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2681" prev="#ID_2680"> der Protestantismus braucht Kirchen, um¬<lb/>
fassende Körper voll innerlicher religiöser<lb/>
Einheit. Und der Staat muß die Möglichkeit<lb/>
zur Bildung von solchen Kirchen, d. h. von<lb/>
Gemeindeverbänden geben, die nach der Über¬<lb/>
zeugung ihrer Mitglieder, unbeengt durch<lb/>
kirchenpolitische Rücksichten, sich selbst Ord¬<lb/>
nungen der Lehre und des Gottesdienstes<lb/>
schaffen und gemeinsame Liebes- und Missions¬<lb/>
werke treiben können. Nun eben: ohne Hilfe<lb/>
des Staates, durch die Kraft ihres Gemein-<lb/>
geistes, durch ihre Arbeit und Leistung. Es<lb/>
kann kein Zweifel sein, daß das Bedürfnis<lb/>
nach geistlichem Rückhalt, die Einsicht in die<lb/>
Gefahr der Isolierung, der Drang nach ge¬<lb/>
meinsanier Aktion die allermeisten Gemeinden<lb/>
unter Führung ihrer Geistlichen treiben wird,<lb/>
sich zu größeren Verbänden zusammenzu¬<lb/>
schließen, auch wenn kein Staat sie dazu<lb/>
zwingt, wenn er es ihnen nur erlaubt. Und<lb/>
ich Wage die Prognose, solche Kirchen werden<lb/>
auch ohne Staatsgewalt bald sehr mächtig<lb/>
sein. Man fürchte nicht, daß sie Stätten träger<lb/>
Stagnation werden; schon allein das Interesse<lb/>
an Macht und Ausdehnung wird ein wirksames<lb/>
Motiv gegen Verengerung und Verhärtung<lb/>
sein. Kirchen, wenn sie wirklich sind, was<lb/>
der Name besagt, werden immer voller Kampf<lb/>
sein, immer in Gefahr, auseinander zu<lb/>
brechen; aber kirchliche Kämpfe müssen reine<lb/>
Kämpfe sein und die Gefahren dazu dienen,<lb/>
ihre Lebendigkeit zu wahren und zu stärken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2682"> Bei dem Versuch, den ich der Öffentlichkeit<lb/>
vorgelegt habe, handelt es sich nicht um for¬<lb/>
male Freiheiten, sondern Um die Religion.<lb/>
Harnack hat in den letzten Kämpfen einmal<lb/>
folgendes beherzigenswertes Wort geschrieben:<lb/>
&#x201E;Es gibt noch etwas Wichtigeres als die<lb/>
Freiheit, das ist die Wahrheit, die Eigenart<lb/>
und die Kraft einer Sache. Erst kommt sie,<lb/>
denn wenn sie schwindet, schwindet der Kern<lb/>
und nur Hülsen und Worte bleiben übrig,<lb/>
dann erst kommt die Freiheit." Aber eben<lb/>
die Eigenart und die Kraft unserer Fröm¬<lb/>
migkeit, oder, wie ich lieber sagen möchte, ihr<lb/>
Charakter kann sich nur entfalten in Freiheit.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2683"> Endlich sind Wir voller Sorge um die<lb/>
Bewahrung der Kontinuität auch in der inneren<lb/>
Entwicklung der Religion. Nur freilich kann<lb/>
diese nicht Sorge des Staates sein. Hierzu<lb/>
sind Kirchen nötig. Für die katholische Be¬<lb/>
völkerung sorgt die Hierarchie. Welchem<lb/>
Organe soll diese Aufgabe zufallen innerhalb<lb/>
des Protestantismus, der ein von vornherein<lb/>
gegebenes Organ dazu nicht besitzt? Auch</p><lb/>
            <note type="byline"> Pfarrer und priratdozent O. Erich Förster-</note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0618] Maßgebliches und Unmaßgebliches baß der Staat auf jeden Religionsunterricht verzichtet, die Staatsschule auf dem Grundsatze der Religionslosigkeit aufbaut und dafür be- stimmte Wochenstunden frei laßt zum Unter¬ richt in der Religion durch die von den Eltern frei zu wählenden Religionsgesellschaften. Hiergegen spricht, daß die Staatsschule damit auf ein eminent wichtiges Mittel der Geistes¬ und Charakterbildung verzichten würde, und daß die Seelen der Kinder damit einem voll¬ ständig unkontrollierten Einflüsse ausgesetzt würden. Oder man kann den bisherigen von den Kirchen abhängigen und nach Konfessionen gegliederten Religionsunterricht durch einen konfessionslosen, lediglich von der Religions¬ wissenschaft bestimmten, zwangsweise,! Reli¬ gionsunterricht ersetzen. Dies ist sicherlich der idealste Weg. Auf diese Weise könnte der Staat die reichen Schätze für Geist, Gemüt und Willen, die die Religionsgeschichte bietet, für die Schule nutzbar machen, ohne in irgend¬ welche Abhängigkeit von den Kirchen zu ge¬ raten. Aber würden dadurch nicht schwere Konflikte der Gewissensfreiheit herbeigeführt werden? Wenn schon die Protestanten sich bereit finden lassen sollten, einen solchen Unter¬ richt anzunehmen, der katholischen Kirche würde damit eine Verleugnung ihrer Grundsätze zu¬ gemutet und aufgezwungen werden, die einen erbitterten und anhaltenden Kampf wachrufen müßte. So scheint mir doch nur der Weg zu bleiben, baß der Staat um dem konfessionell gegliederten Religionsunterricht festhält, ihn aber des Zwangscharalters entkleidet und die Leitung der RoligionSgesellschaften auf das Maß einer fachmännischer Beratung herab- drückt. Ich wenigstens weiß bei der Lage unseres Volkes keinen anderen Weg, der den Postulaten der Gewissensfreiheit entspricht. der Protestantismus braucht Kirchen, um¬ fassende Körper voll innerlicher religiöser Einheit. Und der Staat muß die Möglichkeit zur Bildung von solchen Kirchen, d. h. von Gemeindeverbänden geben, die nach der Über¬ zeugung ihrer Mitglieder, unbeengt durch kirchenpolitische Rücksichten, sich selbst Ord¬ nungen der Lehre und des Gottesdienstes schaffen und gemeinsame Liebes- und Missions¬ werke treiben können. Nun eben: ohne Hilfe des Staates, durch die Kraft ihres Gemein- geistes, durch ihre Arbeit und Leistung. Es kann kein Zweifel sein, daß das Bedürfnis nach geistlichem Rückhalt, die Einsicht in die Gefahr der Isolierung, der Drang nach ge¬ meinsanier Aktion die allermeisten Gemeinden unter Führung ihrer Geistlichen treiben wird, sich zu größeren Verbänden zusammenzu¬ schließen, auch wenn kein Staat sie dazu zwingt, wenn er es ihnen nur erlaubt. Und ich Wage die Prognose, solche Kirchen werden auch ohne Staatsgewalt bald sehr mächtig sein. Man fürchte nicht, daß sie Stätten träger Stagnation werden; schon allein das Interesse an Macht und Ausdehnung wird ein wirksames Motiv gegen Verengerung und Verhärtung sein. Kirchen, wenn sie wirklich sind, was der Name besagt, werden immer voller Kampf sein, immer in Gefahr, auseinander zu brechen; aber kirchliche Kämpfe müssen reine Kämpfe sein und die Gefahren dazu dienen, ihre Lebendigkeit zu wahren und zu stärken. Bei dem Versuch, den ich der Öffentlichkeit vorgelegt habe, handelt es sich nicht um for¬ male Freiheiten, sondern Um die Religion. Harnack hat in den letzten Kämpfen einmal folgendes beherzigenswertes Wort geschrieben: „Es gibt noch etwas Wichtigeres als die Freiheit, das ist die Wahrheit, die Eigenart und die Kraft einer Sache. Erst kommt sie, denn wenn sie schwindet, schwindet der Kern und nur Hülsen und Worte bleiben übrig, dann erst kommt die Freiheit." Aber eben die Eigenart und die Kraft unserer Fröm¬ migkeit, oder, wie ich lieber sagen möchte, ihr Charakter kann sich nur entfalten in Freiheit. Endlich sind Wir voller Sorge um die Bewahrung der Kontinuität auch in der inneren Entwicklung der Religion. Nur freilich kann diese nicht Sorge des Staates sein. Hierzu sind Kirchen nötig. Für die katholische Be¬ völkerung sorgt die Hierarchie. Welchem Organe soll diese Aufgabe zufallen innerhalb des Protestantismus, der ein von vornherein gegebenes Organ dazu nicht besitzt? Auch Pfarrer und priratdozent O. Erich Förster-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/618
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/618>, abgerufen am 23.07.2024.