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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Untergange Preisgibt, wenn man sie Mein
auf die Stütze freier Liebestätigkeit anweist.
Ich bitte sie, nicht zu bergessen, daß selbst in
den Bereinigten Staaten, deren Bevölkerung
zu viel größerem Prozentsätze in Großstädten
lebt, die kirchliche Versorgung der Farmer¬
distrikte den allergrößten Schwierigkeiten be¬
gegnet. Ein solcher Zusammenhang ist auch
ein Segen für die Geistlichen. Wahrlich, ich
weiß mich frei von Geringschätzung des Laien¬
elementes, aber der Geistliche ist nicht schlecht¬
weg Diener der Gemeinde, sondern Diener
eines Ideals, Diener einer geschichtlichen Tra¬
dition an der Gemeinde. Er hat auch Rechte
gegenüber der Gemeinde, er hat unter Um¬
ständen die Pflicht, ihr zu widerstehen. Er
bedarf eines Rückhaltes, er bedarf auch wie
jeder Stand der Aufzucht und der Zucht.
Das Prinzip der Unabhängigkeit drückt auf
den geistlichen Stand, es gewährt den Ein¬
flüssen des Nepotismus, des Partikularismus,
des Geldsacks viel zu viel Raum. Sind doch
gerade die Pfarrer der Kongregationalgemein-
den in England die lebhaftesten Befürworter
eiues organischen Zusammenschlusses der Ge¬
meinden dieses Systems. Der geistliche Stand
steht in sozialer Beziehung und in gesellschaft¬
licher Achtung Wohl nirgends so niedrig wie
in Deutschland, -- soll er denn noch tiefer
herabgedrückt werden?

Ich habe versucht, diesen Zusammenhang
zu garantieren durch die staatsrechtliche Kon¬
struktion eiues Verbandes sämtlicher evan-
gelischer Gemeinden des Staates, der sich selbst
verwaltet und mit Umlagerechton ausgestattet
ist. Diese Form ist uns bereits geläufig, sie
bietet die sichersten Garantien gegen die Wieder¬
kehr staatlicher Eingriffe, und sie liegt für die
evangelische Kirche auf der Linie ihrer bis¬
herigen Entwicklung. Der Verband würde
sozusagen ein Gustav Adolf-Berein im großen
mit ohne Beschränkung ans die Notlage der
Diaspora sein. Wie in diesem schon bisher
Protestanten allerRichtnngen gemeinsame wirt¬
schaftliche Interessen erfolgreich fordern, so
würde auch der Verband die äußere Fürsorge
für den Bestand und die Ausdehnung evan¬
gelischer Gemeindeorganisation in die Hand
zu nehmen haben. Daß er dies nur kann,
wenn ihm das Recht der Selbstbesteuerung
seiner Glieder und einer Aufsicht über die

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Bermögensverwaltung wie über alle Unter¬
nehmungen und finanzieller Rückwirkung ein¬
geräumt wird, ist selbstverständlich.

Eine Frage kann nur sein, ob ein solcher
Verband auch für die katholischen Gemeinden
desLandes möglich ist, oder ob er an der Eigen¬
art des katholischen Kirchenrechtes scheitert.
Mir scheint dies nicht der Fall zu sein. Wenn
es dem katholischen Kirchenrechte nicht wider¬
streitet, daß hente über die der katholischen
Kirche zu gewährenden Subventionen, über
die Höhe der Pfarrgehälter und der Pfarr¬
pensionen, über die leistungsunfähigen Ge¬
meinden zu gewährenden Beihilfen Bestim¬
mungen von dem konfessionslosen Staat und
dem konfessionslosen Landtage getroffen werden,
wenn sich die katholische Kirche heute schon
eine staatliche Aufsicht über ihre Bermögens¬
verwaltung gefallen läßt: was sollte sie hin¬
dern, diese Funktionen von einem Verband
wahrnehmen zu lassen, der ausschließlich aus
Katholiken besteht?

Wir haben weiter zu wahren die Stärke
des Staates. Ein starker Staat ist uns
deutschen Protestanten Lebensnotwendigkeit,
um unserer Weltlage willen und um der kon¬
fessionellen Zerrissenheit unserer Nation willen.
Verbünde von solchem Umfange und mit einer
so tiefgreifenden Zuständigkeit, wie mein Ent¬
wurf sie Plant, wird kein seiner Verantwortung
bewußter Staatsmann zulassen, ohne wirk¬
same staatliche Aufsicht und Kontrolle, ohne
Handhaben des Eingreifens und derHemmung.
Und wenigstens wir Protestanten sollten nichts
dagegen haben: wir wollen doch kein Ferment
der Zersetzung bilden, sondern ein Salz deS
Volkslebens sein. Der Staat kann daher auch
zwingende Normen über die religiöse Kinder¬
erziehung und vor allem die Schule nicht aus
der Hand geben. Ich bin zwar der Meinung,
daß das staatliche Schnlmonopol eine gewisse
Erweichung Wohl vertragen könnte, schon um
Pädagogischen Reformbestrebungen mehr Ent¬
faltungsmöglichkeit zu geben. Aber auch die
Privatschule muß unter seinen Augen bleiben,
und in die Staatsschule darf keine fremde
Hand hineingreifen.

Hier bietet nun der Religionsunterricht
eine ganz eigentümliche Schwierigkeit. Die
Lösung dieser Schwierigkeit kann man in ver¬
schiedener Richtung versuchen: entweder so,

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Grenzboten IV 191177
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Untergange Preisgibt, wenn man sie Mein
auf die Stütze freier Liebestätigkeit anweist.
Ich bitte sie, nicht zu bergessen, daß selbst in
den Bereinigten Staaten, deren Bevölkerung
zu viel größerem Prozentsätze in Großstädten
lebt, die kirchliche Versorgung der Farmer¬
distrikte den allergrößten Schwierigkeiten be¬
gegnet. Ein solcher Zusammenhang ist auch
ein Segen für die Geistlichen. Wahrlich, ich
weiß mich frei von Geringschätzung des Laien¬
elementes, aber der Geistliche ist nicht schlecht¬
weg Diener der Gemeinde, sondern Diener
eines Ideals, Diener einer geschichtlichen Tra¬
dition an der Gemeinde. Er hat auch Rechte
gegenüber der Gemeinde, er hat unter Um¬
ständen die Pflicht, ihr zu widerstehen. Er
bedarf eines Rückhaltes, er bedarf auch wie
jeder Stand der Aufzucht und der Zucht.
Das Prinzip der Unabhängigkeit drückt auf
den geistlichen Stand, es gewährt den Ein¬
flüssen des Nepotismus, des Partikularismus,
des Geldsacks viel zu viel Raum. Sind doch
gerade die Pfarrer der Kongregationalgemein-
den in England die lebhaftesten Befürworter
eiues organischen Zusammenschlusses der Ge¬
meinden dieses Systems. Der geistliche Stand
steht in sozialer Beziehung und in gesellschaft¬
licher Achtung Wohl nirgends so niedrig wie
in Deutschland, — soll er denn noch tiefer
herabgedrückt werden?

Ich habe versucht, diesen Zusammenhang
zu garantieren durch die staatsrechtliche Kon¬
struktion eiues Verbandes sämtlicher evan-
gelischer Gemeinden des Staates, der sich selbst
verwaltet und mit Umlagerechton ausgestattet
ist. Diese Form ist uns bereits geläufig, sie
bietet die sichersten Garantien gegen die Wieder¬
kehr staatlicher Eingriffe, und sie liegt für die
evangelische Kirche auf der Linie ihrer bis¬
herigen Entwicklung. Der Verband würde
sozusagen ein Gustav Adolf-Berein im großen
mit ohne Beschränkung ans die Notlage der
Diaspora sein. Wie in diesem schon bisher
Protestanten allerRichtnngen gemeinsame wirt¬
schaftliche Interessen erfolgreich fordern, so
würde auch der Verband die äußere Fürsorge
für den Bestand und die Ausdehnung evan¬
gelischer Gemeindeorganisation in die Hand
zu nehmen haben. Daß er dies nur kann,
wenn ihm das Recht der Selbstbesteuerung
seiner Glieder und einer Aufsicht über die

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Bermögensverwaltung wie über alle Unter¬
nehmungen und finanzieller Rückwirkung ein¬
geräumt wird, ist selbstverständlich.

Eine Frage kann nur sein, ob ein solcher
Verband auch für die katholischen Gemeinden
desLandes möglich ist, oder ob er an der Eigen¬
art des katholischen Kirchenrechtes scheitert.
Mir scheint dies nicht der Fall zu sein. Wenn
es dem katholischen Kirchenrechte nicht wider¬
streitet, daß hente über die der katholischen
Kirche zu gewährenden Subventionen, über
die Höhe der Pfarrgehälter und der Pfarr¬
pensionen, über die leistungsunfähigen Ge¬
meinden zu gewährenden Beihilfen Bestim¬
mungen von dem konfessionslosen Staat und
dem konfessionslosen Landtage getroffen werden,
wenn sich die katholische Kirche heute schon
eine staatliche Aufsicht über ihre Bermögens¬
verwaltung gefallen läßt: was sollte sie hin¬
dern, diese Funktionen von einem Verband
wahrnehmen zu lassen, der ausschließlich aus
Katholiken besteht?

Wir haben weiter zu wahren die Stärke
des Staates. Ein starker Staat ist uns
deutschen Protestanten Lebensnotwendigkeit,
um unserer Weltlage willen und um der kon¬
fessionellen Zerrissenheit unserer Nation willen.
Verbünde von solchem Umfange und mit einer
so tiefgreifenden Zuständigkeit, wie mein Ent¬
wurf sie Plant, wird kein seiner Verantwortung
bewußter Staatsmann zulassen, ohne wirk¬
same staatliche Aufsicht und Kontrolle, ohne
Handhaben des Eingreifens und derHemmung.
Und wenigstens wir Protestanten sollten nichts
dagegen haben: wir wollen doch kein Ferment
der Zersetzung bilden, sondern ein Salz deS
Volkslebens sein. Der Staat kann daher auch
zwingende Normen über die religiöse Kinder¬
erziehung und vor allem die Schule nicht aus
der Hand geben. Ich bin zwar der Meinung,
daß das staatliche Schnlmonopol eine gewisse
Erweichung Wohl vertragen könnte, schon um
Pädagogischen Reformbestrebungen mehr Ent¬
faltungsmöglichkeit zu geben. Aber auch die
Privatschule muß unter seinen Augen bleiben,
und in die Staatsschule darf keine fremde
Hand hineingreifen.

Hier bietet nun der Religionsunterricht
eine ganz eigentümliche Schwierigkeit. Die
Lösung dieser Schwierigkeit kann man in ver¬
schiedener Richtung versuchen: entweder so,

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[0617] Maßgebliches und Unmaßgebliches Untergange Preisgibt, wenn man sie Mein auf die Stütze freier Liebestätigkeit anweist. Ich bitte sie, nicht zu bergessen, daß selbst in den Bereinigten Staaten, deren Bevölkerung zu viel größerem Prozentsätze in Großstädten lebt, die kirchliche Versorgung der Farmer¬ distrikte den allergrößten Schwierigkeiten be¬ gegnet. Ein solcher Zusammenhang ist auch ein Segen für die Geistlichen. Wahrlich, ich weiß mich frei von Geringschätzung des Laien¬ elementes, aber der Geistliche ist nicht schlecht¬ weg Diener der Gemeinde, sondern Diener eines Ideals, Diener einer geschichtlichen Tra¬ dition an der Gemeinde. Er hat auch Rechte gegenüber der Gemeinde, er hat unter Um¬ ständen die Pflicht, ihr zu widerstehen. Er bedarf eines Rückhaltes, er bedarf auch wie jeder Stand der Aufzucht und der Zucht. Das Prinzip der Unabhängigkeit drückt auf den geistlichen Stand, es gewährt den Ein¬ flüssen des Nepotismus, des Partikularismus, des Geldsacks viel zu viel Raum. Sind doch gerade die Pfarrer der Kongregationalgemein- den in England die lebhaftesten Befürworter eiues organischen Zusammenschlusses der Ge¬ meinden dieses Systems. Der geistliche Stand steht in sozialer Beziehung und in gesellschaft¬ licher Achtung Wohl nirgends so niedrig wie in Deutschland, — soll er denn noch tiefer herabgedrückt werden? Ich habe versucht, diesen Zusammenhang zu garantieren durch die staatsrechtliche Kon¬ struktion eiues Verbandes sämtlicher evan- gelischer Gemeinden des Staates, der sich selbst verwaltet und mit Umlagerechton ausgestattet ist. Diese Form ist uns bereits geläufig, sie bietet die sichersten Garantien gegen die Wieder¬ kehr staatlicher Eingriffe, und sie liegt für die evangelische Kirche auf der Linie ihrer bis¬ herigen Entwicklung. Der Verband würde sozusagen ein Gustav Adolf-Berein im großen mit ohne Beschränkung ans die Notlage der Diaspora sein. Wie in diesem schon bisher Protestanten allerRichtnngen gemeinsame wirt¬ schaftliche Interessen erfolgreich fordern, so würde auch der Verband die äußere Fürsorge für den Bestand und die Ausdehnung evan¬ gelischer Gemeindeorganisation in die Hand zu nehmen haben. Daß er dies nur kann, wenn ihm das Recht der Selbstbesteuerung seiner Glieder und einer Aufsicht über die Bermögensverwaltung wie über alle Unter¬ nehmungen und finanzieller Rückwirkung ein¬ geräumt wird, ist selbstverständlich. Eine Frage kann nur sein, ob ein solcher Verband auch für die katholischen Gemeinden desLandes möglich ist, oder ob er an der Eigen¬ art des katholischen Kirchenrechtes scheitert. Mir scheint dies nicht der Fall zu sein. Wenn es dem katholischen Kirchenrechte nicht wider¬ streitet, daß hente über die der katholischen Kirche zu gewährenden Subventionen, über die Höhe der Pfarrgehälter und der Pfarr¬ pensionen, über die leistungsunfähigen Ge¬ meinden zu gewährenden Beihilfen Bestim¬ mungen von dem konfessionslosen Staat und dem konfessionslosen Landtage getroffen werden, wenn sich die katholische Kirche heute schon eine staatliche Aufsicht über ihre Bermögens¬ verwaltung gefallen läßt: was sollte sie hin¬ dern, diese Funktionen von einem Verband wahrnehmen zu lassen, der ausschließlich aus Katholiken besteht? Wir haben weiter zu wahren die Stärke des Staates. Ein starker Staat ist uns deutschen Protestanten Lebensnotwendigkeit, um unserer Weltlage willen und um der kon¬ fessionellen Zerrissenheit unserer Nation willen. Verbünde von solchem Umfange und mit einer so tiefgreifenden Zuständigkeit, wie mein Ent¬ wurf sie Plant, wird kein seiner Verantwortung bewußter Staatsmann zulassen, ohne wirk¬ same staatliche Aufsicht und Kontrolle, ohne Handhaben des Eingreifens und derHemmung. Und wenigstens wir Protestanten sollten nichts dagegen haben: wir wollen doch kein Ferment der Zersetzung bilden, sondern ein Salz deS Volkslebens sein. Der Staat kann daher auch zwingende Normen über die religiöse Kinder¬ erziehung und vor allem die Schule nicht aus der Hand geben. Ich bin zwar der Meinung, daß das staatliche Schnlmonopol eine gewisse Erweichung Wohl vertragen könnte, schon um Pädagogischen Reformbestrebungen mehr Ent¬ faltungsmöglichkeit zu geben. Aber auch die Privatschule muß unter seinen Augen bleiben, und in die Staatsschule darf keine fremde Hand hineingreifen. Hier bietet nun der Religionsunterricht eine ganz eigentümliche Schwierigkeit. Die Lösung dieser Schwierigkeit kann man in ver¬ schiedener Richtung versuchen: entweder so, Grenzboten IV 191177

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/617>, abgerufen am 23.07.2024.