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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Gottfried Habcrkorfs Irrtum

und sprach vom Gewitter, das noch kommen könne. So sitzt nur also die Ge¬
witterluft im Blute und den Leuten auch! dachte Gottfried, als er den Baß gar
nicht dazu kriegen konnte, sich mit der gehörigen Weichheit und zartem Pianissimo
der friedevoller Nachtsümmung des Liedes hinzugeben. Und er nahm sich zu¬
sammen und plagte den Baß mit dem Pianissimo, daß den Sängern die Schwei߬
tropfen auf die Stirn traten. Endlich ging es leidlich, die Stimmen klangen
schön zusammen, und Gottfried sah wieder den nachtblauen Bau des Himmels¬
gewölbes mächtig schwellen, sah Sterne glänzen und fühlte in seiner Seele goldene
Sehnsuchtsflämmchen sprießen. Als aber die Sänger im zweiten Verse von den
Harfentönen der himmlischen Sphärenmusik sangen, da vernahm Gottfried nichts
mehr von der himmlischen Liebe, sondern er dachte an eine andere Liebe, dachte
so inbrünstig daran, daß ihm eine rote Welle vom Herzen in den Kopf fuhr und
er den Schlußsatz zur Verwunderung der Sänger hastig und gewaltsam ausklingen
ließ. Schnell klappte er den Geigenkasten zu und ging hinunter.

Hinter ihm drein polterten die Schritte der Sänger. Sie gingen, sich
räuspernd und die feuchten Stirnen trocknend, in die Gaststube, um rasch noch ein
paar eisgekühlte Biere zu haben. Gottfried hörte die Stühle scharren, die Gläser
klappern und merkte an einer plötzlich eintretenden Stille, daß alle tranken. Er
stand an den einen der vier Lindenbäume gelehnt, die vor dem Hause wuchsen,
und ihm war seltsam bedrückt und doch selig zumute. Da löste sich aus dem
Dunkel des Lindenschattens eine lichte Gestalt, kam ihm nahe, legte die Hand auf
seine Schultern und sagte: "Schön habt Ihr heute gesungen."

Es war Liselotte.

"Schön? Na -- es muß noch kommen."

Und er wußte wohl, daß er sich an dem Liede versündigt hatte. Sie
schwieg und stand eine Weile neben ihm. Weshalb kommt nun Anna nicht?
dachte er.

"Ist Anna im Garten?"

"Ja, mit der Mutter."

Da gingen sie beide in den Garten, wo es nach nassem Buchs, Syringen
und Goldlack roch. Die Mutter und die Braut saßen auf der Bank bei dem
Goldlackbeete und hatten die Hände im Schoße.

"Mach dir gleich einen Knoten ins Schnupftuch, daß du morgen den Katalog
nicht vergißt."

"Ich denke schon daran," sagte er kurz und griff die Hand seiner Verlobten,
da sie einmal auf dem Wege dazu war.

Ein sparsames Gespräch sickerte in die Gartenstille. Es wollte keine Stimmung
aufkommen. Die Gewitterluft schien alle zu bedrücken. Nur Liselotte überlegte
bei sich, wem sie wohl die Tropfen von einem nassen, hängenden Zweige ins
Gesicht schnellen möchte. Und sie nahm den Zweig und ließ die Tropfenreihe
auf die Schwester spritzen.

"Dul Was sollen die Dummheiten!" rief sie.

Liselotte lachte hell und klingend auf. Und Gottfried wurde von der Musik
ihres Lachens mitgenommen und lachte gleichfalls herzhaft.

"Einer muß doch Dummheiten machen. Ihr seid ja so vernünftig."

"Was dabei nun bloß zu lachen ist," sagte Anna ärgerlich.


Gottfried Habcrkorfs Irrtum

und sprach vom Gewitter, das noch kommen könne. So sitzt nur also die Ge¬
witterluft im Blute und den Leuten auch! dachte Gottfried, als er den Baß gar
nicht dazu kriegen konnte, sich mit der gehörigen Weichheit und zartem Pianissimo
der friedevoller Nachtsümmung des Liedes hinzugeben. Und er nahm sich zu¬
sammen und plagte den Baß mit dem Pianissimo, daß den Sängern die Schwei߬
tropfen auf die Stirn traten. Endlich ging es leidlich, die Stimmen klangen
schön zusammen, und Gottfried sah wieder den nachtblauen Bau des Himmels¬
gewölbes mächtig schwellen, sah Sterne glänzen und fühlte in seiner Seele goldene
Sehnsuchtsflämmchen sprießen. Als aber die Sänger im zweiten Verse von den
Harfentönen der himmlischen Sphärenmusik sangen, da vernahm Gottfried nichts
mehr von der himmlischen Liebe, sondern er dachte an eine andere Liebe, dachte
so inbrünstig daran, daß ihm eine rote Welle vom Herzen in den Kopf fuhr und
er den Schlußsatz zur Verwunderung der Sänger hastig und gewaltsam ausklingen
ließ. Schnell klappte er den Geigenkasten zu und ging hinunter.

Hinter ihm drein polterten die Schritte der Sänger. Sie gingen, sich
räuspernd und die feuchten Stirnen trocknend, in die Gaststube, um rasch noch ein
paar eisgekühlte Biere zu haben. Gottfried hörte die Stühle scharren, die Gläser
klappern und merkte an einer plötzlich eintretenden Stille, daß alle tranken. Er
stand an den einen der vier Lindenbäume gelehnt, die vor dem Hause wuchsen,
und ihm war seltsam bedrückt und doch selig zumute. Da löste sich aus dem
Dunkel des Lindenschattens eine lichte Gestalt, kam ihm nahe, legte die Hand auf
seine Schultern und sagte: „Schön habt Ihr heute gesungen."

Es war Liselotte.

„Schön? Na — es muß noch kommen."

Und er wußte wohl, daß er sich an dem Liede versündigt hatte. Sie
schwieg und stand eine Weile neben ihm. Weshalb kommt nun Anna nicht?
dachte er.

„Ist Anna im Garten?"

„Ja, mit der Mutter."

Da gingen sie beide in den Garten, wo es nach nassem Buchs, Syringen
und Goldlack roch. Die Mutter und die Braut saßen auf der Bank bei dem
Goldlackbeete und hatten die Hände im Schoße.

„Mach dir gleich einen Knoten ins Schnupftuch, daß du morgen den Katalog
nicht vergißt."

„Ich denke schon daran," sagte er kurz und griff die Hand seiner Verlobten,
da sie einmal auf dem Wege dazu war.

Ein sparsames Gespräch sickerte in die Gartenstille. Es wollte keine Stimmung
aufkommen. Die Gewitterluft schien alle zu bedrücken. Nur Liselotte überlegte
bei sich, wem sie wohl die Tropfen von einem nassen, hängenden Zweige ins
Gesicht schnellen möchte. Und sie nahm den Zweig und ließ die Tropfenreihe
auf die Schwester spritzen.

„Dul Was sollen die Dummheiten!" rief sie.

Liselotte lachte hell und klingend auf. Und Gottfried wurde von der Musik
ihres Lachens mitgenommen und lachte gleichfalls herzhaft.

„Einer muß doch Dummheiten machen. Ihr seid ja so vernünftig."

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[0608] Gottfried Habcrkorfs Irrtum und sprach vom Gewitter, das noch kommen könne. So sitzt nur also die Ge¬ witterluft im Blute und den Leuten auch! dachte Gottfried, als er den Baß gar nicht dazu kriegen konnte, sich mit der gehörigen Weichheit und zartem Pianissimo der friedevoller Nachtsümmung des Liedes hinzugeben. Und er nahm sich zu¬ sammen und plagte den Baß mit dem Pianissimo, daß den Sängern die Schwei߬ tropfen auf die Stirn traten. Endlich ging es leidlich, die Stimmen klangen schön zusammen, und Gottfried sah wieder den nachtblauen Bau des Himmels¬ gewölbes mächtig schwellen, sah Sterne glänzen und fühlte in seiner Seele goldene Sehnsuchtsflämmchen sprießen. Als aber die Sänger im zweiten Verse von den Harfentönen der himmlischen Sphärenmusik sangen, da vernahm Gottfried nichts mehr von der himmlischen Liebe, sondern er dachte an eine andere Liebe, dachte so inbrünstig daran, daß ihm eine rote Welle vom Herzen in den Kopf fuhr und er den Schlußsatz zur Verwunderung der Sänger hastig und gewaltsam ausklingen ließ. Schnell klappte er den Geigenkasten zu und ging hinunter. Hinter ihm drein polterten die Schritte der Sänger. Sie gingen, sich räuspernd und die feuchten Stirnen trocknend, in die Gaststube, um rasch noch ein paar eisgekühlte Biere zu haben. Gottfried hörte die Stühle scharren, die Gläser klappern und merkte an einer plötzlich eintretenden Stille, daß alle tranken. Er stand an den einen der vier Lindenbäume gelehnt, die vor dem Hause wuchsen, und ihm war seltsam bedrückt und doch selig zumute. Da löste sich aus dem Dunkel des Lindenschattens eine lichte Gestalt, kam ihm nahe, legte die Hand auf seine Schultern und sagte: „Schön habt Ihr heute gesungen." Es war Liselotte. „Schön? Na — es muß noch kommen." Und er wußte wohl, daß er sich an dem Liede versündigt hatte. Sie schwieg und stand eine Weile neben ihm. Weshalb kommt nun Anna nicht? dachte er. „Ist Anna im Garten?" „Ja, mit der Mutter." Da gingen sie beide in den Garten, wo es nach nassem Buchs, Syringen und Goldlack roch. Die Mutter und die Braut saßen auf der Bank bei dem Goldlackbeete und hatten die Hände im Schoße. „Mach dir gleich einen Knoten ins Schnupftuch, daß du morgen den Katalog nicht vergißt." „Ich denke schon daran," sagte er kurz und griff die Hand seiner Verlobten, da sie einmal auf dem Wege dazu war. Ein sparsames Gespräch sickerte in die Gartenstille. Es wollte keine Stimmung aufkommen. Die Gewitterluft schien alle zu bedrücken. Nur Liselotte überlegte bei sich, wem sie wohl die Tropfen von einem nassen, hängenden Zweige ins Gesicht schnellen möchte. Und sie nahm den Zweig und ließ die Tropfenreihe auf die Schwester spritzen. „Dul Was sollen die Dummheiten!" rief sie. Liselotte lachte hell und klingend auf. Und Gottfried wurde von der Musik ihres Lachens mitgenommen und lachte gleichfalls herzhaft. „Einer muß doch Dummheiten machen. Ihr seid ja so vernünftig." „Was dabei nun bloß zu lachen ist," sagte Anna ärgerlich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/608>, abgerufen am 23.07.2024.