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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Gottfried Hciberkorfs Irrtum

bald über seine schiefen Stiefelabsätze, bald über eine etwas faserige Kravatte
kleine, lustig-spitze Bemerkungen. Das war ihm peinlich, und er kleidete sich
sorgsamer. Anna bemerkte das und fragte ihn nun, ob er nicht eigentlich für
seine Kleidung reichlich Geld ausgebe. Das war ihm noch peinlicher und er
antwortete, er könne es ohne Sorge bezahlen. Ja, sparsam war die Anna. Und
Gottfried wurde eines Abends unfreiwilliger Zuhörer eines Gesindegespräches,
woraus hervorging, daß Knecht und Magd ihr Essen ungern von Anna zubereitet
nahmen. Allein -- wer war auf dieser Welt ohne Schwächen und Fehler!

Wie Gottfried Haberkorf so durch die tropfenblinkeuden, duftenden Garten¬
becken ging, dachte er mit Freude an die stille, schlanke Anna. Ob sie heute abend
wohl ihr weißes Kleid trug? Das stand ihr besonders gut. Aber leider sah er
sie nicht oft darin. Sie kleidete sich immer sauber und ordentlich, aber darüber
hinaus ging es kaum. Liselotte dagegen velstand es, sich gut anzuziehen. Waren
die Schwestern auch überein gekleidet, so gab die jüngere ihrer äußeren Erscheinung
durch eine Schleife, eine Gürtelschnalle oder farbige Stiefel stets ein Besonderes.
Übrigens sahen sich die beiden zum Verwechseln ähnlich, den Altersunterschied von
drei Jahren merkte man nicht. Nur war der Jungerett blondes Haar etwas
dunkler, und der Schein ihrer Augen spielte mehr ins Veilchenfarbene, während
Annas Augen vergißmeinnichtblau waren. Von Größe und Gestalt waren sie
ziemlich gleich. Beide Mädchen hatten in der nahen Kleinstadt eine bessere Schule
besucht. Aber nach der Konfirmation war Liselotte lange Zeit bei einer verwitweten,
wohlhabenden Verwandten in Hannover gewesen, halte dort Theater und Konzerte
wie eine feinere Geselligkeit kennen gelernt. Das halte sie fürs Land verdorben,
meinte die Mutter, aber Vater Reutter schmunzelte dazu. Er war Gemeinde¬
vorsteher, hatte die Nase schon ein wenig tiefer in die Welt gesteckt und wußte,
daß sie nicht nur aus Bauern bestand.

Ein verständiger Mann, der Alte! sprach Gottfried vor sich hin, indem er
einen plitschnassen Zweig zurückbog, der über die Hecke in den schmalen Pfad hing.
Da sah er auch den weißen Giebel des Wirtshauses "Zum weißen Roß" mit
seinem silbergrauen Gebälk durchs Grüne schimmern, klinkte die Heckenpforte auf
und trat in den Garten. Anna kam ihm entgegen. Nun hat sie das weiße Kleid
doch nicht an! dachte Gottfried.

"Einen Kuß!" bat er.

"Aber nein, die Sänger sind schon in der Gaststube."

"So komm rasch in die Laube."

"Ja, das wäre! Nachher, wenn's paßt. Hast du mir den Nähmaschinen¬
katalog mitgebracht?"

"Ach nein, wieder vergessen!"

"Du bist einer. Woran du wohl immer denkst!"

Sie wandte sich schmollend ab.

"Na -- ich denke morgen dran. Bist du noch im Garten, wenn ich vom
Singen herunterkönne?"

"Ja."

"Also bis nachher."

Während der Singstunde war Gottfried zerstreut und wenig bei der Sache.
Einmal, als es draußen wieder grummelte, sah einer der Sänger aus dem Fenster


Gottfried Hciberkorfs Irrtum

bald über seine schiefen Stiefelabsätze, bald über eine etwas faserige Kravatte
kleine, lustig-spitze Bemerkungen. Das war ihm peinlich, und er kleidete sich
sorgsamer. Anna bemerkte das und fragte ihn nun, ob er nicht eigentlich für
seine Kleidung reichlich Geld ausgebe. Das war ihm noch peinlicher und er
antwortete, er könne es ohne Sorge bezahlen. Ja, sparsam war die Anna. Und
Gottfried wurde eines Abends unfreiwilliger Zuhörer eines Gesindegespräches,
woraus hervorging, daß Knecht und Magd ihr Essen ungern von Anna zubereitet
nahmen. Allein — wer war auf dieser Welt ohne Schwächen und Fehler!

Wie Gottfried Haberkorf so durch die tropfenblinkeuden, duftenden Garten¬
becken ging, dachte er mit Freude an die stille, schlanke Anna. Ob sie heute abend
wohl ihr weißes Kleid trug? Das stand ihr besonders gut. Aber leider sah er
sie nicht oft darin. Sie kleidete sich immer sauber und ordentlich, aber darüber
hinaus ging es kaum. Liselotte dagegen velstand es, sich gut anzuziehen. Waren
die Schwestern auch überein gekleidet, so gab die jüngere ihrer äußeren Erscheinung
durch eine Schleife, eine Gürtelschnalle oder farbige Stiefel stets ein Besonderes.
Übrigens sahen sich die beiden zum Verwechseln ähnlich, den Altersunterschied von
drei Jahren merkte man nicht. Nur war der Jungerett blondes Haar etwas
dunkler, und der Schein ihrer Augen spielte mehr ins Veilchenfarbene, während
Annas Augen vergißmeinnichtblau waren. Von Größe und Gestalt waren sie
ziemlich gleich. Beide Mädchen hatten in der nahen Kleinstadt eine bessere Schule
besucht. Aber nach der Konfirmation war Liselotte lange Zeit bei einer verwitweten,
wohlhabenden Verwandten in Hannover gewesen, halte dort Theater und Konzerte
wie eine feinere Geselligkeit kennen gelernt. Das halte sie fürs Land verdorben,
meinte die Mutter, aber Vater Reutter schmunzelte dazu. Er war Gemeinde¬
vorsteher, hatte die Nase schon ein wenig tiefer in die Welt gesteckt und wußte,
daß sie nicht nur aus Bauern bestand.

Ein verständiger Mann, der Alte! sprach Gottfried vor sich hin, indem er
einen plitschnassen Zweig zurückbog, der über die Hecke in den schmalen Pfad hing.
Da sah er auch den weißen Giebel des Wirtshauses „Zum weißen Roß" mit
seinem silbergrauen Gebälk durchs Grüne schimmern, klinkte die Heckenpforte auf
und trat in den Garten. Anna kam ihm entgegen. Nun hat sie das weiße Kleid
doch nicht an! dachte Gottfried.

„Einen Kuß!" bat er.

„Aber nein, die Sänger sind schon in der Gaststube."

„So komm rasch in die Laube."

„Ja, das wäre! Nachher, wenn's paßt. Hast du mir den Nähmaschinen¬
katalog mitgebracht?"

„Ach nein, wieder vergessen!"

„Du bist einer. Woran du wohl immer denkst!"

Sie wandte sich schmollend ab.

„Na — ich denke morgen dran. Bist du noch im Garten, wenn ich vom
Singen herunterkönne?"

„Ja."

„Also bis nachher."

Während der Singstunde war Gottfried zerstreut und wenig bei der Sache.
Einmal, als es draußen wieder grummelte, sah einer der Sänger aus dem Fenster


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[0607] Gottfried Hciberkorfs Irrtum bald über seine schiefen Stiefelabsätze, bald über eine etwas faserige Kravatte kleine, lustig-spitze Bemerkungen. Das war ihm peinlich, und er kleidete sich sorgsamer. Anna bemerkte das und fragte ihn nun, ob er nicht eigentlich für seine Kleidung reichlich Geld ausgebe. Das war ihm noch peinlicher und er antwortete, er könne es ohne Sorge bezahlen. Ja, sparsam war die Anna. Und Gottfried wurde eines Abends unfreiwilliger Zuhörer eines Gesindegespräches, woraus hervorging, daß Knecht und Magd ihr Essen ungern von Anna zubereitet nahmen. Allein — wer war auf dieser Welt ohne Schwächen und Fehler! Wie Gottfried Haberkorf so durch die tropfenblinkeuden, duftenden Garten¬ becken ging, dachte er mit Freude an die stille, schlanke Anna. Ob sie heute abend wohl ihr weißes Kleid trug? Das stand ihr besonders gut. Aber leider sah er sie nicht oft darin. Sie kleidete sich immer sauber und ordentlich, aber darüber hinaus ging es kaum. Liselotte dagegen velstand es, sich gut anzuziehen. Waren die Schwestern auch überein gekleidet, so gab die jüngere ihrer äußeren Erscheinung durch eine Schleife, eine Gürtelschnalle oder farbige Stiefel stets ein Besonderes. Übrigens sahen sich die beiden zum Verwechseln ähnlich, den Altersunterschied von drei Jahren merkte man nicht. Nur war der Jungerett blondes Haar etwas dunkler, und der Schein ihrer Augen spielte mehr ins Veilchenfarbene, während Annas Augen vergißmeinnichtblau waren. Von Größe und Gestalt waren sie ziemlich gleich. Beide Mädchen hatten in der nahen Kleinstadt eine bessere Schule besucht. Aber nach der Konfirmation war Liselotte lange Zeit bei einer verwitweten, wohlhabenden Verwandten in Hannover gewesen, halte dort Theater und Konzerte wie eine feinere Geselligkeit kennen gelernt. Das halte sie fürs Land verdorben, meinte die Mutter, aber Vater Reutter schmunzelte dazu. Er war Gemeinde¬ vorsteher, hatte die Nase schon ein wenig tiefer in die Welt gesteckt und wußte, daß sie nicht nur aus Bauern bestand. Ein verständiger Mann, der Alte! sprach Gottfried vor sich hin, indem er einen plitschnassen Zweig zurückbog, der über die Hecke in den schmalen Pfad hing. Da sah er auch den weißen Giebel des Wirtshauses „Zum weißen Roß" mit seinem silbergrauen Gebälk durchs Grüne schimmern, klinkte die Heckenpforte auf und trat in den Garten. Anna kam ihm entgegen. Nun hat sie das weiße Kleid doch nicht an! dachte Gottfried. „Einen Kuß!" bat er. „Aber nein, die Sänger sind schon in der Gaststube." „So komm rasch in die Laube." „Ja, das wäre! Nachher, wenn's paßt. Hast du mir den Nähmaschinen¬ katalog mitgebracht?" „Ach nein, wieder vergessen!" „Du bist einer. Woran du wohl immer denkst!" Sie wandte sich schmollend ab. „Na — ich denke morgen dran. Bist du noch im Garten, wenn ich vom Singen herunterkönne?" „Ja." „Also bis nachher." Während der Singstunde war Gottfried zerstreut und wenig bei der Sache. Einmal, als es draußen wieder grummelte, sah einer der Sänger aus dem Fenster

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/607>, abgerufen am 23.07.2024.