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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe aus China

nieder und sprach, zum Prinzen gerichtet, frei die Antwort aus die Glückwunsch¬
adresse in mandschurischer Sprache. Nachdem er geendet, verneigte sich Prinz
Kürg, stieg von der Estrade herab und trat an die Seite des russischen Dol¬
metschers, um diesem die Worte des Kaisers nach einem Konzept, das er in
der Hand hielt, in chinesischer Sprache zu wiederholen. Aus der jammervoll
unbeholfenen französischen Übersetzung P.'s ging u. a. hervor, daß der
Kaiser den Vertretern der fremden Mächte Glück und Erfolg in ihren Bestrebungen
wünsche. Das ist zwar rührend gut von ihm, aber er darf sich nun auch nicht
wundern, wenn jetzt daraufhin jeder von ihnen sein Kiao-chou verlangen wird.
Damit war die Feierlichkeit aus, und man ging nunmehr rückwärts, seine Süd¬
seite immer dem Antlitze des Himmelssohnes zukehrend, unter drei Verbeugungen
zurück. Diese Prozedur erinnerte mich lebhaft an die Schlußszene unserer Possen
und Operetten, wo alle Beteiligten Hand in Hand erst bis vor die Rampe und
dann wieder nach dem Hintergrunde der Bühne hüpfen. Die ganze Audienz
währte wohl kaum über fünf Minuten.

Vom Palaste selbst, d. h. von den zahllosen Palastbauten und Parkanlagen,
die eine ganze Stadt für sich bilden, bekam man leider so gut wie nichts zu
sehen. Aber die riesenhaften und dabei doch schönen Größenverhältnisse der
Höfe ließen immerhin die Großartigkeit der ganzen Anlage erkennen. Hier in
Peking ist eben alles morsch und verfallen, und auch der kaiserliche Palast
scheint keine Ausnahme von dieser Regel zu bilden; aber großartig und auch
schön muß hier vieles einst gewesen sein, da das ungeheure Reich noch auf der
Höhe seiner Macht stand. So manche Zeugen längst verschwundener Pracht
finden sich unter den Trümmern. Ob jemals wieder junges Leben aus den
Ruinen blühen wird?

17. II. Die traditionelle Nachfeier der Audienz besteht in einem Bankett,
das im Namen des Kaisers im Tsungli-Uamen (dem Auswärtigen Amte) gegeben
wird. Es fand dann auch gestern um 12 Uhr statt und verlief recht animiert.
Leider war nur das Menu in diesem Jahre ganz europäisch, während es früher
immer halb europäisch und halb chinesisch zu sein pflegte. Der Billigkeit wegen
hatten es die Herren dies Jahr dem hiesigen französischen Hotelier Taillen
übertragen. Der nahm 20 Dollar (40 Mary a Couvert, was ihnen unglaublich
billig vorkam. Daraus kann man ersehen, was für Preise der, allerdings
berühmte, chinesische Koch des Tsungli-Uamen genommen haben mag. Wie mir R.
sagte, werden für die Banketts von Staatswegen 20000 Taels (^ 60000 Mary
verausgabt -- natürlich ein glänzendes Geschäft für die Beteiligten. Das
Tsungli-Damen stiftet alljährlich einen Rennpreis für das große Rennen, das
die Europäer zu veranstalten pflegen, und diesen Rennpreis (das ist ein offenes
Geheimnis) mußte bisher immer der besagte Koch aus seiner Tasche bestreiten.
nett, nicht wahr? . ..




Briefe aus China

nieder und sprach, zum Prinzen gerichtet, frei die Antwort aus die Glückwunsch¬
adresse in mandschurischer Sprache. Nachdem er geendet, verneigte sich Prinz
Kürg, stieg von der Estrade herab und trat an die Seite des russischen Dol¬
metschers, um diesem die Worte des Kaisers nach einem Konzept, das er in
der Hand hielt, in chinesischer Sprache zu wiederholen. Aus der jammervoll
unbeholfenen französischen Übersetzung P.'s ging u. a. hervor, daß der
Kaiser den Vertretern der fremden Mächte Glück und Erfolg in ihren Bestrebungen
wünsche. Das ist zwar rührend gut von ihm, aber er darf sich nun auch nicht
wundern, wenn jetzt daraufhin jeder von ihnen sein Kiao-chou verlangen wird.
Damit war die Feierlichkeit aus, und man ging nunmehr rückwärts, seine Süd¬
seite immer dem Antlitze des Himmelssohnes zukehrend, unter drei Verbeugungen
zurück. Diese Prozedur erinnerte mich lebhaft an die Schlußszene unserer Possen
und Operetten, wo alle Beteiligten Hand in Hand erst bis vor die Rampe und
dann wieder nach dem Hintergrunde der Bühne hüpfen. Die ganze Audienz
währte wohl kaum über fünf Minuten.

Vom Palaste selbst, d. h. von den zahllosen Palastbauten und Parkanlagen,
die eine ganze Stadt für sich bilden, bekam man leider so gut wie nichts zu
sehen. Aber die riesenhaften und dabei doch schönen Größenverhältnisse der
Höfe ließen immerhin die Großartigkeit der ganzen Anlage erkennen. Hier in
Peking ist eben alles morsch und verfallen, und auch der kaiserliche Palast
scheint keine Ausnahme von dieser Regel zu bilden; aber großartig und auch
schön muß hier vieles einst gewesen sein, da das ungeheure Reich noch auf der
Höhe seiner Macht stand. So manche Zeugen längst verschwundener Pracht
finden sich unter den Trümmern. Ob jemals wieder junges Leben aus den
Ruinen blühen wird?

17. II. Die traditionelle Nachfeier der Audienz besteht in einem Bankett,
das im Namen des Kaisers im Tsungli-Uamen (dem Auswärtigen Amte) gegeben
wird. Es fand dann auch gestern um 12 Uhr statt und verlief recht animiert.
Leider war nur das Menu in diesem Jahre ganz europäisch, während es früher
immer halb europäisch und halb chinesisch zu sein pflegte. Der Billigkeit wegen
hatten es die Herren dies Jahr dem hiesigen französischen Hotelier Taillen
übertragen. Der nahm 20 Dollar (40 Mary a Couvert, was ihnen unglaublich
billig vorkam. Daraus kann man ersehen, was für Preise der, allerdings
berühmte, chinesische Koch des Tsungli-Uamen genommen haben mag. Wie mir R.
sagte, werden für die Banketts von Staatswegen 20000 Taels (^ 60000 Mary
verausgabt — natürlich ein glänzendes Geschäft für die Beteiligten. Das
Tsungli-Damen stiftet alljährlich einen Rennpreis für das große Rennen, das
die Europäer zu veranstalten pflegen, und diesen Rennpreis (das ist ein offenes
Geheimnis) mußte bisher immer der besagte Koch aus seiner Tasche bestreiten.
nett, nicht wahr? . ..




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[0602] Briefe aus China nieder und sprach, zum Prinzen gerichtet, frei die Antwort aus die Glückwunsch¬ adresse in mandschurischer Sprache. Nachdem er geendet, verneigte sich Prinz Kürg, stieg von der Estrade herab und trat an die Seite des russischen Dol¬ metschers, um diesem die Worte des Kaisers nach einem Konzept, das er in der Hand hielt, in chinesischer Sprache zu wiederholen. Aus der jammervoll unbeholfenen französischen Übersetzung P.'s ging u. a. hervor, daß der Kaiser den Vertretern der fremden Mächte Glück und Erfolg in ihren Bestrebungen wünsche. Das ist zwar rührend gut von ihm, aber er darf sich nun auch nicht wundern, wenn jetzt daraufhin jeder von ihnen sein Kiao-chou verlangen wird. Damit war die Feierlichkeit aus, und man ging nunmehr rückwärts, seine Süd¬ seite immer dem Antlitze des Himmelssohnes zukehrend, unter drei Verbeugungen zurück. Diese Prozedur erinnerte mich lebhaft an die Schlußszene unserer Possen und Operetten, wo alle Beteiligten Hand in Hand erst bis vor die Rampe und dann wieder nach dem Hintergrunde der Bühne hüpfen. Die ganze Audienz währte wohl kaum über fünf Minuten. Vom Palaste selbst, d. h. von den zahllosen Palastbauten und Parkanlagen, die eine ganze Stadt für sich bilden, bekam man leider so gut wie nichts zu sehen. Aber die riesenhaften und dabei doch schönen Größenverhältnisse der Höfe ließen immerhin die Großartigkeit der ganzen Anlage erkennen. Hier in Peking ist eben alles morsch und verfallen, und auch der kaiserliche Palast scheint keine Ausnahme von dieser Regel zu bilden; aber großartig und auch schön muß hier vieles einst gewesen sein, da das ungeheure Reich noch auf der Höhe seiner Macht stand. So manche Zeugen längst verschwundener Pracht finden sich unter den Trümmern. Ob jemals wieder junges Leben aus den Ruinen blühen wird? 17. II. Die traditionelle Nachfeier der Audienz besteht in einem Bankett, das im Namen des Kaisers im Tsungli-Uamen (dem Auswärtigen Amte) gegeben wird. Es fand dann auch gestern um 12 Uhr statt und verlief recht animiert. Leider war nur das Menu in diesem Jahre ganz europäisch, während es früher immer halb europäisch und halb chinesisch zu sein pflegte. Der Billigkeit wegen hatten es die Herren dies Jahr dem hiesigen französischen Hotelier Taillen übertragen. Der nahm 20 Dollar (40 Mary a Couvert, was ihnen unglaublich billig vorkam. Daraus kann man ersehen, was für Preise der, allerdings berühmte, chinesische Koch des Tsungli-Uamen genommen haben mag. Wie mir R. sagte, werden für die Banketts von Staatswegen 20000 Taels (^ 60000 Mary verausgabt — natürlich ein glänzendes Geschäft für die Beteiligten. Das Tsungli-Damen stiftet alljährlich einen Rennpreis für das große Rennen, das die Europäer zu veranstalten pflegen, und diesen Rennpreis (das ist ein offenes Geheimnis) mußte bisher immer der besagte Koch aus seiner Tasche bestreiten. nett, nicht wahr? . ..

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/602>, abgerufen am 23.07.2024.