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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe aus Lhina

berühmten Lamatempel Jung-ho-kung unternahm. Dieser Tempel ist Europäern
so gut wie unzugänglich, höchstens gegen schweres Geld (neulich wurden
25 Dollars für eine Person verlangt) wird man hineingelassen und dann in
solcher Hast hindurchgejagt, daß man nichts zu sehen bekommt. Die nahezu
tausend Lamas, die in dem zum Tempel gehörenden Kloster wohnen, meist
Tibetaner und Mongolen, sind ein wahres Ränbergesindel, und es ist, wenn
Europäer auf eigene Faust hineinzubringen suchten, schon manchmal zu einer
regelrechten Schlägerei gekommen.

Der verstorbene Bruder des hiesigen russischen Postmeisters Gombojew war
als "lebender Buddha" und geistliches Oberhaupt der chinesischen Lamaisten
seinerzeit zugleich das Oberhaupt dieses Tempels (Gombojew ist nämlich Mon¬
gole von Geburt). Dadurch hat auch der Postmeister, obwohl selber Christ,
noch mancherlei persönliche Beziehungen zu den dortigen Lamas, und da gerade
jetzt ein mongolischer Lama als Gast in seinem Hause logiert, so wurde der¬
selbe gebeten, uns den Besuch des Uung-ho-kung zu vermitteln. So wurden
wir denn dort als Gäste mit größter Zuvorkommenheit empfangen und zuerst
mit mongolischein Ziegeltee und allerhand Naschwerk, das gar nicht so übel
schmeckte, bewirtet. Der Tempel selbst war ursprünglich der Palast des Kaisers
Uung-cheng (1722 bis 1732) und wurde von dessen Nachfolger, dem großen
K'im-lung, in einen Tempel umgewandelt. Er besteht aus einer ganzen Anzahl
großartiger Bauten, eine immer schöner als die andere, und alle, wie das
immer bei kaiserlichen Bauten der Fall, mit gelben Kacheln gedeckt. Diese
Tempel bergen einen derartigen Reichtum der herrlichsten Kunstwerke -- Cloi-
sonnss, Bronzen, Schnitzereien, Gemälde -- aus der Blütezeit der chinesischen
Kunst, daß man nicht aus dem Staunen herauskommt. Als die Lamas merkten,
daß ich nicht nur Chinesisch, sondern auch Mandschu, Mongolisch und Tibetisch
lesen konnte, waren sie natürlich nicht wenig erstaunt und wurden nur um so
liebenswürdiger. Das war wirklich ein Genuß, um den mich manche der
hiesigen Europäer beneiden können.

Von dem Uung-ho-kung ritten wir nach dem Pei-tuam, der russischen
Mission, um dem Archimandriten einen Besuch abzustatten. Dieser, ein noch
junger, fein gebildeter Mann mit einem klassisch schönen Johanueskopf, empfing
uns sehr freundlich und stärkte uns mit vorzüglichem Tee. Er war früher
Rektor des Petersburger Priesterseminars und ist erst seit einem Jahre hier.
Zu tun hat er nichts und bekommt dafür 20000 Rubel jährlich. Er hat den
Posten angenommen, um ungestört seinen theologischen Studien leben zu
können. Die Russen haben in ihrer Misston eine sehr wertvolle chinesische
Bibliothek, aber unter den jetzigen Mitgliedern ist leider niemand, der sie benutzen
könnte. ...




Briefe aus Lhina

berühmten Lamatempel Jung-ho-kung unternahm. Dieser Tempel ist Europäern
so gut wie unzugänglich, höchstens gegen schweres Geld (neulich wurden
25 Dollars für eine Person verlangt) wird man hineingelassen und dann in
solcher Hast hindurchgejagt, daß man nichts zu sehen bekommt. Die nahezu
tausend Lamas, die in dem zum Tempel gehörenden Kloster wohnen, meist
Tibetaner und Mongolen, sind ein wahres Ränbergesindel, und es ist, wenn
Europäer auf eigene Faust hineinzubringen suchten, schon manchmal zu einer
regelrechten Schlägerei gekommen.

Der verstorbene Bruder des hiesigen russischen Postmeisters Gombojew war
als „lebender Buddha" und geistliches Oberhaupt der chinesischen Lamaisten
seinerzeit zugleich das Oberhaupt dieses Tempels (Gombojew ist nämlich Mon¬
gole von Geburt). Dadurch hat auch der Postmeister, obwohl selber Christ,
noch mancherlei persönliche Beziehungen zu den dortigen Lamas, und da gerade
jetzt ein mongolischer Lama als Gast in seinem Hause logiert, so wurde der¬
selbe gebeten, uns den Besuch des Uung-ho-kung zu vermitteln. So wurden
wir denn dort als Gäste mit größter Zuvorkommenheit empfangen und zuerst
mit mongolischein Ziegeltee und allerhand Naschwerk, das gar nicht so übel
schmeckte, bewirtet. Der Tempel selbst war ursprünglich der Palast des Kaisers
Uung-cheng (1722 bis 1732) und wurde von dessen Nachfolger, dem großen
K'im-lung, in einen Tempel umgewandelt. Er besteht aus einer ganzen Anzahl
großartiger Bauten, eine immer schöner als die andere, und alle, wie das
immer bei kaiserlichen Bauten der Fall, mit gelben Kacheln gedeckt. Diese
Tempel bergen einen derartigen Reichtum der herrlichsten Kunstwerke — Cloi-
sonnss, Bronzen, Schnitzereien, Gemälde — aus der Blütezeit der chinesischen
Kunst, daß man nicht aus dem Staunen herauskommt. Als die Lamas merkten,
daß ich nicht nur Chinesisch, sondern auch Mandschu, Mongolisch und Tibetisch
lesen konnte, waren sie natürlich nicht wenig erstaunt und wurden nur um so
liebenswürdiger. Das war wirklich ein Genuß, um den mich manche der
hiesigen Europäer beneiden können.

Von dem Uung-ho-kung ritten wir nach dem Pei-tuam, der russischen
Mission, um dem Archimandriten einen Besuch abzustatten. Dieser, ein noch
junger, fein gebildeter Mann mit einem klassisch schönen Johanueskopf, empfing
uns sehr freundlich und stärkte uns mit vorzüglichem Tee. Er war früher
Rektor des Petersburger Priesterseminars und ist erst seit einem Jahre hier.
Zu tun hat er nichts und bekommt dafür 20000 Rubel jährlich. Er hat den
Posten angenommen, um ungestört seinen theologischen Studien leben zu
können. Die Russen haben in ihrer Misston eine sehr wertvolle chinesische
Bibliothek, aber unter den jetzigen Mitgliedern ist leider niemand, der sie benutzen
könnte. ...




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/600>, abgerufen am 23.07.2024.