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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Adel

erst das Bürgertum in dem Adel Fleisch von seinem eigenen Fleisch sehen und
wirklich zu ihm emporblicken als zu einer Oberschicht, die die Wertvollsten aus
seiner Mitte enthält, und nicht zu ihm hinüberschauen wie in eine andere
Welt, die von ihm getrennt ist durch eine chinesische Mauer von historischen
Reminiszenzen, Anmaßungen und Vorurteilen. Das Rezept Sommerfelds ist
kein gutes; denn ihm mangelt das Quentchen sozialer Gerechtigkeit, dessen
Fehlen uns das Ragout der Adelsfrage heute so ungenießbar macht. Und
ohne dieses Quentchen dürste es in Zukunft nicht abgehen. Auf deutsch: man
wird wohl nicht.umhin können, den -Adel allgemach durch Beseitigung oder
Milderung der aus der Ständeverfassung überkommenen Abstammungstheorie
und größerer Berücksichtigung der eigenen Leistungsfähigkeit auf eine andere Grund¬
lage zu stellen, will man nicht bei dem heutigen gewaltsamen Aufwärts¬
dringen von Können und Haben Gefahr laufen, die Abkömmlinge der alten
Feudalität allmählich in die Rolle der letzten Azteken zu drängen. Es wird
sich also im wesentlichen darum handeln, die Zugehörigkeit zum Adel an gewisse,
genau zu bestimmende Voraussetzungen zu knüpfen, die in der Person des
Betreffenden vorliegen müssen, vielleicht in der Art, daß die Größen aller Zweige
unseres Volkslebens, also etwa der Landwirtschaft, der Industrie, des Handels, der
Wissenschaft, der Kunst, des Beamtentums, der Armee usw. den Edelsten der
Nation zugerechnet werden. Eine solche Einrichtung würde natürlich zur Folge
haben, daß, je immobiler das den Adel bedingende Erfordernis, desto sicherer
die Bewahrung des Adels innerhalb derselben Familie ist, so daß also der
bodenständige Landadel am besten abschneiden würde. Das dürste wohl aber
auch im staatlichen Interesse liegen.

Übrigens sind Beispiele einer Regelung der Adelsfrage, die den vor¬
stehenden Ausführungen in mancher Hinsicht Rechnung tragen, schon vorhanden.
Man denke z. B. an das englische System mit der Entadelung nachgeborener,
landflüchtiger Kinder, das allerdings durch Auswüchse aller Art fast in fein
Gegenteil verkehrt worden ist. Ja, auch in Preußen sind im Jahre 1840
mehreren Personen die Prädikate "Graf", "Freiherr" und "von" verliehen
worden, mit der Maßgabe, >daß diese Prädikate nur auf denjenigen unter den
Deszendenten übergehen, der in den alleinigen Besitz des väterlichen Grund¬
eigentums gelangt, ferner nur alsdann, wenn dieses ererbte Grundeigentum
das gegenwärtige oder mindestens dem letzteren an Umfang und Rechten gleich
und in der Monarchie gelegen ist, und nur für die Dauer dieses Grundbesitzes
gelten, mit dessen Verlust in der Person des letzten Besitzers aber erlöschen
sollen (Preuß. Staatsanzeiger 1840, Ur. 57). Ferner wurden in 'demselben
Jahre eine Anzahl Adelsprädikate mit der Bedingung erteilt, daß sie auf die
männliche und weibliche Deszendenz ersten Grades übergehen, in den weiteren
Graden aber nur insofern vererbt werden, als die Söhne des Begnadeten in
in den rittermäßigen Grundbesitz des Vaters sukzedieren oder selbst einen solchen
Grundbesitz im preußischen Staat erwerben (Preuß. Staatsanzeiger 1840. Ur. 287).


Adel

erst das Bürgertum in dem Adel Fleisch von seinem eigenen Fleisch sehen und
wirklich zu ihm emporblicken als zu einer Oberschicht, die die Wertvollsten aus
seiner Mitte enthält, und nicht zu ihm hinüberschauen wie in eine andere
Welt, die von ihm getrennt ist durch eine chinesische Mauer von historischen
Reminiszenzen, Anmaßungen und Vorurteilen. Das Rezept Sommerfelds ist
kein gutes; denn ihm mangelt das Quentchen sozialer Gerechtigkeit, dessen
Fehlen uns das Ragout der Adelsfrage heute so ungenießbar macht. Und
ohne dieses Quentchen dürste es in Zukunft nicht abgehen. Auf deutsch: man
wird wohl nicht.umhin können, den -Adel allgemach durch Beseitigung oder
Milderung der aus der Ständeverfassung überkommenen Abstammungstheorie
und größerer Berücksichtigung der eigenen Leistungsfähigkeit auf eine andere Grund¬
lage zu stellen, will man nicht bei dem heutigen gewaltsamen Aufwärts¬
dringen von Können und Haben Gefahr laufen, die Abkömmlinge der alten
Feudalität allmählich in die Rolle der letzten Azteken zu drängen. Es wird
sich also im wesentlichen darum handeln, die Zugehörigkeit zum Adel an gewisse,
genau zu bestimmende Voraussetzungen zu knüpfen, die in der Person des
Betreffenden vorliegen müssen, vielleicht in der Art, daß die Größen aller Zweige
unseres Volkslebens, also etwa der Landwirtschaft, der Industrie, des Handels, der
Wissenschaft, der Kunst, des Beamtentums, der Armee usw. den Edelsten der
Nation zugerechnet werden. Eine solche Einrichtung würde natürlich zur Folge
haben, daß, je immobiler das den Adel bedingende Erfordernis, desto sicherer
die Bewahrung des Adels innerhalb derselben Familie ist, so daß also der
bodenständige Landadel am besten abschneiden würde. Das dürste wohl aber
auch im staatlichen Interesse liegen.

Übrigens sind Beispiele einer Regelung der Adelsfrage, die den vor¬
stehenden Ausführungen in mancher Hinsicht Rechnung tragen, schon vorhanden.
Man denke z. B. an das englische System mit der Entadelung nachgeborener,
landflüchtiger Kinder, das allerdings durch Auswüchse aller Art fast in fein
Gegenteil verkehrt worden ist. Ja, auch in Preußen sind im Jahre 1840
mehreren Personen die Prädikate „Graf", „Freiherr" und „von" verliehen
worden, mit der Maßgabe, >daß diese Prädikate nur auf denjenigen unter den
Deszendenten übergehen, der in den alleinigen Besitz des väterlichen Grund¬
eigentums gelangt, ferner nur alsdann, wenn dieses ererbte Grundeigentum
das gegenwärtige oder mindestens dem letzteren an Umfang und Rechten gleich
und in der Monarchie gelegen ist, und nur für die Dauer dieses Grundbesitzes
gelten, mit dessen Verlust in der Person des letzten Besitzers aber erlöschen
sollen (Preuß. Staatsanzeiger 1840, Ur. 57). Ferner wurden in 'demselben
Jahre eine Anzahl Adelsprädikate mit der Bedingung erteilt, daß sie auf die
männliche und weibliche Deszendenz ersten Grades übergehen, in den weiteren
Graden aber nur insofern vererbt werden, als die Söhne des Begnadeten in
in den rittermäßigen Grundbesitz des Vaters sukzedieren oder selbst einen solchen
Grundbesitz im preußischen Staat erwerben (Preuß. Staatsanzeiger 1840. Ur. 287).


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[0583] Adel erst das Bürgertum in dem Adel Fleisch von seinem eigenen Fleisch sehen und wirklich zu ihm emporblicken als zu einer Oberschicht, die die Wertvollsten aus seiner Mitte enthält, und nicht zu ihm hinüberschauen wie in eine andere Welt, die von ihm getrennt ist durch eine chinesische Mauer von historischen Reminiszenzen, Anmaßungen und Vorurteilen. Das Rezept Sommerfelds ist kein gutes; denn ihm mangelt das Quentchen sozialer Gerechtigkeit, dessen Fehlen uns das Ragout der Adelsfrage heute so ungenießbar macht. Und ohne dieses Quentchen dürste es in Zukunft nicht abgehen. Auf deutsch: man wird wohl nicht.umhin können, den -Adel allgemach durch Beseitigung oder Milderung der aus der Ständeverfassung überkommenen Abstammungstheorie und größerer Berücksichtigung der eigenen Leistungsfähigkeit auf eine andere Grund¬ lage zu stellen, will man nicht bei dem heutigen gewaltsamen Aufwärts¬ dringen von Können und Haben Gefahr laufen, die Abkömmlinge der alten Feudalität allmählich in die Rolle der letzten Azteken zu drängen. Es wird sich also im wesentlichen darum handeln, die Zugehörigkeit zum Adel an gewisse, genau zu bestimmende Voraussetzungen zu knüpfen, die in der Person des Betreffenden vorliegen müssen, vielleicht in der Art, daß die Größen aller Zweige unseres Volkslebens, also etwa der Landwirtschaft, der Industrie, des Handels, der Wissenschaft, der Kunst, des Beamtentums, der Armee usw. den Edelsten der Nation zugerechnet werden. Eine solche Einrichtung würde natürlich zur Folge haben, daß, je immobiler das den Adel bedingende Erfordernis, desto sicherer die Bewahrung des Adels innerhalb derselben Familie ist, so daß also der bodenständige Landadel am besten abschneiden würde. Das dürste wohl aber auch im staatlichen Interesse liegen. Übrigens sind Beispiele einer Regelung der Adelsfrage, die den vor¬ stehenden Ausführungen in mancher Hinsicht Rechnung tragen, schon vorhanden. Man denke z. B. an das englische System mit der Entadelung nachgeborener, landflüchtiger Kinder, das allerdings durch Auswüchse aller Art fast in fein Gegenteil verkehrt worden ist. Ja, auch in Preußen sind im Jahre 1840 mehreren Personen die Prädikate „Graf", „Freiherr" und „von" verliehen worden, mit der Maßgabe, >daß diese Prädikate nur auf denjenigen unter den Deszendenten übergehen, der in den alleinigen Besitz des väterlichen Grund¬ eigentums gelangt, ferner nur alsdann, wenn dieses ererbte Grundeigentum das gegenwärtige oder mindestens dem letzteren an Umfang und Rechten gleich und in der Monarchie gelegen ist, und nur für die Dauer dieses Grundbesitzes gelten, mit dessen Verlust in der Person des letzten Besitzers aber erlöschen sollen (Preuß. Staatsanzeiger 1840, Ur. 57). Ferner wurden in 'demselben Jahre eine Anzahl Adelsprädikate mit der Bedingung erteilt, daß sie auf die männliche und weibliche Deszendenz ersten Grades übergehen, in den weiteren Graden aber nur insofern vererbt werden, als die Söhne des Begnadeten in in den rittermäßigen Grundbesitz des Vaters sukzedieren oder selbst einen solchen Grundbesitz im preußischen Staat erwerben (Preuß. Staatsanzeiger 1840. Ur. 287).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/583>, abgerufen am 03.07.2024.