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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Adel

dienst eines einfach Adligen nur für sich selbst, das eines Barons noch für seine
Kinder, das eines Grafen für zwei Generationen usf. reichen. Natürlich bedeutet
dieser Vorschlag ein Zugeständnis zugunsten der gegenwärtigen unerfreulichen Er¬
scheinung eines entwurzelten Adelspröletariats. Aber ich glaube, daß man
dem alten Wort: "Des Vaters Segen bauet den Kindern Häuser" bis zu
diesem Grade ohne große Gefahr seine Geltung belassen kann. Denn da auf diese
Weise nur beim Vorliegen höherer Adelsstufen Adlige ohne jedes eigene Ver¬
dienst geschaffen würden, so würde deren Zahl bei ordnungsmäßiger, durch
sichere Kautelen gewährleisteter Handhabung der ganzen Standesfrage nicht groß
sein. Außerdem bliebe für den Grundsatz der Bewertung der eigenen Leistung
auch für diese adligen Abkömmlinge, deren Adelsherrlichkeit schon in den nächsten
Generationen ein Ende finden kann, noch genügend Platz übrig.

Wäre es nun im Hinblick auf die bei uns bestehenden, oben kurz an¬
gedeuteten und wohl allgemein anerkannten Mißstände nicht angezeigt, eine
Umgestaltung unseres Adels nach den angeführten oder auch nach anderen,
jedenfalls die gegenwärtigen Übelstände beseitigenden Grundsätzen in die Hand
zu nehmen? Anregungen oder wenigstens Andeutungen nach dieser Richtung
sind schon wiederholt laut geworden. Ich verweise z. B. auf die Ausführungen
des Jndividualaristokraten Kurt Breysig über dieses Thema, die, wenn sie auch
noch nicht bis zum Stadium positiver Vorschläge gediehen sind, doch die Tendenz
nach einer Reform des Adels unter höherer Bewertung der persönlichen Leistungs¬
fähigkeit erkennen lassen. Ich denke ferner an einen Aufsatz von Oberstleutnant
v. Sommerfeld in Ur. 35 der Grenzboten, Jahrgang 1910: "Vom Adel in der
Armee und vom Adel überhaupt". Was der Verfasser über die gebührende Be¬
deutung und die Aufgaben des Adels ausführt, hätte hier fast wörtlich wiederholt
werden können. Freilich zieht er aus seinen Ausführungen nicht die allein
logische Folgerung, daß diese rein auf den Wert des einzelnen Menschen
zugeschnittenen Aufgaben sich mit der Reservierung des Adelsprivilegs für die
Angehörigen einer uns aus früheren, andersgearteten Zeitläuften überkommenen
Kaste nicht mehr zusammenreimt, und daß mit dem Adelsbegriff auch die Ein¬
richtung an sich einer Umgestaltung bedarf. Im Gegenteil, von einer Umgestaltung
will er durchaus nichts wissen. Er begnügt sich zur Hebung der bestehenden
Unzulänglichkeiten vielmehr damit, dem Adel Moral zu predigen und ein rück¬
sichtsloses Abstoßen aller schädlichen Triebe des heutigen Adels zu empfehlen.
Auf die Ermahnung zum Guten brauchen wir nicht weiter einzugehen. Und
die Abstoßung schädlicher Triebe? Der Laraeter mäelsdili8 des heutigen Adels
trägt allerdings wesentlich zur Förderung des Kastengeistes bei und müßte daher
bei einer Reform des Adels beseitigt werden. Glaubt Herr von Sommerfeld
wirklich, daß das bei heutigen Verhältnissen genügt, ja auch ohne weiteres
möglich ist? So wie heute die Verhältnisse liegen, da Avliger und Bürgerlicher
Menschen verschiedener Art sind, würde sich die bürgerliche Gesellschaft stark
dagegen sträuben, die entarteten Adligen bei sich aufzunehmen. Nein, dazu müßte


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dienst eines einfach Adligen nur für sich selbst, das eines Barons noch für seine
Kinder, das eines Grafen für zwei Generationen usf. reichen. Natürlich bedeutet
dieser Vorschlag ein Zugeständnis zugunsten der gegenwärtigen unerfreulichen Er¬
scheinung eines entwurzelten Adelspröletariats. Aber ich glaube, daß man
dem alten Wort: „Des Vaters Segen bauet den Kindern Häuser" bis zu
diesem Grade ohne große Gefahr seine Geltung belassen kann. Denn da auf diese
Weise nur beim Vorliegen höherer Adelsstufen Adlige ohne jedes eigene Ver¬
dienst geschaffen würden, so würde deren Zahl bei ordnungsmäßiger, durch
sichere Kautelen gewährleisteter Handhabung der ganzen Standesfrage nicht groß
sein. Außerdem bliebe für den Grundsatz der Bewertung der eigenen Leistung
auch für diese adligen Abkömmlinge, deren Adelsherrlichkeit schon in den nächsten
Generationen ein Ende finden kann, noch genügend Platz übrig.

Wäre es nun im Hinblick auf die bei uns bestehenden, oben kurz an¬
gedeuteten und wohl allgemein anerkannten Mißstände nicht angezeigt, eine
Umgestaltung unseres Adels nach den angeführten oder auch nach anderen,
jedenfalls die gegenwärtigen Übelstände beseitigenden Grundsätzen in die Hand
zu nehmen? Anregungen oder wenigstens Andeutungen nach dieser Richtung
sind schon wiederholt laut geworden. Ich verweise z. B. auf die Ausführungen
des Jndividualaristokraten Kurt Breysig über dieses Thema, die, wenn sie auch
noch nicht bis zum Stadium positiver Vorschläge gediehen sind, doch die Tendenz
nach einer Reform des Adels unter höherer Bewertung der persönlichen Leistungs¬
fähigkeit erkennen lassen. Ich denke ferner an einen Aufsatz von Oberstleutnant
v. Sommerfeld in Ur. 35 der Grenzboten, Jahrgang 1910: „Vom Adel in der
Armee und vom Adel überhaupt". Was der Verfasser über die gebührende Be¬
deutung und die Aufgaben des Adels ausführt, hätte hier fast wörtlich wiederholt
werden können. Freilich zieht er aus seinen Ausführungen nicht die allein
logische Folgerung, daß diese rein auf den Wert des einzelnen Menschen
zugeschnittenen Aufgaben sich mit der Reservierung des Adelsprivilegs für die
Angehörigen einer uns aus früheren, andersgearteten Zeitläuften überkommenen
Kaste nicht mehr zusammenreimt, und daß mit dem Adelsbegriff auch die Ein¬
richtung an sich einer Umgestaltung bedarf. Im Gegenteil, von einer Umgestaltung
will er durchaus nichts wissen. Er begnügt sich zur Hebung der bestehenden
Unzulänglichkeiten vielmehr damit, dem Adel Moral zu predigen und ein rück¬
sichtsloses Abstoßen aller schädlichen Triebe des heutigen Adels zu empfehlen.
Auf die Ermahnung zum Guten brauchen wir nicht weiter einzugehen. Und
die Abstoßung schädlicher Triebe? Der Laraeter mäelsdili8 des heutigen Adels
trägt allerdings wesentlich zur Förderung des Kastengeistes bei und müßte daher
bei einer Reform des Adels beseitigt werden. Glaubt Herr von Sommerfeld
wirklich, daß das bei heutigen Verhältnissen genügt, ja auch ohne weiteres
möglich ist? So wie heute die Verhältnisse liegen, da Avliger und Bürgerlicher
Menschen verschiedener Art sind, würde sich die bürgerliche Gesellschaft stark
dagegen sträuben, die entarteten Adligen bei sich aufzunehmen. Nein, dazu müßte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/582>, abgerufen am 23.07.2024.