Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.Reichsspiegel und wir werden, da die übrigen ausländischen Guthaben kaum die Höhe der In der Tat, die augenblickliche Lage der schweren Industrie ist glänzend: Reichsspiegel und wir werden, da die übrigen ausländischen Guthaben kaum die Höhe der In der Tat, die augenblickliche Lage der schweren Industrie ist glänzend: <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0574" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320175"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2472" prev="#ID_2471"> und wir werden, da die übrigen ausländischen Guthaben kaum die Höhe der<lb/> amerikanischen Gelder erreichen, in der Hauptsache unsere Bedürfnisse aus eigenen<lb/> Mitteln bestreiten müssen. Daher wird frühzeitig zum Sammeln geblasen und<lb/> vor Überspannung des Kredits und Überspekulation gewarnt. Indessen darf man<lb/> billig bezweifeln, ob Mahnungen allein das Ziel erreichen werden und ob es<lb/> dazu nicht des viel stärkeren Zwangs der Verhältnisse bedarf. Man darf nicht<lb/> übersehen: für die Entwicklung des Geldmarktes ist die Effektenspekulation von<lb/> ungleich geringerem Einfluß als die anderen Komponenten des Wirtschaftslebens,<lb/> vor allem die Industrie. Dieses mächtige Schwungrad, einmal in Gang gesetzt,<lb/> läßt sich aber nicht nach Belieben aufhalten oder verlangsamen. Monat um<lb/> Monate steigen die Produklionsziffern von Kohle und Eisen. Der Monat November<lb/> bedeutet mit einem Tagesdurchschnitt von nahezu 44000 Tonnen das Maruuum der<lb/> bisherigen deutschen Roheisenproduktion; die Versandziffern des Stahlwerksverbandes<lb/> wiesen namentlich für Halbzeug nie gesehene Rekordleistungen auf, die Kohlen¬<lb/> förderung und der Absatz sind so rege, daß das Kohlensyndikat seine Zechen weit<lb/> über deren natürliche Beteiligung hinaus beschäftigen kann: solche Entwicklung,<lb/> solche fieberhafte Anspannung der Leistungsfähigkeit müssen mit Naturnotwendig¬<lb/> keit zu einem starken Kapitalbedarf und vor allem auch zu starker Investition<lb/> führen. Der Einzelne ist solcher Bewegung gegenüber machtlos, er wird mit¬<lb/> gerissen und auch die Bankwelt kann, wie vielfältige Erfahrung zeigt, uur schwer<lb/> die Grenze erkennen, wo weitere Kreditzufuhr eine Überhitzung des Kessels<lb/> bedeutet.</p><lb/> <p xml:id="ID_2473"> In der Tat, die augenblickliche Lage der schweren Industrie ist glänzend:<lb/> der Jahresabschluß unseres größten Montanunternehmens, der Aktiengesellschaft<lb/> Friedrich Krupp, beweist zur Genüge, wie einträglich schon die Verhältnisse des<lb/> letzten Jahres, das doch wahrlich recht viel Unsicherheit in seinen: Schoße barg,<lb/> sich für die Stahlindustrie gestaltet haben. Welche Gewumziffern! Um volle<lb/> sieben Millionen, mehr als ein Drittel ist der Reingewinn gegen daS Vorjahr<lb/> gestiegen und hat damit den höchsten Stand in der Geschichte des Unternehmens<lb/> erreicht. Gleichwohl aber wird die Dividende auf dem bisherigen Niveau gelassen<lb/> und das stattliche Mehrergebnis ganz zur inneren Kräftigung verwandt. Man<lb/> sieht, die Verwaltung rüstet sich bei Zeiten gegen die Veränderlichkeiten der Kon¬<lb/> junktur. Das scheint fast übertriebene Vorsicht, aber gerade die Lehren des letzten<lb/> halben Jahres haben, wie sie die Veranlassung zu so behutsamer Geschäftspolitik<lb/> gaben, so auch deren Nichtigkeit in Helles Licht gesetzt. Ist doch, ganz abgesehen<lb/> von den Überraschungen der Politik, die Industrie stets auch Fährlichkeiten anderer<lb/> Natur ausgesetzt. Der große Metallarbeiterstreik in Berlin, der schon zur<lb/> Aussperrung von sechzigtausend Arbeitern geführt hatte, ist glücklicherweise noch<lb/> im letzten Augenblick durch eine Verständigung beigelegt worden. Damit wurde<lb/> eine Gefahr beseitigt, die schon vor einigen Monaten von Thüringen und Sachsen<lb/> aus der Metallindustrie gedroht hatte, eine Gefahr, die bei der Größe und Stärke<lb/> des Verbandes der Metallarbeiter nicht unterschätzt werden darf und trotz des<lb/> augenblicklichen Friedensschlusses jeden Augenblick wieder auftauchen kann. Gährt<lb/> es doch auch in anderen Industriezweigen: auch in der Berliner Konfektion<lb/> tobt ein Kampf zwischen Arbeitgebern und Heimarbeitern um bessere Arbeits¬<lb/> bedingungen, eine ständige Begleiterscheinung günstiger geschäftlicher Konjunktur.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0574]
Reichsspiegel
und wir werden, da die übrigen ausländischen Guthaben kaum die Höhe der
amerikanischen Gelder erreichen, in der Hauptsache unsere Bedürfnisse aus eigenen
Mitteln bestreiten müssen. Daher wird frühzeitig zum Sammeln geblasen und
vor Überspannung des Kredits und Überspekulation gewarnt. Indessen darf man
billig bezweifeln, ob Mahnungen allein das Ziel erreichen werden und ob es
dazu nicht des viel stärkeren Zwangs der Verhältnisse bedarf. Man darf nicht
übersehen: für die Entwicklung des Geldmarktes ist die Effektenspekulation von
ungleich geringerem Einfluß als die anderen Komponenten des Wirtschaftslebens,
vor allem die Industrie. Dieses mächtige Schwungrad, einmal in Gang gesetzt,
läßt sich aber nicht nach Belieben aufhalten oder verlangsamen. Monat um
Monate steigen die Produklionsziffern von Kohle und Eisen. Der Monat November
bedeutet mit einem Tagesdurchschnitt von nahezu 44000 Tonnen das Maruuum der
bisherigen deutschen Roheisenproduktion; die Versandziffern des Stahlwerksverbandes
wiesen namentlich für Halbzeug nie gesehene Rekordleistungen auf, die Kohlen¬
förderung und der Absatz sind so rege, daß das Kohlensyndikat seine Zechen weit
über deren natürliche Beteiligung hinaus beschäftigen kann: solche Entwicklung,
solche fieberhafte Anspannung der Leistungsfähigkeit müssen mit Naturnotwendig¬
keit zu einem starken Kapitalbedarf und vor allem auch zu starker Investition
führen. Der Einzelne ist solcher Bewegung gegenüber machtlos, er wird mit¬
gerissen und auch die Bankwelt kann, wie vielfältige Erfahrung zeigt, uur schwer
die Grenze erkennen, wo weitere Kreditzufuhr eine Überhitzung des Kessels
bedeutet.
In der Tat, die augenblickliche Lage der schweren Industrie ist glänzend:
der Jahresabschluß unseres größten Montanunternehmens, der Aktiengesellschaft
Friedrich Krupp, beweist zur Genüge, wie einträglich schon die Verhältnisse des
letzten Jahres, das doch wahrlich recht viel Unsicherheit in seinen: Schoße barg,
sich für die Stahlindustrie gestaltet haben. Welche Gewumziffern! Um volle
sieben Millionen, mehr als ein Drittel ist der Reingewinn gegen daS Vorjahr
gestiegen und hat damit den höchsten Stand in der Geschichte des Unternehmens
erreicht. Gleichwohl aber wird die Dividende auf dem bisherigen Niveau gelassen
und das stattliche Mehrergebnis ganz zur inneren Kräftigung verwandt. Man
sieht, die Verwaltung rüstet sich bei Zeiten gegen die Veränderlichkeiten der Kon¬
junktur. Das scheint fast übertriebene Vorsicht, aber gerade die Lehren des letzten
halben Jahres haben, wie sie die Veranlassung zu so behutsamer Geschäftspolitik
gaben, so auch deren Nichtigkeit in Helles Licht gesetzt. Ist doch, ganz abgesehen
von den Überraschungen der Politik, die Industrie stets auch Fährlichkeiten anderer
Natur ausgesetzt. Der große Metallarbeiterstreik in Berlin, der schon zur
Aussperrung von sechzigtausend Arbeitern geführt hatte, ist glücklicherweise noch
im letzten Augenblick durch eine Verständigung beigelegt worden. Damit wurde
eine Gefahr beseitigt, die schon vor einigen Monaten von Thüringen und Sachsen
aus der Metallindustrie gedroht hatte, eine Gefahr, die bei der Größe und Stärke
des Verbandes der Metallarbeiter nicht unterschätzt werden darf und trotz des
augenblicklichen Friedensschlusses jeden Augenblick wieder auftauchen kann. Gährt
es doch auch in anderen Industriezweigen: auch in der Berliner Konfektion
tobt ein Kampf zwischen Arbeitgebern und Heimarbeitern um bessere Arbeits¬
bedingungen, eine ständige Begleiterscheinung günstiger geschäftlicher Konjunktur.
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