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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Die jugendlichen Angeklagten und ihre sittliche Reife

Setzung in die dritte Klasse einer Volksschule stand, gab folgende Antworten auf
die einzelnen Fragen:

Frage.Antwor t.
Warum darf man denn nicht stehlen?Da kommt man ins Gefängnis.
Wenn es aber ganz sicher ist, daß es nie¬
mals herauskommen kann, daß es nicht
entdeckt wird, dürfte man dann etwas
wegnehmen?Nein!
2 a,Wenn sich eine gute Gelegenheit bietet,
würdest du es dann doch nicht tun?New!
3,Du sagst nein. Ich glaube dir das, aber
warum würdest du es denn dann nicht tun?kommt ja doch raus.
Ja,(Ich gebe ein ausführliches konkretes Bei¬
spiel mit absoluter Garantie bor Ent¬
deckung und frage weiter):
Aus welchem Grunde würdest du's denn
in dem Fall nicht tun?Da kommen sie doch auf die Spur.
Hast du denn sonst gar keinen Gedanken,
der dich vom Stehlen abhält?Ja, es kann gerade einer vorbeikommen, dann
sieht er's noch.
4-1,Wird dich außer dieser Angst denn nichts
zurückhalten so was zu tun; hättest du
denn kein anderes Bedenken dagegen?Man hat es auch später immer in Gedanken,
dann hat man immer Angst.
4 b,Also doch nur die Angst schreckt dich ab --
sonst würdest du stehlen! -- Weißt du
sonst keinen Grund?(Findet keine Antwort.)
Von wem aus ist der Diebstahl verboten?
(Wer hat das Stehlen verboten?)
Sonst noch jemand?
Wer noch?
Von wem aus noch? Habt ihr das nicht
in der Schule gehabt?
Habt ihr es nicht im Religionsunterricht
gehabt?
Nicht in den Geboten?Die Polizei.
Der Kaiser!
Der Magistrat!
Nein!
Nein!
(Prompte Antwort)Du sollst nicht stehlen.

Beispiel II. Zwei Brüder aus armer Familie, die in einer Bäckerei tätig
waren, hatten von dort, angeblich durch Beispiel verführt, wiederholt Backmaterial
in kleinen Mengen nach Hause genommen. Beide bekannten sich des Diebstahls
schuldig. Die Prüfung des älteren, siebzehnjährigen, recht intelligenten An¬
geklagten spielte sich folgendermaßen ab:

1. Warum darf man nicht stehlen?Weil's dem anderen seine Sache ist.
1s. Kann man sicher sein, daß Sie so was
nie wieder tun?Da können Sie darauf versichert sein.
I b. Und warum?Der Ehre halber, des Vertrauens halber.
2, Wenn sich aber eine günstige Gelegenheit
bietet und Sie ganz und gar sicher wären
vor Entdeckung?Auch da laß ich mich nicht el".
L. Was würde Sie denn dann abhalten?Das würde mein eigener Charakter schon nicht
zulassen.

Die jugendlichen Angeklagten und ihre sittliche Reife

Setzung in die dritte Klasse einer Volksschule stand, gab folgende Antworten auf
die einzelnen Fragen:

Frage.Antwor t.
Warum darf man denn nicht stehlen?Da kommt man ins Gefängnis.
Wenn es aber ganz sicher ist, daß es nie¬
mals herauskommen kann, daß es nicht
entdeckt wird, dürfte man dann etwas
wegnehmen?Nein!
2 a,Wenn sich eine gute Gelegenheit bietet,
würdest du es dann doch nicht tun?New!
3,Du sagst nein. Ich glaube dir das, aber
warum würdest du es denn dann nicht tun?kommt ja doch raus.
Ja,(Ich gebe ein ausführliches konkretes Bei¬
spiel mit absoluter Garantie bor Ent¬
deckung und frage weiter):
Aus welchem Grunde würdest du's denn
in dem Fall nicht tun?Da kommen sie doch auf die Spur.
Hast du denn sonst gar keinen Gedanken,
der dich vom Stehlen abhält?Ja, es kann gerade einer vorbeikommen, dann
sieht er's noch.
4-1,Wird dich außer dieser Angst denn nichts
zurückhalten so was zu tun; hättest du
denn kein anderes Bedenken dagegen?Man hat es auch später immer in Gedanken,
dann hat man immer Angst.
4 b,Also doch nur die Angst schreckt dich ab —
sonst würdest du stehlen! — Weißt du
sonst keinen Grund?(Findet keine Antwort.)
Von wem aus ist der Diebstahl verboten?
(Wer hat das Stehlen verboten?)
Sonst noch jemand?
Wer noch?
Von wem aus noch? Habt ihr das nicht
in der Schule gehabt?
Habt ihr es nicht im Religionsunterricht
gehabt?
Nicht in den Geboten?Die Polizei.
Der Kaiser!
Der Magistrat!
Nein!
Nein!
(Prompte Antwort)Du sollst nicht stehlen.

Beispiel II. Zwei Brüder aus armer Familie, die in einer Bäckerei tätig
waren, hatten von dort, angeblich durch Beispiel verführt, wiederholt Backmaterial
in kleinen Mengen nach Hause genommen. Beide bekannten sich des Diebstahls
schuldig. Die Prüfung des älteren, siebzehnjährigen, recht intelligenten An¬
geklagten spielte sich folgendermaßen ab:

1. Warum darf man nicht stehlen?Weil's dem anderen seine Sache ist.
1s. Kann man sicher sein, daß Sie so was
nie wieder tun?Da können Sie darauf versichert sein.
I b. Und warum?Der Ehre halber, des Vertrauens halber.
2, Wenn sich aber eine günstige Gelegenheit
bietet und Sie ganz und gar sicher wären
vor Entdeckung?Auch da laß ich mich nicht el».
L. Was würde Sie denn dann abhalten?Das würde mein eigener Charakter schon nicht
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[0498] Die jugendlichen Angeklagten und ihre sittliche Reife Setzung in die dritte Klasse einer Volksschule stand, gab folgende Antworten auf die einzelnen Fragen: Frage.Antwor t. Warum darf man denn nicht stehlen?Da kommt man ins Gefängnis. Wenn es aber ganz sicher ist, daß es nie¬ mals herauskommen kann, daß es nicht entdeckt wird, dürfte man dann etwas wegnehmen?Nein! 2 a,Wenn sich eine gute Gelegenheit bietet, würdest du es dann doch nicht tun?New! 3,Du sagst nein. Ich glaube dir das, aber warum würdest du es denn dann nicht tun?kommt ja doch raus. Ja,(Ich gebe ein ausführliches konkretes Bei¬ spiel mit absoluter Garantie bor Ent¬ deckung und frage weiter): Aus welchem Grunde würdest du's denn in dem Fall nicht tun?Da kommen sie doch auf die Spur. Hast du denn sonst gar keinen Gedanken, der dich vom Stehlen abhält?Ja, es kann gerade einer vorbeikommen, dann sieht er's noch. 4-1,Wird dich außer dieser Angst denn nichts zurückhalten so was zu tun; hättest du denn kein anderes Bedenken dagegen?Man hat es auch später immer in Gedanken, dann hat man immer Angst. 4 b,Also doch nur die Angst schreckt dich ab — sonst würdest du stehlen! — Weißt du sonst keinen Grund?(Findet keine Antwort.) Von wem aus ist der Diebstahl verboten? (Wer hat das Stehlen verboten?) Sonst noch jemand? Wer noch? Von wem aus noch? Habt ihr das nicht in der Schule gehabt? Habt ihr es nicht im Religionsunterricht gehabt? Nicht in den Geboten?Die Polizei. Der Kaiser! Der Magistrat! Nein! Nein! (Prompte Antwort)Du sollst nicht stehlen. Beispiel II. Zwei Brüder aus armer Familie, die in einer Bäckerei tätig waren, hatten von dort, angeblich durch Beispiel verführt, wiederholt Backmaterial in kleinen Mengen nach Hause genommen. Beide bekannten sich des Diebstahls schuldig. Die Prüfung des älteren, siebzehnjährigen, recht intelligenten An¬ geklagten spielte sich folgendermaßen ab: 1. Warum darf man nicht stehlen?Weil's dem anderen seine Sache ist. 1s. Kann man sicher sein, daß Sie so was nie wieder tun?Da können Sie darauf versichert sein. I b. Und warum?Der Ehre halber, des Vertrauens halber. 2, Wenn sich aber eine günstige Gelegenheit bietet und Sie ganz und gar sicher wären vor Entdeckung?Auch da laß ich mich nicht el». L. Was würde Sie denn dann abhalten?Das würde mein eigener Charakter schon nicht zulassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/498>, abgerufen am 23.07.2024.