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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Lriefe aus <Lhma

hatte, und rief ganz begeistert: "Canton hat es mir angetan, hier möchte ich
bleiben I"

Kaum hatte ich diese Worte gesprochen, als der Pastor Li sofort erklärte:
"Herr Professor, wenn das Ihr Ernst ist und Sie den Entschluß fassen sollten,
so verspreche ich Ihnen, daß wir hier sofort eine Universität gründen! Das
Geld ist bereit, davon ist mehr als genügend vorhanden, uns fehlen nur die
Kräfte -- aber wenn wir Sie haben, macht sich alles übrige von selbst!"

Ja -- wenn ich nur könnte! Aber zwei Dinge machen es mir unmöglich:
Du und das Klima. Es ist hier augenblicklich noch so glühend heiß, wie bei
uns in Berlin nur in den heißesten Julitagen, es wäre also nicht daran zu
denken, daß Du herlänft, und auch ich selbst könnte es hier wohl kaum auf die
Dauer aushalten -- Lilly noch eher.

Aber nun muß ich Dir ja noch über das Diner selbst berichten. Das
hübsch eingerichtete Blumenboot enthielt zwei Räume. In dem ersten stand der
Tisch mit dem Imbiß, in dem Hinteren Raum die eigentliche Mittagstafel. Die
Gäste bestanden aus Pastor Li, dem Porträtmaler Li, dessen Gehilfen und uns.

16. XI. Zum Imbiß gab es Tee, warme Mandelmilch, die wie Suppe
mit Löffeln gegessen wurde, Persimmon*), Orangen, Melonenkerne, Wassernüsse,
Marmelade und Zuckerrohr, aus dem nur der Saft herausgesaugt wird. Das
Diner selbst bestand aus einer Legion von Gängen, zwischen denen die Diener
von Zeit zu Zeit mit warmem Wasser angefeuchtete kleine Handtücher herum¬
reichten, mit denen man sich den Schweiß abwischte -- ein Genuß, dem sich
nur die Chinesen Hingaben, die sich auch hin und wieder die Wasserpfeife reichen
ließen, um einen oder zwei Züge daraus zu tun. Der Gerichte gab es, wie
gesagt, so viele, daß ich weder im Magen noch im Kopfe für alle Platz finden
konnte. Hier einige davon: Huhn in verschiedener Art zubereitet, Froschkeulen,
Haifischflossen, Nudeln, Kürbis not Schinken schnitten darin, Schweinemagen,
Ente (gebraten und gekocht), Fischsuppe, Hühnersuppe, Taschenkrebse, Süßig¬
keiten usw., und zum Schluß Reis. Es wurde eifrig Morra gespielt, und wer
verlor, mußte sein winziges Weinschälchen auf einen Zug pro poena leeren, was
eine ganz angenehme Strafe ist, denn der chinesische Wein schmeckt sehr gut.

Am darauffolgenden Tage unternahmen wir vormittags, wie gewöhnlich,
einen Streifzug durch die Stadt und machten am Nachmittage unseren Besuch
bei deur reichen Mäcen Herrn Li. Er ist! ein reizender Mensch von äußerst
sympathischen Aussehen, sein Wesen vornehm und bescheiden zugleich. Der
Etikette gemäß standen wir, an der rechten Wand des Empfangszimmers, als
er hereinkam, worauf er uns nötigte, die beiden Ehrenplätze an der Rückwand
einzunehmen, Ao und Pastor Li saßen als die im Range folgenden Gäste an
der linken Wand, und er selbst nahm den letzten Sessel an der rechten Wand
als den niedrigsten Platz ein. Nachdem ein wenig Konversation gemacht worden



") Dattelpflaume,
Lriefe aus <Lhma

hatte, und rief ganz begeistert: „Canton hat es mir angetan, hier möchte ich
bleiben I"

Kaum hatte ich diese Worte gesprochen, als der Pastor Li sofort erklärte:
„Herr Professor, wenn das Ihr Ernst ist und Sie den Entschluß fassen sollten,
so verspreche ich Ihnen, daß wir hier sofort eine Universität gründen! Das
Geld ist bereit, davon ist mehr als genügend vorhanden, uns fehlen nur die
Kräfte — aber wenn wir Sie haben, macht sich alles übrige von selbst!"

Ja — wenn ich nur könnte! Aber zwei Dinge machen es mir unmöglich:
Du und das Klima. Es ist hier augenblicklich noch so glühend heiß, wie bei
uns in Berlin nur in den heißesten Julitagen, es wäre also nicht daran zu
denken, daß Du herlänft, und auch ich selbst könnte es hier wohl kaum auf die
Dauer aushalten — Lilly noch eher.

Aber nun muß ich Dir ja noch über das Diner selbst berichten. Das
hübsch eingerichtete Blumenboot enthielt zwei Räume. In dem ersten stand der
Tisch mit dem Imbiß, in dem Hinteren Raum die eigentliche Mittagstafel. Die
Gäste bestanden aus Pastor Li, dem Porträtmaler Li, dessen Gehilfen und uns.

16. XI. Zum Imbiß gab es Tee, warme Mandelmilch, die wie Suppe
mit Löffeln gegessen wurde, Persimmon*), Orangen, Melonenkerne, Wassernüsse,
Marmelade und Zuckerrohr, aus dem nur der Saft herausgesaugt wird. Das
Diner selbst bestand aus einer Legion von Gängen, zwischen denen die Diener
von Zeit zu Zeit mit warmem Wasser angefeuchtete kleine Handtücher herum¬
reichten, mit denen man sich den Schweiß abwischte — ein Genuß, dem sich
nur die Chinesen Hingaben, die sich auch hin und wieder die Wasserpfeife reichen
ließen, um einen oder zwei Züge daraus zu tun. Der Gerichte gab es, wie
gesagt, so viele, daß ich weder im Magen noch im Kopfe für alle Platz finden
konnte. Hier einige davon: Huhn in verschiedener Art zubereitet, Froschkeulen,
Haifischflossen, Nudeln, Kürbis not Schinken schnitten darin, Schweinemagen,
Ente (gebraten und gekocht), Fischsuppe, Hühnersuppe, Taschenkrebse, Süßig¬
keiten usw., und zum Schluß Reis. Es wurde eifrig Morra gespielt, und wer
verlor, mußte sein winziges Weinschälchen auf einen Zug pro poena leeren, was
eine ganz angenehme Strafe ist, denn der chinesische Wein schmeckt sehr gut.

Am darauffolgenden Tage unternahmen wir vormittags, wie gewöhnlich,
einen Streifzug durch die Stadt und machten am Nachmittage unseren Besuch
bei deur reichen Mäcen Herrn Li. Er ist! ein reizender Mensch von äußerst
sympathischen Aussehen, sein Wesen vornehm und bescheiden zugleich. Der
Etikette gemäß standen wir, an der rechten Wand des Empfangszimmers, als
er hereinkam, worauf er uns nötigte, die beiden Ehrenplätze an der Rückwand
einzunehmen, Ao und Pastor Li saßen als die im Range folgenden Gäste an
der linken Wand, und er selbst nahm den letzten Sessel an der rechten Wand
als den niedrigsten Platz ein. Nachdem ein wenig Konversation gemacht worden



") Dattelpflaume,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/490>, abgerufen am 23.07.2024.