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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe ans China

Freunde von ihm beteiligten, darunter der erwähnte Porträtmaler Li und noch
ein anderer Herr Li, der uns im reinsten Schweizer Deutsch anredete. Hätten
wir nicht gewußt, daß er Chinese ist, so hätten wir ihn unbedingt sür einen
ehrsamen Bürger der Stadt Basel halten müssen -- trotz Zopf und chinesischer
Gewandung. Besagter Herr hat nämlich von seinem siebzehnten bis zu seinem
vierundzwanzigsten Jahre auf der Baseler Missionsschule studiert und ist jetzt
bereits seit achtzehn Jahren in seiner Heimat als Prediger und Missionar tätig.
Zum Glück ist er bei all seiner Frömmigkeit nicht in: geringsten muckerhaft und
einseitig. Er und Ao erzählten mir von einer hochinteressanter geistigen Be¬
wegung, die hier augenblicklich im Schwange ist und deren Seele -- erschrick
nicht! -- ebenfalls ein gewisser Herr Li ist, der aber mit seinen beiden erwähnten
Namensvettern nichts als den Namen gemein hat. Es handelt sich um nichts
geringeres als um die Gründung einer wissenschaftlichen chinesischen Zeitschrift,
der ersten dieser Art, die sich speziell an die Gelehrten wenden soll, um sie mit
den Resultaten der europäischen Wissenschaft bekannt zu machen. Zugleich soll
sie aber Originalartikel wissenschaftlichen und literarischen Inhalts bringen. Das
erforderliche Kapital hat nun besagter Herr Li zur Verfügung gestellt. Dieser
Li ist ein noch junger Mann von einigen zwanzig Jahren, der aber bereits
das zweite Staatsexamen bestanden hat und im nächsten Frühjahr nach Peking
gehen will, um sich dort der letzten und höchsten Prüfung zu unterziehen. Sein
verstorbener Vater war Präfekt von Tientsin. und er ist als einziger Sohn
alleiniger Erbe des ungeheuren Vermögens, das er nun in der hochherzigsten
Weise und mit fürstlicher Freigebigkeit in den Dienst der geistigen Aufklärung
seines Vaterlandes stellt. Er besitzt eine großartige Bibliothek, die er eben
durch Neuanschaffungen im Betrage von 20 000 Dollars 40 000 Mark
vervollständigt hat. Für diese Bibliothek hat er außerhalb der Stadt ein
Grundstück erworben, wo er ein massives, feuersicheres Gebäude errichten läßt.
Und das Ganze stellt er dem Staate zur Verfügung unter der Bedingung, daß
die Bibliothek jedermann zugänglich seil -- Er hatte durch Ao und den Pastor
Li (er selbst ist nicht Christ, sympathisiert aber mit der europäischen christlichen
Kultur) von meinem Hiersein gehört und ließ mir sagen, daß er den dringenden
Wunsch habe, mich kennen zu lernen. Zugleich ließ er anfragen, ob er uns
ein Diner anbieten dürfe und zwar im Hause der Berliner Mission bei dem
Pastor K., da er es nicht wagen dürfe, uns bei sich aufzunehmen. Das
war nun wieder echt chinesisch: da sich Damen nicht mit Herren zugleich an
einem Diner beteiligen dürfen, so hätte er Lilly nicht mitbieten können, und um
aus diesem Dilemma herauszukommen, verlegte er das Diner in ein europäisches
Haus. Ich nahm: das Anerbieten natürlich mit Dank an und erhielt darauf¬
hin am nächsten Tage eine feierliche chinesische Einladung, die an uns beide
adressiert war.

Ein so reges geistiges Leben, einen so frischen Idealismus hatte ich hier nicht
im entferntesten erwartet. Ich war ganz ergriffen von allein, was ich gehört


Grenzboten IV 191t
Briefe ans China

Freunde von ihm beteiligten, darunter der erwähnte Porträtmaler Li und noch
ein anderer Herr Li, der uns im reinsten Schweizer Deutsch anredete. Hätten
wir nicht gewußt, daß er Chinese ist, so hätten wir ihn unbedingt sür einen
ehrsamen Bürger der Stadt Basel halten müssen — trotz Zopf und chinesischer
Gewandung. Besagter Herr hat nämlich von seinem siebzehnten bis zu seinem
vierundzwanzigsten Jahre auf der Baseler Missionsschule studiert und ist jetzt
bereits seit achtzehn Jahren in seiner Heimat als Prediger und Missionar tätig.
Zum Glück ist er bei all seiner Frömmigkeit nicht in: geringsten muckerhaft und
einseitig. Er und Ao erzählten mir von einer hochinteressanter geistigen Be¬
wegung, die hier augenblicklich im Schwange ist und deren Seele — erschrick
nicht! — ebenfalls ein gewisser Herr Li ist, der aber mit seinen beiden erwähnten
Namensvettern nichts als den Namen gemein hat. Es handelt sich um nichts
geringeres als um die Gründung einer wissenschaftlichen chinesischen Zeitschrift,
der ersten dieser Art, die sich speziell an die Gelehrten wenden soll, um sie mit
den Resultaten der europäischen Wissenschaft bekannt zu machen. Zugleich soll
sie aber Originalartikel wissenschaftlichen und literarischen Inhalts bringen. Das
erforderliche Kapital hat nun besagter Herr Li zur Verfügung gestellt. Dieser
Li ist ein noch junger Mann von einigen zwanzig Jahren, der aber bereits
das zweite Staatsexamen bestanden hat und im nächsten Frühjahr nach Peking
gehen will, um sich dort der letzten und höchsten Prüfung zu unterziehen. Sein
verstorbener Vater war Präfekt von Tientsin. und er ist als einziger Sohn
alleiniger Erbe des ungeheuren Vermögens, das er nun in der hochherzigsten
Weise und mit fürstlicher Freigebigkeit in den Dienst der geistigen Aufklärung
seines Vaterlandes stellt. Er besitzt eine großartige Bibliothek, die er eben
durch Neuanschaffungen im Betrage von 20 000 Dollars 40 000 Mark
vervollständigt hat. Für diese Bibliothek hat er außerhalb der Stadt ein
Grundstück erworben, wo er ein massives, feuersicheres Gebäude errichten läßt.
Und das Ganze stellt er dem Staate zur Verfügung unter der Bedingung, daß
die Bibliothek jedermann zugänglich seil — Er hatte durch Ao und den Pastor
Li (er selbst ist nicht Christ, sympathisiert aber mit der europäischen christlichen
Kultur) von meinem Hiersein gehört und ließ mir sagen, daß er den dringenden
Wunsch habe, mich kennen zu lernen. Zugleich ließ er anfragen, ob er uns
ein Diner anbieten dürfe und zwar im Hause der Berliner Mission bei dem
Pastor K., da er es nicht wagen dürfe, uns bei sich aufzunehmen. Das
war nun wieder echt chinesisch: da sich Damen nicht mit Herren zugleich an
einem Diner beteiligen dürfen, so hätte er Lilly nicht mitbieten können, und um
aus diesem Dilemma herauszukommen, verlegte er das Diner in ein europäisches
Haus. Ich nahm: das Anerbieten natürlich mit Dank an und erhielt darauf¬
hin am nächsten Tage eine feierliche chinesische Einladung, die an uns beide
adressiert war.

Ein so reges geistiges Leben, einen so frischen Idealismus hatte ich hier nicht
im entferntesten erwartet. Ich war ganz ergriffen von allein, was ich gehört


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[0489] Briefe ans China Freunde von ihm beteiligten, darunter der erwähnte Porträtmaler Li und noch ein anderer Herr Li, der uns im reinsten Schweizer Deutsch anredete. Hätten wir nicht gewußt, daß er Chinese ist, so hätten wir ihn unbedingt sür einen ehrsamen Bürger der Stadt Basel halten müssen — trotz Zopf und chinesischer Gewandung. Besagter Herr hat nämlich von seinem siebzehnten bis zu seinem vierundzwanzigsten Jahre auf der Baseler Missionsschule studiert und ist jetzt bereits seit achtzehn Jahren in seiner Heimat als Prediger und Missionar tätig. Zum Glück ist er bei all seiner Frömmigkeit nicht in: geringsten muckerhaft und einseitig. Er und Ao erzählten mir von einer hochinteressanter geistigen Be¬ wegung, die hier augenblicklich im Schwange ist und deren Seele — erschrick nicht! — ebenfalls ein gewisser Herr Li ist, der aber mit seinen beiden erwähnten Namensvettern nichts als den Namen gemein hat. Es handelt sich um nichts geringeres als um die Gründung einer wissenschaftlichen chinesischen Zeitschrift, der ersten dieser Art, die sich speziell an die Gelehrten wenden soll, um sie mit den Resultaten der europäischen Wissenschaft bekannt zu machen. Zugleich soll sie aber Originalartikel wissenschaftlichen und literarischen Inhalts bringen. Das erforderliche Kapital hat nun besagter Herr Li zur Verfügung gestellt. Dieser Li ist ein noch junger Mann von einigen zwanzig Jahren, der aber bereits das zweite Staatsexamen bestanden hat und im nächsten Frühjahr nach Peking gehen will, um sich dort der letzten und höchsten Prüfung zu unterziehen. Sein verstorbener Vater war Präfekt von Tientsin. und er ist als einziger Sohn alleiniger Erbe des ungeheuren Vermögens, das er nun in der hochherzigsten Weise und mit fürstlicher Freigebigkeit in den Dienst der geistigen Aufklärung seines Vaterlandes stellt. Er besitzt eine großartige Bibliothek, die er eben durch Neuanschaffungen im Betrage von 20 000 Dollars 40 000 Mark vervollständigt hat. Für diese Bibliothek hat er außerhalb der Stadt ein Grundstück erworben, wo er ein massives, feuersicheres Gebäude errichten läßt. Und das Ganze stellt er dem Staate zur Verfügung unter der Bedingung, daß die Bibliothek jedermann zugänglich seil — Er hatte durch Ao und den Pastor Li (er selbst ist nicht Christ, sympathisiert aber mit der europäischen christlichen Kultur) von meinem Hiersein gehört und ließ mir sagen, daß er den dringenden Wunsch habe, mich kennen zu lernen. Zugleich ließ er anfragen, ob er uns ein Diner anbieten dürfe und zwar im Hause der Berliner Mission bei dem Pastor K., da er es nicht wagen dürfe, uns bei sich aufzunehmen. Das war nun wieder echt chinesisch: da sich Damen nicht mit Herren zugleich an einem Diner beteiligen dürfen, so hätte er Lilly nicht mitbieten können, und um aus diesem Dilemma herauszukommen, verlegte er das Diner in ein europäisches Haus. Ich nahm: das Anerbieten natürlich mit Dank an und erhielt darauf¬ hin am nächsten Tage eine feierliche chinesische Einladung, die an uns beide adressiert war. Ein so reges geistiges Leben, einen so frischen Idealismus hatte ich hier nicht im entferntesten erwartet. Ich war ganz ergriffen von allein, was ich gehört Grenzboten IV 191t

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/489>, abgerufen am 23.07.2024.