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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Religionsfreiheit und Uirchenreform

und dienen ihnen gerne. Aber wer kennt die Fälle nicht, da jüdische Väter
und Mütter kommen: Herr Pfarrer, mein Sohn möchte gern studieren, und.
um ihm Unannehmlichkeiten zu ersparen, möchten wir ihn laufen lassen. Oder
jene Offiziere und Regierungsbeamte: Ich habe mich mit einem jüdischen Mädchen
verlobt, und Sie wissen, ich kann nicht Offizier bleiben, oder ich habe Schwierig¬
keit in meiner Karriere, wenn meine Braut sich nicht taufen läßt. Wozu dann oft
genug noch die Bitte kommt, ihnen diesen Schritt nicht zu erschweren und die Sache
so schnell wie möglich abzumachen. Besonders hart ist mir einmal der Fall
einer jungen Oberlehrerin gewesen, deren ganzes Herz an ihrem Berufe hing
und in dem Konflikt, entweder auf diesen Beruf verzichten zu müssen oder die
Taufe anzunehmen, obgleich sie keine religiösen Bedürfnisse hatte, fast zerrieben
wurde. Man denke doch, wie die evangelischen Geistlichen dann dastehen!
Zwingt sie der Staat nicht, als reine Formsache und leere Zeremonie zu
behandeln, was doch Überzeugung und ernster Entschluß sein sollte? Oder
hätten sie die Freiheit, Nein zu sagen? Sie haben sie um den Preis einer
ungeheuren menschlichen Härte; sie haben sie nur in der Theorie. Wie viele
vornehmste adelige Familien, wie viele Offiziere und hohe Beamte müssen im Stillen
Gott danken, daß die Pfarrer bereit waren, die Taufe und den Übertritt nicht ernst zu
nehmen, nicht von der Überzeugung abhängig zu machen, sondern als Formsache zu
behandeln. Es macht dabei keinen Unterschied, ob man das Apostolikum fordert oder
nicht. Der Täufling, der vor der Hochzeit steht, oder dem ein befriedigender Lebens¬
beruf winkt, sagt zu allem Ja. Man kann wohl versuchen, die Form mit
etwas Inhalt zu erfüllen, man kann auch in solchen Fällen zarter und feiner,
oder oberflächlicher und mechanischer verfahren. Ich habe nie verstanden, wie
Pfarrer ohne längeren Unterricht taufen konnten. Aber es bleibt dabei, der
Staat zwingt sie. eine heilige ernste Sache zur leeren Form zu machen. Er
Zwingt sie, auf ein Verlangen einzugehen, das nicht Verlangen nach Taufe
oder religiöser Heimat ist, sondern lediglich Verlangen nach dem Taufschein.
Wem die Religion eine ernste Sache ist, der muß das als eine Entwürdigung
der Stellung und des Amtes eines evangelischen Pfarrers, ja noch mehr: als
em Spiel mit dem Namen Gottes empfinden.

Aber was bei den Juden wie bei den Dissidenten so besonders grell
und deutlich ans Licht tritt, wiederholt sich ja hundertfältig innerhalb
der zur evangelischen Kirche gehörigen Bevölkerung, nämlich dies: wir
haben in Preußen keine religiöse Freiheit, denn religiöse Freiheit ohne
die Freiheit, den Dienst der Kirche zu verschmähen, ist sinnlos. Für Tausende
von Protestanten ist die Frage: sollen wir unsere Kinder taufen, konfirmieren
und am Religionsunterricht teilnehmen lassen, sollen wir uns trauen
lassen, soll der Pfarrer mit zu Grabe gehen? überhaupt keine Frage mehr, die
ernsthaft überlegt wird, sondern es ist standesgemäß, es ist durch die Verhält¬
nisse geboten; -- die kirchliche Handlung ist wiederum eine leere Form. Man
Seht zum Pfarrer, wie man zum Standesbeamten oder zum Jmpfarzt geht, in


Religionsfreiheit und Uirchenreform

und dienen ihnen gerne. Aber wer kennt die Fälle nicht, da jüdische Väter
und Mütter kommen: Herr Pfarrer, mein Sohn möchte gern studieren, und.
um ihm Unannehmlichkeiten zu ersparen, möchten wir ihn laufen lassen. Oder
jene Offiziere und Regierungsbeamte: Ich habe mich mit einem jüdischen Mädchen
verlobt, und Sie wissen, ich kann nicht Offizier bleiben, oder ich habe Schwierig¬
keit in meiner Karriere, wenn meine Braut sich nicht taufen läßt. Wozu dann oft
genug noch die Bitte kommt, ihnen diesen Schritt nicht zu erschweren und die Sache
so schnell wie möglich abzumachen. Besonders hart ist mir einmal der Fall
einer jungen Oberlehrerin gewesen, deren ganzes Herz an ihrem Berufe hing
und in dem Konflikt, entweder auf diesen Beruf verzichten zu müssen oder die
Taufe anzunehmen, obgleich sie keine religiösen Bedürfnisse hatte, fast zerrieben
wurde. Man denke doch, wie die evangelischen Geistlichen dann dastehen!
Zwingt sie der Staat nicht, als reine Formsache und leere Zeremonie zu
behandeln, was doch Überzeugung und ernster Entschluß sein sollte? Oder
hätten sie die Freiheit, Nein zu sagen? Sie haben sie um den Preis einer
ungeheuren menschlichen Härte; sie haben sie nur in der Theorie. Wie viele
vornehmste adelige Familien, wie viele Offiziere und hohe Beamte müssen im Stillen
Gott danken, daß die Pfarrer bereit waren, die Taufe und den Übertritt nicht ernst zu
nehmen, nicht von der Überzeugung abhängig zu machen, sondern als Formsache zu
behandeln. Es macht dabei keinen Unterschied, ob man das Apostolikum fordert oder
nicht. Der Täufling, der vor der Hochzeit steht, oder dem ein befriedigender Lebens¬
beruf winkt, sagt zu allem Ja. Man kann wohl versuchen, die Form mit
etwas Inhalt zu erfüllen, man kann auch in solchen Fällen zarter und feiner,
oder oberflächlicher und mechanischer verfahren. Ich habe nie verstanden, wie
Pfarrer ohne längeren Unterricht taufen konnten. Aber es bleibt dabei, der
Staat zwingt sie. eine heilige ernste Sache zur leeren Form zu machen. Er
Zwingt sie, auf ein Verlangen einzugehen, das nicht Verlangen nach Taufe
oder religiöser Heimat ist, sondern lediglich Verlangen nach dem Taufschein.
Wem die Religion eine ernste Sache ist, der muß das als eine Entwürdigung
der Stellung und des Amtes eines evangelischen Pfarrers, ja noch mehr: als
em Spiel mit dem Namen Gottes empfinden.

Aber was bei den Juden wie bei den Dissidenten so besonders grell
und deutlich ans Licht tritt, wiederholt sich ja hundertfältig innerhalb
der zur evangelischen Kirche gehörigen Bevölkerung, nämlich dies: wir
haben in Preußen keine religiöse Freiheit, denn religiöse Freiheit ohne
die Freiheit, den Dienst der Kirche zu verschmähen, ist sinnlos. Für Tausende
von Protestanten ist die Frage: sollen wir unsere Kinder taufen, konfirmieren
und am Religionsunterricht teilnehmen lassen, sollen wir uns trauen
lassen, soll der Pfarrer mit zu Grabe gehen? überhaupt keine Frage mehr, die
ernsthaft überlegt wird, sondern es ist standesgemäß, es ist durch die Verhält¬
nisse geboten; — die kirchliche Handlung ist wiederum eine leere Form. Man
Seht zum Pfarrer, wie man zum Standesbeamten oder zum Jmpfarzt geht, in


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[0475] Religionsfreiheit und Uirchenreform und dienen ihnen gerne. Aber wer kennt die Fälle nicht, da jüdische Väter und Mütter kommen: Herr Pfarrer, mein Sohn möchte gern studieren, und. um ihm Unannehmlichkeiten zu ersparen, möchten wir ihn laufen lassen. Oder jene Offiziere und Regierungsbeamte: Ich habe mich mit einem jüdischen Mädchen verlobt, und Sie wissen, ich kann nicht Offizier bleiben, oder ich habe Schwierig¬ keit in meiner Karriere, wenn meine Braut sich nicht taufen läßt. Wozu dann oft genug noch die Bitte kommt, ihnen diesen Schritt nicht zu erschweren und die Sache so schnell wie möglich abzumachen. Besonders hart ist mir einmal der Fall einer jungen Oberlehrerin gewesen, deren ganzes Herz an ihrem Berufe hing und in dem Konflikt, entweder auf diesen Beruf verzichten zu müssen oder die Taufe anzunehmen, obgleich sie keine religiösen Bedürfnisse hatte, fast zerrieben wurde. Man denke doch, wie die evangelischen Geistlichen dann dastehen! Zwingt sie der Staat nicht, als reine Formsache und leere Zeremonie zu behandeln, was doch Überzeugung und ernster Entschluß sein sollte? Oder hätten sie die Freiheit, Nein zu sagen? Sie haben sie um den Preis einer ungeheuren menschlichen Härte; sie haben sie nur in der Theorie. Wie viele vornehmste adelige Familien, wie viele Offiziere und hohe Beamte müssen im Stillen Gott danken, daß die Pfarrer bereit waren, die Taufe und den Übertritt nicht ernst zu nehmen, nicht von der Überzeugung abhängig zu machen, sondern als Formsache zu behandeln. Es macht dabei keinen Unterschied, ob man das Apostolikum fordert oder nicht. Der Täufling, der vor der Hochzeit steht, oder dem ein befriedigender Lebens¬ beruf winkt, sagt zu allem Ja. Man kann wohl versuchen, die Form mit etwas Inhalt zu erfüllen, man kann auch in solchen Fällen zarter und feiner, oder oberflächlicher und mechanischer verfahren. Ich habe nie verstanden, wie Pfarrer ohne längeren Unterricht taufen konnten. Aber es bleibt dabei, der Staat zwingt sie. eine heilige ernste Sache zur leeren Form zu machen. Er Zwingt sie, auf ein Verlangen einzugehen, das nicht Verlangen nach Taufe oder religiöser Heimat ist, sondern lediglich Verlangen nach dem Taufschein. Wem die Religion eine ernste Sache ist, der muß das als eine Entwürdigung der Stellung und des Amtes eines evangelischen Pfarrers, ja noch mehr: als em Spiel mit dem Namen Gottes empfinden. Aber was bei den Juden wie bei den Dissidenten so besonders grell und deutlich ans Licht tritt, wiederholt sich ja hundertfältig innerhalb der zur evangelischen Kirche gehörigen Bevölkerung, nämlich dies: wir haben in Preußen keine religiöse Freiheit, denn religiöse Freiheit ohne die Freiheit, den Dienst der Kirche zu verschmähen, ist sinnlos. Für Tausende von Protestanten ist die Frage: sollen wir unsere Kinder taufen, konfirmieren und am Religionsunterricht teilnehmen lassen, sollen wir uns trauen lassen, soll der Pfarrer mit zu Grabe gehen? überhaupt keine Frage mehr, die ernsthaft überlegt wird, sondern es ist standesgemäß, es ist durch die Verhält¬ nisse geboten; — die kirchliche Handlung ist wiederum eine leere Form. Man Seht zum Pfarrer, wie man zum Standesbeamten oder zum Jmpfarzt geht, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/475>, abgerufen am 23.07.2024.