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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

beschworen werden, Grund genug, die gegenwärtigen und die möglichen Folgen
des Krieges nicht zu gering einzuschätzen.

Auch die chinesischen Wirren haben bisher keinen für den Handel ermutigenden
Verlauf genommen. Ganz gegen alles Erwarten ist bereits die Einstellung des
Zinsendienstes für die russisch-französische Anleihe von 1895 angekündigt worden;
die Fremdenmassakres und die Kämpfe an den Hauptstapelplützen des aus¬
wärtigen Handels stellen der nächsten Entwicklung kein günstiges Prognostikon.
Also in den äußeren Verhältnissen des Weltlaufs ist kaun: ein Grund für eine
leichtherzige Zuversicht zu finden. Aber die Reaktion gegen das überwundene
Stadium des Kleinmuth ist stark genug, die Börse über alle Bedenken weg¬
zutragen, die sich dem Glauben an einen nachhaltigen Aufstieg noch entgegen¬
stellen könnten. Und dieser Glauben findet allerdings eine nicht abzustreitende
Basis in der augenblicklichen Gunst der Weltmarktlage in der Eisenindustrie.
Diese kommt zum unverkennbaren Ausdruck in der starken Steigerung der
deutschen Eisen- und Stahlausfuhr, die im Oktober wieder derart in die Höhe
geschnellt ist, daß nach den Rekordziffern des Juli dieser Monat die bedeutendste
Ausfuhr in der Geschichte der deutschen Eisenindustrie aufweist. Welchen Auf¬
schwung Produktion und Ausfuhr in der schweren Industrie genommen haben,
zeigt eine Begleichung der Oktoberzahlen für die Mehrausfuhr der drei letzten
Jahre: die Kurve geht von 296 000 über 375 000 auf 441 000 Tonnen.
Eine in der Tat ganz außerordentliche Steigerung, deren Bedeutuug für die
Industrie erst dadurch in das rechte Licht gerückt wird, daß gleichzeitig die
Preise in den letzten Wochen ein scharfes Anziehen offenbaren. In London
und Brüssel sind die Exportpreise für Stabeisen und Stahl in den verschiedenen
Sorten und ebenso für Halbzeug derart erhöht worden, daß nunmehr die seit
Juni eingetretene Preisaufbesseruug für Rohstahl sich auf 8 bis 9 Schilling für
die Tonne, also auf 10 Prozent beläuft. Diese Preisentwicklung spiegelt sich
natürlich auch auf den inländischen Märkten wieder: an der Düsseldorfer Montan¬
börse wie im Berliner Eisengroßhaudel wird der Aufwärtsbewegung ein kräftiger
Nachschub verliehen. Diese Zahlen trügen nicht; sie beweisen, daß auf dein
Weltmarkt, ungeachtet der kriegerischen Störungen, eine Nachfrage herrscht, stark
genug, um unserer Eisenindustrie die Unterbringung solch außerordentlicher
Produktionsmassen zu guten Preisen zu ermöglichen.

Dem entspricht denn nun auch die Konjunktur im Inland. Der sicherste
Gradmesser für dieselbe ist in dein Stand der Eisenbähneinnahnren gegeben.
Diese weisen aber in der preußisch-hessischen Gemeinschaft im Monat
Oktober eine Steigerung von 3,74 Prozent im Personen- und nicht weniger
als 6,2 Prozent im Güterverkehr auf. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß
die Einnahmen des letzteren durch die angeordneten Tarifermäßigungen für
Futter-, Ncchrungs- und Düngemittel eine erhebliche Beeinträchtigung erfahren
haben. Es tritt also mit ganz unzweifelhafter Klarheit zutage, daß die wirt¬
schaftliche Konjunktur nicht nur eine gesunde, sondern auch rasch ansteigende ist.


Reichsspiegel

beschworen werden, Grund genug, die gegenwärtigen und die möglichen Folgen
des Krieges nicht zu gering einzuschätzen.

Auch die chinesischen Wirren haben bisher keinen für den Handel ermutigenden
Verlauf genommen. Ganz gegen alles Erwarten ist bereits die Einstellung des
Zinsendienstes für die russisch-französische Anleihe von 1895 angekündigt worden;
die Fremdenmassakres und die Kämpfe an den Hauptstapelplützen des aus¬
wärtigen Handels stellen der nächsten Entwicklung kein günstiges Prognostikon.
Also in den äußeren Verhältnissen des Weltlaufs ist kaun: ein Grund für eine
leichtherzige Zuversicht zu finden. Aber die Reaktion gegen das überwundene
Stadium des Kleinmuth ist stark genug, die Börse über alle Bedenken weg¬
zutragen, die sich dem Glauben an einen nachhaltigen Aufstieg noch entgegen¬
stellen könnten. Und dieser Glauben findet allerdings eine nicht abzustreitende
Basis in der augenblicklichen Gunst der Weltmarktlage in der Eisenindustrie.
Diese kommt zum unverkennbaren Ausdruck in der starken Steigerung der
deutschen Eisen- und Stahlausfuhr, die im Oktober wieder derart in die Höhe
geschnellt ist, daß nach den Rekordziffern des Juli dieser Monat die bedeutendste
Ausfuhr in der Geschichte der deutschen Eisenindustrie aufweist. Welchen Auf¬
schwung Produktion und Ausfuhr in der schweren Industrie genommen haben,
zeigt eine Begleichung der Oktoberzahlen für die Mehrausfuhr der drei letzten
Jahre: die Kurve geht von 296 000 über 375 000 auf 441 000 Tonnen.
Eine in der Tat ganz außerordentliche Steigerung, deren Bedeutuug für die
Industrie erst dadurch in das rechte Licht gerückt wird, daß gleichzeitig die
Preise in den letzten Wochen ein scharfes Anziehen offenbaren. In London
und Brüssel sind die Exportpreise für Stabeisen und Stahl in den verschiedenen
Sorten und ebenso für Halbzeug derart erhöht worden, daß nunmehr die seit
Juni eingetretene Preisaufbesseruug für Rohstahl sich auf 8 bis 9 Schilling für
die Tonne, also auf 10 Prozent beläuft. Diese Preisentwicklung spiegelt sich
natürlich auch auf den inländischen Märkten wieder: an der Düsseldorfer Montan¬
börse wie im Berliner Eisengroßhaudel wird der Aufwärtsbewegung ein kräftiger
Nachschub verliehen. Diese Zahlen trügen nicht; sie beweisen, daß auf dein
Weltmarkt, ungeachtet der kriegerischen Störungen, eine Nachfrage herrscht, stark
genug, um unserer Eisenindustrie die Unterbringung solch außerordentlicher
Produktionsmassen zu guten Preisen zu ermöglichen.

Dem entspricht denn nun auch die Konjunktur im Inland. Der sicherste
Gradmesser für dieselbe ist in dein Stand der Eisenbähneinnahnren gegeben.
Diese weisen aber in der preußisch-hessischen Gemeinschaft im Monat
Oktober eine Steigerung von 3,74 Prozent im Personen- und nicht weniger
als 6,2 Prozent im Güterverkehr auf. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß
die Einnahmen des letzteren durch die angeordneten Tarifermäßigungen für
Futter-, Ncchrungs- und Düngemittel eine erhebliche Beeinträchtigung erfahren
haben. Es tritt also mit ganz unzweifelhafter Klarheit zutage, daß die wirt¬
schaftliche Konjunktur nicht nur eine gesunde, sondern auch rasch ansteigende ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/470>, abgerufen am 23.07.2024.