Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Das Glück des Hauses Rottland
Roman
Julius R, l^acirhaus vonXII.

Zum zweitenmal seit Mergens Weggang hatte der Frühling die alten Apfel-
bäume im Garten des Hauses Nottlcmd mit Blüten geschmückt. Die Sonne brannte
wieder so heiß hernieder, wie an jenem unseligen Märztage, und man durfte es
wirklich wagen, den kleinen Ferdinand, der nun doch schon zwei und ein halbes
Jahr zählte und ein recht stämmiges Bürschlein geworden war, ins Freie zu führen.

Die beiden alten Damen, die sich der Pflege des Kindes mit großem Eifer
widmeten und es in jeder Weise verhätschelten, nahmen den kleinen Neffen in die
Mitte und führten ihn auf den Hof zu den Hühnern, die er schon seit Wochen
vom Fenster aus immer mit so lebhaftem Interesse betrachtet hatte. Schwester
Felicitas zog aus dem weiten Ärmel ihres Hahns eine Düte mit Brotkrumen und
andern Resten von der Tafel, lockte die Hühner herbei und streute ihnen el" wenig
von dem Futter hin. Dann gab sie die Düte dem Kleinen, in der Erwartung,
daß er ihrem Beispiele folgen und seine gefiederten Lieblinge nun selbst füttern
werde. Das Kind schien zu verstehen, was man von ihm verlangte, nahm die
Düte ganz geschickt in die Linke und griff "ä'une nmnisre trof raisommble", wie
die Tante Gubernatorin anerkennend bemerkte, mit der Rechten hinein. Es brachte
die kleine Faust auch wohlgefüllt wieder zum Vorschein, aber anstatt sie nun zu
öffnen und die Brosamen auszustreuen, führte es sie blitzschnell zum Munde.

Die beiden alten Damen hatten keine leichte Arbeit, die harten Bröcklein mit
ihren dicken Fingern wieder ans Licht zu befördern, als jedoch das Werk geglückt
und jede Gefahr beseitigt war, konnten sie sich nicht enthalten, herzhaft zu lachen.
Der Kleine stimmte in ihre Heiterkeit nicht mit ein, sah vielmehr bald die eine,
bald die andere der Tanten sehr ernsthaft an und verzog die Mundwinkel zum
Weinen. Man wollte ihn auf andere Gedanken bringen und führte ihn in den
Garten.

Ein bunter Schmetterling saß auf der Buchsbaumeinfassung eines Weges und
lüftete die Schwingen. Man machte das Kind daraus aufmerksam. Es streckte die
Händchen danach aus, aber zugleich fiel der Schatten der kleinen Gestalt über das
Insekt, so daß sich dieses in die Luft erhob und sich ein paar Schritte weiter gaukelnd




Das Glück des Hauses Rottland
Roman
Julius R, l^acirhaus vonXII.

Zum zweitenmal seit Mergens Weggang hatte der Frühling die alten Apfel-
bäume im Garten des Hauses Nottlcmd mit Blüten geschmückt. Die Sonne brannte
wieder so heiß hernieder, wie an jenem unseligen Märztage, und man durfte es
wirklich wagen, den kleinen Ferdinand, der nun doch schon zwei und ein halbes
Jahr zählte und ein recht stämmiges Bürschlein geworden war, ins Freie zu führen.

Die beiden alten Damen, die sich der Pflege des Kindes mit großem Eifer
widmeten und es in jeder Weise verhätschelten, nahmen den kleinen Neffen in die
Mitte und führten ihn auf den Hof zu den Hühnern, die er schon seit Wochen
vom Fenster aus immer mit so lebhaftem Interesse betrachtet hatte. Schwester
Felicitas zog aus dem weiten Ärmel ihres Hahns eine Düte mit Brotkrumen und
andern Resten von der Tafel, lockte die Hühner herbei und streute ihnen el» wenig
von dem Futter hin. Dann gab sie die Düte dem Kleinen, in der Erwartung,
daß er ihrem Beispiele folgen und seine gefiederten Lieblinge nun selbst füttern
werde. Das Kind schien zu verstehen, was man von ihm verlangte, nahm die
Düte ganz geschickt in die Linke und griff „ä'une nmnisre trof raisommble", wie
die Tante Gubernatorin anerkennend bemerkte, mit der Rechten hinein. Es brachte
die kleine Faust auch wohlgefüllt wieder zum Vorschein, aber anstatt sie nun zu
öffnen und die Brosamen auszustreuen, führte es sie blitzschnell zum Munde.

Die beiden alten Damen hatten keine leichte Arbeit, die harten Bröcklein mit
ihren dicken Fingern wieder ans Licht zu befördern, als jedoch das Werk geglückt
und jede Gefahr beseitigt war, konnten sie sich nicht enthalten, herzhaft zu lachen.
Der Kleine stimmte in ihre Heiterkeit nicht mit ein, sah vielmehr bald die eine,
bald die andere der Tanten sehr ernsthaft an und verzog die Mundwinkel zum
Weinen. Man wollte ihn auf andere Gedanken bringen und führte ihn in den
Garten.

Ein bunter Schmetterling saß auf der Buchsbaumeinfassung eines Weges und
lüftete die Schwingen. Man machte das Kind daraus aufmerksam. Es streckte die
Händchen danach aus, aber zugleich fiel der Schatten der kleinen Gestalt über das
Insekt, so daß sich dieses in die Luft erhob und sich ein paar Schritte weiter gaukelnd


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0444" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320045"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341893_319600/figures/grenzboten_341893_319600_320045_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das Glück des Hauses Rottland<lb/>
Roman<lb/><note type="byline"> Julius R, l^acirhaus</note> vonXII.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1848"> Zum zweitenmal seit Mergens Weggang hatte der Frühling die alten Apfel-<lb/>
bäume im Garten des Hauses Nottlcmd mit Blüten geschmückt. Die Sonne brannte<lb/>
wieder so heiß hernieder, wie an jenem unseligen Märztage, und man durfte es<lb/>
wirklich wagen, den kleinen Ferdinand, der nun doch schon zwei und ein halbes<lb/>
Jahr zählte und ein recht stämmiges Bürschlein geworden war, ins Freie zu führen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1849"> Die beiden alten Damen, die sich der Pflege des Kindes mit großem Eifer<lb/>
widmeten und es in jeder Weise verhätschelten, nahmen den kleinen Neffen in die<lb/>
Mitte und führten ihn auf den Hof zu den Hühnern, die er schon seit Wochen<lb/>
vom Fenster aus immer mit so lebhaftem Interesse betrachtet hatte. Schwester<lb/>
Felicitas zog aus dem weiten Ärmel ihres Hahns eine Düte mit Brotkrumen und<lb/>
andern Resten von der Tafel, lockte die Hühner herbei und streute ihnen el» wenig<lb/>
von dem Futter hin. Dann gab sie die Düte dem Kleinen, in der Erwartung,<lb/>
daß er ihrem Beispiele folgen und seine gefiederten Lieblinge nun selbst füttern<lb/>
werde. Das Kind schien zu verstehen, was man von ihm verlangte, nahm die<lb/>
Düte ganz geschickt in die Linke und griff &#x201E;ä'une nmnisre trof raisommble", wie<lb/>
die Tante Gubernatorin anerkennend bemerkte, mit der Rechten hinein. Es brachte<lb/>
die kleine Faust auch wohlgefüllt wieder zum Vorschein, aber anstatt sie nun zu<lb/>
öffnen und die Brosamen auszustreuen, führte es sie blitzschnell zum Munde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1850"> Die beiden alten Damen hatten keine leichte Arbeit, die harten Bröcklein mit<lb/>
ihren dicken Fingern wieder ans Licht zu befördern, als jedoch das Werk geglückt<lb/>
und jede Gefahr beseitigt war, konnten sie sich nicht enthalten, herzhaft zu lachen.<lb/>
Der Kleine stimmte in ihre Heiterkeit nicht mit ein, sah vielmehr bald die eine,<lb/>
bald die andere der Tanten sehr ernsthaft an und verzog die Mundwinkel zum<lb/>
Weinen. Man wollte ihn auf andere Gedanken bringen und führte ihn in den<lb/>
Garten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1851" next="#ID_1852"> Ein bunter Schmetterling saß auf der Buchsbaumeinfassung eines Weges und<lb/>
lüftete die Schwingen. Man machte das Kind daraus aufmerksam. Es streckte die<lb/>
Händchen danach aus, aber zugleich fiel der Schatten der kleinen Gestalt über das<lb/>
Insekt, so daß sich dieses in die Luft erhob und sich ein paar Schritte weiter gaukelnd</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0444] [Abbildung] Das Glück des Hauses Rottland Roman Julius R, l^acirhaus vonXII. Zum zweitenmal seit Mergens Weggang hatte der Frühling die alten Apfel- bäume im Garten des Hauses Nottlcmd mit Blüten geschmückt. Die Sonne brannte wieder so heiß hernieder, wie an jenem unseligen Märztage, und man durfte es wirklich wagen, den kleinen Ferdinand, der nun doch schon zwei und ein halbes Jahr zählte und ein recht stämmiges Bürschlein geworden war, ins Freie zu führen. Die beiden alten Damen, die sich der Pflege des Kindes mit großem Eifer widmeten und es in jeder Weise verhätschelten, nahmen den kleinen Neffen in die Mitte und führten ihn auf den Hof zu den Hühnern, die er schon seit Wochen vom Fenster aus immer mit so lebhaftem Interesse betrachtet hatte. Schwester Felicitas zog aus dem weiten Ärmel ihres Hahns eine Düte mit Brotkrumen und andern Resten von der Tafel, lockte die Hühner herbei und streute ihnen el» wenig von dem Futter hin. Dann gab sie die Düte dem Kleinen, in der Erwartung, daß er ihrem Beispiele folgen und seine gefiederten Lieblinge nun selbst füttern werde. Das Kind schien zu verstehen, was man von ihm verlangte, nahm die Düte ganz geschickt in die Linke und griff „ä'une nmnisre trof raisommble", wie die Tante Gubernatorin anerkennend bemerkte, mit der Rechten hinein. Es brachte die kleine Faust auch wohlgefüllt wieder zum Vorschein, aber anstatt sie nun zu öffnen und die Brosamen auszustreuen, führte es sie blitzschnell zum Munde. Die beiden alten Damen hatten keine leichte Arbeit, die harten Bröcklein mit ihren dicken Fingern wieder ans Licht zu befördern, als jedoch das Werk geglückt und jede Gefahr beseitigt war, konnten sie sich nicht enthalten, herzhaft zu lachen. Der Kleine stimmte in ihre Heiterkeit nicht mit ein, sah vielmehr bald die eine, bald die andere der Tanten sehr ernsthaft an und verzog die Mundwinkel zum Weinen. Man wollte ihn auf andere Gedanken bringen und führte ihn in den Garten. Ein bunter Schmetterling saß auf der Buchsbaumeinfassung eines Weges und lüftete die Schwingen. Man machte das Kind daraus aufmerksam. Es streckte die Händchen danach aus, aber zugleich fiel der Schatten der kleinen Gestalt über das Insekt, so daß sich dieses in die Luft erhob und sich ein paar Schritte weiter gaukelnd

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/444
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/444>, abgerufen am 23.07.2024.