Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.Deutsch-französische Randbemerkungen Vertreter Frankreichs ansiehtund die neunhundertneunundneunzig ruhigen von tausend Es ist ja wohl kaum nötig, zu sagen, daß ich diesen Optimismus des Friedens Deutsch-französische Randbemerkungen Vertreter Frankreichs ansiehtund die neunhundertneunundneunzig ruhigen von tausend Es ist ja wohl kaum nötig, zu sagen, daß ich diesen Optimismus des Friedens <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0443" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320044"/> <fw type="header" place="top"> Deutsch-französische Randbemerkungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1846" prev="#ID_1845"> Vertreter Frankreichs ansiehtund die neunhundertneunundneunzig ruhigen von tausend<lb/> Franzosen böswillig übersieht. Nein, das ist keine „Blague": Frankreich will keinen<lb/> Krieg mit Deutschland, weil es erstens überhaupt keinen Krieg will und zweitens, weil<lb/> es gerade mit Deutschland in Frieden leben möchte. Es werden wieder ruhige<lb/> Zeiten kommen, und dann werden wieder diejenigen ihre Stimme erheben können,<lb/> die, wie ich, Deutschland kennen und lieben gelernt haben. Nach unserer Meinung<lb/> gibt es nur zwei Kulturmächte, die würdig sind, im Bunde mit einander die<lb/> Welt zu beherrschen, das sind Frankreich und Deutschland. Der Tag für dieses<lb/> einzig wahre Bündnis für uns ist noch nicht gekommen — aber er wird kommen!<lb/> Man muß nur nicht zu schnell marschieren wollen. Gewisse Dinge müssen erst<lb/> verjährt sein. Warten wir ab — und Fragen, die heute unlösbar scheinen, werden<lb/> eine befriedigende Antwort finden. Einstweilen kommt alles darauf an, durch<lb/> unnötige Zänkereien die naiürliche Entwicklung nicht zu stören und dadurch auf¬<lb/> zuhalten. Tanger, Casabianca, Agadir haben uns um ein Jahrzehnt zurück¬<lb/> geworfen — aber das Versäumte läßt sich ja wieder einholenl"</p><lb/> <p xml:id="ID_1847"> Es ist ja wohl kaum nötig, zu sagen, daß ich diesen Optimismus des Friedens<lb/> bei meinem französischen Freunde ebenso wenig teile wie seinen kriegerischen<lb/> Optimismus. Aber er spricht nur aus, was unzählige Franzosen heute denken.<lb/> Heute, nach dem mühseligen Zustandekommen des Marokko—Kongo-Kompromisses<lb/> beherrscht hier trotz aller sonstigen internationalen und inneren Schwierigkeiten die<lb/> Frage alle Gemüter: was wird weiter aus uns und Deutschland werden? Die<lb/> Freunde der Politik Caillaux-Cambon und Bethmann-Kiderlen rechnen auf eine<lb/> wohltätige Rückwirkung des Abkommens für die allgemeinen deutsch-französischen<lb/> Beziehungen und sehen hierin geradezu den Hauptwert der Vereinbarung. Die Wider¬<lb/> sacher jener Politik behaupten im Gegenteil, daß von allen Fehlern des Vertrages<lb/> der schlimmste der sei, daß er das so wie so durch die Erregungen der letzten Monate<lb/> arg verschlechterte Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich in der nächsten<lb/> Zeit durch unausbleibliche Zwischenfälle und Reibungen einer gemeingefährlichen<lb/> Prüfung aussetze. Man muß sich hüten, bei Problemen von so tiefgreifender<lb/> Wichtigkeit in der durch die Tagesereignisse hervorgerufenen flüchtigen Stimmung<lb/> eine sofortige Antwort geben zu wollen. Erst nach Jahren wird sich übersehen<lb/> lassen, welche Bedeutung dem Vertrage vom 4. November für die Geschichte der<lb/> deutsch.französischen Beziehungen zuzuschreiben ist.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0443]
Deutsch-französische Randbemerkungen
Vertreter Frankreichs ansiehtund die neunhundertneunundneunzig ruhigen von tausend
Franzosen böswillig übersieht. Nein, das ist keine „Blague": Frankreich will keinen
Krieg mit Deutschland, weil es erstens überhaupt keinen Krieg will und zweitens, weil
es gerade mit Deutschland in Frieden leben möchte. Es werden wieder ruhige
Zeiten kommen, und dann werden wieder diejenigen ihre Stimme erheben können,
die, wie ich, Deutschland kennen und lieben gelernt haben. Nach unserer Meinung
gibt es nur zwei Kulturmächte, die würdig sind, im Bunde mit einander die
Welt zu beherrschen, das sind Frankreich und Deutschland. Der Tag für dieses
einzig wahre Bündnis für uns ist noch nicht gekommen — aber er wird kommen!
Man muß nur nicht zu schnell marschieren wollen. Gewisse Dinge müssen erst
verjährt sein. Warten wir ab — und Fragen, die heute unlösbar scheinen, werden
eine befriedigende Antwort finden. Einstweilen kommt alles darauf an, durch
unnötige Zänkereien die naiürliche Entwicklung nicht zu stören und dadurch auf¬
zuhalten. Tanger, Casabianca, Agadir haben uns um ein Jahrzehnt zurück¬
geworfen — aber das Versäumte läßt sich ja wieder einholenl"
Es ist ja wohl kaum nötig, zu sagen, daß ich diesen Optimismus des Friedens
bei meinem französischen Freunde ebenso wenig teile wie seinen kriegerischen
Optimismus. Aber er spricht nur aus, was unzählige Franzosen heute denken.
Heute, nach dem mühseligen Zustandekommen des Marokko—Kongo-Kompromisses
beherrscht hier trotz aller sonstigen internationalen und inneren Schwierigkeiten die
Frage alle Gemüter: was wird weiter aus uns und Deutschland werden? Die
Freunde der Politik Caillaux-Cambon und Bethmann-Kiderlen rechnen auf eine
wohltätige Rückwirkung des Abkommens für die allgemeinen deutsch-französischen
Beziehungen und sehen hierin geradezu den Hauptwert der Vereinbarung. Die Wider¬
sacher jener Politik behaupten im Gegenteil, daß von allen Fehlern des Vertrages
der schlimmste der sei, daß er das so wie so durch die Erregungen der letzten Monate
arg verschlechterte Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich in der nächsten
Zeit durch unausbleibliche Zwischenfälle und Reibungen einer gemeingefährlichen
Prüfung aussetze. Man muß sich hüten, bei Problemen von so tiefgreifender
Wichtigkeit in der durch die Tagesereignisse hervorgerufenen flüchtigen Stimmung
eine sofortige Antwort geben zu wollen. Erst nach Jahren wird sich übersehen
lassen, welche Bedeutung dem Vertrage vom 4. November für die Geschichte der
deutsch.französischen Beziehungen zuzuschreiben ist.
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