Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.Das Glück des Hauses Rottland spannende Geist eines Gelehrten schlummere. Auf alle Fälle aber werde das Kind Die Wehmutter, die natürlich auch ihr Urteil abgab, erklärte, seit zwanzig Dieses Wort gab dem Vater zu denken. Anders als sonst die Menschen! Alle Besucher fanden, daß das Kind der Mutter gliche. Das verdroß den Merge war die einzige, die weder nach den Zukunftsaussichten des Kindes So verflossen ihr die ersten Tage der Mutterschaft in eitel Seligkeit. Das Das Glück des Hauses Rottland spannende Geist eines Gelehrten schlummere. Auf alle Fälle aber werde das Kind Die Wehmutter, die natürlich auch ihr Urteil abgab, erklärte, seit zwanzig Dieses Wort gab dem Vater zu denken. Anders als sonst die Menschen! Alle Besucher fanden, daß das Kind der Mutter gliche. Das verdroß den Merge war die einzige, die weder nach den Zukunftsaussichten des Kindes So verflossen ihr die ersten Tage der Mutterschaft in eitel Seligkeit. Das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320006"/> <fw type="header" place="top"> Das Glück des Hauses Rottland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1666" prev="#ID_1665"> spannende Geist eines Gelehrten schlummere. Auf alle Fälle aber werde das Kind<lb/> zu einer Leuchte des Glaubens heranwachsen, denn wer am Ferdinandstage geboren<lb/> sei und in der heiligen Taufe den Namen so vieler erlauchter Schirmherren der<lb/> Religion erhalten habe, der sei zu großen Dingen berufen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1667"> Die Wehmutter, die natürlich auch ihr Urteil abgab, erklärte, seit zwanzig<lb/> Jahren sei in der ganzen Gegend kein so starkes und schweres Kind zur Welt<lb/> gekommen, wie der junge Herr Baron, und daß er gleich in der ersten Minute<lb/> ihren Daumen in die Faust genommen und nicht wieder habe loslassen wollen,<lb/> das sei ein Zeichen, daß er seinen Kopf für sich habe und anders werden würde<lb/> als sonst die Menschen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1668"> Dieses Wort gab dem Vater zu denken. Anders als sonst die Menschen!<lb/> Es schnitt ihm durchs Herz, wenn er sich vorstellte, daß das unendliche Leid, das<lb/> schon so viele Mitglieder der Familie heimgesucht hatte, auch diesem Knäblein<lb/> beschicken sein könne. Herrn Salentins Wünsche für den Sohn verstiegen sich<lb/> nicht bis zum Hofkleid oder zum Abtstab, nicht bis zum Lorbeer des Feldherrn<lb/> oder des Gelehrten; was er für ihn erhoffte, waren fünf gesunde Sinne und ein<lb/> zufriedenes Gemüt. Und immer wieder zog er behutsam den Vorhang der Wiege<lb/> zurück, beugte sich über das kleine Menschenbild und versuchte, aus dem runden<lb/> Gesichtlein die Antwort auf die bange Frage zu lesen, die ihn jetzt unausgesetzt<lb/> beschäftigte. Wenn der Kleine einmal leise zu wimmern oder gar zu schreien<lb/> begann, klopfte des Vaters Herz. Sollte der Mund, der diese Laute hervor¬<lb/> zubringen fähig war. nicht einst auch Silben und Worte bilden zu lernen imstande<lb/> sein? So kam es, daß dem alten Herrn das Geschrei seines Sohnes und Erben<lb/> holder als Sphärenmusik klang, und daß er mit einer Aufmerksamkeit darauf<lb/> lauschte, als handle es sich um eine Offenbarung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1669"> Alle Besucher fanden, daß das Kind der Mutter gliche. Das verdroß den<lb/> Freiherrn ein wenig, denn er hätte gar zu gern gehört, daß man wenigstens die<lb/> Friemersheimsche Nase in dem kleinen Antlitz wiedergefunden hätte. Er wußte<lb/> freilich, wie spät eine Nase die charakteristische endgültige Form annimmt, und er<lb/> Zweifelte nicht, daß sich Ferdinand Salentin nach etwa zwanzig Jahren durch<lb/> einen scharf markierter Höcker unterhalb der Nasenwurzel als ein echter Sprosse<lb/> des Geschlechts legitimieren werde, aber es wäre doch hübsch gewesen, wenn man<lb/> jetzt schon einen, natürlich nur ganz geringfügigen, Ansatz zu jenem Höcker wahr-<lb/> genommen hätte. Das eine stand für den Vater allerdings fest und freute ihn<lb/> gewaltig, obgleich er sich gegen niemand darüber aussprach: wenn der kleine<lb/> Ferdinand schlechter Laune war und sich zum Weinen anschickte, erschienen in<lb/> seinem bräunlichen Gesichtchen Runzeln und Falten, und dann konnte nur ein<lb/> Böswilliger noch behaupten, daß er der jungen blühenden Mutter gliche.</p><lb/> <p xml:id="ID_1670"> Merge war die einzige, die weder nach den Zukunftsaussichten des Kindes<lb/> noch nach Ähnlichkeiten fragte. Für sie genügte die Tatsache, daß das Bündel<lb/> da in der Wiege ihr gehörte. Das war des Glückes genug — mehr brauchte sie<lb/> nicht. Und von den Befürchtungen, die ihren Gatten quälten, hatte sie keine<lb/> Ahnung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1671" next="#ID_1672"> So verflossen ihr die ersten Tage der Mutterschaft in eitel Seligkeit. Das<lb/> kleine Wesen, das da hinter der Gardine schlummerte oder mit weitgeöffneten<lb/> Augen an ihrer Brust lag oder unter den Händen der Wehmutter im Bade</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0405]
Das Glück des Hauses Rottland
spannende Geist eines Gelehrten schlummere. Auf alle Fälle aber werde das Kind
zu einer Leuchte des Glaubens heranwachsen, denn wer am Ferdinandstage geboren
sei und in der heiligen Taufe den Namen so vieler erlauchter Schirmherren der
Religion erhalten habe, der sei zu großen Dingen berufen.
Die Wehmutter, die natürlich auch ihr Urteil abgab, erklärte, seit zwanzig
Jahren sei in der ganzen Gegend kein so starkes und schweres Kind zur Welt
gekommen, wie der junge Herr Baron, und daß er gleich in der ersten Minute
ihren Daumen in die Faust genommen und nicht wieder habe loslassen wollen,
das sei ein Zeichen, daß er seinen Kopf für sich habe und anders werden würde
als sonst die Menschen.
Dieses Wort gab dem Vater zu denken. Anders als sonst die Menschen!
Es schnitt ihm durchs Herz, wenn er sich vorstellte, daß das unendliche Leid, das
schon so viele Mitglieder der Familie heimgesucht hatte, auch diesem Knäblein
beschicken sein könne. Herrn Salentins Wünsche für den Sohn verstiegen sich
nicht bis zum Hofkleid oder zum Abtstab, nicht bis zum Lorbeer des Feldherrn
oder des Gelehrten; was er für ihn erhoffte, waren fünf gesunde Sinne und ein
zufriedenes Gemüt. Und immer wieder zog er behutsam den Vorhang der Wiege
zurück, beugte sich über das kleine Menschenbild und versuchte, aus dem runden
Gesichtlein die Antwort auf die bange Frage zu lesen, die ihn jetzt unausgesetzt
beschäftigte. Wenn der Kleine einmal leise zu wimmern oder gar zu schreien
begann, klopfte des Vaters Herz. Sollte der Mund, der diese Laute hervor¬
zubringen fähig war. nicht einst auch Silben und Worte bilden zu lernen imstande
sein? So kam es, daß dem alten Herrn das Geschrei seines Sohnes und Erben
holder als Sphärenmusik klang, und daß er mit einer Aufmerksamkeit darauf
lauschte, als handle es sich um eine Offenbarung.
Alle Besucher fanden, daß das Kind der Mutter gliche. Das verdroß den
Freiherrn ein wenig, denn er hätte gar zu gern gehört, daß man wenigstens die
Friemersheimsche Nase in dem kleinen Antlitz wiedergefunden hätte. Er wußte
freilich, wie spät eine Nase die charakteristische endgültige Form annimmt, und er
Zweifelte nicht, daß sich Ferdinand Salentin nach etwa zwanzig Jahren durch
einen scharf markierter Höcker unterhalb der Nasenwurzel als ein echter Sprosse
des Geschlechts legitimieren werde, aber es wäre doch hübsch gewesen, wenn man
jetzt schon einen, natürlich nur ganz geringfügigen, Ansatz zu jenem Höcker wahr-
genommen hätte. Das eine stand für den Vater allerdings fest und freute ihn
gewaltig, obgleich er sich gegen niemand darüber aussprach: wenn der kleine
Ferdinand schlechter Laune war und sich zum Weinen anschickte, erschienen in
seinem bräunlichen Gesichtchen Runzeln und Falten, und dann konnte nur ein
Böswilliger noch behaupten, daß er der jungen blühenden Mutter gliche.
Merge war die einzige, die weder nach den Zukunftsaussichten des Kindes
noch nach Ähnlichkeiten fragte. Für sie genügte die Tatsache, daß das Bündel
da in der Wiege ihr gehörte. Das war des Glückes genug — mehr brauchte sie
nicht. Und von den Befürchtungen, die ihren Gatten quälten, hatte sie keine
Ahnung.
So verflossen ihr die ersten Tage der Mutterschaft in eitel Seligkeit. Das
kleine Wesen, das da hinter der Gardine schlummerte oder mit weitgeöffneten
Augen an ihrer Brust lag oder unter den Händen der Wehmutter im Bade
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