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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Jntelligeiizprüfunge" an Schulkindern

Korrelationsformel, kann man aber das Maß der Übereinstimmung leicht
zahlenmäßig ausdrücken. Ergibt die Korrelationsformel den Wert -I- 1, so
ist, wie man zu sagen pflegt, die Korrelation zwischen Intelligenz und Test¬
leistung eine vollkommene (positive); der Wert 0 bedeutet nicht vorhandene
Korrelation, also Fehlen jeder Beziehung zwischen Intelligenz und Testleistnng;
der Wert -- 1 vollkommene negative oder umgekehrte Korrelation. -- Hat
man so einmal durch eine sorgfältige Untersuchung festgestellt, daß ein bestimmter
Tests zur Jntelligenzprüfung taugt, indem man einen "Korrelationskoeffizienten"
nahe an -j- I erhielt, so kann man daran denken, ihn in der Schulpraxis zu
verwerten. Ein Lehrer wird also z. B. durch einige Versuche mit geeigneten
Test leicht in der Lage sein, sich in wenigen Stunden von den Begabungs¬
unterschieden der Schüler einer Klasse, die ihm noch neu ist, ein annähernd
richtiges Bild zu machen, was ihm sonst erst nach mehreren Monaten, und im
allgemeinen nicht ohne Schwierigkeit, gelingt.

Eine solche Verwertbarkeit psychologischer Forschungsergebnisse in der Schul¬
praxis ist gewiß sehr erfreulich. Es ist aber leicht zu sehen, daß das, was die
eben geschilderte "Rangmethode" der Jntelligenzprüfung zu leisten vermag, nur
einem recht beschränkten pädagogischen Bedürfnis entgegenkommt. Zunächst:
man erhält ja durch eine Rangordnung immer nur sozusagen ein relatives Urteil
über die Intelligenz eines Individuums, relativ zu den Intelligenzen der jeweils
mit ihm verglichenen anderen Individuen. Ein Knabe, der unter den fünfzig
Schülern der Klasse, in der er gerade sitzt, den fünfundzwanzigsten Rang ein¬
nimmt, würde vielleicht in der entsprechenden Klasse einer anderen Schule den
zwanzigsten oder den dreißigsten Rang einnehmen; unter den gleichaltrigen
Schülern einer Hilfsschule würde er gar den ersten Rang erhalten. Und
zweitens: da eine Rangordnung als solche nur in einer Nummerierung besteht,
so gibt sie keine Auskunft über die Größe der Begabungsunterschiede zwischen
den einzelnen Schülern. Ob also z. B. der Unbegabteste, der den letzten Rang
einnimmt, sich sehr bedeutend oder nur eben merklich vom vorletzten unter¬
scheidet, und namentlich ob seine Intelligenz um ein bestimmtes Maß hinter der
Durchschnitts- oder Normalintelligenz zurückbleibt, hierüber erfährt man durch
die Rangmethode gar nichts. Gerade dieser zuletzt berührte Punkt, die Fest¬
stellung eines Jntelligenzdefektes von bestimmter Größe bei einem einzelnen
Individuum ist es aber, worauf ein dringendes pädagogisches Bedürfnis sich
richtet. Denn die ausgesprochen schwachbefühigten und die schwachsinnigen Kinder
verlangen heutzutage vielfach spezielle praktische Erziehungsmaßnahmen, die erst
auf Grund genauer Untersuchung dieser Kinder inbezug auf ihre geistige Schwäche
ergriffen werden können oder doch sollten. Vielleicht kommen wir später einmal
dazu, auch den übernormalen, hervorragend befähigten Kindern eine gesonderte
Behandlung angedeihen zu lassen, -- vorläufig sind es jedenfalls nur die Unter¬
normalen verschiedener Kategorien, deren Erkennung, Absonderung undBehandlung
das Interesse und die Mitwirkung des Fachpsychologen beanspruchen. Man


Jntelligeiizprüfunge» an Schulkindern

Korrelationsformel, kann man aber das Maß der Übereinstimmung leicht
zahlenmäßig ausdrücken. Ergibt die Korrelationsformel den Wert -I- 1, so
ist, wie man zu sagen pflegt, die Korrelation zwischen Intelligenz und Test¬
leistung eine vollkommene (positive); der Wert 0 bedeutet nicht vorhandene
Korrelation, also Fehlen jeder Beziehung zwischen Intelligenz und Testleistnng;
der Wert — 1 vollkommene negative oder umgekehrte Korrelation. — Hat
man so einmal durch eine sorgfältige Untersuchung festgestellt, daß ein bestimmter
Tests zur Jntelligenzprüfung taugt, indem man einen „Korrelationskoeffizienten"
nahe an -j- I erhielt, so kann man daran denken, ihn in der Schulpraxis zu
verwerten. Ein Lehrer wird also z. B. durch einige Versuche mit geeigneten
Test leicht in der Lage sein, sich in wenigen Stunden von den Begabungs¬
unterschieden der Schüler einer Klasse, die ihm noch neu ist, ein annähernd
richtiges Bild zu machen, was ihm sonst erst nach mehreren Monaten, und im
allgemeinen nicht ohne Schwierigkeit, gelingt.

Eine solche Verwertbarkeit psychologischer Forschungsergebnisse in der Schul¬
praxis ist gewiß sehr erfreulich. Es ist aber leicht zu sehen, daß das, was die
eben geschilderte „Rangmethode" der Jntelligenzprüfung zu leisten vermag, nur
einem recht beschränkten pädagogischen Bedürfnis entgegenkommt. Zunächst:
man erhält ja durch eine Rangordnung immer nur sozusagen ein relatives Urteil
über die Intelligenz eines Individuums, relativ zu den Intelligenzen der jeweils
mit ihm verglichenen anderen Individuen. Ein Knabe, der unter den fünfzig
Schülern der Klasse, in der er gerade sitzt, den fünfundzwanzigsten Rang ein¬
nimmt, würde vielleicht in der entsprechenden Klasse einer anderen Schule den
zwanzigsten oder den dreißigsten Rang einnehmen; unter den gleichaltrigen
Schülern einer Hilfsschule würde er gar den ersten Rang erhalten. Und
zweitens: da eine Rangordnung als solche nur in einer Nummerierung besteht,
so gibt sie keine Auskunft über die Größe der Begabungsunterschiede zwischen
den einzelnen Schülern. Ob also z. B. der Unbegabteste, der den letzten Rang
einnimmt, sich sehr bedeutend oder nur eben merklich vom vorletzten unter¬
scheidet, und namentlich ob seine Intelligenz um ein bestimmtes Maß hinter der
Durchschnitts- oder Normalintelligenz zurückbleibt, hierüber erfährt man durch
die Rangmethode gar nichts. Gerade dieser zuletzt berührte Punkt, die Fest¬
stellung eines Jntelligenzdefektes von bestimmter Größe bei einem einzelnen
Individuum ist es aber, worauf ein dringendes pädagogisches Bedürfnis sich
richtet. Denn die ausgesprochen schwachbefühigten und die schwachsinnigen Kinder
verlangen heutzutage vielfach spezielle praktische Erziehungsmaßnahmen, die erst
auf Grund genauer Untersuchung dieser Kinder inbezug auf ihre geistige Schwäche
ergriffen werden können oder doch sollten. Vielleicht kommen wir später einmal
dazu, auch den übernormalen, hervorragend befähigten Kindern eine gesonderte
Behandlung angedeihen zu lassen, — vorläufig sind es jedenfalls nur die Unter¬
normalen verschiedener Kategorien, deren Erkennung, Absonderung undBehandlung
das Interesse und die Mitwirkung des Fachpsychologen beanspruchen. Man


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[0390] Jntelligeiizprüfunge» an Schulkindern Korrelationsformel, kann man aber das Maß der Übereinstimmung leicht zahlenmäßig ausdrücken. Ergibt die Korrelationsformel den Wert -I- 1, so ist, wie man zu sagen pflegt, die Korrelation zwischen Intelligenz und Test¬ leistung eine vollkommene (positive); der Wert 0 bedeutet nicht vorhandene Korrelation, also Fehlen jeder Beziehung zwischen Intelligenz und Testleistnng; der Wert — 1 vollkommene negative oder umgekehrte Korrelation. — Hat man so einmal durch eine sorgfältige Untersuchung festgestellt, daß ein bestimmter Tests zur Jntelligenzprüfung taugt, indem man einen „Korrelationskoeffizienten" nahe an -j- I erhielt, so kann man daran denken, ihn in der Schulpraxis zu verwerten. Ein Lehrer wird also z. B. durch einige Versuche mit geeigneten Test leicht in der Lage sein, sich in wenigen Stunden von den Begabungs¬ unterschieden der Schüler einer Klasse, die ihm noch neu ist, ein annähernd richtiges Bild zu machen, was ihm sonst erst nach mehreren Monaten, und im allgemeinen nicht ohne Schwierigkeit, gelingt. Eine solche Verwertbarkeit psychologischer Forschungsergebnisse in der Schul¬ praxis ist gewiß sehr erfreulich. Es ist aber leicht zu sehen, daß das, was die eben geschilderte „Rangmethode" der Jntelligenzprüfung zu leisten vermag, nur einem recht beschränkten pädagogischen Bedürfnis entgegenkommt. Zunächst: man erhält ja durch eine Rangordnung immer nur sozusagen ein relatives Urteil über die Intelligenz eines Individuums, relativ zu den Intelligenzen der jeweils mit ihm verglichenen anderen Individuen. Ein Knabe, der unter den fünfzig Schülern der Klasse, in der er gerade sitzt, den fünfundzwanzigsten Rang ein¬ nimmt, würde vielleicht in der entsprechenden Klasse einer anderen Schule den zwanzigsten oder den dreißigsten Rang einnehmen; unter den gleichaltrigen Schülern einer Hilfsschule würde er gar den ersten Rang erhalten. Und zweitens: da eine Rangordnung als solche nur in einer Nummerierung besteht, so gibt sie keine Auskunft über die Größe der Begabungsunterschiede zwischen den einzelnen Schülern. Ob also z. B. der Unbegabteste, der den letzten Rang einnimmt, sich sehr bedeutend oder nur eben merklich vom vorletzten unter¬ scheidet, und namentlich ob seine Intelligenz um ein bestimmtes Maß hinter der Durchschnitts- oder Normalintelligenz zurückbleibt, hierüber erfährt man durch die Rangmethode gar nichts. Gerade dieser zuletzt berührte Punkt, die Fest¬ stellung eines Jntelligenzdefektes von bestimmter Größe bei einem einzelnen Individuum ist es aber, worauf ein dringendes pädagogisches Bedürfnis sich richtet. Denn die ausgesprochen schwachbefühigten und die schwachsinnigen Kinder verlangen heutzutage vielfach spezielle praktische Erziehungsmaßnahmen, die erst auf Grund genauer Untersuchung dieser Kinder inbezug auf ihre geistige Schwäche ergriffen werden können oder doch sollten. Vielleicht kommen wir später einmal dazu, auch den übernormalen, hervorragend befähigten Kindern eine gesonderte Behandlung angedeihen zu lassen, — vorläufig sind es jedenfalls nur die Unter¬ normalen verschiedener Kategorien, deren Erkennung, Absonderung undBehandlung das Interesse und die Mitwirkung des Fachpsychologen beanspruchen. Man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/390>, abgerufen am 23.07.2024.