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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Jntelligcnzprüfnngen an Schulkindern

gegebenen Materials zu einem sinnvollen Zusammenhange -- ein wesentlicher
Faktor der Intelligenz sei, zu folgender Versuchsanordnung. Er legte den
Schülern einer Klasse einen gedruckten Text vor, in dem einzelne Worte und
Silben allsgelassen waren, und verlangte nun, daß diese Lücken im Text
sinnvoll ergänzt würden. Von anderen Autoren, die es sich angelegen sein
ließen, zur Jntelligenzprüfung geeignete Methoden auszuarbeiten, muß besonders
der französische Psychologe Binet genannt werden, der leider, erst vor wenigen
Wochen, der psychologischen Wissenschaft durch den Tod entrissen worden ist.
Von den von ihm ausgedachten Tests werden wir weiter unten einige kennen
lernen.

Die zweite Vervollkommnung, die man der Methodik der Jntelligenz¬
prüfung angedeihen ließ, hat ihren Ursprung in England und bezieht sich nicht
auf die Tests selbst, sondern auf die Art der Verarbeitung ihrer Resultate.
Die oben erwähnte Einteilung der Schüler einer Klasse in gute, mittelmäßige
und schlechte ist natürlich ein sehr rohes und ungenaues Verfahren, und es ist
nicht möglich, aus der Verschiedenheit der durchschnittlichen Testleistungen, die
sich für jene drei Gruppen ergeben, genauer zu ersehen, welches Maß von
Zuverlässigkeit dem dabei benutzten Test für die Beurteilung der einzelnen
Schülerintelligenzen zukommt. Auch gestattet eine derartig allgemeine Fest¬
stellung -- bei Unterscheidung von nur drei Gruppen -- kaum eine praktisch¬
pädagogische Anwendung. Durch den englischen Psychologen Spearman ist
nun folgendes sinnreiche Verfahren in die Untersuchungstechnik eingeführt
worden. Man ordnet die Versuchspersonen nach der Güte ihrer Testleistungen
in eine Reihe von der besten bis zur schlechtesten. Hat man also z. B. mit
den Schülern einer Klasse den Ebbinghausschen Ergänzungsversuch gemacht, so
nimmt derjenige Schüler, der die meisten richtigen Texergänzungen geliefert
hat, den ersten Rang in der Reihe ein, der Schüler mit der zweitbesten Leistung
den zweiten Rang und so fort, der Schüler mit der schlechtesten Leistung den
letzten Rang. Dann läßt man für dieselben Schüler von ihren Lehrern eine
analoge Reihe aufstellen auf Grund des Urteils, das sie, nach längerer Unterrichts¬
erfahrung und unabhängig von den Schulzensuren, über die Begabung ihrer
Schüler gewonnen haben: von dem begabtesten Schüler, der den ersten Rang
in dieser Reihe, bis zum unbegabtesten Schüler, der den letzten Rang einnimmt.
Stellt man jetzt die beiden Rangordnungen einander gegenüber, so ist ohne weiteres
ersichtlich, daß sie verschieden gut miteinander übereinstimmen können, präziser
formuliert: daß die Summe der Nangdifferenzen in beiden Reihen verschieden
groß sein kann; je kleiner sie ist, desto besser die Übereinstimmung. Je besser
diese in unserem Beispiele ist, desto vollkommener wird also auch -- richtige
Urteile der Lehrer vorausgesetzt -- in dem Ergänzungsversuch die wirkliche
Begabung der einzelnen Schüler in ihrer Stärkeverschicdenheit zum Ausdruck
kommen, kurz: desto geeigneter wird jener Versuch als Jntelligenzprobe sein.
Mit Hilfe eines einfachen mathematischen Kunstgriffes, der sogenannten


Jntelligcnzprüfnngen an Schulkindern

gegebenen Materials zu einem sinnvollen Zusammenhange — ein wesentlicher
Faktor der Intelligenz sei, zu folgender Versuchsanordnung. Er legte den
Schülern einer Klasse einen gedruckten Text vor, in dem einzelne Worte und
Silben allsgelassen waren, und verlangte nun, daß diese Lücken im Text
sinnvoll ergänzt würden. Von anderen Autoren, die es sich angelegen sein
ließen, zur Jntelligenzprüfung geeignete Methoden auszuarbeiten, muß besonders
der französische Psychologe Binet genannt werden, der leider, erst vor wenigen
Wochen, der psychologischen Wissenschaft durch den Tod entrissen worden ist.
Von den von ihm ausgedachten Tests werden wir weiter unten einige kennen
lernen.

Die zweite Vervollkommnung, die man der Methodik der Jntelligenz¬
prüfung angedeihen ließ, hat ihren Ursprung in England und bezieht sich nicht
auf die Tests selbst, sondern auf die Art der Verarbeitung ihrer Resultate.
Die oben erwähnte Einteilung der Schüler einer Klasse in gute, mittelmäßige
und schlechte ist natürlich ein sehr rohes und ungenaues Verfahren, und es ist
nicht möglich, aus der Verschiedenheit der durchschnittlichen Testleistungen, die
sich für jene drei Gruppen ergeben, genauer zu ersehen, welches Maß von
Zuverlässigkeit dem dabei benutzten Test für die Beurteilung der einzelnen
Schülerintelligenzen zukommt. Auch gestattet eine derartig allgemeine Fest¬
stellung — bei Unterscheidung von nur drei Gruppen — kaum eine praktisch¬
pädagogische Anwendung. Durch den englischen Psychologen Spearman ist
nun folgendes sinnreiche Verfahren in die Untersuchungstechnik eingeführt
worden. Man ordnet die Versuchspersonen nach der Güte ihrer Testleistungen
in eine Reihe von der besten bis zur schlechtesten. Hat man also z. B. mit
den Schülern einer Klasse den Ebbinghausschen Ergänzungsversuch gemacht, so
nimmt derjenige Schüler, der die meisten richtigen Texergänzungen geliefert
hat, den ersten Rang in der Reihe ein, der Schüler mit der zweitbesten Leistung
den zweiten Rang und so fort, der Schüler mit der schlechtesten Leistung den
letzten Rang. Dann läßt man für dieselben Schüler von ihren Lehrern eine
analoge Reihe aufstellen auf Grund des Urteils, das sie, nach längerer Unterrichts¬
erfahrung und unabhängig von den Schulzensuren, über die Begabung ihrer
Schüler gewonnen haben: von dem begabtesten Schüler, der den ersten Rang
in dieser Reihe, bis zum unbegabtesten Schüler, der den letzten Rang einnimmt.
Stellt man jetzt die beiden Rangordnungen einander gegenüber, so ist ohne weiteres
ersichtlich, daß sie verschieden gut miteinander übereinstimmen können, präziser
formuliert: daß die Summe der Nangdifferenzen in beiden Reihen verschieden
groß sein kann; je kleiner sie ist, desto besser die Übereinstimmung. Je besser
diese in unserem Beispiele ist, desto vollkommener wird also auch — richtige
Urteile der Lehrer vorausgesetzt — in dem Ergänzungsversuch die wirkliche
Begabung der einzelnen Schüler in ihrer Stärkeverschicdenheit zum Ausdruck
kommen, kurz: desto geeigneter wird jener Versuch als Jntelligenzprobe sein.
Mit Hilfe eines einfachen mathematischen Kunstgriffes, der sogenannten


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[0389] Jntelligcnzprüfnngen an Schulkindern gegebenen Materials zu einem sinnvollen Zusammenhange — ein wesentlicher Faktor der Intelligenz sei, zu folgender Versuchsanordnung. Er legte den Schülern einer Klasse einen gedruckten Text vor, in dem einzelne Worte und Silben allsgelassen waren, und verlangte nun, daß diese Lücken im Text sinnvoll ergänzt würden. Von anderen Autoren, die es sich angelegen sein ließen, zur Jntelligenzprüfung geeignete Methoden auszuarbeiten, muß besonders der französische Psychologe Binet genannt werden, der leider, erst vor wenigen Wochen, der psychologischen Wissenschaft durch den Tod entrissen worden ist. Von den von ihm ausgedachten Tests werden wir weiter unten einige kennen lernen. Die zweite Vervollkommnung, die man der Methodik der Jntelligenz¬ prüfung angedeihen ließ, hat ihren Ursprung in England und bezieht sich nicht auf die Tests selbst, sondern auf die Art der Verarbeitung ihrer Resultate. Die oben erwähnte Einteilung der Schüler einer Klasse in gute, mittelmäßige und schlechte ist natürlich ein sehr rohes und ungenaues Verfahren, und es ist nicht möglich, aus der Verschiedenheit der durchschnittlichen Testleistungen, die sich für jene drei Gruppen ergeben, genauer zu ersehen, welches Maß von Zuverlässigkeit dem dabei benutzten Test für die Beurteilung der einzelnen Schülerintelligenzen zukommt. Auch gestattet eine derartig allgemeine Fest¬ stellung — bei Unterscheidung von nur drei Gruppen — kaum eine praktisch¬ pädagogische Anwendung. Durch den englischen Psychologen Spearman ist nun folgendes sinnreiche Verfahren in die Untersuchungstechnik eingeführt worden. Man ordnet die Versuchspersonen nach der Güte ihrer Testleistungen in eine Reihe von der besten bis zur schlechtesten. Hat man also z. B. mit den Schülern einer Klasse den Ebbinghausschen Ergänzungsversuch gemacht, so nimmt derjenige Schüler, der die meisten richtigen Texergänzungen geliefert hat, den ersten Rang in der Reihe ein, der Schüler mit der zweitbesten Leistung den zweiten Rang und so fort, der Schüler mit der schlechtesten Leistung den letzten Rang. Dann läßt man für dieselben Schüler von ihren Lehrern eine analoge Reihe aufstellen auf Grund des Urteils, das sie, nach längerer Unterrichts¬ erfahrung und unabhängig von den Schulzensuren, über die Begabung ihrer Schüler gewonnen haben: von dem begabtesten Schüler, der den ersten Rang in dieser Reihe, bis zum unbegabtesten Schüler, der den letzten Rang einnimmt. Stellt man jetzt die beiden Rangordnungen einander gegenüber, so ist ohne weiteres ersichtlich, daß sie verschieden gut miteinander übereinstimmen können, präziser formuliert: daß die Summe der Nangdifferenzen in beiden Reihen verschieden groß sein kann; je kleiner sie ist, desto besser die Übereinstimmung. Je besser diese in unserem Beispiele ist, desto vollkommener wird also auch — richtige Urteile der Lehrer vorausgesetzt — in dem Ergänzungsversuch die wirkliche Begabung der einzelnen Schüler in ihrer Stärkeverschicdenheit zum Ausdruck kommen, kurz: desto geeigneter wird jener Versuch als Jntelligenzprobe sein. Mit Hilfe eines einfachen mathematischen Kunstgriffes, der sogenannten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/389>, abgerufen am 26.08.2024.