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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Polen und Rom nach Sö?o

deutschen Katholiken zu versichern; wenn die Engländer nicht gleich die Rezepte
und Geld zu einem regelrechten Aufstande der Katholiken gegen die Regierung
anschickten, so lag das nicht an ihnen. Ja, just die Bischöfe des anglikanischen
Englands machten sich Kummer um die deutschen Katholiken. Eigentümlich,
daß gleichzeitig Kaiser Wilhelm eine Adresse der "Royal Orange Institution"
aus dem katholischen Irland erhielt, die seine Kirchenpolitik lobte; freilich war
Irland dazumal wohl Glied, aber nicht Freund Englands. Als nun Bismarck
bei der englischen Regierung vorstellig wurde, daß sie solche gegen die Hand¬
lungen einer fremden Regierung gerichteten Kundgebungen nicht unterdrücke, war
die für ihre Motive höchst bezeichnende Antwort der Bischöfe Englands die, daß
sie in Form eines Hirtenbriefes (!) an ihre Diözesanen die briefliche Korrespondenz
zwischen dem Papste und den preußischen Bischöfen veröffentlichten. Das englische
Volk reagierte darauf mit dem erregten Rufe nach Waffenrüstung gegen Deutsch¬
land, das ohnehin verdächtig schien, die Affäre Duchesne (Attentatsplan auf
Bismarck) zum Ausgangspunkt eines Angriffs auf Belgien zu nehmen.

Das englische Blaubuch von 1877 enthielt als Nummer 1 die Korrespondenz
der diplomatischen und konsularen Agenten Englands in Rußland über die den
Gliedern der griechisch-unierten Kirche zuteil gewordene Behandlung. Es enthielt
des weiteren die obenerwähnte Denkschrift der unierten Priester an die Kon-
stantinopeler Konferenz, die außer England kein einziger Staat amtlich zur Kenntnis
nehmen zu dürfen geglaubt hat. Die Vorlegung solcher Aktenstücke über innere
Angelegenheiten Rußlands an das englische Parlament durch die englische Ne¬
gierung hatte man allen Anlaß in Rußland als einen "politischen Skandal" zu
bezeichnen. Man erkannte, daß er Machinationen diente, an denen außer England
noch der Papst und die Polen beteiligt wären.

Unter Hinweis auf dieses englische Blaubuch, "ein unparteiisches Zeugnis,"
veranstaltete der italienische Kanonikus Picchi mit Unterstützung von Kardinälen
und Bischöfen öffentliche Geldsammlungen zugunsten der polnischen Geistlichen
in Rußland und Preußen. Als 1878 die russischen Erfolge die Austeilung der
Türkei wahrscheinlich machten, agitierte man von Rom aus mit dem englischen
Blaubuchmaterial, indem man die Gefahren für die orientalischen Katholiken aus
dem Schicksal der Polen und der unbilligen Handlungsweise Rußlands gegen
den "Vikar Christi" demonstrierte. Rom tat sodann das Seine, um Österreich-
Ungarn zu verpflichten, zugunsten einer Verselbständigung den Balkanstaaten
eine größere Bewegungsfreiheit einzuräumen und in diesen wieder eine Abneigung
gegen Rußland großzuziehen. Endlich veröffentlichte im Januar 1878 Rom
das im August des Vorjahres ergangene Rundschreiben des päpstlichen Kardinal¬
staatssekretärs Simeoni an alle päpstlichen Vertreter bei europäischen Regierungs¬
kabinetten sowie die dazu gehörenden Dokumente, die besagten, daß dem diplo¬
matischen Agenten Rußlands beim Vatikan, Prinzen Urussoff, die Beziehungen
zum Papst und Staatssekretär aufgesagt worden seien. Eine lange Aufzählung
der russischen Vergehen gegen die kirchlichen Verhältnisse in Polen gab der


Polen und Rom nach Sö?o

deutschen Katholiken zu versichern; wenn die Engländer nicht gleich die Rezepte
und Geld zu einem regelrechten Aufstande der Katholiken gegen die Regierung
anschickten, so lag das nicht an ihnen. Ja, just die Bischöfe des anglikanischen
Englands machten sich Kummer um die deutschen Katholiken. Eigentümlich,
daß gleichzeitig Kaiser Wilhelm eine Adresse der „Royal Orange Institution"
aus dem katholischen Irland erhielt, die seine Kirchenpolitik lobte; freilich war
Irland dazumal wohl Glied, aber nicht Freund Englands. Als nun Bismarck
bei der englischen Regierung vorstellig wurde, daß sie solche gegen die Hand¬
lungen einer fremden Regierung gerichteten Kundgebungen nicht unterdrücke, war
die für ihre Motive höchst bezeichnende Antwort der Bischöfe Englands die, daß
sie in Form eines Hirtenbriefes (!) an ihre Diözesanen die briefliche Korrespondenz
zwischen dem Papste und den preußischen Bischöfen veröffentlichten. Das englische
Volk reagierte darauf mit dem erregten Rufe nach Waffenrüstung gegen Deutsch¬
land, das ohnehin verdächtig schien, die Affäre Duchesne (Attentatsplan auf
Bismarck) zum Ausgangspunkt eines Angriffs auf Belgien zu nehmen.

Das englische Blaubuch von 1877 enthielt als Nummer 1 die Korrespondenz
der diplomatischen und konsularen Agenten Englands in Rußland über die den
Gliedern der griechisch-unierten Kirche zuteil gewordene Behandlung. Es enthielt
des weiteren die obenerwähnte Denkschrift der unierten Priester an die Kon-
stantinopeler Konferenz, die außer England kein einziger Staat amtlich zur Kenntnis
nehmen zu dürfen geglaubt hat. Die Vorlegung solcher Aktenstücke über innere
Angelegenheiten Rußlands an das englische Parlament durch die englische Ne¬
gierung hatte man allen Anlaß in Rußland als einen „politischen Skandal" zu
bezeichnen. Man erkannte, daß er Machinationen diente, an denen außer England
noch der Papst und die Polen beteiligt wären.

Unter Hinweis auf dieses englische Blaubuch, „ein unparteiisches Zeugnis,"
veranstaltete der italienische Kanonikus Picchi mit Unterstützung von Kardinälen
und Bischöfen öffentliche Geldsammlungen zugunsten der polnischen Geistlichen
in Rußland und Preußen. Als 1878 die russischen Erfolge die Austeilung der
Türkei wahrscheinlich machten, agitierte man von Rom aus mit dem englischen
Blaubuchmaterial, indem man die Gefahren für die orientalischen Katholiken aus
dem Schicksal der Polen und der unbilligen Handlungsweise Rußlands gegen
den „Vikar Christi" demonstrierte. Rom tat sodann das Seine, um Österreich-
Ungarn zu verpflichten, zugunsten einer Verselbständigung den Balkanstaaten
eine größere Bewegungsfreiheit einzuräumen und in diesen wieder eine Abneigung
gegen Rußland großzuziehen. Endlich veröffentlichte im Januar 1878 Rom
das im August des Vorjahres ergangene Rundschreiben des päpstlichen Kardinal¬
staatssekretärs Simeoni an alle päpstlichen Vertreter bei europäischen Regierungs¬
kabinetten sowie die dazu gehörenden Dokumente, die besagten, daß dem diplo¬
matischen Agenten Rußlands beim Vatikan, Prinzen Urussoff, die Beziehungen
zum Papst und Staatssekretär aufgesagt worden seien. Eine lange Aufzählung
der russischen Vergehen gegen die kirchlichen Verhältnisse in Polen gab der


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[0384] Polen und Rom nach Sö?o deutschen Katholiken zu versichern; wenn die Engländer nicht gleich die Rezepte und Geld zu einem regelrechten Aufstande der Katholiken gegen die Regierung anschickten, so lag das nicht an ihnen. Ja, just die Bischöfe des anglikanischen Englands machten sich Kummer um die deutschen Katholiken. Eigentümlich, daß gleichzeitig Kaiser Wilhelm eine Adresse der „Royal Orange Institution" aus dem katholischen Irland erhielt, die seine Kirchenpolitik lobte; freilich war Irland dazumal wohl Glied, aber nicht Freund Englands. Als nun Bismarck bei der englischen Regierung vorstellig wurde, daß sie solche gegen die Hand¬ lungen einer fremden Regierung gerichteten Kundgebungen nicht unterdrücke, war die für ihre Motive höchst bezeichnende Antwort der Bischöfe Englands die, daß sie in Form eines Hirtenbriefes (!) an ihre Diözesanen die briefliche Korrespondenz zwischen dem Papste und den preußischen Bischöfen veröffentlichten. Das englische Volk reagierte darauf mit dem erregten Rufe nach Waffenrüstung gegen Deutsch¬ land, das ohnehin verdächtig schien, die Affäre Duchesne (Attentatsplan auf Bismarck) zum Ausgangspunkt eines Angriffs auf Belgien zu nehmen. Das englische Blaubuch von 1877 enthielt als Nummer 1 die Korrespondenz der diplomatischen und konsularen Agenten Englands in Rußland über die den Gliedern der griechisch-unierten Kirche zuteil gewordene Behandlung. Es enthielt des weiteren die obenerwähnte Denkschrift der unierten Priester an die Kon- stantinopeler Konferenz, die außer England kein einziger Staat amtlich zur Kenntnis nehmen zu dürfen geglaubt hat. Die Vorlegung solcher Aktenstücke über innere Angelegenheiten Rußlands an das englische Parlament durch die englische Ne¬ gierung hatte man allen Anlaß in Rußland als einen „politischen Skandal" zu bezeichnen. Man erkannte, daß er Machinationen diente, an denen außer England noch der Papst und die Polen beteiligt wären. Unter Hinweis auf dieses englische Blaubuch, „ein unparteiisches Zeugnis," veranstaltete der italienische Kanonikus Picchi mit Unterstützung von Kardinälen und Bischöfen öffentliche Geldsammlungen zugunsten der polnischen Geistlichen in Rußland und Preußen. Als 1878 die russischen Erfolge die Austeilung der Türkei wahrscheinlich machten, agitierte man von Rom aus mit dem englischen Blaubuchmaterial, indem man die Gefahren für die orientalischen Katholiken aus dem Schicksal der Polen und der unbilligen Handlungsweise Rußlands gegen den „Vikar Christi" demonstrierte. Rom tat sodann das Seine, um Österreich- Ungarn zu verpflichten, zugunsten einer Verselbständigung den Balkanstaaten eine größere Bewegungsfreiheit einzuräumen und in diesen wieder eine Abneigung gegen Rußland großzuziehen. Endlich veröffentlichte im Januar 1878 Rom das im August des Vorjahres ergangene Rundschreiben des päpstlichen Kardinal¬ staatssekretärs Simeoni an alle päpstlichen Vertreter bei europäischen Regierungs¬ kabinetten sowie die dazu gehörenden Dokumente, die besagten, daß dem diplo¬ matischen Agenten Rußlands beim Vatikan, Prinzen Urussoff, die Beziehungen zum Papst und Staatssekretär aufgesagt worden seien. Eine lange Aufzählung der russischen Vergehen gegen die kirchlichen Verhältnisse in Polen gab der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/384>, abgerufen am 26.08.2024.