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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Polen und Rom nach ^870

land als Vorkämpfer des Kreuzes. Der Zar solle doch, sagte er, bevor er, das
Schicksal der dem Türken Untertanen Christen zu "bessern" beginne, lieber das
> der acht Millionen katholischen Christen des eigenen Reiches bessern, die er
schlimmer mißhandle als der Türke seine Untertanen. Der Zar solle, anstatt
seine "väterliche Liebe" an "alle Mitglieder der großen christlichen Familie der
Balkanhalbinsel" zu verschwenden, sie lieber den eigenen Polen zuwenden.
Er ließ, während im Winter 1876 die ergebnislosen diplomatischen Konferenzen
in Konstantinopel stattfanden, den Bevollmächtigten durch Priester slawisch-
unierter Riten, die ans Rußland wegen der Verfolgung ausgewandert waren,
eine Denkschrift überreichen, in der alle russischen Taten gegen die Sprache, die
politische, religiöse, persönliche und wirtschaftliche Freiheit und Wohlfahrt der
Polen und der Unierten eindrucksvoll aufgezählt und als im Widerspruch hingestellt
waren gegen die Versprechungen Rußlands zugunsten der Serben, Bulgaren usw.,
Versprechungen, die nur zur captatio benevolentiAe dieser wie der Mächte
dienen sollen und doch nicht gehalten werden, sobald Rußland erst der Herr sei.
Wenn die Konferenz dem Orient Frieden gebe und von der mohammedanischen
Türkei Freiheit und Reformen für die Slawen des Türkenreiches erlange, so
müsse sie gleiche Freiheiten und Reformen für die polnische Nation durchsetzen,
die der christlichen russischen Regierung unterstehe.

Was der Papst tat, war Wasser auf die Mühle Englands. Die Stimmung
Englands war seit der aggressiven Rede Disraelis von 1875 ohne Zweifel
russenfeindlich und blieb es auch, nachdem England dem diplomatischen russischen
Vorgehen gegen die Türkei nach vielem Widerstreben eine verklausulierte Zu¬
stimmung gegeben hatte. England mußte im Interesse seiner asiatischen Macht-
, Stellung das Steigen eines Einflusses Rußlands in und gegenüber der Türkei
verhindern. Stieg der Einfluß Rußlands dennoch, so durfte England nicht ver¬
säumen, mit denselben Mitteln wie Nußland zu arbeiten, um ihm keinen Vor¬
sprung zu lassen, und das hieß vor allem, daß auch England religiöse Motive
mit heranzog. England könne zwar nicht zulassen, daß Rußland die Türkei
erwürge, aber es sei darum beileibe uicht ein Komplice der Türken zur Unter¬
drückung der Christen, sondern ganz im Gegenteil gewähre England den Türken
überhaupt nur seine Gunst, insofern sie Englands Rechte zum Schutze der
Christen anerkennen durch Zugeständnisse an diese. England ließ sich natürlich
nicht dadurch anfechten, daß es solchermaßen Urheber des revolutionären und
kriegerischen Orientbrandes wurde, sondern ging mit allen Mitteln vor, um
feinen Interessen zu dienen und den russischen Interessen wie den Freunden der
russischen Interessen, und zwar natürlich in erster Linie den Deutschen, zu
schaden. Ich begnüge mich hier mit der Angabe zweier bezüglicher Daten, die
sehr hübsch veranschaulichen, wie sich England und Rom in dem gleichen Be¬
mühen begegneten.

Im Jahre 1875 sandten die Bischöfe Englands zum zweiten Male eine
Adresse an die preußischen Bischöfe, um ihre vollkommene Solidarität mit den


Polen und Rom nach ^870

land als Vorkämpfer des Kreuzes. Der Zar solle doch, sagte er, bevor er, das
Schicksal der dem Türken Untertanen Christen zu „bessern" beginne, lieber das
> der acht Millionen katholischen Christen des eigenen Reiches bessern, die er
schlimmer mißhandle als der Türke seine Untertanen. Der Zar solle, anstatt
seine „väterliche Liebe" an „alle Mitglieder der großen christlichen Familie der
Balkanhalbinsel" zu verschwenden, sie lieber den eigenen Polen zuwenden.
Er ließ, während im Winter 1876 die ergebnislosen diplomatischen Konferenzen
in Konstantinopel stattfanden, den Bevollmächtigten durch Priester slawisch-
unierter Riten, die ans Rußland wegen der Verfolgung ausgewandert waren,
eine Denkschrift überreichen, in der alle russischen Taten gegen die Sprache, die
politische, religiöse, persönliche und wirtschaftliche Freiheit und Wohlfahrt der
Polen und der Unierten eindrucksvoll aufgezählt und als im Widerspruch hingestellt
waren gegen die Versprechungen Rußlands zugunsten der Serben, Bulgaren usw.,
Versprechungen, die nur zur captatio benevolentiAe dieser wie der Mächte
dienen sollen und doch nicht gehalten werden, sobald Rußland erst der Herr sei.
Wenn die Konferenz dem Orient Frieden gebe und von der mohammedanischen
Türkei Freiheit und Reformen für die Slawen des Türkenreiches erlange, so
müsse sie gleiche Freiheiten und Reformen für die polnische Nation durchsetzen,
die der christlichen russischen Regierung unterstehe.

Was der Papst tat, war Wasser auf die Mühle Englands. Die Stimmung
Englands war seit der aggressiven Rede Disraelis von 1875 ohne Zweifel
russenfeindlich und blieb es auch, nachdem England dem diplomatischen russischen
Vorgehen gegen die Türkei nach vielem Widerstreben eine verklausulierte Zu¬
stimmung gegeben hatte. England mußte im Interesse seiner asiatischen Macht-
, Stellung das Steigen eines Einflusses Rußlands in und gegenüber der Türkei
verhindern. Stieg der Einfluß Rußlands dennoch, so durfte England nicht ver¬
säumen, mit denselben Mitteln wie Nußland zu arbeiten, um ihm keinen Vor¬
sprung zu lassen, und das hieß vor allem, daß auch England religiöse Motive
mit heranzog. England könne zwar nicht zulassen, daß Rußland die Türkei
erwürge, aber es sei darum beileibe uicht ein Komplice der Türken zur Unter¬
drückung der Christen, sondern ganz im Gegenteil gewähre England den Türken
überhaupt nur seine Gunst, insofern sie Englands Rechte zum Schutze der
Christen anerkennen durch Zugeständnisse an diese. England ließ sich natürlich
nicht dadurch anfechten, daß es solchermaßen Urheber des revolutionären und
kriegerischen Orientbrandes wurde, sondern ging mit allen Mitteln vor, um
feinen Interessen zu dienen und den russischen Interessen wie den Freunden der
russischen Interessen, und zwar natürlich in erster Linie den Deutschen, zu
schaden. Ich begnüge mich hier mit der Angabe zweier bezüglicher Daten, die
sehr hübsch veranschaulichen, wie sich England und Rom in dem gleichen Be¬
mühen begegneten.

Im Jahre 1875 sandten die Bischöfe Englands zum zweiten Male eine
Adresse an die preußischen Bischöfe, um ihre vollkommene Solidarität mit den


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[0383] Polen und Rom nach ^870 land als Vorkämpfer des Kreuzes. Der Zar solle doch, sagte er, bevor er, das Schicksal der dem Türken Untertanen Christen zu „bessern" beginne, lieber das > der acht Millionen katholischen Christen des eigenen Reiches bessern, die er schlimmer mißhandle als der Türke seine Untertanen. Der Zar solle, anstatt seine „väterliche Liebe" an „alle Mitglieder der großen christlichen Familie der Balkanhalbinsel" zu verschwenden, sie lieber den eigenen Polen zuwenden. Er ließ, während im Winter 1876 die ergebnislosen diplomatischen Konferenzen in Konstantinopel stattfanden, den Bevollmächtigten durch Priester slawisch- unierter Riten, die ans Rußland wegen der Verfolgung ausgewandert waren, eine Denkschrift überreichen, in der alle russischen Taten gegen die Sprache, die politische, religiöse, persönliche und wirtschaftliche Freiheit und Wohlfahrt der Polen und der Unierten eindrucksvoll aufgezählt und als im Widerspruch hingestellt waren gegen die Versprechungen Rußlands zugunsten der Serben, Bulgaren usw., Versprechungen, die nur zur captatio benevolentiAe dieser wie der Mächte dienen sollen und doch nicht gehalten werden, sobald Rußland erst der Herr sei. Wenn die Konferenz dem Orient Frieden gebe und von der mohammedanischen Türkei Freiheit und Reformen für die Slawen des Türkenreiches erlange, so müsse sie gleiche Freiheiten und Reformen für die polnische Nation durchsetzen, die der christlichen russischen Regierung unterstehe. Was der Papst tat, war Wasser auf die Mühle Englands. Die Stimmung Englands war seit der aggressiven Rede Disraelis von 1875 ohne Zweifel russenfeindlich und blieb es auch, nachdem England dem diplomatischen russischen Vorgehen gegen die Türkei nach vielem Widerstreben eine verklausulierte Zu¬ stimmung gegeben hatte. England mußte im Interesse seiner asiatischen Macht- , Stellung das Steigen eines Einflusses Rußlands in und gegenüber der Türkei verhindern. Stieg der Einfluß Rußlands dennoch, so durfte England nicht ver¬ säumen, mit denselben Mitteln wie Nußland zu arbeiten, um ihm keinen Vor¬ sprung zu lassen, und das hieß vor allem, daß auch England religiöse Motive mit heranzog. England könne zwar nicht zulassen, daß Rußland die Türkei erwürge, aber es sei darum beileibe uicht ein Komplice der Türken zur Unter¬ drückung der Christen, sondern ganz im Gegenteil gewähre England den Türken überhaupt nur seine Gunst, insofern sie Englands Rechte zum Schutze der Christen anerkennen durch Zugeständnisse an diese. England ließ sich natürlich nicht dadurch anfechten, daß es solchermaßen Urheber des revolutionären und kriegerischen Orientbrandes wurde, sondern ging mit allen Mitteln vor, um feinen Interessen zu dienen und den russischen Interessen wie den Freunden der russischen Interessen, und zwar natürlich in erster Linie den Deutschen, zu schaden. Ich begnüge mich hier mit der Angabe zweier bezüglicher Daten, die sehr hübsch veranschaulichen, wie sich England und Rom in dem gleichen Be¬ mühen begegneten. Im Jahre 1875 sandten die Bischöfe Englands zum zweiten Male eine Adresse an die preußischen Bischöfe, um ihre vollkommene Solidarität mit den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/383>, abgerufen am 26.08.2024.