Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Polen und Rom nach ^870

bekannt gegeben. Prälaten, Dekane, einfache Geistliche zogen mehrmonatliches
Gefängnis der Preisgabe des Geheimnisses der römischen Herrschaft vor. Als
Ledochowski, der sich auf wiederholte Aufforderung hin unbeirrt geweigert hatte,
seine Absetzung als Erzbischof von Posen-Gnesen zu unterschreiben, am 3. Februar
1876 das Gefängnis verließ, wurde er sofort polizeilich außer Landes begleitet.
Eine große polnische Demonstration, wie sie nachher bei Ledochowskis
Eintreffen in Krakau stattfand, wurde in Östrowo vereitelt. Ledochowski nahm
von Rom aus, wo ihm von der vatikanischen und der polnischen Welt ein
glänzender Empfang bereitet wurde, sofort die Verbindung mit seinen Posen-
Gnesener Diözesanen auf. Er spornte sie an, in ihrer Treue zu Kirche und
Papst zu verharren und mit ihm verbunden zu bleiben vermittels des geheimen
Delegaten, dessen Namen und Aufenthaltsort sie kannten. Im September 1876
hatte Ledochowski den Mut, gegen das Gesetz vom 7. Juni 1876 über die
staatliche Überwachung der Verwaltung der Kirchengüter beim preußischen Mini¬
sterium zu protestieren und einen Monat später diesen Protest sogar zu ver¬
öffentlichen. Wenige Zeit darauf mußte das Gericht von Jnowrazlaw ihm
2V4 Jahre Gefängnis und 300 Mark Geldstrafe auferlegen wegen Majestäts¬
beleidigung, Verletzung der Maigesetze, Attentates gegen die öffentliche Ord¬
nung u. tgi., begangen in Form von Briefen aus Rom an mehrere Priester
des Bezirks Jnowrazlaw. Kurz: die Agitation, die Ledochowski von Rom aus
betrieb, wurde so empfindlich, daß die preußische Regierung durch die Botschaft
des Deutschen Reiches beim Quirinal bei der italienischen Regierung vorstellig
wurde, ihr Ledochowski auszuliefern. Als die italienische Regierung Neigung
zeigte, dem Wunsche Preußens zu willfahren, verlegte Ledochowski seine Woh¬
nung auf Befehl des Papstes in den Vatikan selbst und wurde somit für die
italienischen Behörden unerreichbar. In der katholischen Welt und in ganz
Polen besonders hieß es nun, daß Ledochowski jetzt ebenso wie der Papst zur
Gefangenschaft im Vatikan verurteilt sei und beide der Befreiung von ihren
religiösen und politischen Unterdrückern harren.

"Unterdrücker" waren nun in diesen Jahren außer Preußen, wo Bismarck,
"die neue Geißel Deutschlands", "der neue Attila" der deutschen Katholiken,
Ministerpräsident war und blieb, und außer Italien, dessen Beziehung zu Deutsch¬
land im Interesse einer eventuellen Bekämpfung Frankreichs und des Katholizismus
sich zu einem Bundesverhältnis zu konsolidieren begann, nochÖsterreich und Nußland.
Österreich nur glimpflich. Seine polnischen Landesteile waren zwar auch
usurpierte Stücke des Königreichs Polen, aber sie waren immerhin mit so viel
Freiheiten ausgestattet, daß die großpolnische Agitation hier ihr Hauptquartier
halten und die Fahnen frei entfalten konnte. Allein Österreich bedürfte Deutsch¬
lands für seine Pläne in Bosnien und in der Herzegowina. Man war in Rom
nicht zufrieden, daß die österreichische Negierung sich nicht für eine feine, von
den Jesuiten mit Kunst organisierte Unternehmung des Wiener päpstlichen
Nuntius Jacobini zu erwärmen vermocht hatte. Jacobini hatte nämlich just,


Polen und Rom nach ^870

bekannt gegeben. Prälaten, Dekane, einfache Geistliche zogen mehrmonatliches
Gefängnis der Preisgabe des Geheimnisses der römischen Herrschaft vor. Als
Ledochowski, der sich auf wiederholte Aufforderung hin unbeirrt geweigert hatte,
seine Absetzung als Erzbischof von Posen-Gnesen zu unterschreiben, am 3. Februar
1876 das Gefängnis verließ, wurde er sofort polizeilich außer Landes begleitet.
Eine große polnische Demonstration, wie sie nachher bei Ledochowskis
Eintreffen in Krakau stattfand, wurde in Östrowo vereitelt. Ledochowski nahm
von Rom aus, wo ihm von der vatikanischen und der polnischen Welt ein
glänzender Empfang bereitet wurde, sofort die Verbindung mit seinen Posen-
Gnesener Diözesanen auf. Er spornte sie an, in ihrer Treue zu Kirche und
Papst zu verharren und mit ihm verbunden zu bleiben vermittels des geheimen
Delegaten, dessen Namen und Aufenthaltsort sie kannten. Im September 1876
hatte Ledochowski den Mut, gegen das Gesetz vom 7. Juni 1876 über die
staatliche Überwachung der Verwaltung der Kirchengüter beim preußischen Mini¬
sterium zu protestieren und einen Monat später diesen Protest sogar zu ver¬
öffentlichen. Wenige Zeit darauf mußte das Gericht von Jnowrazlaw ihm
2V4 Jahre Gefängnis und 300 Mark Geldstrafe auferlegen wegen Majestäts¬
beleidigung, Verletzung der Maigesetze, Attentates gegen die öffentliche Ord¬
nung u. tgi., begangen in Form von Briefen aus Rom an mehrere Priester
des Bezirks Jnowrazlaw. Kurz: die Agitation, die Ledochowski von Rom aus
betrieb, wurde so empfindlich, daß die preußische Regierung durch die Botschaft
des Deutschen Reiches beim Quirinal bei der italienischen Regierung vorstellig
wurde, ihr Ledochowski auszuliefern. Als die italienische Regierung Neigung
zeigte, dem Wunsche Preußens zu willfahren, verlegte Ledochowski seine Woh¬
nung auf Befehl des Papstes in den Vatikan selbst und wurde somit für die
italienischen Behörden unerreichbar. In der katholischen Welt und in ganz
Polen besonders hieß es nun, daß Ledochowski jetzt ebenso wie der Papst zur
Gefangenschaft im Vatikan verurteilt sei und beide der Befreiung von ihren
religiösen und politischen Unterdrückern harren.

„Unterdrücker" waren nun in diesen Jahren außer Preußen, wo Bismarck,
„die neue Geißel Deutschlands", „der neue Attila" der deutschen Katholiken,
Ministerpräsident war und blieb, und außer Italien, dessen Beziehung zu Deutsch¬
land im Interesse einer eventuellen Bekämpfung Frankreichs und des Katholizismus
sich zu einem Bundesverhältnis zu konsolidieren begann, nochÖsterreich und Nußland.
Österreich nur glimpflich. Seine polnischen Landesteile waren zwar auch
usurpierte Stücke des Königreichs Polen, aber sie waren immerhin mit so viel
Freiheiten ausgestattet, daß die großpolnische Agitation hier ihr Hauptquartier
halten und die Fahnen frei entfalten konnte. Allein Österreich bedürfte Deutsch¬
lands für seine Pläne in Bosnien und in der Herzegowina. Man war in Rom
nicht zufrieden, daß die österreichische Negierung sich nicht für eine feine, von
den Jesuiten mit Kunst organisierte Unternehmung des Wiener päpstlichen
Nuntius Jacobini zu erwärmen vermocht hatte. Jacobini hatte nämlich just,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0380" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319981"/>
          <fw type="header" place="top"> Polen und Rom nach ^870</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1586" prev="#ID_1585"> bekannt gegeben. Prälaten, Dekane, einfache Geistliche zogen mehrmonatliches<lb/>
Gefängnis der Preisgabe des Geheimnisses der römischen Herrschaft vor. Als<lb/>
Ledochowski, der sich auf wiederholte Aufforderung hin unbeirrt geweigert hatte,<lb/>
seine Absetzung als Erzbischof von Posen-Gnesen zu unterschreiben, am 3. Februar<lb/>
1876 das Gefängnis verließ, wurde er sofort polizeilich außer Landes begleitet.<lb/>
Eine große polnische Demonstration, wie sie nachher bei Ledochowskis<lb/>
Eintreffen in Krakau stattfand, wurde in Östrowo vereitelt. Ledochowski nahm<lb/>
von Rom aus, wo ihm von der vatikanischen und der polnischen Welt ein<lb/>
glänzender Empfang bereitet wurde, sofort die Verbindung mit seinen Posen-<lb/>
Gnesener Diözesanen auf. Er spornte sie an, in ihrer Treue zu Kirche und<lb/>
Papst zu verharren und mit ihm verbunden zu bleiben vermittels des geheimen<lb/>
Delegaten, dessen Namen und Aufenthaltsort sie kannten. Im September 1876<lb/>
hatte Ledochowski den Mut, gegen das Gesetz vom 7. Juni 1876 über die<lb/>
staatliche Überwachung der Verwaltung der Kirchengüter beim preußischen Mini¬<lb/>
sterium zu protestieren und einen Monat später diesen Protest sogar zu ver¬<lb/>
öffentlichen. Wenige Zeit darauf mußte das Gericht von Jnowrazlaw ihm<lb/>
2V4 Jahre Gefängnis und 300 Mark Geldstrafe auferlegen wegen Majestäts¬<lb/>
beleidigung, Verletzung der Maigesetze, Attentates gegen die öffentliche Ord¬<lb/>
nung u. tgi., begangen in Form von Briefen aus Rom an mehrere Priester<lb/>
des Bezirks Jnowrazlaw. Kurz: die Agitation, die Ledochowski von Rom aus<lb/>
betrieb, wurde so empfindlich, daß die preußische Regierung durch die Botschaft<lb/>
des Deutschen Reiches beim Quirinal bei der italienischen Regierung vorstellig<lb/>
wurde, ihr Ledochowski auszuliefern. Als die italienische Regierung Neigung<lb/>
zeigte, dem Wunsche Preußens zu willfahren, verlegte Ledochowski seine Woh¬<lb/>
nung auf Befehl des Papstes in den Vatikan selbst und wurde somit für die<lb/>
italienischen Behörden unerreichbar. In der katholischen Welt und in ganz<lb/>
Polen besonders hieß es nun, daß Ledochowski jetzt ebenso wie der Papst zur<lb/>
Gefangenschaft im Vatikan verurteilt sei und beide der Befreiung von ihren<lb/>
religiösen und politischen Unterdrückern harren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1587" next="#ID_1588"> &#x201E;Unterdrücker" waren nun in diesen Jahren außer Preußen, wo Bismarck,<lb/>
&#x201E;die neue Geißel Deutschlands", &#x201E;der neue Attila" der deutschen Katholiken,<lb/>
Ministerpräsident war und blieb, und außer Italien, dessen Beziehung zu Deutsch¬<lb/>
land im Interesse einer eventuellen Bekämpfung Frankreichs und des Katholizismus<lb/>
sich zu einem Bundesverhältnis zu konsolidieren begann, nochÖsterreich und Nußland.<lb/>
Österreich nur glimpflich. Seine polnischen Landesteile waren zwar auch<lb/>
usurpierte Stücke des Königreichs Polen, aber sie waren immerhin mit so viel<lb/>
Freiheiten ausgestattet, daß die großpolnische Agitation hier ihr Hauptquartier<lb/>
halten und die Fahnen frei entfalten konnte. Allein Österreich bedürfte Deutsch¬<lb/>
lands für seine Pläne in Bosnien und in der Herzegowina. Man war in Rom<lb/>
nicht zufrieden, daß die österreichische Negierung sich nicht für eine feine, von<lb/>
den Jesuiten mit Kunst organisierte Unternehmung des Wiener päpstlichen<lb/>
Nuntius Jacobini zu erwärmen vermocht hatte. Jacobini hatte nämlich just,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0380] Polen und Rom nach ^870 bekannt gegeben. Prälaten, Dekane, einfache Geistliche zogen mehrmonatliches Gefängnis der Preisgabe des Geheimnisses der römischen Herrschaft vor. Als Ledochowski, der sich auf wiederholte Aufforderung hin unbeirrt geweigert hatte, seine Absetzung als Erzbischof von Posen-Gnesen zu unterschreiben, am 3. Februar 1876 das Gefängnis verließ, wurde er sofort polizeilich außer Landes begleitet. Eine große polnische Demonstration, wie sie nachher bei Ledochowskis Eintreffen in Krakau stattfand, wurde in Östrowo vereitelt. Ledochowski nahm von Rom aus, wo ihm von der vatikanischen und der polnischen Welt ein glänzender Empfang bereitet wurde, sofort die Verbindung mit seinen Posen- Gnesener Diözesanen auf. Er spornte sie an, in ihrer Treue zu Kirche und Papst zu verharren und mit ihm verbunden zu bleiben vermittels des geheimen Delegaten, dessen Namen und Aufenthaltsort sie kannten. Im September 1876 hatte Ledochowski den Mut, gegen das Gesetz vom 7. Juni 1876 über die staatliche Überwachung der Verwaltung der Kirchengüter beim preußischen Mini¬ sterium zu protestieren und einen Monat später diesen Protest sogar zu ver¬ öffentlichen. Wenige Zeit darauf mußte das Gericht von Jnowrazlaw ihm 2V4 Jahre Gefängnis und 300 Mark Geldstrafe auferlegen wegen Majestäts¬ beleidigung, Verletzung der Maigesetze, Attentates gegen die öffentliche Ord¬ nung u. tgi., begangen in Form von Briefen aus Rom an mehrere Priester des Bezirks Jnowrazlaw. Kurz: die Agitation, die Ledochowski von Rom aus betrieb, wurde so empfindlich, daß die preußische Regierung durch die Botschaft des Deutschen Reiches beim Quirinal bei der italienischen Regierung vorstellig wurde, ihr Ledochowski auszuliefern. Als die italienische Regierung Neigung zeigte, dem Wunsche Preußens zu willfahren, verlegte Ledochowski seine Woh¬ nung auf Befehl des Papstes in den Vatikan selbst und wurde somit für die italienischen Behörden unerreichbar. In der katholischen Welt und in ganz Polen besonders hieß es nun, daß Ledochowski jetzt ebenso wie der Papst zur Gefangenschaft im Vatikan verurteilt sei und beide der Befreiung von ihren religiösen und politischen Unterdrückern harren. „Unterdrücker" waren nun in diesen Jahren außer Preußen, wo Bismarck, „die neue Geißel Deutschlands", „der neue Attila" der deutschen Katholiken, Ministerpräsident war und blieb, und außer Italien, dessen Beziehung zu Deutsch¬ land im Interesse einer eventuellen Bekämpfung Frankreichs und des Katholizismus sich zu einem Bundesverhältnis zu konsolidieren begann, nochÖsterreich und Nußland. Österreich nur glimpflich. Seine polnischen Landesteile waren zwar auch usurpierte Stücke des Königreichs Polen, aber sie waren immerhin mit so viel Freiheiten ausgestattet, daß die großpolnische Agitation hier ihr Hauptquartier halten und die Fahnen frei entfalten konnte. Allein Österreich bedürfte Deutsch¬ lands für seine Pläne in Bosnien und in der Herzegowina. Man war in Rom nicht zufrieden, daß die österreichische Negierung sich nicht für eine feine, von den Jesuiten mit Kunst organisierte Unternehmung des Wiener päpstlichen Nuntius Jacobini zu erwärmen vermocht hatte. Jacobini hatte nämlich just,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/380
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/380>, abgerufen am 26.08.2024.