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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Polen und Rom nach ^"?o

öffentlich mit", daß jene Gesetze null seien, weil sie absolut im Gegensatz zur
göttlichen Verfassung der Kirche stünden. Die Bischöfe seiner Kirche seien, was
ihren heiligen Dienst betrifft, nicht "den Mächten der Erde", sondern Petrus
und seinem Nachfolger in Rom unterstellt und könnten von keiner weltlichen
Macht ihrer Würde entkleidet werden.

Pius der Neunte hatte somit genug gesagt, um seinen Getreuen verständlich
zu sein und seinen Gegnern keine Waffen in die Hand zu geben. Das schloß
nicht aus, daß er noch anderes plante, tat und tun ließ. Er ernannte im
Konsistorium vom 15. März 1375 den Erzbischof von Posen-Gnesen, Ledochowski,
zum Kardinal, trotzdem dieser wegen gesetzwidrigen Verhaltens vom Staate
seines Amtes entsetzt und mit zwei Jahren Gefängnis bestraft worden war.
Was dies bedeutete, hat Ledochowski selbst im geheimen Konsistorium im April
1876 in einer Dankansprache an den Papst dargelegt: ". . . Und da die Ver¬
folgung der Kirche heftiger war in jenem Teile Polens, welcher sich jetzt unter
der preußischen Besetzung befindet, weil die katholischen Traditionen und der
glühende Glaube unserer Nation sie den Feinden der Wahrheit verhaßter machten,
darum geruhte Ew. Heiligkeit, mich, der ich ihr Hirte bin, auszuzeichnen, um
der ganzen Nation den Beweis Ihrer souveränen Befriedigung zu geben. Die
Ehre dieses heiligen Purpurs fiel wie ein himmlisches Manna auf mein unter¬
drücktes und zuspruchbedürftiges Vaterland, und sie dürfte ihm ohne Worte zu
vollem Bewußtsein bringen, daß es, wenn auch vergessen und verlassen von
der Welt, doch immer geliebt und gesegnet ist von Gott, dessen Vikar Ew.
Heiligkeit ist."

War, um mit Ledochowski zu sprechen, die päpstliche Befriedigung über
das Verhalten der Polen gegen die preußische Regierung wirklich begründet?
Ein Überblick über die lange Reihe der in den Jahren 1873 bis 1877 im
Posenschen geführten und durch Verurteilungen abgeschlossenen Strafgerichts¬
prozesse wegen Landfriedensbruchs, Widerstandes gegen die Staatsgewalt, Amts¬
mißbrauchs usw. und wegen Aufreizung hierzu, bezeugt in der Tat, daß es die
Polen an gutem Willen und Eifer nicht haben fehlen lassen, um direkt und
indirekt den römischen Wünschen zu genügen. Um gerecht zu sein, wird man
freilich einräumen müssen, daß die preußische Regierung als Erwiderung auf
die leidenschaftlichen Empörungen und Ausschreitungen der polnischen Bevölkerung
keine Milde walten ließ und in der Provinz Posen schärfer vorging als in den
anderen Provinzen. Zur Erhaltung der Regierungsautorität wurden die Mai¬
gesetze verschärft, die Berechtigung der Kirchen zum freien Verkehr mit ihrem
römischen Oberhaupte wurde aufgehoben (1875), und als weitere Folge ergab
sich eine Reihe von Maßnahmen gegen widerspenstige Geistliche, von denen bald
nicht weniger als achtzig, sämtlich aus der Diözese Posen-Gnesen, zu gleicher
Zeit im Gefängnis waren. Keiner der Geistlichen hatte dem Drängen der
Behörden und der Gerichte nachgegeben und den Namen des päpstlichen geheimen
Delegaten, der die Diözese Posen-Gnesen tatsächlich in: geheimen verwaltete,


Polen und Rom nach ^«?o

öffentlich mit", daß jene Gesetze null seien, weil sie absolut im Gegensatz zur
göttlichen Verfassung der Kirche stünden. Die Bischöfe seiner Kirche seien, was
ihren heiligen Dienst betrifft, nicht „den Mächten der Erde", sondern Petrus
und seinem Nachfolger in Rom unterstellt und könnten von keiner weltlichen
Macht ihrer Würde entkleidet werden.

Pius der Neunte hatte somit genug gesagt, um seinen Getreuen verständlich
zu sein und seinen Gegnern keine Waffen in die Hand zu geben. Das schloß
nicht aus, daß er noch anderes plante, tat und tun ließ. Er ernannte im
Konsistorium vom 15. März 1375 den Erzbischof von Posen-Gnesen, Ledochowski,
zum Kardinal, trotzdem dieser wegen gesetzwidrigen Verhaltens vom Staate
seines Amtes entsetzt und mit zwei Jahren Gefängnis bestraft worden war.
Was dies bedeutete, hat Ledochowski selbst im geheimen Konsistorium im April
1876 in einer Dankansprache an den Papst dargelegt: „. . . Und da die Ver¬
folgung der Kirche heftiger war in jenem Teile Polens, welcher sich jetzt unter
der preußischen Besetzung befindet, weil die katholischen Traditionen und der
glühende Glaube unserer Nation sie den Feinden der Wahrheit verhaßter machten,
darum geruhte Ew. Heiligkeit, mich, der ich ihr Hirte bin, auszuzeichnen, um
der ganzen Nation den Beweis Ihrer souveränen Befriedigung zu geben. Die
Ehre dieses heiligen Purpurs fiel wie ein himmlisches Manna auf mein unter¬
drücktes und zuspruchbedürftiges Vaterland, und sie dürfte ihm ohne Worte zu
vollem Bewußtsein bringen, daß es, wenn auch vergessen und verlassen von
der Welt, doch immer geliebt und gesegnet ist von Gott, dessen Vikar Ew.
Heiligkeit ist."

War, um mit Ledochowski zu sprechen, die päpstliche Befriedigung über
das Verhalten der Polen gegen die preußische Regierung wirklich begründet?
Ein Überblick über die lange Reihe der in den Jahren 1873 bis 1877 im
Posenschen geführten und durch Verurteilungen abgeschlossenen Strafgerichts¬
prozesse wegen Landfriedensbruchs, Widerstandes gegen die Staatsgewalt, Amts¬
mißbrauchs usw. und wegen Aufreizung hierzu, bezeugt in der Tat, daß es die
Polen an gutem Willen und Eifer nicht haben fehlen lassen, um direkt und
indirekt den römischen Wünschen zu genügen. Um gerecht zu sein, wird man
freilich einräumen müssen, daß die preußische Regierung als Erwiderung auf
die leidenschaftlichen Empörungen und Ausschreitungen der polnischen Bevölkerung
keine Milde walten ließ und in der Provinz Posen schärfer vorging als in den
anderen Provinzen. Zur Erhaltung der Regierungsautorität wurden die Mai¬
gesetze verschärft, die Berechtigung der Kirchen zum freien Verkehr mit ihrem
römischen Oberhaupte wurde aufgehoben (1875), und als weitere Folge ergab
sich eine Reihe von Maßnahmen gegen widerspenstige Geistliche, von denen bald
nicht weniger als achtzig, sämtlich aus der Diözese Posen-Gnesen, zu gleicher
Zeit im Gefängnis waren. Keiner der Geistlichen hatte dem Drängen der
Behörden und der Gerichte nachgegeben und den Namen des päpstlichen geheimen
Delegaten, der die Diözese Posen-Gnesen tatsächlich in: geheimen verwaltete,


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[0379] Polen und Rom nach ^«?o öffentlich mit", daß jene Gesetze null seien, weil sie absolut im Gegensatz zur göttlichen Verfassung der Kirche stünden. Die Bischöfe seiner Kirche seien, was ihren heiligen Dienst betrifft, nicht „den Mächten der Erde", sondern Petrus und seinem Nachfolger in Rom unterstellt und könnten von keiner weltlichen Macht ihrer Würde entkleidet werden. Pius der Neunte hatte somit genug gesagt, um seinen Getreuen verständlich zu sein und seinen Gegnern keine Waffen in die Hand zu geben. Das schloß nicht aus, daß er noch anderes plante, tat und tun ließ. Er ernannte im Konsistorium vom 15. März 1375 den Erzbischof von Posen-Gnesen, Ledochowski, zum Kardinal, trotzdem dieser wegen gesetzwidrigen Verhaltens vom Staate seines Amtes entsetzt und mit zwei Jahren Gefängnis bestraft worden war. Was dies bedeutete, hat Ledochowski selbst im geheimen Konsistorium im April 1876 in einer Dankansprache an den Papst dargelegt: „. . . Und da die Ver¬ folgung der Kirche heftiger war in jenem Teile Polens, welcher sich jetzt unter der preußischen Besetzung befindet, weil die katholischen Traditionen und der glühende Glaube unserer Nation sie den Feinden der Wahrheit verhaßter machten, darum geruhte Ew. Heiligkeit, mich, der ich ihr Hirte bin, auszuzeichnen, um der ganzen Nation den Beweis Ihrer souveränen Befriedigung zu geben. Die Ehre dieses heiligen Purpurs fiel wie ein himmlisches Manna auf mein unter¬ drücktes und zuspruchbedürftiges Vaterland, und sie dürfte ihm ohne Worte zu vollem Bewußtsein bringen, daß es, wenn auch vergessen und verlassen von der Welt, doch immer geliebt und gesegnet ist von Gott, dessen Vikar Ew. Heiligkeit ist." War, um mit Ledochowski zu sprechen, die päpstliche Befriedigung über das Verhalten der Polen gegen die preußische Regierung wirklich begründet? Ein Überblick über die lange Reihe der in den Jahren 1873 bis 1877 im Posenschen geführten und durch Verurteilungen abgeschlossenen Strafgerichts¬ prozesse wegen Landfriedensbruchs, Widerstandes gegen die Staatsgewalt, Amts¬ mißbrauchs usw. und wegen Aufreizung hierzu, bezeugt in der Tat, daß es die Polen an gutem Willen und Eifer nicht haben fehlen lassen, um direkt und indirekt den römischen Wünschen zu genügen. Um gerecht zu sein, wird man freilich einräumen müssen, daß die preußische Regierung als Erwiderung auf die leidenschaftlichen Empörungen und Ausschreitungen der polnischen Bevölkerung keine Milde walten ließ und in der Provinz Posen schärfer vorging als in den anderen Provinzen. Zur Erhaltung der Regierungsautorität wurden die Mai¬ gesetze verschärft, die Berechtigung der Kirchen zum freien Verkehr mit ihrem römischen Oberhaupte wurde aufgehoben (1875), und als weitere Folge ergab sich eine Reihe von Maßnahmen gegen widerspenstige Geistliche, von denen bald nicht weniger als achtzig, sämtlich aus der Diözese Posen-Gnesen, zu gleicher Zeit im Gefängnis waren. Keiner der Geistlichen hatte dem Drängen der Behörden und der Gerichte nachgegeben und den Namen des päpstlichen geheimen Delegaten, der die Diözese Posen-Gnesen tatsächlich in: geheimen verwaltete,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/379>, abgerufen am 26.08.2024.