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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Polen und Rom nach

preußischen Kampfe mit Rom folgten nach verschiedenen Gesichtspunkten und in
verschiedener Ausdehnung ein russischer, österreichischer, italienischer, französischer.

Der preußische Kulturkampf hatte seine gehässigsten Erscheinungen in den
polnischen Landesteilen. Hier trug nämlich Roms Tat, die religiösen Vor¬
stellungen und Vetätigungen römisch-katholischen Rezepts mit dem nationalen
und politischen Denken der Polen organisch verknüpft zu haben, volle Früchte.
Hier war es auch, wo Rom die beste Handhabe erhielt, den Kampf mit der
preußischen Regierung wirksam zu führen. Keine verborgene oder offene,
chronische oder akute Auflehnung gegen die Negierung in den polnischen Landes¬
teilen, an der Rom nicht wenigstens mit seiner Sympathie beteiligt gewesen wäre!

Im Jahre 1872 erklärte Bismarck, daß die Staaten nicht damit einver¬
standen sein könnten, wenn der Papst kraft der Stabilierung der Unfehlbarkeit
und der Inanspruchnahme höchster, ordentlicher und unmittelbarer Jurisdiktion
seine Macht an die Stelle der bisher diözesanbischöflichen Kompetenzen setze, da
die Bischöfe alsdann nichts als päpstliche Instrumente darstellen würden und hiermit
eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen und Rechte des Staates herbeigeführt
wäre. Hiervon ausgehend unternahm Bismarck einen radikalen Angriff gegen
Rom und forderte zunächst, daß "die Staaten" auf das Konklave für
die Papstwahl einen mitbestimmenden Einfluß erhalten sollten. Das war eine
Forderung, welche die anderen Staaten, die diesen Einfluß traditionell bereits
ausübten, zu unterstützen keinen Grund hatten. Pius der Neunte war um so
weniger geneigt. Verständnis für diese Forderung zu zeigen, als er die gegen
ihn gerichtete Demonstration in der ersten Sitzung des Deutschen Reichstages
noch nicht verschmerzt hatte. Ferner hatte Viktor Emanuel der Zweite bei
seinem persönlichen Besuch in Berlin im Jahre 1873 eine so gute und den
politischen Status Italiens so festigende Aufnahme gefunden, daß noch vor dem
Abschlüsse des Bündnisvertrages Deutschland und, auf seinen Antrieb, auch
Österreich-Ungarn förmliche Garantien der Unversehrtheit Italiens übernommen
zu haben schienen, wodurch sie sich gewissermaßen als dauernde Gegner der
päpstlichen Rechte auf Rom erklärten.

Als nun Bismarck im Jahre 1873 mit den Maigesetzen und einer Anzahl
weiterer gesetzgeberischer, administrativer und strafrechtlicher Maßnahmen seinem
Standpunkt eine praktische Form zu geben begann, als man allenthalben den
Eindruck einer Provokation gegen das Papsttum hatte, mußte auch der Papst
aus der Zurückhaltung heraustreten. Es erschien jene in heftigster Sprache
geschriebene päpstliche Enzyklika an die preußischen Bischöfe, die am 5. Februar
1875 veröffentlicht wurde. Der Papst erklärte hier rund heraus die Entsetzung
der Bischöfe von Posen-Gnesen und Paderborn als im Widerspruch zu allen
geschriebenen und natürlichen Gesetzen stehend. Er erhob "mit aller Kraft
und aller göttlichen Autorität seine anklagende Stimme gegen jene unbilligen
Gesetze und Aktionen und gegen die scheußliche Mißhandlung der Freiheit der
Kirche" und "teilte der ganzen katholischen Welt und jedem, den es angeht,


Polen und Rom nach

preußischen Kampfe mit Rom folgten nach verschiedenen Gesichtspunkten und in
verschiedener Ausdehnung ein russischer, österreichischer, italienischer, französischer.

Der preußische Kulturkampf hatte seine gehässigsten Erscheinungen in den
polnischen Landesteilen. Hier trug nämlich Roms Tat, die religiösen Vor¬
stellungen und Vetätigungen römisch-katholischen Rezepts mit dem nationalen
und politischen Denken der Polen organisch verknüpft zu haben, volle Früchte.
Hier war es auch, wo Rom die beste Handhabe erhielt, den Kampf mit der
preußischen Regierung wirksam zu führen. Keine verborgene oder offene,
chronische oder akute Auflehnung gegen die Negierung in den polnischen Landes¬
teilen, an der Rom nicht wenigstens mit seiner Sympathie beteiligt gewesen wäre!

Im Jahre 1872 erklärte Bismarck, daß die Staaten nicht damit einver¬
standen sein könnten, wenn der Papst kraft der Stabilierung der Unfehlbarkeit
und der Inanspruchnahme höchster, ordentlicher und unmittelbarer Jurisdiktion
seine Macht an die Stelle der bisher diözesanbischöflichen Kompetenzen setze, da
die Bischöfe alsdann nichts als päpstliche Instrumente darstellen würden und hiermit
eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen und Rechte des Staates herbeigeführt
wäre. Hiervon ausgehend unternahm Bismarck einen radikalen Angriff gegen
Rom und forderte zunächst, daß „die Staaten" auf das Konklave für
die Papstwahl einen mitbestimmenden Einfluß erhalten sollten. Das war eine
Forderung, welche die anderen Staaten, die diesen Einfluß traditionell bereits
ausübten, zu unterstützen keinen Grund hatten. Pius der Neunte war um so
weniger geneigt. Verständnis für diese Forderung zu zeigen, als er die gegen
ihn gerichtete Demonstration in der ersten Sitzung des Deutschen Reichstages
noch nicht verschmerzt hatte. Ferner hatte Viktor Emanuel der Zweite bei
seinem persönlichen Besuch in Berlin im Jahre 1873 eine so gute und den
politischen Status Italiens so festigende Aufnahme gefunden, daß noch vor dem
Abschlüsse des Bündnisvertrages Deutschland und, auf seinen Antrieb, auch
Österreich-Ungarn förmliche Garantien der Unversehrtheit Italiens übernommen
zu haben schienen, wodurch sie sich gewissermaßen als dauernde Gegner der
päpstlichen Rechte auf Rom erklärten.

Als nun Bismarck im Jahre 1873 mit den Maigesetzen und einer Anzahl
weiterer gesetzgeberischer, administrativer und strafrechtlicher Maßnahmen seinem
Standpunkt eine praktische Form zu geben begann, als man allenthalben den
Eindruck einer Provokation gegen das Papsttum hatte, mußte auch der Papst
aus der Zurückhaltung heraustreten. Es erschien jene in heftigster Sprache
geschriebene päpstliche Enzyklika an die preußischen Bischöfe, die am 5. Februar
1875 veröffentlicht wurde. Der Papst erklärte hier rund heraus die Entsetzung
der Bischöfe von Posen-Gnesen und Paderborn als im Widerspruch zu allen
geschriebenen und natürlichen Gesetzen stehend. Er erhob „mit aller Kraft
und aller göttlichen Autorität seine anklagende Stimme gegen jene unbilligen
Gesetze und Aktionen und gegen die scheußliche Mißhandlung der Freiheit der
Kirche" und „teilte der ganzen katholischen Welt und jedem, den es angeht,


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[0378] Polen und Rom nach preußischen Kampfe mit Rom folgten nach verschiedenen Gesichtspunkten und in verschiedener Ausdehnung ein russischer, österreichischer, italienischer, französischer. Der preußische Kulturkampf hatte seine gehässigsten Erscheinungen in den polnischen Landesteilen. Hier trug nämlich Roms Tat, die religiösen Vor¬ stellungen und Vetätigungen römisch-katholischen Rezepts mit dem nationalen und politischen Denken der Polen organisch verknüpft zu haben, volle Früchte. Hier war es auch, wo Rom die beste Handhabe erhielt, den Kampf mit der preußischen Regierung wirksam zu führen. Keine verborgene oder offene, chronische oder akute Auflehnung gegen die Negierung in den polnischen Landes¬ teilen, an der Rom nicht wenigstens mit seiner Sympathie beteiligt gewesen wäre! Im Jahre 1872 erklärte Bismarck, daß die Staaten nicht damit einver¬ standen sein könnten, wenn der Papst kraft der Stabilierung der Unfehlbarkeit und der Inanspruchnahme höchster, ordentlicher und unmittelbarer Jurisdiktion seine Macht an die Stelle der bisher diözesanbischöflichen Kompetenzen setze, da die Bischöfe alsdann nichts als päpstliche Instrumente darstellen würden und hiermit eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen und Rechte des Staates herbeigeführt wäre. Hiervon ausgehend unternahm Bismarck einen radikalen Angriff gegen Rom und forderte zunächst, daß „die Staaten" auf das Konklave für die Papstwahl einen mitbestimmenden Einfluß erhalten sollten. Das war eine Forderung, welche die anderen Staaten, die diesen Einfluß traditionell bereits ausübten, zu unterstützen keinen Grund hatten. Pius der Neunte war um so weniger geneigt. Verständnis für diese Forderung zu zeigen, als er die gegen ihn gerichtete Demonstration in der ersten Sitzung des Deutschen Reichstages noch nicht verschmerzt hatte. Ferner hatte Viktor Emanuel der Zweite bei seinem persönlichen Besuch in Berlin im Jahre 1873 eine so gute und den politischen Status Italiens so festigende Aufnahme gefunden, daß noch vor dem Abschlüsse des Bündnisvertrages Deutschland und, auf seinen Antrieb, auch Österreich-Ungarn förmliche Garantien der Unversehrtheit Italiens übernommen zu haben schienen, wodurch sie sich gewissermaßen als dauernde Gegner der päpstlichen Rechte auf Rom erklärten. Als nun Bismarck im Jahre 1873 mit den Maigesetzen und einer Anzahl weiterer gesetzgeberischer, administrativer und strafrechtlicher Maßnahmen seinem Standpunkt eine praktische Form zu geben begann, als man allenthalben den Eindruck einer Provokation gegen das Papsttum hatte, mußte auch der Papst aus der Zurückhaltung heraustreten. Es erschien jene in heftigster Sprache geschriebene päpstliche Enzyklika an die preußischen Bischöfe, die am 5. Februar 1875 veröffentlicht wurde. Der Papst erklärte hier rund heraus die Entsetzung der Bischöfe von Posen-Gnesen und Paderborn als im Widerspruch zu allen geschriebenen und natürlichen Gesetzen stehend. Er erhob „mit aller Kraft und aller göttlichen Autorität seine anklagende Stimme gegen jene unbilligen Gesetze und Aktionen und gegen die scheußliche Mißhandlung der Freiheit der Kirche" und „teilte der ganzen katholischen Welt und jedem, den es angeht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/378>, abgerufen am 26.08.2024.