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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Der Untergang des alten Beamtenstaats

konnte es durch den früher erwähnten Ansturm gegen die Landräte erfahren,
daß nicht bloß die Absicht, die Verwaltung zu bessern, hinter diesem Vorgehen
steckt. Wahlmache und der heiße Wunsch, Angehörige der eigenen Partei auch
einmal an die Krippe zu bringen, sprechen mindestens ebenso kräftig mit. Diesen:
Streben kann es nur nützen, daß die Verwaltung jetzt angeblich in den
Händen einer bestimmten Partei ist. Der Verwaltung und dem Staat wird
damit nicht gedient. Für sie bedeutet diese Verschleierung des Bildes nur, den
Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Wer der Verwaltung und dem Staat
helfen will, muß jede Günstlingswirtschaft, einerlei, welcher Partei oder welchen
Bevölkerungskreisen sie zugute komnrt, nach Möglichkeit ausrotten.

Die geschilderte Zerreißung der Einheit der Verwaltungslaufbahn und der
Beamtenschaft selbst hat auch Folgen für den Verwaltungsdienst gehabt, indem
auch dort die Einheit zerstört wurde. Wie wir in der Verwaltung jetzt Beamte
erster und zweiter Klasse haben, so gibt es dort jetzt auch Ämter, Behörden,
Geschäftsgebiete, Dezernate erster und zweiter Klasse. Das entscheidende Merkmal
ist, ob sie der begünstigten Minderheit vorbehalten sind oder ob sich Beamte
ohne Beziehungen mit ihnen begnügen müssen.

Deshalb ist heute das Landratsamt angesehener, vornehmer und gesuchter
als die Regierung. Viele Assessoren ziehen jetzt ein Landratsamt im traurigsten
Nest dem schönsten und wichtigsten Dezernat einer Regierung in der angenehmsten
Großstadt unbedingt vor. Früher war es umgekehrt. So sah z. B. der Landrat
Juncker, der spätere Regierungspräsident Freiherr v. Juncker, als er 1849 nach
überaus geschickter und erfolgreicher Bekämpfung des Polenaufruhrs im Kreise
Czarnikau als Regierungsrat nach Düsseldorf versetzt wurde, darin eine Aus¬
zeichnung und Belohnung, die ihn hoch erfreute. Jetzt würde man in einer
solchen Versetzung eine capitiZ eliminutio erblicken. Freilich ist inzwischen das
Landratsamt wichtiger geworden; indessen ist anderseits aber auch die Bedeutung
der Negierung nicht zurückgegangen; außerdem gewährte auch schon früher das
Landratsamt als die Domäne des angesessenen Adels seinem Inhaber jedenfalls
eine sehr angesehene persönliche und gesellschaftliche Stellung. Ein sachlicher
Grund für die jetzige Geringschätzung der Regierung liegt also nicht vor; sie
erklärt sich nur durch die erwähnte höhere Bewertung des Landratsamts.

Aus demselben Grunde steht unter den Regierungen so manche in schlechtem
Geruch, nicht nur bei den Beamten, sondern auch im Lande. Unbegreiflicher¬
weise hat man hier von oben noch nachgeholfen. Man hat nämlich solche
ohnehin schon übel berüchtigte Regierungen mit Vorliebe als Strafkolonien
benutzt, indem man ihnen die Regierungsbeamten überwies, die für irgendeine
Missetat bestraft oder kaltgestellt werden sollten. Ein solches Verfahren war
natürlich nicht geeignet, das Slnsehen und die Beliebtheit dieser Behörden
zu heben.

Noch schlimmer ist die Scheidung der einzelnen Geschäftsgebiete und Dezernate
in der erwähnten Richtung, weil sie durch die ganze Verwaltung geht. Auch


Grenzboten IV 1S11 42
Der Untergang des alten Beamtenstaats

konnte es durch den früher erwähnten Ansturm gegen die Landräte erfahren,
daß nicht bloß die Absicht, die Verwaltung zu bessern, hinter diesem Vorgehen
steckt. Wahlmache und der heiße Wunsch, Angehörige der eigenen Partei auch
einmal an die Krippe zu bringen, sprechen mindestens ebenso kräftig mit. Diesen:
Streben kann es nur nützen, daß die Verwaltung jetzt angeblich in den
Händen einer bestimmten Partei ist. Der Verwaltung und dem Staat wird
damit nicht gedient. Für sie bedeutet diese Verschleierung des Bildes nur, den
Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Wer der Verwaltung und dem Staat
helfen will, muß jede Günstlingswirtschaft, einerlei, welcher Partei oder welchen
Bevölkerungskreisen sie zugute komnrt, nach Möglichkeit ausrotten.

Die geschilderte Zerreißung der Einheit der Verwaltungslaufbahn und der
Beamtenschaft selbst hat auch Folgen für den Verwaltungsdienst gehabt, indem
auch dort die Einheit zerstört wurde. Wie wir in der Verwaltung jetzt Beamte
erster und zweiter Klasse haben, so gibt es dort jetzt auch Ämter, Behörden,
Geschäftsgebiete, Dezernate erster und zweiter Klasse. Das entscheidende Merkmal
ist, ob sie der begünstigten Minderheit vorbehalten sind oder ob sich Beamte
ohne Beziehungen mit ihnen begnügen müssen.

Deshalb ist heute das Landratsamt angesehener, vornehmer und gesuchter
als die Regierung. Viele Assessoren ziehen jetzt ein Landratsamt im traurigsten
Nest dem schönsten und wichtigsten Dezernat einer Regierung in der angenehmsten
Großstadt unbedingt vor. Früher war es umgekehrt. So sah z. B. der Landrat
Juncker, der spätere Regierungspräsident Freiherr v. Juncker, als er 1849 nach
überaus geschickter und erfolgreicher Bekämpfung des Polenaufruhrs im Kreise
Czarnikau als Regierungsrat nach Düsseldorf versetzt wurde, darin eine Aus¬
zeichnung und Belohnung, die ihn hoch erfreute. Jetzt würde man in einer
solchen Versetzung eine capitiZ eliminutio erblicken. Freilich ist inzwischen das
Landratsamt wichtiger geworden; indessen ist anderseits aber auch die Bedeutung
der Negierung nicht zurückgegangen; außerdem gewährte auch schon früher das
Landratsamt als die Domäne des angesessenen Adels seinem Inhaber jedenfalls
eine sehr angesehene persönliche und gesellschaftliche Stellung. Ein sachlicher
Grund für die jetzige Geringschätzung der Regierung liegt also nicht vor; sie
erklärt sich nur durch die erwähnte höhere Bewertung des Landratsamts.

Aus demselben Grunde steht unter den Regierungen so manche in schlechtem
Geruch, nicht nur bei den Beamten, sondern auch im Lande. Unbegreiflicher¬
weise hat man hier von oben noch nachgeholfen. Man hat nämlich solche
ohnehin schon übel berüchtigte Regierungen mit Vorliebe als Strafkolonien
benutzt, indem man ihnen die Regierungsbeamten überwies, die für irgendeine
Missetat bestraft oder kaltgestellt werden sollten. Ein solches Verfahren war
natürlich nicht geeignet, das Slnsehen und die Beliebtheit dieser Behörden
zu heben.

Noch schlimmer ist die Scheidung der einzelnen Geschäftsgebiete und Dezernate
in der erwähnten Richtung, weil sie durch die ganze Verwaltung geht. Auch


Grenzboten IV 1S11 42
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[0337] Der Untergang des alten Beamtenstaats konnte es durch den früher erwähnten Ansturm gegen die Landräte erfahren, daß nicht bloß die Absicht, die Verwaltung zu bessern, hinter diesem Vorgehen steckt. Wahlmache und der heiße Wunsch, Angehörige der eigenen Partei auch einmal an die Krippe zu bringen, sprechen mindestens ebenso kräftig mit. Diesen: Streben kann es nur nützen, daß die Verwaltung jetzt angeblich in den Händen einer bestimmten Partei ist. Der Verwaltung und dem Staat wird damit nicht gedient. Für sie bedeutet diese Verschleierung des Bildes nur, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Wer der Verwaltung und dem Staat helfen will, muß jede Günstlingswirtschaft, einerlei, welcher Partei oder welchen Bevölkerungskreisen sie zugute komnrt, nach Möglichkeit ausrotten. Die geschilderte Zerreißung der Einheit der Verwaltungslaufbahn und der Beamtenschaft selbst hat auch Folgen für den Verwaltungsdienst gehabt, indem auch dort die Einheit zerstört wurde. Wie wir in der Verwaltung jetzt Beamte erster und zweiter Klasse haben, so gibt es dort jetzt auch Ämter, Behörden, Geschäftsgebiete, Dezernate erster und zweiter Klasse. Das entscheidende Merkmal ist, ob sie der begünstigten Minderheit vorbehalten sind oder ob sich Beamte ohne Beziehungen mit ihnen begnügen müssen. Deshalb ist heute das Landratsamt angesehener, vornehmer und gesuchter als die Regierung. Viele Assessoren ziehen jetzt ein Landratsamt im traurigsten Nest dem schönsten und wichtigsten Dezernat einer Regierung in der angenehmsten Großstadt unbedingt vor. Früher war es umgekehrt. So sah z. B. der Landrat Juncker, der spätere Regierungspräsident Freiherr v. Juncker, als er 1849 nach überaus geschickter und erfolgreicher Bekämpfung des Polenaufruhrs im Kreise Czarnikau als Regierungsrat nach Düsseldorf versetzt wurde, darin eine Aus¬ zeichnung und Belohnung, die ihn hoch erfreute. Jetzt würde man in einer solchen Versetzung eine capitiZ eliminutio erblicken. Freilich ist inzwischen das Landratsamt wichtiger geworden; indessen ist anderseits aber auch die Bedeutung der Negierung nicht zurückgegangen; außerdem gewährte auch schon früher das Landratsamt als die Domäne des angesessenen Adels seinem Inhaber jedenfalls eine sehr angesehene persönliche und gesellschaftliche Stellung. Ein sachlicher Grund für die jetzige Geringschätzung der Regierung liegt also nicht vor; sie erklärt sich nur durch die erwähnte höhere Bewertung des Landratsamts. Aus demselben Grunde steht unter den Regierungen so manche in schlechtem Geruch, nicht nur bei den Beamten, sondern auch im Lande. Unbegreiflicher¬ weise hat man hier von oben noch nachgeholfen. Man hat nämlich solche ohnehin schon übel berüchtigte Regierungen mit Vorliebe als Strafkolonien benutzt, indem man ihnen die Regierungsbeamten überwies, die für irgendeine Missetat bestraft oder kaltgestellt werden sollten. Ein solches Verfahren war natürlich nicht geeignet, das Slnsehen und die Beliebtheit dieser Behörden zu heben. Noch schlimmer ist die Scheidung der einzelnen Geschäftsgebiete und Dezernate in der erwähnten Richtung, weil sie durch die ganze Verwaltung geht. Auch Grenzboten IV 1S11 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/337>, abgerufen am 26.08.2024.